5 Fragen...

5 Fragen

aerzteblatt.de stellt in dieser Rubrik fünf Fragen an interessante Gesprächspartner aus der beruflichen Praxis und Politik zu aktuellen Themen rund um die Gesundheitspolitik.


Versorgungsstärkungsgesetz

Versorgungs­stärkungs­gesetz

Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

Der Deutsche Bundestag hat am 11. Juni das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) verabschiedet. Das Deutsche Ärzteblatt hat unter Ärzten, in der Krankenhausverwaltung und bei Verbänden nachgefragt, wie sie die geplante Gesetzgebung zu Terminservicestellen, arztgruppengleichen MVZ, der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung und den Hochschulambulanzen einschätzen Rie/fos

5 Fragen zum VSG an...

Arztgruppengleiche MZV: „Eine Chance bei der Suche nach Praxisnachfolgern“

Berlin – Jan-Peter Jansen arbeitet in einem fachübergreifend ausgerichteten Schmerzzentrum. Dennoch findet er: „Wenn jetzt auch facharztgruppengleiche MZV gegründet werden können, zum Beispiel Hausarzt-MVZ, die dann von mehreren Ärzten von acht bis 20 Uhr besetzt sind, wäre das im Sinne der Ärzte und der Patienten.“

5 Fragen an Jan-Peter Jansen, Ärztlicher Leiter Schmerzzentrum Berlin

DÄ: Sie sind kein Gegner arztgruppengleicher Medizinischer Versorgungszentren (MVZ), arbeiten selbst aber in einem arztgruppenübergreifenden Schmerzzentrum und schätzen diesen Ansatz. Warum?
Jansen: Wir haben unser MVZ schon vor zehn Jahren gegründet, und zwar zu zweit, obwohl wir eigentlich beide Anästhesisten sind. Das ging damals nur, weil ich mich 1990 noch als Praktischer Arzt hatte nieder­gelassen können. Deswegen sitze ich auf einem Hausarztsitz, mein Partner auf einem Facharztsitz, und wir konnten 2005 das MVZ gründen. Ich sehe aber generell große Vorteile in fachübergreifenden MVZ, vor allem die Interdisziplinarität, die den Patienten nutzt.

Wir sind ein sogenanntes Themen-MZV, das heißt: Wir behandeln chronische Schmerzpatienten, etwa 10.000 im Quartal. Das tun wir gemeinsam mit  acht Fachrichtungen in einem Haus.  Die Zusammenarbeit ist niedrigschwellig: Man muss nur nach nebenan gehen oder kann einen Kollegen mal schnell hinzuholen. Das ist nicht nur praktisch, sondern dadurch entsteht auch eine Art Hausmeinung. Alle beteiligten Kollegen nähern sich in ihrer Behandlung aneinander an und entwickeln gemeinsame Überzeugungen.

Ein Beispiel: Der Neurochirurg, der sonst unter Fachkollegen vielleicht mit großem Interesse auf Röntgenbilder guckt oder auf MRT-Aufnahmen und ein Wirbelgleiten erkennt, misst dem im interdisziplinären Team eine andere Bedeutung bei. Denn da sind Kollegen anderer Disziplinen vertreten, die darauf hinweisen, dass bei vielen Patienten ein Wirbelgleiten feststellbar ist, dieser Befund allein für Schmerzpatienten aber nicht aussagekräftig ist.

DÄ: Kommen zu Ihnen die richtigen Patienten? Und können Sie sie im Schmerzzentrum besser zu den richtigen Kollegen steuern?
Jansen: Wir versuchen es. Wir nutzen zum Beispiel unsere Homepage, um interessierten Patienten zu erläutern, was wir anbieten und was nicht. Derjenige, der sich für eine antroposophisch orientierte Behandlung interessiert, erfährt, dass wir die nicht anbieten. Bei Neupatienten versuchen wir über Fragebögen mehr herauszufinden, um sie besser innerhalb des Schmerzzentrums steuern zu können.

DÄ: Inwiefern haben dann arztgruppengleiche MVZ auch Vorteile?
Jansen: Wir wissen doch, dass derzeit zig tausend Ärztinnen und Ärzte Praxisnachfolger suchen und viele jüngere Kolleginnen und Kollegen lieber angestellt arbeiten wollen. Da sind arztgruppengleiche MVZ eine Chance. Hinzu kommt, dass Sie in arztgruppengleichen wie in fachübergreifenden MVZ  arztnahe Berufsgruppen integrieren können, die Ihnen die Arbeit erheblich erleichtern. Ich finde, dass wir jegliche Hemmnisse abbauen müssen, die Ärztinnen und Ärzte daran hindern, für und an den Patienten zu arbeiten. Bei uns arbeitet beispielsweise ein Physician Assistent. Das ist eine erhebliche Erleichterung, weil dieser zahlreiche delegierbare Aufgaben erledigen kann und somit den Arzt entlastet.

DÄ: MVZ finden mehr Zustimmung als früher. Aber manche Ärzte bedauern auch, dass man als Angestellter in einem größeren MVZ viel von dem aufgibt, was viele als wesentlich für den Arztberuf halten: die Selbstständigkeit und einen großen Entscheidungsfreiraum. Wie sehen Sie das?
Jansen: Ich halte viele Vorträge, auch vor jüngeren Kollegen, und stelle dabei fest, was uns ja auch Umfragen bestätigen: Der größte Teil von ihnen will nicht mehr in einer Einzelpraxis arbeiten. Auch unsere früher gelebte Auffassung, dass man täglich von acht bis 20 Uhr für seine Patienten da sein muss, teilen sie nicht mehr. Wenn jetzt auch facharztgruppengleiche MZV gegründet werden können, zum Beispiel Hausarzt-MVZ, die dann von mehreren Ärzten von acht bis 20 Uhr besetzt sind, wäre das im Sinne der Ärzte und der Patienten.

Allein in eigener Praxis zu arbeiten, beinhaltet zudem immer auch, sehr stark nur nach eigenen Überzeugungen zu arbeiten. Das betrifft leider auch medizinisches Wissen und Können. Wenn Sie viele Ärzte kennen und jeweils länger mit ihnen zu tun haben, dann erleben Sie, dass manche Überzeugungen entwickelt haben, die sie nicht mehr überprüfen. Sie kennen dann beispielsweise Leitlinien nicht und wenden sie deshalb auch nicht an, Motto: Wozu? Ich mache das schon immer so wie heute. So entsteht eine Versorgung, die sich keinerlei Kontrolle mehr stellt. Das ist in großen Zentren anders. Wir können unsere Qualität eher messen und vor allem mit der von Kollegen  vergleichen.

Natürlich soll es Einzelpraxen weiter geben. Aber der poliklinische Gedanke und der Zusammenschluss fördern meiner Meinung nach auch ein kollektives ärztliches Wissen, was ja auch einen Reichtum darstellt. Das sollten wir weiterentwickeln.

DÄ: Sind größere Zusammenschlüsse wie MVZ auch deshalb attraktiv, weil die Kommunikation zwischen Einzelarztpraxen immer noch so kümmerlich und altmodisch läuft? Weil sicherer eArztbrief oder einfache elektronische Befundübermittlung nicht zum Alltag aller gehören?
Jansen: Bin ich bei Ihnen. Unsere Praxisverwaltungssoftware stammt von einem großen Anbieter. Er weiß genau, wer in meinem Umfeld noch Kunde ist und dieselbe Software benutzt. Jeder Radiologe mit demselben System könnte mir theoretisch also einen Befund elektronisch zuschicken und mir noch einen Vermerk in die Patientenakte schreiben. Das macht aber keiner.

Wir versuchen gleichwohl, uns unter uns behandelnden Ärzten eines Patienten schon gut zu informieren und elektronische Kommunikationswege zu nutzen. Wenn ein Patient beispielsweise vom Orthopäden mitbehandelt werden soll, maile ich dort Befunde ebenso hin wie eine Art Visitenkarte des Patienten mit den Daten, wo und wie er erreichbar ist. Das erleichtert dem Kollegen die Terminvereinbarung. Und wir bekommen rasch eine Information, wenn es mit dem Termin geklappt hat.

„Terminservice­stellen sind kein Kommunika­tionsersatz“

Bad Hersfeld – Roland Sporleder hält kurzfristige Termine für Patienten frei, deren Arzt um eine dringliche Mitbehandlung bittet. Doch der niedergelassene Neurologe weiß auch: Es gibt etliche Patienten, „die meinen, mal zum Neurologen zu müssen, obwohl die Notwendigkeit einer solchen Konsultation meist gar nicht gegeben ist“.

