THEMEN DER ZEIT
Mehrgenerationenhäuser: Gemeinsam statt einsam


Die bundesweit 500 Mehrgenerationenhäuser fördern das nachbarschaftliche Miteinander und bieten Hilfestellung bei der Kinderbetreuung und der Unterstützung älterer Menschen.
Heutzutage leben nur noch wenige Menschen in Großfamilien. Dabei haben diese durchaus auch viele Vorteile. Gerade ältere Menschen sind häufig ungewollt in Pflegeheimen untergebracht, die junge Generation hat dagegen oft Probleme mit der Kinderbetreuung. Am Stadtrand von Köln entsteht demnächst eine Alternative, mit der viele Probleme einer zunehmend alternden Gesellschaft „auf einmal gelöst werden können“, wie es Betriebswirt Josef Hennebrüder formuliert. Das von ihm initiierte Projekt ist ein Mehrgenerationenhaus, das den Herausforderungen „demografische Entwicklung, Altersarmut, Alterssicherung für junge Generationen, Belastungen des Staates durch notwendige Transferleistungen in einem ganzheitlichen Konzeptansatz“ begegne. „Eine Vielzahl von Studien belegen, dass gerade ältere Menschen krank werden, weil sie einsam sind und keine Kontakte haben“, meint Hennebrüder. Für ihn ist die zunehmende Vereinsamung älterer, aber auch junger Menschen geradezu eine „Katastrophe in unserer Gesellschaft“.
Das Projekt Mehrgenerationenhaus ist nicht neu. Bundesweit gibt es nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend rund 500 Mehrgenerationenhäuser. Sie seien „zentrale Anlaufstellen, an denen Menschen in ihrer Nachbarschaft das finden, was sie im Alltag brauchen. Sie entlasten Familien, Alleinerziehende und pflegende Angehörige“, so das Ministerium. Dabei bezögen sie vier Lebensalter ein: Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene, über 50-Jährige und Hochbetagte.
Die Mehrgenerationenhäuser verfahren nach dem Prinzip „Geben und Nehmen“. So bieten sie nach Auskunft des Familienministeriums Eltern- und Erziehungsberatung an, vermitteln Krippen- oder Kindergartenplätze und geben Hilfestellung bei den Hausaufgaben. Das Mehrgenerationenhaus in Stendal in Sachsen-Anhalt ermöglicht beispielsweise eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Kinder. Ältere Menschen erhalten eine Plattform, ihr Wissen weiterzugeben. Pro Haus engagieren sich nach Auskunft von Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement, circa 30 Freiwillige.
Außerdem würden sogenannte offene Stunden geschaffen, berichtet Hennebrüder. So sollen die Gemeinschaftsräume in dem geplanten Mehrgenerationenhaus auch externen Anbietern zur Verfügung gestellt werden. Es werde Yogakurse geben, Dichterlesungen, Konzerte, einen Weihnachtsmarkt im Innenhof und vieles andere mehr. Wichtig sei die Öffnung für das Umfeld, das „Wirken im Quartier“. Und das ist auch in bereits bestehenden Häusern ein Teil des Konzepts. Da an den örtlichen Schulen im niedersächsischen Goldenstedt kaum noch Textilunterricht angeboten wird, schlossen sich Goldenstedter Seniorinnen und Senioren zusammen und gründeten die Arbeitsgemeinschaft „Handarbeiten“. Die Gruppe trifft sich seither regelmäßig im Generationenhaus, um Kindern und Jugendlichen bereits in Vergessenheit geratene Handarbeitstechniken zu vermitteln.
Gerade älteren Menschen bieten die Mehrgenerationenhäuser zahlreiche Vorteile. „Viele Ältere können sich trotz körperlicher Einschränkungen in ihrem gewohnten Umfeld selbst versorgen, sofern es ausreichend Unterstützungsangebote gibt“, so das Familienministerium. Und wenn man dann irgendwann doch einmal ein Pflegefall wird? Bis zur Pflegestufe I und vielleicht sogar II könnte man durch eine Rahmenabsprache mit dem benachbarten Pflegeheim die Betreuung gewährleisten, sagt Hennebrüder. Doch er räumt auch ein, dass es bei Pflegestufe III problematisch werden könnte.
