

Wie Prof. Mühlenstedt mit seiner Stellungnahme als verantwortlicher Arzt der Oldenburger
Frauenklinik den Spieß umzudrehen versucht, um das Schicksal des abgetriebenen lebensfähigen Kindes und
seine zumindest formelle Mitwirkung zu beschönigen, ist bedenklich. Die inhaltliche Gewichtung seiner
Ausführungen zeigt deutlich sein Rechtfertigungsbedürfnis für etwas, was nach
dem Rechtsverständnis vieler Bürger und dem ärztlichen Selbstverständnis in keiner Weise zu entschuldigen ist.
Ob dem Kind, das versehentlich die Abtreibung überlebt hat, tatsächlich eine rechtzeitige und adäquate
Versorgung zuteil wurde und ob es ihm wirklich so gut geht, wie von Prof. Mühlenstedt geschildert, sei
dahingestellt. Nachdem der CDU-Bundestagspolitiker Hüppe wegen vermutlich mehrerer strafbarer Tatbestände
Strafanzeige erstattet hat, wird sich dieses klären. Aber viel brisanter ist meines Erachtens die Frage, ob "die
schwierige Abwägung zwischen unbestreitbarem Lebensrecht des Ungeborenen und Respekt vor den Anliegen
seiner Eltern" mit den richtigen Gewichten erfolgte. Wenn das Lebensrecht eines behinderten Kindes in der
Praxis weniger wiegt als die "Anliegen" der Eltern, dann muß man leider feststellen, daß die Singerschen
Kategorien zumindest unbewußt eine Erosion bei der ethischen Kompetenz der beteiligten Ärzte und ihres Chefs
verursacht haben. Da es zum Thema Abtreibung innerhalb der Ärzteschaft wie auch in der Gesellschaft schon
lange keinen Konsens mehr für einen uneingeschränkten Lebensschutz gibt, möge man diese Tatsache den
Kollegen zugute halten. Nur, was nützt es den vielen abgetriebenen Kindern, was dem Ansehen der deutschen
Ärzteschaft in den Augen derer, die einmal anklagend Bilanz ziehen werden?
Auf die selbstverständliche postpartale Versorgung des Kindes unter diesen traurigen Umständen auch noch mit
einem stolzen Ton hinzuweisen erscheint mir völlig deplaziert. Außerdem: Angriff ist nicht immer die beste
Verteidigung.
Andreas Kuhlmann, Königsdorfer Straße 5, 50933 Köln