5 Fragen an Roland Sporleder, Neurologe in Bad Hersfeld

DÄ: Warum halten Sie nichts von den einzurichtenden Terminservicestellen?
Sporleder: Ich denke, dass das nur wieder mehr Verwaltungsaufwand bedeuten würde, ohne dass der Mangel reduziert wird. Allenfalls würde es vielleicht die Koordination ein bisschen verbessern. Was ich auch negativ finde: Man hätte dann nicht nur die Anrufe der Patienten zu verkraften, die einen Termin wollen, sondern auch noch die Anfragen der Stelle, womöglich für den gleichen Patienten. Wir brauchen keine Terminservicestellen, sondern eine bessere Koordination und Verteilung der Patienten über die Hausärzte an die Fachärzte.

DÄ: Wie vergeben Sie denn in Ihrer Praxis die Termine?
Sporleder: Ich trenne zwischen der langfristigen Terminvergabe für Routinekontrollen und nicht dringliche Krankheitsbilder und kurzfristigen Terminen. Für die lasse ich Lücken, um Patienten mit ein bis zwei Wochen Vorlauf sehen zu können. Das hat dazu geführt, dass sich die normalen Wartezeiten auf einen Termin bei mir auf etwa sechs Monate verlängert haben. Patienten, denen das zu lange dauert, sage ich: Wenn Ihr Hausarzt die Dringlichkeit einer schnellen Vorstellung sieht, kann ich Ihnen einen kurzfristigen Termin vergeben.

Ich halte mein System für sinnvoll. Der Hausarzt ist ein ärztlicher Kollege, der seinen Patienten kennt und der viel eher sagen kann: Der Schwindel, über den der Patient klagt, muss dringend neurologisch abgeklärt werden – oder eben auch kardiologisch. Er ist derjenige, der die richtige Zuweisung vornehmen kann. Das Problem ist natürlich, dass der Hausarzt auch nicht mehr als arbeiten kann.

Mein Angebot  an Patienten, sich vom Hausarzt die Dringlichkeit eines Termins bestätigen zu lassen,  verpufft aber häufig. Das zeigt das hohe Potenzial an Patienten, die meinen, mal zum Neurologen zu müssen, obwohl die Notwendigkeit einer solchen Konsultation meist gar nicht gegeben ist. Deshalb finde ich ja, dass wir eigentlich eine ärztlich geführte Koordination der Facharztkonsultationswünsche von Patienten brauchen. Aber das ist nicht mit einem Telefonservicecenter zu leisten. Die Terminservicestellen sind kein Kommunikationsersatz. Wir brauchten eine andere Kommunikationsstruktur zwischen den Zuweisern und den entsprechenden Facharztkollegen, um quasi die Spreu vom Weizen zu trennen.

DÄ: Die Ärzte betonen: Wenn es wirklich dringend ist, bekommt man beim Kollegen rasch einen Termin für den Patienten. Stimmt das? Und wie empfinden es die Patienten Ihrer Meinung nach?
Sporleder: Das ist bei mir auch so. Ein hausärztlicher Kollege von mir, den ich ganz gut kenne, macht davon regelmäßig Gebrauch. Dafür habe ich auch immer noch ein bisschen Luft. Umgekehrt mache ich das genauso, wenn ich für einen Patienten beispielsweise rasch eine Bildgebung benötige. Dann rufe ich, wenn es eilt, auch den Kollegen an. Das funktioniert ebenfalls.

Die Patienten kommen mit meinem System zurecht, soweit ich höre – zumindest die, die das reflektieren. Die Leute, die vorn am Tresen stehen und erst Monate später einen Termin angeboten bekommen, sind natürlich wenig verständnisvoll. Hinzu kommt, dass manche ja einen Überweisungsschein mithaben, aus dem aber meist nicht hervorgeht, wie dringend es ist. Deshalb finde ich das System der A-B-C-Überweisungen nicht schlecht, mit dem Hinweise auf die Dringlichkeit einer Behandlung gegeben werden. Denn von der entsprechenden Kennzeichnung erfahren ja auch die Helferinnen. Das würde uns wahrscheinlich mehr nutzen als eine Servicestelle.

: Wie könnte man den Informationsfluss unter Ärzten über Patienten und die Dringlichkeit ihrer Mitbehandlung denn verbessern?
Sporleder: Das ist schwierig, weil das natürlich Zeit bindet. Ein kollegiales Gespräch über die Notwendigkeit einer Mitbehandlung ist gut und wahrscheinlich durch nichts zu ersetzen. Man müsste ein solches Gespräch besser honorieren und zum Beispiel eine Ziffer für das Vorab-Konsil vorsehen.  Derzeit ist das gar nicht vorgesehen. Andererseits sollte das Honorar für den akut zu versorgenden Patienten ja nicht erheblich besser sein als das für den Chroniker. Sonst würden die chronisch kranken Patienten ja nicht mehr versorgt. Ein kleiner Anreiz wäre aber sinnvoll.

Dass wir zu wenig miteinander über die notwendige Behandlung von Patienten sprechen, liegt in erster Linie am wirtschaftlichen Druck in den Praxen. Wir hetzen von einem Patienten zum nächsten, und zwischen zweien haben wir nicht die Zeit, mit Kollegen ein Telefonat zu führen. Wenn wir es versuchen, führt das häufig zu einem Telefon-Ping-Pong: Man versucht sich gegenseitig vergeblich zu erreichen.

Wir müssten alle auf ein sicheres Netzwerk für Ärzte zurückgreifen wie das KV Safenet und uns darüber austauschen. Das wäre sinnvoller als eine Telefonservicestelle, die ja im Grunde auch schon antiquiert ist. Wenn ich den Kollegen drei Ecken weiter bitten könnte, mir eine Mail zu schicken, und da stünde: Ich brauche in zwei Tagen einen Termin für einen Patienten, dessen Zustand ist mir nicht geheuer, dann könnte ich schnell antworten, dass der Patient sich dann und dann melden soll. Das wäre eine Erleichterung.

DÄ: Aber das KV Safenet besteht, und die Nutzerzahlen wachsen.
Sporleder: Ja, aber noch nutzen alle KV Safenet vor allem für die Abrechnung. Es gibt weitere sinnvolle Anwendungen, aber ehrlich gesagt: Ich kann mich nicht auch noch ständig darum kümmern. Toll wäre ein einfaches Tool, mit dem ich alle Kollegen sicher erreichen und mit ihnen Befunde austauschen könnte. Ein sicheres "Whatsapp für Ärzte". "KV Safeapp" statt telefonischer Terminvergabe über die Servicestelle – das wäre es. Dann könnte ich Kollegen anklicken und um einen raschen Termin bitten. Oder schnell rückmelden, dass die eilige Überweisung in dem und dem Fall nicht nötig gewesen wäre. Das würde mittelfristig mehr nutzen für eine gerechte und vernünftige Terminvergabe.

„Geld für Terminservice­stellen, aber nicht für die normale Versorgung – das kann ich nicht nachvollziehen“

Georgsmarienhütte – Jens Schweizer hält Terminservicestellen für teuer und überflüssig. Seiner Meinung nach bekommen Patienten rasch einen Termin, wenn es wirklich sein muss. Was den niedergelassenen Gynäkologen wurmt, sind Terminuntreue und Unpünktlichkeit von Patientinnen – ­ beides keine Seltenheit.

5 Fragen an Jens Schweizer, Gynäkologe in Georgsmarienhütte

DÄ: Wieso sind Terminservicestellen bei den Kassen­ärztlichen Vereinigungen (KVen) für Sie der falsche Weg, um Wartezeiten auf einen Facharzttermin abzubauen?
Schweizer: Ich halte solche Servicestellen für Bürokratiemonster, die unnötig Geld verschlingen. Den Kostenschätzungen nach wird die Einrichtung der Terminservicestellen 13 bis 20 Millionen Euro kosten. Der jährliche Unterhalt wird bei schätzungsweise 16,5 bis 20 Millionen Euro liegen. Das ist eine Menge Geld, das im Grunde den Versicherten für ihre medizinische Versorgung entzogen wird.

