POLITIK
Psychotherapeuten in Ausbildung: Eine gesetzliche Grauzone


Diplompsychologen und -pädagogen in der Ausbildung zum Psychotherapeuten demonstrieren für eine angemessene Vergütung ihrer Arbeit während des Praxisjahres an psychiatrischen Kliniken.
Psychotherapeuten in Ausbeutung“ ist auf den Plakaten zu lesen. „Wir arbeiten mit Diplom – und kriegen keinen Lohn“. „SOS – Helfer in Not“. Diplomierte Psychologen und Pädagogen, die sich in der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten (PP) oder zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten befinden, gingen Anfang September in Berlin bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr auf die Straße. Sie protestierten gegen die unangemessene Vergütung ihrer Arbeit während des Praxisjahres an psychiatrischen Kliniken.
„In Berlin bekommen wir teilweise gar kein Geld, manche Kliniken zahlen nur ganz wenig“, sagt Julia Walendzik. Sie selbst hat während des Praxisjahres 300 Euro monatlich erhalten und die Zeit mit viel Verzicht und Nebenjobs am Wochenende überstanden. Kerstin Lenke hat die Praxiszeit mit einer Abfindung aus einer früheren Anstellung finanziert. Mit kleinem Kind hätte sie neben ihrer Kliniktätigkeit nicht jobben können. „Wir haben keinen Anspruch auf BAföG oder Arbeitslosengeld“, kritisiert die junge Frau.
Foto: Deutsche Psychotherapeutenvereinigung
Seit 1999 schreibt der Gesetzgeber im Rahmen der Ausbildung eine praktische Tätigkeit von 1 800 Stunden in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik vor. Für einen Zeitraum von mindestens eineinhalb Jahren müssen Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) ohne einen Anspruch auf Vergütung dort arbeiten. Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erhalten 36 Prozent der PiA in dieser Zeit kein Geld. Die hohen Kosten für die Ausbildung an den Instituten – im Durchschnitt rund 30 000 Euro – müssen sie sowieso alleine tragen.
„Wir fordern eine tarifvertraglich abgesicherte Vergütung für unsere Leistungen“, sagt Walendzik, „entsprechend dem Tarifvorschlag von Verdi 1 460 Euro monatlich“. Dies sei angemessen, weil die Tätigkeit in den Kliniken durchaus anspruchsvoll sei. „Wir vertreten auch schon mal leitende Psychologen auf den Stationen“, erzählt Kerstin Lenke. PiA werden voll in den Stationsalltag integriert und übernehmen unter fachlicher Aufsicht Einzel- und Gruppentherapien. Die Demonstranten vergleichen ihre Praxistätigkeit mit der von Ärzten in Weiterbildung und nicht mit dem praktischen Jahr während des Medizinstudiums. Der Deutsche Bundestag sieht das anders: 2006 wurde eine Petition von mehr als 1 000 PiA in dieser Sache nicht unterstützt. Das Psychiatriejahr sei am ehesten mit dem praktischen Jahr oder mit Famulaturen vergleichbar, nicht aber mit der fachärztlichen Weiterbildung, begründete der Petitionsausschuss.
Die Kliniken sind grundsätzlich nicht zu einer Vergütung verpflichtet. Doch wenn der Markt es verlangt, schätzen sie die Arbeit der PiA durchaus. Nach Recherchen der BPtK erhalten rund 40 Prozent der PiA ein Gehalt zwischen 500 und 1 500 Euro, vor allem in den ostdeutschen Kliniken. Berlin und Hamburg sind als Wohn- und Arbeitsort hingegen so begehrt, dass die Kliniken fast vollständig auf eine Entlohnung verzichten können. „Der Gesetzgeber hat eine Grauzone hinterlassen, die die Kliniken schlicht ausnutzen“, kommentiert Lenke. Die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung unterstützt die PiA dabei, die „unzumutbaren Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zu ändern“.
Die Demonstranten sind im September vor das Bundesgesundheitsministerium gezogen, weil dort seit Jahresanfang der Gesetzentwurf der BPtK für die dringend benötigte Reform der Psychotherapeutenausbildung liegt. Die Kammer schlägt darin unter anderem eine „eingeschränkte Behandlungserlaubnis“ für die Zeit der Ausbildung zum Psychotherapeuten vor. Damit sollen PiA künftig einen Rechtsanspruch auf eine angemessene Vergütung bekommen (siehe auch DÄ, Heft 5/2011). Doch Unterstützung können die PiA vom Ministerium nicht erwarten – der Entwurf liegt in den Schubladen. „Wir planen zurzeit nicht, uns mit der Ausbildungsreform der Psychotherapeuten zu beschäftigen“, gab die Pressestelle gegenüber dem DÄ bekannt. Zu viele andere Gesetzesvorhaben würden die Kapazitäten binden.
Petra Bühring
Piper, Jörg
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