MEDIZIN: Zur Fortbildung
Hypoglykämien beim Erwachsenen: Nicht Diabetes-assoziierte Formen
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Die Diagnose einer Hypoglykämie erfordert den Nachweis der sogenannten Whipple Trias (BZ < 45 mg/dl, hypoglykämische Symptome und Verschwinden derselben unter Glukosegabe). Ein Abfall des Blutzuckers unter 45 mg/dl ohne das Auftreten von autonomen und/oder neuroglykämischen Symptomen ist nicht gleichbedeutend mit der Diagnose einer Hypoglykämie, da ein vergleichbar niedriger Blutzucker auch bei Gesunden im Fasten beobachtet werden kann. Sowohl bei Verdacht als auch bei gesichertem Nachweis einer Hypoglykämie steht vor der weiteren Diagnostik die ausführliche Anamnese. Bei gesund wirkenden Patienten ist die Differentialdiagnose zu einer sogenannten Pseudohypoglykämie, bei der Symptome einer Hypoglykämie ohne einen relevanten BZAbfall auftreten, nicht selten schwierig. Ein Hungerversuch über bis zu 72 Stunden ist häufig erforderlich, um die Diagnose zu sichern, und erlaubt über die parallele Messung von Insulin, Proinsulin und C-Peptid die differentialdiagnostische Einteilung in Insulinom, Störung der Glukoneogenese beziehungsweise Hypoglykämie factitia. Beim krank wirkenden Patienten können ein Substratmangel, Medikamente oder eine paraneoplastische Sekretion von beispielsweise "big"-IFG-II eine Hypoglykämie auslösen. Therapeutisch ist eine Hypoglykämie akut durch eine Glukosegabe zu behandeln. Die langfristige Behandlung besteht in der Beseitigung der auslösenden Ursache.
Key words: Hypoglycemia, insulinoma,
Whipple trias, blood glucose
The demonstration of low blood glucose levels, hypoglycemic symptoms, and their relief after glucose
administration is required for the diagnosis of hypoglycemia (Whipple trias). Blood glucose levels < 45 mg/dl
without autonomic or neuroglycopenic symptoms are not diagnostic since similar glucose levels are found in
fasting healthy subjects. If hypoglycemia is suspected or diagnosed, a thorough history has
to be taken prior to any further investigation. As symptoms of hypoglycemia may occur despite normal blood
glucose levels, fasting for up to 72 h is often necessary to diagnose hypoglycemia. If hypoglycemia
occurs, the measurement of insulin, proinsulin, and C-peptide allows the differential diagnosis of an insulinoma,
an impaired gluconeogenesis, or factitious application of sulfonylurea drugs or insulin. In symptomatic subjects
a lack of substrate, drug interactions, or occasionally paraneoplastic secretion of "big”-IGF-II may cause
hypoglycemia. Hypoglycemia is acutely treated by administration of glucose, while long-term treatment is
dependent on the underlying cause.
Ein Abfall der Blutglukosekonzentration führt zu einer Vielzahl von unspezifischen Symptomen, die zumeist
erst im Vollbild einer Neuroglukopenie diagnostisch leicht einzuordnen sind. Während Hypoglykämien beim
Diabetiker zu den häufigsten endokrinologischen Notfällen zählen, sind Hypoglykämien beim Nichtdiabetiker
selten. Bei diesen Patienten stellt der Nachweis einer Hypoglykämie und deren differentialdiagnostische
Abklärung jedoch meist eine besondere Herausforderung für den behandelnden Arzt dar.
Epidemiologie
Systematische Untersuchungen zur Häufigkeit von nicht Diabetes-assoziierten Hypoglykämien bei Erwachsenen
liegen in der Literatur nicht vor. Hinweise für ihre relative Häufigkeit lassen sich aber aus großen
Untersuchungen an ausschließlich diätetisch behandelten Typ-II-Diabetikern ableiten.
So betrug die Häufigkeit schwerer Unterzuckerungszustände, die fremde Hilfe erforderlich machte, in der
großen, prospektiven englischen Studie zum Typ-II-Diabetes (UKPDS) in dieser Patientengruppe lediglich 0,03
Prozent pro Jahr (25).