Ich weiß, dass die Krankenkassen in Sachsen, wo es bereits eine Terminservice­vermittlungsstelle gibt, für die zusätzliche Terminvergabe Geld in die Hand genommen haben und die Kollegen dort einen Zuschlag zum Honorar bekommen. Das heißt: Das Geld für Terminservicestellen und für die Honorarverbesserung der Kollegen, die noch Patienten annehmen, ist vorhanden, aber für die normale Finanzierung der Versorgung nicht. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Ich finde es weiterhin falsch, dass medizinische Laien in Callcentern die Dringlichkeit einer Suche nach einem Facharzttermin beurteilen sollen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das funktioniert. Natürlich können meine Fachangestellten, die Termine vergeben, schon ziemlich gut entscheiden, ob eine Patientin nun dringlich angenommen werden muss oder nicht. Aber wenn es für sie nicht klar ist, können sie mich fragen.

DÄ: Meinen Sie, dass es für die Mitarbeiter einer Terminservicestelle einfacher ist, wenn der Patient auf der Suche nach einem Facharzttermin eine speziell gekennzeichnete Überweisung vorlegen kann, die damit schon Hinweise auf die Dringlichkeit enthält?
Schweizer: Davon halte ich gar nichts. Ich denke, dass die Terminvermittlung in notwendigen Fällen doch gut klappt. Wenn eine Überweisung wirklich dringend ist, ruft man den Kollegen an, schildert den Fall und bittet um einen raschen Termin. Das funktioniert doch zu 99 Prozent hervorragend.

Monatelange Wartezeiten auf einen Facharzttermin, der nicht dringend ist, sind sicher auch die Folge dessen, was ich als Flatrate-Medizin bezeichne. Wenn eine Patientin schon einmal bei mir gewesen ist und will, für mich erkennbar wegen einer Bagatelle, ein zweites Mal einen Termin, dann überlege ich, ob das nicht Zeit hat bis zum nächsten Quartal. Wir haben nun einmal quartalsbezogenen Budgets.

DÄ: Wie erleben Sie das Problem Wartezeiten denn konkret in Ihrer Praxis?
Schweizer: Ich habe eine sehr gut funktionierende Terminsprechstunde. Wir haben keine allzu langen Wartezeiten, und bei akuten Beschwerden bekommen wir die Patientin auf jeden Fall in maximal 48 Stunden noch unter. Probleme haben wir aber mit der Unpünktlichkeit mancher Patientinnen.

Ich habe vor kurzem eine bundesweite Umfrage unter Kollegen mit gynäkologischen Praxen gestartet und mittlerweile rund 800 Rückmeldungen bekommen. Danach kommt jede Praxis im Durchschnitt auf  58 Termine im Monat, die nicht eingehalten werden. Wenn die Patientinnen so fair wären, diese Termine rechtzeitig abzusagen, dann hätten wir mehr auch Luft, Patientinnen mit Beschwerden noch schneller dranzunehmen.

DÄ: Wie reagieren Ihre unpünktlichen Patientinnen?
Schweizer: Manche, die ich darauf anspreche, zeigen schon Verständnis und sagen: Kommt nicht wieder vor. Aber andere interessiert das gar nicht. Vor kurzem habe ich in der Frauenzeitschrift Brigitte folgende Passage gelesen: Neulich habe ich einen Arzttermin sausen lassen, weil mir mein kleiner Sohn sein neues Lied auf der Gitarre vorspielen wollte. Am Ende tanzten wir wild und glücklich durch sein Zimmer und sangen, so laut wir konnten. Das ist ja schön. Aber einen Arzttermin einfach so sausen zu lassen und das in einer Zeitschrift auch so zu äußern, fand ich doch hart.

DÄ: Was sollte man Ihrer Meinung nach unternehmen, damit die Diskussion um zu lange Wartezeiten endet?
Schweizer:
Ich fände erst einmal eine Ausfallentschädigung angemessen, wenn Patienten einen vereinbarten Termin nicht wahrnehmen. Das würde eine Änderung im Sozialgesetzbuch V voraussetzen. Aber bei Psychotherapeuten oder Ergotherapeuten ist das ja auch zulässig.

Außerdem würde ich eine Eigenbeteiligung der Patienten bei jedem Arztbesuchen befürworten. Ich könnte mir vorstellen, dass man so unnötige Arztbesuche vermeiden kann. Gerade heute hat eine Patientin angerufen, die einen Termin wollte – nur zur Sicherheit, sagte sie, ihre Beschwerden seien abgeklungen. Das zeigt doch, wie hoch das Anspruchsdenken in der Bevölkerung ist. Es könnte wieder auf ein Normalmaß gebracht werden. Und vor allem bin ich dafür, dass die Budgets abgeschafft werden. Dann würden viele Ärzte auch länger arbeiten und mehr Patienten aufnehmen.

Und was wäre denn, wenn die KVen die Aufforderung zur Gründung von Terminser­vicestellen einfach ignorieren würden? In meinen Augen haben sie nichts mit dem Sicherstellungsauftrag zu tun. Eine Verweigerung wäre mal eine provokative Aktion, aber eine angemessene. Alternativ könnte man Folgendes überlegen: Wir notieren für die Patienten, die nicht erscheinen, eine eigene Ziffer in der Abrechnung. Damit könnten wir sehr gut nachweisen, in welchen Fachgruppen das gehäuft vorkommt, und auch in welchen Regionen. Wir könnten dann auch überprüfen, ob Patienten einen Termin nicht eingehalten haben, aber dann später bei der Terminservicestelle anrufen und sich schnell einen vermitteln lassen.

Terminservice­stellen: „Für Ältere ist das eine sinnvolle Unterstützung“

Leipzig – Zu der Gemeinschaftspraxis, in der Ute Bayer arbeitet, hat die Termin­servicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen bereits Patienten vermittelt. Die Radiologin findet: „Sie kann die Patienten unterstützen, die wirklich zeitnah einen Termin benötigen und es aber selbst nicht schaffen, ihn zu erhalten.“

5 Fragen an Ute Bayer, Radiologin in Leipzig

DÄ: Welche Erfahrungen haben Sie bisher als Ärztin mit der Terminservicevermittlungsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen gemacht?
Bayer: Wir haben seit der Gründung im November 2014 drei oder vier Terminanfragen von dort vermittelt bekommen. Eine Mitarbeiterin der Terminservicestelle hat bei unseren Mitarbeitern angerufen und wegen eines freien Termins nachgefragt. Wir haben dann mit dem Patienten telefonisch den genauen Termin vereinbart. Es ging um Überweisungen zu Ultraschall- und MRT-Untersuchungen. In allen Fällen bekam der Patient einen Termin innerhalb von vier Wochen. Anders als manche anderen Fachgruppen erhalten Radiologen dafür keinen Honorarzuschlag.

DÄ: Wie lange muss man bei Ihnen in der Praxis denn normalerweise auf einen Termin warten?
Bayer: An unserem radiologischen Schwerpunkt können die Patienten zu Röntgenuntersuchungen ohne Termin kommen. Für MRT-Untersuchungen betragen die Wartezeiten vier bis sechs Wochen. Das ist auch abhängig davon, welche Art von MRT-Untersuchung gemacht werden soll. Auf Computertomografien wartet man zwei Wochen. Normale Mammographie-Termine bekommt man in zwei bis drei Monaten, aber das sind meist langfristig geplante Kontrollen. Frauen mit auffälligen Befunden untersuchen wir innerhalb von zwei Arbeitstagen.

DÄ: Sie haben für Ihre überörtliche Gemeinschaftspraxis eine sehr komfortable Terminabfrage über Ihre Homepage eingerichtet: Sowohl Patienten als auch Kollegen können um einen Termin bitten und dazu genauere Angaben machen. Weshalb wendet man sich dann an die Servicestelle  und nicht an Sie direkt?
Bayer: Wenn ein Kollege einen Patienten vor sich sitzen hat, für den umgehend oder zumindest in den nächsten Tagen eine Diagnostik erfolgen muss, dann greift er auch zum Telefon. Oder er schickt den Patienten und schreibt nicht nur die entsprechende Verdachtsdiagnose auf, sondern notiert auch seit kurzem groß ein A oder B für die Eilüberweisungen. Das sensibilisiert unsere Mitarbeiterinnen dann, schnell einen Termin zu vergeben. Aber im Grunde ist das seit langen Jahren eingespielt.

Die jüngeren Patienten greifen häufiger auf unser Onlineangebot zur Termin­verein­barung zurück oder telefonieren einfach herum, um herauszufinden, in welcher Praxis es am schnellsten einen Termin gibt. Ihnen ist dann auch egal, ob sie dafür zwei Kilometer mehr fahren müssen. Bei der Terminservicestelle rufen meist ältere Patienten an, die nicht so gut damit umgehen können, dass sie es selbst bei verschiedenen Praxen versuchen müssen. Für sie ist das eine sinnvolle Unterstützung.

