POLITIK
Novellierung des Transplantationsgesetzes: Die Erklärungslösung wird favorisiert
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Gesetzesänderungen betreffen die Willenserklärungen der Bevölkerung, möglicherweise aber auch die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages stehen in diesem Jahr erneut vor einer Gewissensentscheidung: Nach dem Votum des Parlaments für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik gilt es nun, die Organtransplantation neu zu regeln. Ein novelliertes Gesetz soll 2012 in Kraft treten.
In der Novelle könnte die derzeit geltende erweiterte Zustimmungslösung durch eine Erklärungslösung ersetzt werden. Danach würde jeder Bürger in einem noch zu regelnden Verfahren aufgefordert zu erklären, ob er im Falle seines Todes einer Organspende zustimmt, ihr widerspricht oder sich nicht entscheiden möchte. „Sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sind, eignet sich die elektronische Gesundheitskarte am ehesten zur Dokumentation der Erklärung“, sagt der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Frank Ulrich Montgomery. Denn so sei der Kontext zur Beratung durch den Arzt gegeben.
Wie zu verfahren ist, wenn keine Entscheidung getroffen wurde, muss im weiteren Gesetzgebungsverfahren geregelt werden. Bei der derzeit geltenden erweiterten Zustimmungslösung ist eine Organentnahme nur gestattet, wenn die Spender zu Lebzeiten oder nach dem Tod die Angehörigen zugestimmt haben.
Seit längerem beworben wird die Entscheidungs- beziehungsweise Erklärungslösung von Frank-Walter Steinmeier (SPD). Gemeinsam mit Volker Kauder (CDU) und weiteren Bundestagsabgeordneten wolle er einen Gruppenantrag für eine Entscheidungslösung bis Ende Oktober 2011 ins Parlament einbringen, kündigte Steinmeier auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) am 11. September in Berlin an. Der ebenfalls zur Debatte stehenden „Widerspruchslösung“ räumte er dagegen wenig Chancen ein. Ihr zufolge wären alle Bürger potenzielle Organspender, sofern sie zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben. Ein solcher Vorschlag werde im Parlament keine Mehrheit finden, prophezeite Steinmeier.
Meilenstein für die Transplantationsmedizin
„Die Entscheidungslösung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie würde einen Meilenstein für die Transplantationsmedizin bedeuten“, erklärte Kongresspräsident Prof. Dr. med. Ulrich Frei, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Er rechnet durch eine solche Regelung mit einem Zuwachs an Organen: durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Organspende und die Tatsache, dass Angehörige zunehmend über Willen und Einstellungen des Verstorbenen informiert sind. „Ansonsten schauen wir neidvoll nach Österreich, wo mit einer gesetzlich verankerten Widerspruchslösung die höchsten Organspenderaten erzielt werden“, betonte Frei. Prinzipiell halte die DGfN daher an ihrer Forderung nach einer Widerspruchslösung fest. Einen Antrag oder einen Gesetzentwurf, der eine Widerspruchslösung präferiert und der österreichischen Variante ähnelt, wollen Parlamentarier um Fritz Rudolf Körper und Christoph Strässer (beide SPD) etwa zeitgleich zur Initiative von Steinmeier in den Bundestag einbringen, erläuterte ein Sprecher von Körper dem Deutschen Ärzteblatt. Dass die Widerspruchsregelung bei einer interfraktionellen Abstimmung im Parlament eine Mehrheit finden wird, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Schon vor der Sommerpause hatte der Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag von Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und dem Saarland mit breiter Mehrheit abgelehnt. Die Empfehlung des Gesundheitsauschusses des Bundesrats (9. September) spiegelt mit einer Erklärungslösung den auf der Gesundheitsministerkonferenz im Juni erzielten Konsens der Länder wider. Darin wird auch vorgeschlagen, dass die Entnahmekrankenhäuser mindestens einen Transplantationsbeauftragten stellen müssen. Er sollte „in der Regel ein in Intensivmedizin erfahrener Facharzt“ sein und – soweit erforderlich – von anderen beruflichen Tätigkeiten freigestellt werden. Ferner soll die regionale Zusammenarbeit bei der Organspende verbessert werden. So soll die Koordinierungsstelle, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) verpflichtet werden, regionale Untergliederungen zu bilden, um entsprechend den Gegebenheiten vor Ort die Organspende bestmöglich zu organisieren.