Definition einer Hypoglykämie
Die Blutzuckerkonzentration wird beim Gesunden auch unter Fastenbedingungen innerhalb enger Grenzen (3,3
bis 5,6 mmol/l entsprechend 60 bis 100 mg/dl) konstant gehalten.
Die Diagnose einer Hypoglykämie läßt sich nicht allein durch den Nachweis eines erniedrigten Blutzuckers
unterhalb 2,5 mmol/l beziehungsweise 45 mg/dl stellen, da unter Fastenbedingungen auch bei Gesunden
Blutzuckerwerte in diesem Bereich gemessen werden können (10). Zur Diagnose einer Hypoglykämie ist daher
grundsätzlich das Auftreten typischer Symptome sowie deren Besserung nach Glukosezufuhr erforderlich.
Nur wenn alle drei Punkte nach der klassischen, von Whipple vor mehr als 60 Jahren geforderten Trias
(Textkasten Whipple Trias) erfüllt sind, kann von einer Hypoglykämie ausgegangen werden (26).
Pathophysiologie
Sinkt die Glukosekonzentration im Blut akut unter einen kritischen Wert von etwa 3,7 mmol/l (66 mg/dl), wird
ein redundant angelegtes System neuronaler wie humoraler Gegenregulation aktiviert (15). Neuronal vorwiegend
über sympathische Efferenzen und humoral über eine Freisetzung von Glukagon und Adrenalin sowie
nachgeordnet Somatotropin (GH) und Cortisol wird Glukose rasch aus hepatischen und zu einem kleineren Teil
aus renalen Glykogenreserven mobilisiert. Im Gegensatz zum akuten Blutzuckerabfall kann das ZNS bei einem
langsamen Absinken der zirkulierenden Glukosespiegel beim Fasten teilweise auf andere Energieträger wie
Ketonkörper oder Laktat umstellen (13). Bei chronisch-rezidivierenden Hypoglykämien wird eine verbesserte
Extraktion der zirkulierenden Glukose durch eine vermehrte Expression des Glukosetransporters, GLUT-1, im
ZNS erreicht und so bei niedrigeren Blutzuckerspiegeln eine ausreichende Versorgung der Hirnzellen ermöglicht
(12). Allerdings kann es infolge rezidivierender Hypoglykämien zu einer Absenkung der
Glukoseschwellenkonzentration kommen, die zu einer Aktivierung gegenregulatorischer Mechanismen und der
damit verbundenen, für den Patienten wahrnehmbaren autonomen Symptome wie Zittern oder Tachykardien
führt (3, 4, 6). Auch eine vermehrte Cortisolfreisetzung scheint an der Minderung autonomer Symptome im
Rahmen rezidivierender Hypoglykämien beteiligt zu sein (5). Wie Studien an erfolgreich operierten
Insulinompatienten zeigen, sind diese adaptiven Vorgänge voll reversibel (16).
Klinische Symptomatik
Es gibt keine spezifischen Symptome einer Hypoglykämie. Die Symptomatik wird einerseits durch die
klinischen Zeichen einer Aktivierung des autonomen Nervensystems bestimmt und beruht andererseits auf den
Folgen einer Minderversorgung des Gehirns mit Glukose (Neuroglukopenie; Textkasten Symptomatik bei
Hypoglykämie) (10). Vom Patienten werden vor allem die autonomen Symptome, insbesondere von seiten der katecholaminergen Gegenregulation, bemerkt. Beschwerden wie
Schwitzen, Zittern, Tachykardien, Wärmegefühl, Angst und Übelkeit können schon bei milden Hypoglykämien
auftreten. Bei weiterem Abfall des Blutzuckers treten Zeichen einer Neuroglukopenie hinzu wie Sehstörungen,
Schwäche, Schwindel und Verhaltensänderungen mit Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Sprachstörungen, Kopfschmerzen und Verwirrtheit bis hin zu psychiatrischen Krankheitsbildern. Stärker ausgeprägte,
lang anhaltende Hypoglykämien führen zu schweren neurologischen Störungen im Sinne von apoplektiformen
Bildern, zum Auftreten von Krämpfen, Koma und schließlich zum Tod. Die Empfindlichkeit von Patienten mit
neurologischen Vorschädigungen kann dabei deutlich gesteigert sein (9). Trotz der Vielfalt der möglichen
Symptome einer Hypoglykämie berichten die Patienten häufig über ein individuelles Symptommuster, das auch
über längere Zeiträume konstant bleiben kann. Meist bemerken die Patienten zunächst autonome Symptome, ehe
es zu Zeichen einer Neuroglukopenie kommt. Insbesondere bei wiederholtem und gehäuftem Auftreten von
Hypoglykämien können jedoch autonome Zeichen fehlen, und neuroglukopenische Symptome treten in den
Vordergrund.