Bei uns Radiologen in Leipzig sind die Wartezeiten ja noch übersichtlich. Aber bei Augenärzten, Pulmologen oder anderen Kollegen in ländlicheren Regionen betragen die Wartezeiten wirklich Monate. Da bekommt man als Patient auch keinen Termin, wenn man fünf Praxen anruft. Dann kann es hilfreich sein, sich an die Vermittlungsstelle zu wenden. Sie kann die Patienten unterstützen, die wirklich zeitnah einen Termin benötigen und es aber selbst nicht schaffen, ihn zu erhalten.

DÄ: Können Sie die Kritik an den Servicestellen nachvollziehen?
Bayer: Ich finde, es ist ein gutes Angebot für Patienten. Weder wir Ärzte noch die Terminservicestelle können ihnen aber alle Wünsche erfüllen, das muss man vielleicht manchmal betonen. Denn die Forderungshaltung der Patienten wird schon immer größer. Der Patient wird nicht an seinen Wunschdoktor vermittelt, aber er wird vermittelt. Das ist aus meiner Sicht ein guter Kompromiss. Denn bestimmten Patienten in Notsituationen, die selbst nicht so umsichtig sind, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder aus Altersgründen, kann man so sicher helfen.

DÄ: Manche Ihrer Kollegen finden: Terminservicestellen könnte man sich sparen, wenn Ärzte den Kollegen, zu denen sie überweisen, genauere Angaben übermitteln würden, wie dringend die Behandlung ihres Patienten ist. Und wenn weniger Patienten die Praxen verstopfen würden, die eigentlich gar nicht dort behandelt werden müssten.
Bayer: Die Indikationsstellung durch die Überweiser ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Wenn wir eine sehr ungenaue Überweisung bekommen, erschwert es uns das aber nicht nur zu entscheiden, wie genau wir die Untersuchung anlegen müssen, sondern auch, wie dringlich ein Termin für den Patienten ist. Das Problem ist bei uns natürlich besonders groß, weil wir ja nur auf Überweisung arbeiten. Wenn der Überweisungsgrund für unsere Mitarbeiterinnen schwierig nachzuvollziehen ist, dann besprechen sie sich mit einem Radiologen. Wir planen im Übrigen unsere Termine auch danach, wie groß die zu untersuchende Körperregion ist, ob der Patient ein Kontrastmittel bekommen muss oder nicht, welche Organe angeschaut werden sollen. Auch deshalb brauchen wir mit der Überweisung genauere Informationen.

Deshalb: Wenn ein überweisender Kollege eine sehr konkrete Frage hat  – dann soll er sie aufschreiben. Dann können wir auch im Detail etwas zu diesem Band oder zu jener Knorpelstruktur sagen. Wenn aber nur „Schultergelenk“ auf der Überweisung steht, dann können wir das nicht. Das ist ein Aspekt der Kommunikation zwischen Ärzten, auf den man immer wieder hinweisen muss. Natürlich rufen wir einen Kollegen an, wenn wir nicht erkennen können, was genau wir mit einer Überweisung machen sollen. Aber das kostet Zeit und Kraft.

„Arztgruppengleiche MVZ sind auch in der Nephrologie attraktiv“

Melsungen – Ulrich Blondin findet: Fachübergreifende Einrichtungen sind nur sinnvoll, wenn sie am Ende tatsächlich zu kooperativer Zusammenarbeit führen. Der Geschäfts­führer eines großen Betreibers Medizinischer Versorgungszentren hält deshalb arztgruppengleiche MVZ für eine ehrliche Option: „Ich glaube, dass diese neue Möglichkeit zu einer Gründungswelle von MVZ führen wird.“

5 Fragen an Ulrich Blondin, Geschäftsführer via medis Nierenzentren GmbH

DÄ: Warum begrüßen Sie es, dass man nun auch facharztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründen kann?
Blondin: Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Via medis ist ja in einem ganz speziellen Segment tätig, der Dialyseeinrichtungen. Wir durften bisher schon MVZ gründen, aber nur, wenn wir neben Nephrologen noch einen weiteren Arzt einer anderen Fachrichtung fanden, um fachübergreifend tätig zu sein. Das ist ja aber nur sinnvoll, wenn solch eine fachübergreifende Konstruktion auch wirklich zu kooperativer Zusammenarbeit der einzelnen Akteure führt.

DÄ: Und das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall?
Blondin: Nein. Natürlich haben wir uns bemüht, neben Nephrologen Urologen oder Kardiologen zu integrieren, was für die Patientenversorgung ja sinnvoll ist. Aber wenn Nephrologen gern ein MVZ gründen wollten, sich aber kein passender Facharztkollege fand, dann mussten sie einen anderen suchen, beispielsweise einen Gynäkologen oder auch einen Allgemeinmediziner. So wurden aber Disziplinen hineingenommen in das MVZ, die im Hinblick auf die zu versorgenden Patienten eigentlich gar nicht sinnvoll kooperieren können. Das ändert sich, weil man nun auch arztgruppengleiche MVZ gründen kann. Dennoch wird vielen daran gelegen sein, bei der Erweiterung eines MVZ Kollegen aus Fachgebieten zu integrieren, mit denen man sinnvollerweise eine umfassende Betreuung bestimmter Krankheitsbilder anbieten kann.

DÄ: Seit Inkrafttreten des Vertragsarztrecht-Änderungsgesetzes sind doch vielfältige Kooperationsformen möglich. Welche spezifischen Vorteile ergeben sich durch arztgruppengleiche MVZ?
Blondin: Viele Ärztinnen und Ärzte gleicher Fachrichtung arbeiten heute in Gemeinschaftspraxen oder Praxisgemeinschaften. Aber dafür muss immer eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet werden. MVZ bieten auch die Möglichkeit, andere Rechtsformen zu wählen, zum Beispiel die Gesellschaft mit begrenzter Haftung, und sind somit für junge Ärztinnen und Ärzte interessant, die gern angestellt arbeiten möchten. Arztgruppengleiche Hausarzt-MVZ werden zudem Allgemeinmedizinern die Möglichkeit bieten, sich zu spezialisieren: Einer übernimmt vor allem Präventionsleistungen, ein anderer vor allem die palliativmedizinische Versorgung. Zusätzlich lassen sich gut angestellte Ärztinnen und Ärzte mit speziellen Ausrichtungen einbeziehen.

DÄ: Und in Ihrem Bereich?
Blondin: Die Nephrologie ist ein sehr investitionsträchtiger Bereich. Auch in diesem Fachgebiet scheuen sich viele junge Ärztinnen und Ärzte, in die Selbstständigkeit zu gehen und hohe Summen zu investieren, und wollen lieber angestellt tätig sein. Deshalb sind arztgruppengleiche MVZ auch hier attraktiv.

DÄ: Was  bedeutet die Neuregelung für Ihre Ausrichtung?
Blondin: Wir werden erst einmal nichts ändern. Es wird dabei bleiben, dass wir beim Ausbau eines MVZ schauen, welche Fachgebiete wir integrieren können. Das Angebot soll langfristig die kooperative, umfassende Behandlung umfassen. Ich glaube aber, dass diese neue Möglichkeit zu einer Gründungswelle von MVZ führen wird, für Haus- wie für Fachärzte. Und dadurch werden sich die Versorgungsstrukturen weiterentwickeln. Ich denke, dass die Einzelpraxis eher der Vergangenheit angehört und kooperative Formen der Versorgung immer mehr zunehmen.

„Die Öffnung der Krankenhäuser ist noch keine Erfolgsgeschichte“

Berlin – Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde im Jahr 2007 die Möglichkeit für Krankenhäuser geschaffen, zum Beispiel seltene Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant zu behandeln. Die ALS-Ambulanz der Berliner Charité war eine der ersten, die für diese Behandlung eine Genehmigung erhielt. Der Leiter der ALS-Ambulanz, Thomas Meyer, erklärt, warum er die Öffnung der Krankenhäuser nach § 116b (alt) nicht als eine Erfolgsgeschichte empfindet und was geschehen muss, damit sie unter den Bedingungen des § 116b (neu), der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV), doch noch zu einer solchen wird.

5 Fragen an Thomas Meyer, Leiter der ALS-Ambulanz an der Charité

DÄ: Hat sich die Versorgung Ihrer Patienten durch die Öffnung der ALS-Ambulanz für die ambulante Versorgung verbessert?
Meyer: Die Versorgungsmöglichkeiten haben sich durch Genehmigung gemäß § 116b (alt) verbessert. Positiv ist, dass durch die neue Vergütungsform das direkte Arzt- Patienten-Gespräch besser abgebildet wird. Aber die Situation ist nicht zufriedenstellend.

