MEDIZINREPORT
Karotisstenose: Definitionschaos wurde beseitigt
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Die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin hat die Kriterien zur Graduierung von Karotisstenosen revidiert. Zahlreiche Fachgesellschaften schließen sich der Empfehlung für einen gemeinsamen Standard an.
Der Stenosegrad ist ein Hauptkriterium für die Entscheidung über die Behandlungsbedürftigkeit von Karotisstenosen. Die Graduierung erfolgt allerdings sehr uneinheitlich. Zwei angiographische Definitionen und zahlreiche sonographische Stenosegraduierungen existieren nebeneinander und haben zur Folge, dass an verschiedenen Orten erhobene Befunde oft nicht vergleichbar sind. Hieraus können, wie das BQS-Institut für Qualität und Patientensicherheit mitteilt, Fehler bei der Indikationsstellung zur Intervention bei Karotisstenosen resultieren.
Stenosegrad-Definition
Hauptproblem ist die unterschiedliche radiologische Stenosegrad-Definition des European Carotid Surgery Trial (ECST) und des North American Symptomatik Carotid Endarterectomy Trial (NASCET): Nach ECST wird der Stenosegrad in Relation zum ursprünglichen Lumen, nach NASCET in Relation zum distalen Lumen der Arteria carotis interna bestimmt (Grafik). Für die angiographischen Verfahren einschließlich der Magnetresonanzangiographie wird inzwischen national und international nahezu ausschließlich der NASCET-Stenosegrad angegeben.
Da sich die bisherigen Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) aber auf die lokale Durchmesserreduktion gemäß ECST bezogen, wurde beispielsweise eine Stenose, die der Ultraschalluntersucher mit 70 Prozent (entsprechend ECST) bestimmt hatte, vom Radiologen völlig korrekt mit 50 Prozent (nach NASCET) graduiert. Daraus wird ersichtlich, dass eine einheitliche Stenosegrad-Definition für alle Methoden erforderlich ist.
Die der Sonographie häufig nachgesagte Subjektivität ist wesentlich auf die Verwendung unterschiedlicher Stenosekriterien zurückzuführen. Folgende vier Methoden der Stenosegraduierung werden am häufigsten eingesetzt:
1. DEGUM-Kriterien mit mehreren direkten und indirekten hämodynamischen Parametern; diese haben jedoch in ihrer ursprünglichen Fassung von 1986 die Farb-Duplex-Methode noch nicht berücksichtigt.
2. Nordamerikanische Empfehlungen, die allein mit einem Schwellenwert der systolischen Spitzengeschwindigkeit mögliche hochgradige Stenosen erfassen; indirekte hämodynamische Befunde werden ignoriert.
3. Graduierung unter Verwendung der Kontinuitätsgleichung aus der Strömungslehre: Danach kann die Abnahme des Gefäßquerschnitts in einem Rohrsystem über die an diesem Ort resultierende Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit bestimmt werden. Diese Art der Stenosegraduierung wird auch an peripheren Arterien eingesetzt.
4. Die vergleichende Messung der Querschnittsfläche von Restlumen und ursprünglichem Lumen im Ultraschallbild (Planimetrie). Viele Ultraschallgeräte beinhalten ein Messprogramm für diese Methode. Dabei ist zu beachten, dass die Graduierung durch Minderung des Gefäßquerschnitts auf einer anderen Stenosegrad-Definition beruht als die angiographisch bestimmte Durchmesserreduktion und regelmäßig zu höheren Werten bei der Stenosegraduierung führt.
NASCET als Bezugsgröße
Notwendig ist eine einheitliche Stenosegrad-Definition für alle Methoden. International erfolgt die Indikationsstellung zu gefäßchirurgischen und endovaskulären Interventionen in der Praxis ausschließlich nach NASCET-Definition und auch die kurz vor dem Abschluss stehende S3-Leitlinie „Karotisstenose“ verwendet diese Bezugsgröße. Für Ultraschallanwender bedeutet dies, dass auch sie ihre Befunde künftig in einem Stenosegrad entsprechend der NASCET-Definition angeben sollten. In der Umstellungsphase sollte bei Stenosebefunden immer die Bezugsgröße („nach NASCET“) angegeben sein.