Ursachen von Hypoglykämien
Hypoglykämien beim Nichtdiabetiker haben eine Vielzahl von Ursachen, die sich einerseits in eine inadäquate
Sekretion oder Wirkung von Insulin und Insulin-ähnlichen Peptiden und andererseits in einen Substratmangel
gliedern lassen (Textkasten Ursachen der Hypoglykämie).
Insulinproduzierende Tumoren des Pankreas treten mit einer Inzidenz von etwa vier Erkrankungen/Mio
Personenjahre auf. Etwa zehn Prozent der Insulinome sind maligne entartet (21). In weiteren etwa zehn Prozent
der Fälle liegen multiple Adenome vor, die an eine multiple endokrine Neoplasie Typ I (MEN I) denken lassen.
Bei diesen familiären Formen können Insulinome mit Nebenschilddrüsen- und Hypophysenadenomen sowie seltener mit einer Reihe anderer
Tumoren vergesellschaftet sein. Kürzlich publizierte Untersuchungen zeigen, daß Mutationen im MEN-I-Gen,
dessen Genprodukt Menin als physiologischer Tumor-Suppressor wirkt, für das Auftreten der Erkrankung in
diesen Familien verantwortlich sind (2). Mutationen des Sulfonylharnstoffrezeptors, eines Regulators des ATP-abhängigen K+-Kanals der pankreatischen Betazellen, wurden als Ursache einer
diffusen b-Zellhyperplasie bei Kindern beschrieben (Nesidioblastose), welche rezidivierende Hypoglykämien
auslöst (23). Sehr selten sind Hypoglykämien im Rahmen einer paraneoplastischen Sekretion Insulin-ähnlicher
Peptide, insbesondere von IGF-II ("big"-IGF-II), die über Aktivierung des IGF-II oder des Insulinrezeptors zum
Teil schwere Unterzuckerungszustände auslösen können (8, 27). Ebenfalls sehr selten (weniger als 200 Fälle
weltweit) können Hypoglykämien durch Antikörper gegen Insulin oder den Insulinrezeptor ausgelöst werden (1).
Faktitielle Hypoglykämien sind nicht häufig (19). Wir sehen in unserer Klinik jährlich etwa einen Patienten mit
diesem Problem.
Hypoglykämien infolge eines Mangels an mobilisierbarer Glukose während längerer Nüchternphasen
(Substratmangel) können im Rahmen einer Sepsis oder bei schwerer Malnutrition auftreten, Folge schwerer
Leber- oder Nierenerkrankungen sein, auf einer ausgeprägten metastatischen Durchsetzung der Leber beruhen
oder seltener, und fast immer im Kindesalter diagnostiziert, Manifestation einer Glykogenspeichererkrankung
sein. Unter einer heute ungebräuchlichen Infusion von Sorbit- oder Fruktoselösungen werden bei abortiven
Formen solcher Speichererkrankungen ausgeprägte Hypoglykämien beobachtet (10).
Klinisch bedeutsam sind medikamentös ausgelöste Hypoglykämien, die häufig beobachtet werden, auch wenn
die durch Insulin oder orale Antidiabetika ausgelösten Formen nicht mit berücksichtigt werden.
Wechselwirkungen von Medikamenten, aber auch von Noxen wie Alkohol, der bereits in niedriger
Konzentration die Glukoneogenese hemmt, müssen immer, insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffizienz,
schweren Lebererkrankungen (Leberzirrhose), Malnutrition oder schweren Infektionen, in die
Differentialdiagnose einbezogen werden (11). In seltenen Fällen können Hypoglykämien in einer gestören
humoralen Gegenregulation begründet sein. Allerdings sind im Erwachsenenalter Hypoglykämien als Folge
einer Addisonschen Erkrankung oder eines Ausfalls der hypophysären GH-Sekretion Raritäten.