DÄ: Weshalb nicht?
Meyer: Die Limitationen liegen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab selbst begründet. Der erhebliche Kommunikations-, Organisations- und Dokumentationsaufwand bei der ALS-Versorgung ist nicht erfasst. Ein bisher ungelöstes Problem besteht darin, dass eine gute ALS-Versorgung nicht-ärztliche Beratungs- und Organisationsaufgaben beinhaltet. Zu unserem Team von zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehören daher neben den drei Fachärzten auch Koordinatoren der Hilfs- und Heilmittelversorgung, der Beatmungs- und Ernährungstherapie sowie der Sozial- und Pflegeberatung. Dieses Team wird unverändert durch Spenden und andere Drittmittel ermöglicht. Die angemessene Finanzierung berufsgruppenübergreifender Teams, wie sie bei der ALS erforderlich sind, sieht der §116b leider nicht vor.

DÄ: Hat es der Charité denn trotzdem finanzielle Vorteile gebracht, ambulante Leistungen zu erbringen?
Meyer: Die Genehmigung gemäß § 116b hat allenfalls dazu geführt, dass ALS-Patienten in der ärztlichen Beratungsleistung etwas besser vergütet werden. Aufgrund der genannten Limitationen im EBM bleibt es aber bei einer Unterdeckung.

DÄ: Und wie hat sich die Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen entwickelt?
Meyer: Die Zusammenarbeit mit den vertragsärztlichen Kolleginnen und Kollegen hat sich sehr positiv entwickelt. Die Zuweisung von Patienten mit ALS und anderen Motoneuronenerkrankungen und damit die Anzahl der kontinuierlich betreuten ALS-Patienten ist von etwa 400 auf mehr als 650 angestiegen. Anders als befürchtet sind die Kommunikation und der fachliche Austausch intensiver geworden. Das gilt für die neurologischen Kollegen, aber auch für Hausärzte und Palliativmediziner. Das betrachte ich als eine erfreuliche Entwicklung.

DÄ: Empfinden Sie die Öffnung der Krankenhäuser gemäß § 116b denn als eine Erfolgsgeschichte?
Meyer: Die Öffnung der Charité für die ambulante Behandlung der ALS war eine Verbesserung. Der Begriff „Erfolgsgeschichte“ ist allerdings zu groß. Ein interdisziplinäres Versorgungsmanagement ist im §116b leider nicht abgebildet. Insofern betrachte ich die Öffnung der Charité für die ambulante Behandlung von ALS-Patienten als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Die ASV-Konkretisierung des Gemeinsamen Bundesausschusses für ALS und andere neuromuskuläre Erkrankungen muss die aufwändige Versorgung durch verschiedene Berufsgruppen ausreichend abbilden, damit der §116b noch zu einer „Erfolgsgeschichte“ wird.

„Die Zusammenarbeit mit den Niedergelassenen ist enger geworden“

Freiburg i.Br. – Zwischen Hochschulambulanzen und niedergelassenen Fachärzten herrscht teils ein gespanntes Verhältnis. Thomas Reinhard, Ärztlicher Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg, an die auch eine Hochschul­ambulanz angegliedert ist, erklärt, weshalb das nicht so sein muss und wie eine Kooperation zwischen einer Fachklinik mit einer Hochschulambulanz und nieder­gelassenen Fachärzten gelingen kann.

5 Fragen an Thomas Reinhard, Ärztlicher Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg

DÄ: Warum kommen immer mehr Menschen zur Behandlung in Hochschulambulanzen?
Reinhard: In den Hochschulambulanzen wird meist das gesamte Spektrum des jeweiligen Faches abgebildet. Es liegt eine hohe Kompetenz über die gesamte Breite des Fachgebietes vor. Eine Besetzung der Hochschulambulanzen ist meist über 24 Stunden täglich gewährleistet. Hinzu kommt, dass fachspezifisch, beispielsweise in der Augenheilkunde, viele chirurgische Neuerungen in den vergangenen Jahren implementiert wurden. Diese bieten die Möglichkeit, Erkrankungen zu behandeln, die vor wenigen Jahren als nicht behandelbar galten. Auch spielt die Demographie eine große Rolle. So sind manche Fächer, insbesondere die Augenheilkunde, in besonderem Maße von der Alterung in der Gesellschaft betroffen.

DÄ: Was machen Hochschulambulanzen anders als niedergelassene Fachärzte?
Reinhard: Es geht um ein gutes Miteinander von Hochschulambulanzen und niedergelassenen Kollegen, von dem dann der Patient profitieren kann.

DÄ: Manche niedergelassene Fachärzte empfinden Hochschulambulanzen als eine Bedrohung. Was entgegnen Sie diesen Ärzten?
Reinhard: Es geht immer darum, Patienten gemeinsam bestmöglich zu betreuen. Wie hilfreich eine solche Kooperation sein kann, zeigt sich nicht nur innerhalb des „AugenNetz Südbaden“, sondern auch im Rahmen der Augen-Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, die seit vier Jahren an der Klinik für Augenheilkunde ansässig ist. Dort werden jährlich etwa 6.000 Patienten außerhalb von den Kernarbeitszeiten in enger Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen Augenärzten und den Ärzten der Klinik für Augenheilkunde betreut.

DÄ: Was ist das „AugenNetz Südbaden“? 
Reinhard: Das „AugenNetz Südbaden“ wurde 2008 gegründet und besteht mittlerweile aus 50 niedergelassenen Fachärzten für Augenheilkunde, die konstruktiv und zielgerichtet mit der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg kooperieren. In den vergangenen sieben Jahren ist die Zusammenarbeit zwischen den Partnern immer enger geworden. Es besteht nicht nur die Möglichkeit, Patienten online in der Klinik für Augenheilkunde anzumelden, sondern insbesondere die Möglichkeit des gegenseitigen computergestützten Informationsaustauschs, einer postoperativen Qualitätssicherung, der gemeinsamen Ausbildung von Assistenzärzten, der gemeinsamen Erarbeitung und Befolgung von Behandlungsempfehlungen oder der gemeinsamen Durchführung von Fortbildungen. Das „AugenNetz Südbaden“ hat sich in den vergangenen sieben Jahren für alle Beteiligten bewährt, vor allem aber für die innerhalb des „AugenNetz Südbaden“ betreuten Patienten.

DÄ: Künftig sollen Hochschulambulanzen auch Patienten behandeln können, „die wegen Art, Schwere oder Komplexität ihrer Erkrankung einer Untersuchung oder Behandlung durch Hochschulambulanzen bedürfen“, wie es im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz heißt. Welche Patienten dies konkret sind, muss noch verhandelt werden. Ist das gute Regelung?
Reinhard: Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz bildet die Realität ab, nämlich, dass die Hochschulambulanzen nicht nur für Forschung und Lehre stehen, sondern aus der Versorgung von Patienten in der gesamten Breite nicht wegzudenken sind. Ich hoffe sehr, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Vereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sich dahingehend einigen, dass möglichst viele Patienten in den Hochschulambulanzen versorgt werden dürfen.

„Die Hälfte der Patienten kommt mit einer Facharztüberweisung“

Berlin – Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurden die Hochschulambulanzen stärker für die ambulante Versorgung geöffnet. Der Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), Ralf Heyder, erklärt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, weshalb niedergelassene Ärzte keine Angst davor haben müssen und wie der VUD künftig für mehr Transparenz im Bereich der Hochschulambulanzen sorgen will.

5 Fragen an Ralf Heyder, Generalsekretär des VUD

DÄ: Wie viele Hochschulambulanzen gibt es in Deutschland und wie viele Fälle wurden dort in den vergangenen Jahren bearbeitet?
Heyder: Leider liegen uns keine Zahlen darüber vor, wie viele Hochschulambulanzen es in Deutschland gibt. Alle 33 deutschen Universitätsklinika nutzen die Hoch­schul­ambulanzermächtigung, aber eben in sehr unterschiedlichem Umfang. Eine aktuelle Abfrage des VUD, an der 18 Universitätskliniken teilgenommen haben, hat eine durchschnittliche Fallzahl von etwa 140.000 Fällen pro Jahr ergeben. Hochgerechnet auf alle Universitätskliniken wären das 4,62 Millionen Fälle. Vor vier Jahren waren es noch 4,3 Millionen. 