Unabdingbar sind einheitliche, standardisierte Kriterien, mit denen die Sonographie in der Lage ist, reproduzierbare Befunde zu liefern, unabhängig von Labor und Untersucher. Dazu schlägt die DEGUM revidierte Ultraschallkriterien vor, die jetzt in einen NASCET-Stenosegrad transferiert wurden.
NASCET ist hier (wie früher ECST) nur der methodenübergreifende Bezugsstandard. Die sonographische Graduierung erfolgt nicht durch Diametermessung der Stenose im Ultraschallbild, sondern primär anhand hämodynamischer Kriterien. Nur bei Verwendung einheitlicher sonographischer Kriterien sind Ultraschall-Stenosebefunde eindeutig und über Untersucher und Labore hinweg vergleichbar und reproduzierbar.
Die Quantifizierung allein anhand der systolischen Spitzengeschwindigkeit (Methode 2) hat als wesentliche Fehlerquellen die biologische Variabilität und die untersucherbedingte Fehlbestimmung: Beide können ohne Heranziehen weiterer Parameter nicht erkannt und in ihrem Ausmaß beim einzelnen Patienten nicht abgeschätzt werden. Dies trifft auch für die Stenosegradbestimmung anhand der Kontinuitätsgleichung zu (Methode 3). Vom Ultraschaller falsch erhobene Strömungsgeschwindigkeiten gehen dann ohne die Möglichkeit der Plausibilitätsprüfung in das Ergebnis ein. Plausibilitätsprüfung und konsekutiv unterschiedliche Gewichtung der Einzelkriterien bei der Bestimmung des Stenosierungsgrads sind die entscheidenden Vorteile des multiparametrischen DEGUM-Ansatzes (Tabelle).
Dieser erlaubt zudem die Unterscheidung verschiedener hämodynamischer Zustände und damit eine Differenzierung im weiten Bereich hochgradiger Stenosen. So wird zum Beispiel mit 90 Prozent ein höchstgradiger Stenosebefund mit poststenotisch sehr ausgeprägt verminderter Strömung und verschlussähnlichen indirekten Befunden beschrieben, der sich in seinen hämodynamischen Auswirkungen von einer 70- oder 80-Prozent-Stenose erheblich unterscheidet (1). Deshalb erlauben es die DEGUM-Kriterien auch, die Progredienz einer Stenose innerhalb dieses Stenosegradbereichs zu erkennen, was ein wichtiges prognostisches Kriterium asymptomatischer Karotisstenosen darstellt.
Der multiparametrische Ansatz macht die Sonographie zu einer hervorragenden Methode der Stenosegraduierung, während Ultraschall mit nur einem oder zwei Kriterien (wie in Nordamerika praktiziert) ein Screeninginstrument bleibt. Durch konstruktive Zusammenarbeit zahlreicher Fachgesellschaften ist es gelungen, mit den DEGUM-Kriterien einen gemeinsamen Standard zu definieren, der reproduzierbare Befunde unabhängig von Labor und Untersucher liefert.
Prof. Dr. med. Christian Arning
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Görtler
Prof. Dr. med. Gerhard-Michael von Reutern
Koautoren: Prof. Dr. Dr. med. Bernhard Widder, Dr. med. Clemens Fahrig, Prof. Dr. med. Christof Klötzsch und Prof. Dr. med. Stefan Delorme (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin); Dr. med. Hubert Stiegler und Prof. Dr. med. Malte Ludwig (Deutsche Gesellschaft für Angiologie), Dr. med. Wilhelm Schäberle (Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin), Prof. Dr. med. Manfred Kaps (Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie), Prof. Dr. med. Martin Grond (Deutsche Gesellschaft für Neurologie), Prof. Dr. med. Olav Jansen (Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie), Prof. Dr. med. Walter Gross-Fengels (Deutsche Röntgengesellschaft), Prof. Dr. med. Peter A. Ringleb und Prof. Dr. med. Joachim Röther (Deutsche Schlaganfallgesellschaft), Prof. Dr. med. Andreas Hagendorff (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie).
1. | Arning C et al.: Ultraschallkriterien zur Graduierung von Stenosen der A. carotis interna. Revision der DEGUM-Kriterien und Transfer in NASCET-Stenosierungsgrade. Ultraschall in Med 2010; 31: 251–7. MEDLINE |