Die Verdachtsdiagnose einer postprandialen Hypoglykämie im Sinne eines Dumping-Syndroms kann durch die
Anamnese einer Voroperation einfach gestellt werden. Dagegen sind sogenannte Pseudohypoglykämien, bei der
zumeist autonome Symptome auftreten, ohne daß eine Unterzuckerung vorliegt, schwierig einzuordnen und
stellen eine differentialdiagnostische Herausforderung dar (20). Die Ursachen dieser Symptome, welche vom
Patienten oft als sehr unangenehm empfunden werden, sind noch weitgehend unklar. In systematischen Studien
konnte weder eine Blutzuckerfehlregulation noch ein veränderter Schwellenwert für die Aktivierung der
autonomen oder humoralen Gegenregulation als Ursache der Beschwerden gefunden werden.
Diagnostisches Vorgehen
Das Auftreten einer Whipple Trias mit niedrigem Blutzucker, hypoglykämischen Symptomen und rascher
Besserung der Symptomatik nach Applikation von Glukose ist beweisend für eine Hypoglykämie. Der Nachweis
dieser Konstellation gelingt beim ambulanten Patienten jedoch eher selten. Die Verdachtsdiagnose einer
Hypoglykämie stützt sich daher in aller Regel auf die anamnestische Angabe von Symptomen, die an eine
Hypoglykämie denken lassen. Die Messung einzelner niedriger Blutzuckerwerte kann irreführen, da während
längerer Fastenperioden auch physiologischerweise Blutzuckerkonzentrationen bis 2,2 mmol/l (40 mg/dl)
möglich sind.
Vor einer weiterführenden Diagnostik steht zunächst eine ausführliche Anamneseerhebung. Die lange Zeit
übliche anamnestische Einteilung in Nüchtern- und postprandiale Hypoglykämie hat sich für das
differentialdiagnostische Vorgehen in der Praxis mit Ausnahme des Spätdumpings als nicht hilfreich erwiesen.
Eine Einteilung nach klinischen Kriterien scheint besser geeignet, die Ursachen einer Hypoglykämie
einzugrenzen.
Bei gesund wirkenden Patienten muß die Anamnese auf die Einnahme von Medikamenten, körperliche Aktivität
und andere prädisponierende Faktoren wie Alkoholkonsum abheben, ehe organische Ursachen wie
beispielsweise ein Insulinom in Erwägung gezogen werden (10, 11, 20). Die Abgrenzung zwischen einer
organischen Hypoglykämie und einer
Pseudohypoglykämie kann mitunter schwierig sein. Vor einer weiterführenden, stationären Diagnostik sollte hier
in Zweifelsfällen zur Verifizierung der anamnestischen Angaben ein Stimulationstest mittels einer Testmahlzeit
mit Bestimmung des Blutzuckers bei Auftreten von Symptomen durchgeführt werden. Ein oraler
Glukosetoleranztest über fünf Stunden gilt heute wegen häufiger falsch positiver Befunde allgemein als obsolet
(10, 20). Ist der Nachweis einer Hypoglykämie erbracht (Whipple Trias) oder besteht aufgrund der Anamnese
ein begründeter Verdacht, so muß eine weiterführende Diagnostik erfolgen, für die unverändert der 72-hHungerversuch den Goldstandard darstellt (Textkasten Durchführung des 72-h-Hungerversuchs). Dieser dient
einerseits dem Nachweis einer Hypoglykämie unter kontrollierten Bedingungen und andererseits der weiteren
differentialdiagnostischen Abklärung, wobei der Nachweis beziehungsweise Ausschluß eines Insulinoms im
Vordergrund steht. Ist es innerhalb von
48 h zu keiner signifikanten Symptomatik mit entsprechendem Blutzuckerabfall gekommen, so ist eine
Hypoglykämie mit 90prozentiger Wahrscheinlichkeit und nach 72 h faktisch ausgeschlossen (22). Zur
praktischen Durchführung des Tests ist eine exakte, das heißt laborchemische Bestimmung der Blutzuckerwerte
unbedingte Voraussetzung, da die üblicherweise auf Station benutzten Systeme zur Blutzuckerselbstmessung im
unteren Bereich bis auf wenige Ausnahmen keine ausreichende Präzision aufweisen (24). In jedem Fall muß der
am Krankenbett direkt gemessene Blutzucker durch eine schnell verfügbare enzymatische Messung bestätigt