DÄ: Sind die Hochschulambulanzen eine Bedrohung für die niedergelassenen Fachärzte?
Heyder: Die Hochschulambulanzen verstehen sich nicht als Wettbewerber zu niedergelassenen Fachärzten. In den Versorgungsbereichen, die in der vertrags­ärztlichen Versorgung gut abgedeckt werden, sind Hochschulambulanzen nur im für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang aktiv. Darüber hinaus gibt es aber Bereiche mit besonderer Expertise, wo die Hochschulambulanzen die vertragsärztliche Versorgung sinnvoll ergänzen. Das zeigt alleine schon die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Patienten mit einer Überweisung des Facharztes in die Hochschulambulanzen kommen. Weitere 35 Prozent kommen mit einer Hausarztüberweisung, 15 Prozent kommen direkt.

DÄ: Welche Patienten kommen insbesondere in die Hochschulambulanzen?
Heyder: Dazu liegen uns keine Daten vor. Grundsätzlich ist aber das Patientenspektrum sehr breit. Wir haben einen hohen Anteil an von Fachärzten überwiesenen Patienten, die oft Leistungen unserer Spezialambulanzen benötigen. Daneben machen die Hochschul­ambulanzen aber natürlich auch reguläre ambulante Versorgung, wie sie im vertrags­ärztlichen Bereich angeboten wird. Das muss auch so sein, denn für Forschung und Lehre brauchen wir die Möglichkeit, auch diese Patienten in unseren Einrichtungen zu sehen.

DÄ: Wie bewerten Sie die die Hochschulambulanzen betreffenden Änderungen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz?
Heyder: Das Gesetz verbessert den Rechtsrahmen für die ambulante Versorgung an Universitätskliniken. Die Hochschulambulanz bekommt in der Spezialversorgung einen eigenen Versorgungsauftrag – das ist ein echter Durchbruch. Ob sich auf dieser Grundlage die finanzielle Lage der Hochschulambulanzen deutlich verbessern wird, liegt nun entscheidend an dem Ausgang der Verhandlungen mit den Kassenärzten und den Krankenkassen. Ziel muss sein, dass die politisch in Aussicht gestellten zusätzlichen 265 Millionen Euro auch wirklich fließen.

DÄ: Die Krankenkassen kritisieren, im Bereich der Hochschulambulanzen gebe es zu wenig Transparenz. Stimmt das? 
Heyder: Die Hochschulambulanzen mussten bisher im Vergleich zu anderen Leistungs­segmenten vergleichsweise wenige Daten etwa im Zuge der Abrechnung liefern. Das war schlicht nicht gefordert beziehungsweise erforderlich, unter anderem auch deshalb, weil wir in den Hochschulambulanzen keine Einzelleistungen abrechnen, sondern Pauscha­len. Es ist nachvollziehbar, dass die Kassen künftig mehr Informationen über die Patien­ten und das Leistungsgeschehen wollen. Die zu liefern sind wir auch bereit, solange sich das in einem vernünftigen Rahmen bewegt. Viele Uniklinika haben mittlerweile weit über 100.000 Hochschulambulanzfälle pro Jahr. Da muss der bürokratische Aufwand je Patient im Rahmen bleiben.

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz haben wir den gesetzlichen Auftrag bekommen, mit dem GKV-Spitzenverband Grundsätze zur Leistungsdokumentation zu vereinbaren. Wir werden also mit den Kassen vereinbaren, welche Daten wir künftig im Zuge der Abrechnung liefern müssen. Hier müssen wir eine Lösung finden, die den berechtigten Informationsinteressen der Kassen Rechnung trägt und gleichzeitig den Administrationsaufwand in den Kliniken im Rahmen hält.

„Die Zusammenarbeit mit den Niedergelassenen funktioniert sehr gut“

Borstel – Seit April 2014 können sich Ärzte-Teams bei den Indikationen Tuberkulose und atypische Mykobakterien sowie gastrointestinale Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) anmelden. Einer der ersten, der dies getan hat, ist Christoph Lange, Lungenfacharzt an der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel in Schleswig-Holstein. Welche Erfahrungen er gemacht hat, hat er dem Deutschen Ärzteblatt erzählt.

5 Fragen an Christoph Lange, Teamleiter eines ASV-Teams zur Behandlung von Tuberkulose

DÄ: Sie leiten eines der ersten Teams, das zur ASV zugelassen wurde. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, an der ASV teilzunehmen?

Lange: Die Versorgung von Patienten mit einer Tuberkulose hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert – vor allem die finanzielle Belastung für die Krankenhäuser, wenn diese Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose versorgen. Die Behandlung von Patienten mit einer Tuberkulose ist eigentlich sehr kostengünstig, denn für den gesamten Therapieverlauf von sechs Monaten fallen nur circa 400 Euro an Medikamentenkosten an. Bei der multiresistenten Tuberkulose liegen die Medikamentenkosten bei etwa 25.000 Euro und bei der extensiv resistenten XDR-Tuberkulose bei annähernd 100.000 Euro. Zum Teil liegen die täglichen Behandlungskosten also bei mehr als 500 Euro alleine für die Medikamente. In unserer Klinik haben wir seit Anfang 2014 circa 30 Patienten mit einer M/XDR-Tuberkulose stationär behandelt, das entspricht annähernd einem Drittel aller Patienten mit dieser Form der Erkrankung in Deutschland. Finanziell ist die Behandlung dieser Patienten für die Kliniken kaum noch leistbar. Auch deshalb haben wir uns dazu entschlossen, an der ASV teilzunehmen.

DÄ: Spüren Sie denn schon finanzielle Auswirkungen durch die ASV?
Lange: Finanzielle Auswirkungen der ASV spüren wir noch nicht. Dafür haben wir bislang aber auch zu wenige Patienten im Rahmen der ASV behandelt. Die multi­resistente Tuberkulose und die Verbreitung von nicht-tuberkulösen Mykobakterien nehmen in Deutschland zu. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Zahl der Erkrankten steigen wird und daher auch die Zahl der Erkrankten, die wir im Rahmen der ASV behandeln werden. Bei den Arzneimittelausgaben werden wir deshalb mittelfristig hoffentlich kosten sparen. 

DÄ: Werden denn mehr Patienten in Ihre Klinik überwiesen, seit Sie an der ASV teilnehmen?
Lange: Nein, die Zahl der Patienten, die zu uns überwiesen werden, liegt nach wie vor bei etwa 40 bis 50 pro Quartal. Das liegt aber auch an der geographischen Lage unserer Klinik im Herzen Schleswig-Holsteins.

DÄ: In Ihrem ASV-Team sind auch zahlreichende niedergelassene Ärzte als hinzuzuziehende Ärzte vertreten. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Lange: Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten in der ASV funktioniert sehr gut. Bei Patienten mit einer Wirbelsäulentuberkulose beraten wir uns zum Beispiel konsiliarisch mit unserem orthopädischen Partner, bei Fragen zur operativen Therapie der Lungentuberkulose mit unserem erfahrenen Chirurgen. Insgesamt müssen wir Konsile allerdings wenig in Anspruch nehmen. 

DÄ: Hat die ASV denn das Potenzial, die drängenden Probleme im Gesundheitssystem zu lösen?
Lange: Zunächst: Es ist eine falsche Annahme zu glauben, innerhalb eines gedeckelten Systems könne man insgesamt sparen beziehungsweise mehr einnehmen. Denn die Gelder für die ASV müssen ja aus anderen Töpfen herausgenommen werden. Wir müssen generell überlegen, wie wir der explodierenden Kosten im deutschen Gesund­heitssystem Herr werden können. Und deshalb müssen wir die Frage stellen, ob noch alle Patienten jede Behandlung erhalten können, die möglich ist. An der Notwen­digkeit, eine Antwort auf diese Frage zu finden, ändert die ASV überhaupt nichts.

„Es geht nur ums Geld“

Berlin – Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurden die Hochschulambulanzen stärker für die ambulante Versorgung geöffnet. Der niedergelassene Onkologe Ingo Schwaner aus Berlin erklärt, warum das aus seiner Sicht das Gleichgewicht in der Patientenversorgung stört und weshalb die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) die Versorgung in Berlin nicht verbessert.

