ArchivDeutsches Ärzteblatt15/1998Abtreibungsrecht: Erosion bei ethischer Kompetenz

SPEKTRUM: Leserbriefe

Abtreibungsrecht: Erosion bei ethischer Kompetenz

Kuhlmann, Andreas

Zu den Leserbriefen "Besser recherchieren" von Prof. Dr. med. Mühlenstedt und "Fehlinformation" von Dr. G. Bender et al. von der Oldenburger Frauenklinik in Heft 7/1998:
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LNSLNS Wie Prof. Mühlenstedt mit seiner Stellungnahme als verantwortlicher Arzt der Oldenburger Frauenklinik den Spieß umzudrehen versucht, um das Schicksal des abgetriebenen lebensfähigen Kindes und seine zumindest formelle Mitwirkung zu beschönigen, ist bedenklich. Die inhaltliche Gewichtung seiner Ausführungen zeigt deutlich sein Rechtfertigungsbedürfnis für etwas, was nach dem Rechtsverständnis vieler Bürger und dem ärztlichen Selbstverständnis in keiner Weise zu entschuldigen ist. Ob dem Kind, das versehentlich die Abtreibung überlebt hat, tatsächlich eine rechtzeitige und adäquate Versorgung zuteil wurde und ob es ihm wirklich so gut geht, wie von Prof. Mühlenstedt geschildert, sei dahingestellt. Nachdem der CDU-Bundestagspolitiker Hüppe wegen vermutlich mehrerer strafbarer Tatbestände Strafanzeige erstattet hat, wird sich dieses klären. Aber viel brisanter ist meines Erachtens die Frage, ob "die schwierige Abwägung zwischen unbestreitbarem Lebensrecht des Ungeborenen und Respekt vor den Anliegen seiner Eltern" mit den richtigen Gewichten erfolgte. Wenn das Lebensrecht eines behinderten Kindes in der Praxis weniger wiegt als die "Anliegen" der Eltern, dann muß man leider feststellen, daß die Singerschen Kategorien zumindest unbewußt eine Erosion bei der ethischen Kompetenz der beteiligten Ärzte und ihres Chefs verursacht haben. Da es zum Thema Abtreibung innerhalb der Ärzteschaft wie auch in der Gesellschaft schon lange keinen Konsens mehr für einen uneingeschränkten Lebensschutz gibt, möge man diese Tatsache den Kollegen zugute halten. Nur, was nützt es den vielen abgetriebenen Kindern, was dem Ansehen der deutschen Ärzteschaft in den Augen derer, die einmal anklagend Bilanz ziehen werden?
Auf die selbstverständliche postpartale Versorgung des Kindes unter diesen traurigen Umständen auch noch mit einem stolzen Ton hinzuweisen erscheint mir völlig deplaziert. Außerdem: Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung.
Andreas Kuhlmann, Königsdorfer Straße 5, 50933 Köln

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