werden. Bei Auftreten hypoglykämischer Symptome und niedriger Blutzuckerspiegel erlaubt die Bestimmung
von Insulin, C-Peptid, Proinsulin und gegebenenfalls b-Hydroxybutyrat sowie von Sulfonylharnstoffen im Urin
eine differentialdiagnostische Einordnung. Da ein 72-h-Hungervesuch eine stationäre Aufnahme voraussetzt,
wurden eine Reihe von ambulanten Testverfahren vorgeschlagen, die die ambulante Abklärung einer
Hypoglykämie ermöglichen sollen. Mehrere
Arbeitsgruppen favorisieren den sogenannten C-Peptid-Suppressionstest. Bei diesem Test werden Insulin unter
euglykämischen oder hypoglykämischen Bedingungen infundiert und
die Suppression von C-Peptid beziehungsweise Proinsulin gemessen (18). Im Gegensatz zum Gesunden findet
sich bei Patienten mit einem Insulinom keine Suppression von C-Peptid oder Proinsulin. Beim intravenösen
Tolbutamid-Test wird 1 g Tolbutamid nach nächtlichem Fasten i. v. appliziert. Ein Abfall des Blutzuckers auf
Werte unter 3,1 mmol/l (55 mg/dl) nach 120 bis 180 Minuten weist auf ein Insulinom hin (14). Keines dieser
Testverfahren hat sich allerdings bislang breit durchgesetzt, da die Protokolle zur Durchführung der Teste und
die Interpretation der Ergebnisse teils erheblich variieren und verläßliche Angaben zur Sensitivität und Spezifität
insbesondere im Vergleich zum 72-h-Hungerversuch fehlen.
Beim krank wirkenden, meist polymorbiden Patienten stehen vor allem Wechselwirkungen von Medikamenten
mit der Grundkrankheit (Leber-, Niereninsuffizienz, Sepsis) im Vordergrund. Läßt der Allgemeinzustand des
Patienten an einen ausgeprägten Substratmangel (zum Beispiel Leberzirrhose, Lebermetastasen) oder eine
tumorabhängige Hypoglykämie mit paraneoplastischer Sekretion von zum Beispiel "big"-IGF-II denken, muß
die Diagnostik auf die Grundkrankheit fokussieren (8, 27). Ein Glukagontest zum
Nachweis eines Substratmangels oder
die Bestimmung von beispielsweise "big"-IGF-II bei Verdacht auf
eine paraneoplastische Ursache dienen hier lediglich der Bestätigung der Verdachtsdiagnose (Grafik).
Lokalisationsdiagnostik eines Insulinoms
Ist die Diagnose eines Insulinoms biochemisch gesichert, sollte vor einer Operation der Versuch einer
Lokalisationsdiagnostik mittels bildgebender Verfahren erfolgen. Der Tumornachweis mittels abdomineller
Sonographie bleibt oft erfolglos, da die meisten Insulinome klein sind (< 2 cm). In vielen Fällen gelingt jedoch
mit Hilfe einer NMR- oder CT-Untersuchung des Oberbauchs oder endosonographisch die exakte Lokalisation
des Tumors. Da erfahrene endokrine Chirurgen teilweise unter Einsatz des intraoperativen Ultraschalls in bis zu
95 Prozent der Fälle den Tumor intraoperativ erfolgreich nachweisen, sind invasive präoperative
Lokalisationsverfahren vor einer Erstoperation jedoch nicht obligat. In unklaren Fällen können die bildgebenden
Verfahren durch eine invasive, funktionelle Lokalisationsdiagnostik ergänzt werden. Durch selektive
intraarterielle Stimulation der das Pankreas versorgenden Arterien mit Kalzium ist es möglich, eine pathologisch
erhöhte Insulinfreisetzung durch hochfrequente hepatovenöse Blutentnahme einem bestimmten arteriellen
Versorgungsgebiet zuzuordnen. In einer Serie von bislang acht Patienten, darunter ein Patient, bei dem auch im
intraoperativen Ultraschall der Tumor nicht darstellbar war, konnten in unserem Hause mit Hilfe dieser Technik
in allen Fällen das Insulinom richtig lokalisiert und damit die positiven Befunde von J. Doppmann an 25
Patienten bestätigt werden (14). Der Einsatz solch aufwendiger Verfahren sollte aber nur auf die Fälle
beschränkt bleiben, in denen mit den einfachen Standardverfahren eine Tumorlokalisation nicht gelingt.