5 Fragen an Ingo Schwaner, Onkologische Schwerpunktpraxis Kurfürstendamm

DÄ: Künftig sind alle Hochschulambulanzen per Gesetz zur Behandlung von Patienten ermächtigt, die zur Ausbildung der Studierenden notwendig sind, sowie von Patienten mit schweren und komplexen Erkrankungen. Ist das sinnvoll?
Schwaner: Zunächst einmal: Ohne Hochschul­ambu­lanzen wäre eine niedergelassene onkologische Therapie nicht vorstellbar. Sie werden allerdings nicht für alle Patienten benötigt, sondern allein für die komplexen Fälle. Eine Öffnung der Hochschulam­bulanzen für die Regelversorgung ist deshalb nicht erforderlich. Aus meiner Sicht ist sie sogar bedenklich. Denn zum einen ist in Hochschulambulanzen kein Facharztstandard garantiert. Zum anderen gelingt aus meiner Sicht eine einfache und zeitnahe Versorgung normaler Patienten schon rein logistisch nicht. Viele Krankenhäuser sind personell überhaupt nicht in der Lage, noch weitere Patienten ambulant zu versorgen.

Im Moment ist es genau umgekehrt: Die Charité überweist uns aktuell komplexe Fälle, weil sie gerade bestreikt wird. Jetzt sind wir dafür gut genug. Natürlich können wir in Notfällen auch hochkomplexe Therapien vornehmen. Aber das ist genauso wenig unsere Aufgabe, wie es die Aufgabe der Hochschulambulanzen ist, normale Patienten zu versorgen. Dadurch würde das Gleichgewicht in der Versorgung gestört.

DÄ: Aber brauchen die Hochschulambulanzen nicht auch Patienten mit normalen Krankheitsverläufen, damit die Studierenden auch deren Behandlung lernen?
Schwaner: Nein, das Argument ist vorgeschoben. Die meisten Studierenden arbeiten nicht in den Hochschulambulanzen. Die Charité hat vor einiger Zeit hervorgehoben, dass die Hochschulambulanzen aus ihrer Sicht eine Portalfunktion für das Krankenhaus haben. Das ist wenigstens ehrlich. Und es zeigt: Es geht nur ums Geld.

DÄ: Und das wird nicht gerecht verteilt?
Schwaner: Nein, das wird es nicht. Nehmen Sie die ASV. Für die Behandlung gastrointestinaler Tumore ist die Charité jetzt zur ASV zugelassen. Das heißt, das Budget der niedergelassenen Fachärzte wird bereinigt werden – egal, ob sie an der ASV teilnehmen oder nicht. Und die ASV-Leistungen der Krankenhäuser werden mit diesem Geld finanziert. Das ist nicht gerecht.

Nur um das klarzustellen: Ich bin absolut der Ansicht, dass wir eine bessere Finanzierung der Hochschulambulanzen brauchen. Ich ärgere mich auch nicht über die Kranken­häuser. Sie haben genauso zu kämpfen wie wir. Ich ärgere mich aber, dass die Politik nicht für faire Spielregeln sorgt. Denn es können doch nicht die niedergelassenen Ärzte sein, die die Hochschulambulanzen und damit auch Forschung und Lehre mitfinanzieren. Und ich ärgere mich, wenn Krankenhäuser mit vorgeschobenen Argumenten kommen – wie dem Argument, sie bräuchten normale Patienten für die Ausbildung. 

DÄ: Sie sprachen die ASV an. Ist denn die ASV aus Ihrer Sicht dazu geeignet, die Patientenversorgung zu verbessern?
Schwaner: Nein, zumindest nicht in Berlin. Denn sie gibt etwas vor, was hier schon seit den 1990er Jahren gelebt wird: die kooperative Patientenversorgung. Jede Woche nimmt unsere Praxis an acht Tumorkonferenzen teil. Und das machen andere niedergelassene Onkologen aus den anderen Schwerpunktpraxen genauso. Die Zusammenarbeit zwischen Niedergelassenen und Krankenhäusern funktioniert also schon sehr gut. Medizinisch wird die ASV deshalb keine Verbesserungen herbeiführen. Und finanziell bringt sie uns auch nichts, weil die Gesamtvergütung bereinigt wird. Das ist wieder das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“.

DÄ: Werden Sie denn trotzdem an der ASV teilnehmen?
Schwaner: Seit einem Jahr diskutieren wir mit den Krankenhäusern darüber. Manche Krankenhausvertreter sagen mir: Die Anmeldung zur ASV, die vertragliche Ausge­staltung, ist so teuer, dass sich eine Teilnahme gar nicht lohnt – zumal sich ja an der Art und Qualität unserer Zusammenarbeit überhaupt nichts ändern würde. Ich würde mich allerdings freuen, wenn sich ein Krankenhaus im Rahmen der ASV vertraglich an unsere Praxis bindet. Denn bislang arbeiten wir ja außerhalb vertraglicher Regeln zusammen. Das wäre aber auch der einzige Mehrwert, den unsere Praxis hätte.

„Ende 2016 wird die ASV ganz anders dastehen als heute“

Grünwald – Gedacht war die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) als dritter Sektor im deutschen Gesundheitswesen, in dem niedergelassene und Krankenhausärzte gemeinsam Patienten mit schweren Erkrankungen behandeln können. Axel Munte, Vorstand des Bundesverbandes ASV sowie früherer Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns, erklärt gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt, warum bislang nur wenige Ärzte Interesse an der ASV zeigen und warum sich das in den kommenden Jahren ändern wird.

5 Fragen an Axel Munte, Vorstand des Bundesverbandes ASV

DÄ: Wie viele ASV-Teams gibt es bislang in Deutschland?
Munte: Bisher gibt es nach unseren Informationen etwa 30 genehmigte Anzeigen. Knapp 20 davon sind bereits im ASV-Verzeichnis veröffentlicht.

DÄ: Warum sind es so wenige?
Munte: Die erweiterten Landesausschüsse stellen in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Anforderungen an die ASV-Teams. In manchen Ländern müssen die ASV-Teams für ihre Anerkennung bis zu 300 Seiten Unterlagen heranschaffen, die anderen viel weniger. Die Zugangsvoraussetzungen für die ASV sind in Deutschland also extrem ungerecht verteilt. Probleme haben dabei viele Krankenhausärzte. Denn die erweiterten Landesausschüsse wollen zum Teil 15 Jahre alte Zeugnisse sehen, die viele gar nicht mehr besitzen. Die Folge ist, dass dadurch die Anerkennung von ASV-Teams stark verzögert wird. Wir könnten schon viel weiter sein, wenn die Landesausschüsse weniger bürokratisch wären.

Um die Situation zu verbessern, brauchen wir deutschlandweit einheitliche Zugangsvoraussetzungen. Die erweiterten Landesausschüsse müssen sich einigen, welche Unterlagen sie sehen wollen. Es kann doch nicht sein, dass es in Ulm unproblematisch ist, eine Anerkennung zu bekommen, und in Neu-Ulm den Ärzten mit exorbitanten Forderungen Steine in den Weg gelegt werden.

DÄ: Gibt es noch weitere Gründe dafür, dass viele Ärzte vor der Teilnahme an der ASV zurückschrecken?
Munte: Ja, manche niedergelassenen Ärzte machen sich Sorgen wegen der Bereinigung. Denn nach wie vor ist nicht klar, wie bereinigt werden wird. Wird der einzelne Arzt bereinigt oder die gesamte Fachgruppe? Wenn die gesamte Fachgruppe bereinigt würde, wäre der einzelne Arzt natürlich weniger betroffen. Und zu wessen Lasten werden Patienten bereinigt, die in reinen Krankenhaus-ASV-Teams behandelt werden? Zudem ist die Bereinigung in der ASV für die KVen schwer umzusetzen. Denn sie passt gar nicht in ihr bestehendes System, da nun auch Kliniken beteiligt sind. Bis die KVen dieses Problem gelöst haben, wird es noch einige Zeit dauern.

Zudem sagen manche Ärzte auch: Was die ASV verlangt, machen wir schon längst. Wenn zum Beispiel im ländlichen Bayern ein Krankenhaus nicht mehr genug Fachärzte hat, schließt es schon jetzt mit den niedergelassenen Ärzten der Umgebung Honorar- und Konsiliarverträge.

DÄ: Bei onkologischen und rheumatologischen Erkrankungen dürfen Leistungen im Rahmen der ASV künftig auch erbracht werden, wenn die Krankheit nicht schwer verläuft. So steht es im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz. Ist das eine gute Regelung?
Munte: Sie ist aus meiner Sicht nachvollziehbar. Es gibt aber auch Stimmen, die davor warnen, dass die Änderung zu einer Mengenausweitung in den Krankenhäusern führen werden. Sowohl für die Patienten als auch für die niedergelassenen Ärzte könnte die Neuregelung also auch Nachteile mit sich bringen. Ich glaube auch, dass sie ein Risiko für die niedergelassenen Ärzte beinhaltet, wenn sie missbraucht würde. Ich hoffe aber, dass das nicht der Fall sein wird.

