BÜCHER
Neuroenhancement: Grundlagen zur Positionierung von Ärzten und Therapeuten
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Die Gesellschaft investiert in die Ausbildung eines Hirnchirurgen Hunderttausende Euros. Sie dauert viele Jahre. Je länger, konzentrierter und fehlerfreier dieser Arzt arbeitet, umso mehr Patienten werden dringend benötigte Operationen erhalten, diese unbeschadet überstehen, gesund werden. Wenn es nun ein Medikament gäbe, die Leistungsfähigkeit dieses Hirnchirurgen nebenwirkungsfrei zu steigern – dürfte er es einnehmen? Wäre er nicht sogar moralisch verpflichtet, dies zu tun?
Klaus Lieb beschäftigt sich in seinem Buch mit den vielen Facetten des Neuroenhancements, der medikamentösen Steigerung kognitiver Fähigkeiten beim Gesunden. Er gibt einen Überblick über die derzeit verwendeten Substanzen und kommt zu dem Schluss, dass die Möglichkeiten, Lernen, Gedächtnis und Denkabläufe zu verbessern, gegenwärtig noch sehr beschränkt sind und vor allem darauf abzielen, Aufmerksamkeit und Wachheit zu fördern. Ebenso sind mögliche Nebenwirkungen, vor allem in der Langzeitanwendung, noch wenig absehbar. Dem gegenüber steht eine hohe Bereitschaft von Teilen der Gesellschaft, ihre kognitiven Fähigkeiten medikamentös zu optimieren. Lieb beschreibt individuelle und gesellschaftliche Motive hierfür und umreißt differenziert die ethischen Implikationen des Themas. Entwertet Hirndoping individuelle Leistung? Wann ist es unfair? Wird durch eine Freigabe von Neuroenhancern ein unzulässiger Druck auf den Einzelnen ausgeübt, diese auch anzuwenden? Könnte Neuroenhancement gar zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen und ein legitimer Ausweg für Benachteiligte sein?
Noch ist die Zahl der Anwender von Hirndoping überschaubar und bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Aber der Trend geht zweifellos nach oben und wirksamere Medikamente sind zu erwarten – und es wird für Ärzte notwendig werden, sich in dieser Frage zu positionieren. Das Buch bietet dafür einen hervorragenden und lesenswerten Einstieg. Claus Normann, Mathias Berger
Klaus Lieb: Hirndoping. Warum wir nicht alles schlucken sollten. Artemis & Winkler, Mannheim 2010, 176 Seiten, kartoniert, 16,90 Euro