Therapie
Ziel der Therapie einer Hypoglykämie besteht in der akuten Beseitigung der Neuroglukopenie. Glukose sollte als
intravenöser Bolus, beispielsweise 40 ml 40 prozentige Glukoselösung, und/oder als kontinuierliche Infusion,
beispielsweise fünf- bis zehnprozentige Glukoselösung, gegeben werden. Dies reicht in aller Regel aus, um die
neuroglukopenischen Symptome rasch zu beseitigen. Führt die ausreichende Gabe von Glukose nicht innerhalb
weniger Minuten zum gewünschten Erfolg, muß die Diagnose ernstlich in Zweifel gezogen beziehungsweise von
einer schweren zerebralen Schädigung ausgegangen werden. Alternativ zur Gabe von Glukose kann bei
ausreichenden hepatischen Glykogendepots Glukagon 1 mg s. c. oder i. m. gespritzt werden. Vor jeder
therapeutischen Intervention sollte, wenn möglich, Blut zur Bestimmung von Blutzucker, Insulin, C-Peptid
und Proinsulin asserviert werden. Während die Akuttherapie rein symptomatisch ausgerichtet ist, orientiert sich
die langfristige Therapie an den Ursachen einer Hypoglykämie. Nach Diagnose eines Insulinoms ist dessen
chirurgische Entfernung primäres Ziel. Präoperativ sowie bei Patienten mit MEN I oder Nesiodioblastose kann
in einzelnen Fällen die Gabe von Diazoxid, einem oral wirksamen Benzothiadiazin, das die Freisetzung von
Insulin hemmt, in einer Dosierung von 150 bis 600 mg/d versucht werden (21). Der Einsatz von Octreotid,
einem synthetischen Somatostatinanalogon, erscheint nur in Einzelfällen gerechtfertigt, da Insulinome meist
keine Somatostatinrezeptoren besitzen. Bei malignen, metastasierten Insulinomen, bei denen eine kurative
chirurgische Therapie nicht möglich ist, kann Wachstum wie Symptomatik durch eine Therapie mit
Streptozotocin und 5-Fluoruracil häufig günstig beeinflußt werden (17). Bei paraneoplastischen Hypoglykämien
steht ebenfalls die operative Entfernung des Tumors im Vordergrund. Ist dies in fortgeschrittenen Fällen nicht
möglich, bleibt häufig ebenso wie bei schwerem irreversiblem Substratmangel (Metastasenleber) nur die
kontinuierliche intravenöse Glukosezufuhr als letzte palliative Möglichkeit. Medikamenteninduzierte
Hypoglykämien müssen identifiziert und beseitigt werden. Die Behandlung faktitieller Hypoglykämien kann bis
zu deren sicherem Nachweis und bis zur Einleitung einer unterstützenden psychiatrischen Therapie
problematisch sein. Patienten mit einer Pseudohypoglykämie sollten ähnlich wie Patienten mit einem
Spätdumping diätetisch beraten werden. Durch häufige ballaststoffreiche Mahlzeiten (6/d) mit einem geringen
Anteil an schnell resorbierbaren Kohlenhydraten gelingt es meist, die Symptome gut zu kupieren.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-1022-1026
[Heft 17]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Georg Brabant
Klinische Endokrinologie
Zentrum Innere Medizin
und Dermatologie
Medizinische Hochschule Hannover
30623 Hannover
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