DÄ: Wie wird es mit der ASV weitergehen?
Munte: Ende 2016 wird die ASV ganz anders dastehen als heute. In den Städten wird es einen Run auf die Teambildung geben. Der Onkologe, der meint, er könne seine Patienten alleine versorgen, wird keine Kooperationsmöglichkeiten mehr finden, weil alle Teams besetzt sind. Die Niedergelassenen müssen aufpassen, dass sie nicht irgendwann alleine dastehen. Denn die Vorteile einer extrabudgetären Vergütung werden sich auszahlen.

„Wer soll den Praxisaufkauf eigentlich bezahlen?“

Berlin – Wie beurteilen Krankenkassen die neuen Regelungen zum Praxisverkauf? Rebecca Zeljar, Referatsleiterin beim Verband der Ersatzkassen (vdek), Landes­vertretung Berlin/Brandenburg, findet: „Es wurde in den letzten Monaten sehr viel Angst verbreitet. Aber ein Instrument, um wirklich in großem Stil Überversorgung abzubauen, ist die 140-Prozent-Regel nicht.“

5 Fragen an Rebecca Zeljar, Verband der Ersatzkassen

DÄ: Was wird sich Ihrer Meinung nach in Berlin und Brandenburg durch die neuen Regeln zur Praxissitzweitergabe und zum Praxisaufkauf konkret ändern?
Zeljar: Das ist schwer zu sagen. In Berlin haben wir sicher ein Überversorgungsproblem. Aber das wird sich durch die Umwandlung der Kann- in eine Soll-Vorschrift beim Praxisverkauf nicht ändern. Sicher liegt der Versorgungsgrad in vielen Facharztgruppen höher als 140 Prozent. Aber bevor man einen Aufkauf erwägt, muss man sich die Versorgungsstruktur in der betreffenden Facharztgruppe oder dem Stadtteil ansehen. Das ist eine Aufgabe, die bestehen bleibt. Man darf nicht einfach nur nach Rechengrößen gehen.

: Wie, glauben Sie, werden Ärztinnen und Ärzte auf die neue Gesetzeslage reagieren?
Zeljar: Ärzte und Geschäftsführer von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sind in der Regel findig. Ob es aber eine extreme MVZ-Gründungswelle geben wird? Wenn man das Gesetz sorgfältig liest, dann ist erkennbar, dass sich die Zulassungspraxis nicht von heute auf morgen komplett verändern wird. Es wurde in den letzten Monaten sehr viel Angst verbreitet. Aber ein Instrument, um wirklich in großem Stil Überversorgung abzubauen, ist die 140-Prozent-Regel nicht.

DÄ: Welche Rolle spielt bei alledem die Vorgabe, Praxen aufzukaufen?
Zeljar: Das ist eine zentrale Frage: Wer soll den Praxisaufkauf eigentlich bezahlen? Die Antwort hat der Gesetzgeber im VSG ausgespart. Wir als Krankenkassen vertreten die Auffassung, dass eine Kassenärztliche Vereinigung (KV) den Aufkauf aus der Gesamtvergütung vorzunehmen hat. Der Einsatz von  zusätzlichen Versichertengeldern zum Aufkauf von Praxen kann hier nicht mit gemeint sein. Das sehen die KVen aber sicherlich anders.

Hinzu kommt, dass es keine eindeutige rechtliche Grundlage gibt, auf welcher Basis der Verkehrswert der zu verkaufenden Praxis ermittelt werden soll. Es gibt hierfür verschiedene Methoden. Im Streitfall kann der Zulassungsausschuss ein Gutachten durch einen von der Industrie- und Handelskammer bestellten Sachverständigen für Arztpraxen in Auftrag geben. Eine verbindliche Regelung wäre hier allerdings angezeigt.

DÄ: Viele, die sich mit der Bedarfsplanung auskennen, sagen: Die neuen Regelungen bringen uns in Bedrängnis, weil sich die Grundlage für unsere Entscheidungen nicht verbessert hat, nämlich die Bedarfsplanung. Stimmen Sie dem zu?
Zeljar: Schon, aber etwas Besseres als die Bedarfsplanungs-Richtlinie haben wir nicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll sie noch einmal überarbeiten. Er muss Daten zu Morbidität, Mortalität und sozioökonomischen Faktoren einbinden, was sicher sinnvoll ist. Das Ergebnis soll bis 2016 vorliegen – ein ambitioniertes Zeitziel.

Wir haben diesen Ansatz in Berlin bereits aufgegriffen und uns mit der KV und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales  vor zwei Jahren im gemeinsamen Landesgremium darüber verständigt. So berücksichtigen wir sozioökonomische Faktoren für verschiedene Facharztgruppen. Damit versuchen wir die Versorgung besser zu steuern, unter anderem durch das Ziel, Umzüge von schlechter in besser versorgte Gegenden zu verwehren.

Auf Grundlage bezirksbezogener Daten ist bekannt, dass der Versorgungsgrad für Psychotherapeuten in Charlottenburg-Wilmersdorf vor zwei Jahren und damit vor der Versorgungssteuerung bei knapp unter 560 Prozent lag. Durch die Steuerung sind die Zahlen etwas gesunken, obwohl wir immer noch im Bereich von über 500 liegen. Aber wir können Psychotherapeuten und andere ja auch nicht zwingen umzuziehen. Es hat sich jedoch etwas bewegt. Wir wissen zum Beispiel, dass Ärzte kaum mehr Anträge auf Umzug in einen besser versorgten Berliner Bezirk stellen. Unsere Absprachen sehen ja auch vor, dass sie nur noch in schlechter versorgte Bezirke ziehen dürfen. Die KV berät die Ärzte entsprechend, und das wirkt, aber natürlich langsam.

Wir sind also schon ein kleines bisschen weiter mit der Bedarfsplanung. Aber nun müssen auch wir abwarten, was der G-BA vorgeben wird. Für Zulassungen heißt das: Müssen wir die Regelungen des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes wirklich sofort umsetzen? Oder sollten wir nicht abwarten? Es wäre doch nicht sinnvoll, in diesem Herbst eine Praxis aufzukaufen, und ein paar Monate später stellen wir fest, dass wir auf Basis der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie anders entschieden hätten.

DÄ: Es gibt eine lebhafte Diskussion über zu lange Wartezeiten, gerade auch auf einen Psychotherapeutentermin. Würden sich Krankenkassen angesichts dieser Debatte wirklich trauen, Praxen zu schließen und ihren Aufkauf zu verlangen?
Zeljar: Wissen Sie, die Diskussion um zu lange Wartezeiten ist komplex, und vieles, was angesprochen wird, ist sehr subjektiv. Bei den Psychotherapeuten müsste man tatsächlich einmal prüfen, wie viele einen vollen Sitz haben und auch eine entsprechende Zahl von Patienten versorgen. Wir wissen, dass das nicht alle sind.

Wenn man aber die Daten hätte: Was soll man damit machen? Sie zwingen, mehr zu arbeiten? Wenn jemand nur ein wenig unter dem Durchschnitt liegt, kann man gar nichts machen. Wir analysieren Praxen schon und schauen, was echte Hobbypraxen sind. Dann bemühen wir uns, dass ihnen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ein halber Praxissitz entzogen wird. Aber mit ein paar stillgelegten Hobbypraxen lösen Sie natürlich keine Überversorgungsprobleme.

Hinzu kommt: Die Versorgung in den Psychotherapie-Praxen ist sehr heterogen. Ein Psychoanalytiker und ein Verhaltenstherapeut gehen ganz verschieden vor. Ein Analytiker wird im Grunde schon deswegen ganz andere Wartezeiten haben, weil die Sitzungsfrequenzen und die Dauer der Behandlung in der Regel sehr hoch sind. So kann eine Behandlung bis zu zwei, drei Jahren dauern und damit Kapazitäten binden. Dann sind die Wartezeiten natürlich entsprechend lang.

Zurück zu Ihrer Frage, ob Kassen eine öffentliche Diskussion aushalten würden: schwer zu sagen. Wenn man ein System hätte, um den Bedarf wirklich sinnvoll abzubilden, ließe sich eine Debatte sicher aushalten. Wenn ich aber schließe und aufkaufe, ohne dafür sehr gute Argumente zu haben, wird das sicher schwierig.

5 Fragen zum VSG an...