Auch die Bundesregierung hat einen ersten Entwurf zur Novellierung des Transplantationsgesetzes vorgelegt (Drucksache 457/11). Mit ihm soll die EU-Richtlinie über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe umgesetzt werden. Ziel der Richtlinie ist, Organempfänger vor schwerwiegenden Zwischenfällen zu schützen. Gleichwohl nutzte auch die Regierung die Möglichkeit, die vielfach geforderte, flächendeckende Umsetzung schon geltender Regelungen durch eine verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten an Kliniken mit Organentnahmen rechtlich verbindlich zu machen. Das Ziel ist klar: die Organspende zu fördern. Die Entnahmekliniken würden zur „unverzüglichen Meldung“ hirntoter Menschen verpflichtet (§ 9 TPG-E). Die BÄK und die DSO sehen allerdings Schlupflöcher. Denn von der Pflicht zur Benennung von Transplantationsbeauftragten soll es Ausnahmen geben dürfen, ohne dass die Voraussetzungen dafür benannt wären.
Alle bislang vorliegenden Entwürfe aber bewegen sich im selben Spannungsfeld, welches im geltenden Gesetz als Grundsatz verankert ist und offenbar unangetastet bleiben soll: der Förderung der Organspende auf der einen Seite, und einer Aufgaben- und Zuständigkeitstrennung auf der anderen Seite – von der Feststellung des Hirntods, der Entnahme von Organen, ihrer Vermittlung bis hin zur Übertragung. Die Trennung soll Interessenskonflikte vermeiden und Vertrauen schaffen. „Der Schlüssel zu einer Verbesserung der Organspende liegt allerdings in einer engen Verzahnung der Aufgaben von Klinikärzten mit denen der DSO-Mitarbeiter, gerade auch bei der frühen Erkennung potenzieller Spender“, sagt DSO-Vorstandsmitglied Prof. Dr. med. Günter Kirste. Transplantationsbeauftragte seien die Ansprechpartner an der Schnittstelle. Es müsse gewährleistet sein, dass die DSO schon bei Patienten in kritischem Zustand (Glasgow-Coma-Scale < fünf), spätestens aber nach erstmaliger Feststellung des Hirntods informiert werden, nicht erst nach der zweiten Untersuchung.
Änderungen könnte es auch in Bezug auf die Richtlinienkompetenz der BÄK geben. Dem Entwurf der Regierung und der Empfehlung des Bundesrats vom 9. September zufolge sollen Richtlinien auch Sicherheitsbelange lebend gespendeter Organe betreffen. „Es wäre darüber hinaus für den Schutz der Lebendspender wichtig, einen Konsens über die medizinischen Voraussetzungen für die Spende herzustellen“, sagt Prof. Dr. med. Uwe Heemann, Leiter der Abteilung Nephrologie am Klinikum rechts der Isar in München. „Ein solcher Konsens ließe sich am ehesten über Richtlinien erzielen.“ Der Ansatz im Entwurf des Bundesrats, Lebendspender versicherungsrechtlich besser abzusichern bis hin zur Beweislastumkehr für mögliche Folgeschäden, sei richtig. Aber auch die Nachsorge der Lebendspender müsse rechtlich besser verankert und finanziell abgesichert werden.
In der Empfehlung des Gesundheitsausschusses des Bundesrats vom 9. September wird die Ständige Kommission Organtransplantation bei der BÄK ausdrücklich mit Richtlinienkompetenz ausgestattet und aufgeführt, wie sie sich zusammensetzen soll. Allerdings würde nach Angaben der BÄK das Gremium im Vergleich zum Status quo verkleinert, und die ärztlichen Mitglieder würden minorisiert. Sämtliche Richtlinien, auch zur Feststellung des Hirntods, müssten vom Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden. Montgomery appelliert in einem Brief an die Ministerpräsidenten der Länder dringend, von einem solchen Genehmigungsvorbehalt Abstand zu nehmen: Die Sachkompetenz in medizinischen Fragen liege bei der Kommission, ihre Arbeit werde seit langem von Bund und Ländern in vollem Umfang begleitet. Der Genehmigungsvorbehalt würde zu einem „für die Ärzteschaft unbegreiflichen Einstieg in eine patientenferne Staatsmedizin führen“. Am 23. September wird der Bundesrat eine Empfehlung zur Gesetzesänderung beschließen und diese an das Gesundheitsministerium weiterleiten. Die Empfehlung wird ebenso wie die übrigen Anträge im Parlament beraten werden.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann,
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
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