Im Gegensatz zu „normalen“ Wohnhäusern sei der Komplex in Köln aber barrierefrei geplant. Und das beziehe sich auch auf den Gemeinschaftsbereich. In dem in der Tradition der alten rheinischen Vierkanthöfe geplanten Mehrgenerationenhaus soll es einen großen Gemeinschaftsraum geben. Wenn Menschen unterschiedlicher Generationen einen solchen Raum nutzen möchten, muss dieser einigen Vorgaben genügen. „Es darf keine Stufen und keine Stolperfallen für Kids geben. Und die Akustik muss stimmen, der Raum darf nicht hallen. Keiner darf in dem Raum Schaden nehmen. Kinder wollen lärmen, Ältere gehen Lärm aus dem Weg. Das ist wohl die größte Herausforderung. Auch geh- oder sehbehinderte Menschen sollen sich in dem Raum wohlfühlen“, erläutert die Hamburger Innenarchitektin Ines Wrusch die Bauanforderungen.
Das Bundesfamilienministerium unterstützt die Mehrgenerationenhäuser in einem Aktionsprogramm, das seinen Ursprung in Niedersachsen hatte. Dort initiierte die damalige niedersächsische Familienministerin Ursula von der Leyen die Förderung dieser Häuser als offene Nachbarschaftstreffpunkte. Nach von der Leyens Wechsel in das Amt der Bundesfamilienministerin rief sie das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhaus auf Bundesebene ins Leben. Es gibt verschiedene Modelle für diese Häuser – Miet- und Eigentumswohnungen. Im Schorndorfer Mehrgenerationenhaus leben beispielsweise nach eigenen Angaben 63 Menschen in 23 frei finanzierten Eigentumswohnungen und sieben geförderten Mietwohnungen. In Köln-Widdersdorf hat man sich für ein Modell einer gleichzeitig kleinen (maximal 100 Einheiten) und einer geschlossenen Genossenschaft entschieden. Der Kapitaleinsatz sei, so Hennebrüder, überschaubar.
Und wo besteht noch Verbesserungsbedarf beim Modell Mehrgenerationenhaus? Klein fordert, die „intergenerativen Engagements – wo möglich – zu stärken. Besonders lohnenswert scheint mir zudem eine stärkere Einbindung von Menschen ohne Arbeit und von Menschen mit Migrationshintergrund als Freiwillige in den Mehrgenerationenhäusern.“ Und dass es bei den Bewohnern von 76 Wohnungen, wie in Köln geplant, auch zu Konflikten kommen kann, davon muss man ebenfalls ausgehen. „Wir gehen mit diesem Punkt aber nicht blauäugig um, sondern haben Streitschlichter und Mediatoren vorgesehen“, betont Hennebrüder.
Auch wenn die Mehrgenerationenhäuser nicht überall zum Maßstab gemacht werden könnten, zieht Klein dennoch ein positives Fazit: „In den Häusern werden wichtige Impulse für intergenerative Angebote gegeben, die auch in die anderen Felder bürgerschaftlichen Engagements ausstrahlen können.“ Der Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln, Dr. med. Frank Hensel, ist ebenfalls der Ansicht, dass das Wohnen mehrerer Generationen unter einem Dach „eine große Chance für junge und alte Menschen birgt, das Leben in dieser sehr gemischten Zusammensetzung als besonders bereichernd und anregend zu empfinden“. Das Gelingen des Miteinanders in dieser Wohnform hänge allerdings entscheidend von der Toleranz und Aufgeschlossenheit ihrer Bewohner ab.
Gisela Klinkhammer
Wohnformen im Alter
Alten- und Pflegeheime
Pflegeheime unterstehen zum Schutz der zu Pflegenden der staatlichen Heimaufsicht. Wichtige Bestandteile der baulichen oder personellen Ausstattung und über den Heimvertrag regelt das Heimgesetz mit den zugehörigen Verordnungen. Die Bewohner leben in der Regel in Einzel- oder Mehrbettzimmern mit Bad/WC, ohne die Möglichkeit der Selbstbeköstigung. Die Preise für jedes Haus werden individuell zwischen Heimen, Heimaufsicht und Krankenkassen ausgehandelt.
Betreutes Wohnen
Diese Wohnform richtet sich an ältere, aber mobile Senioren mit geringen (gesundheitlichen) Einschränkungen. Sie leben in Wohnungen in einem Gebäudekomplex, der entweder von einer Organisation oder einem privaten Investor betrieben wird. Die Senioren wollen möglichst selbstständig bleiben und auch nur so viel Hilfe wie nötig in Anspruch nehmen. Pflegepersonal ist jederzeit erreichbar, da es entweder eine interne oder eine externe Sozialstation für jedes Gebäude gibt. Die Wohnungen können sowohl gemietet als auch gekauft werden. „Betreutes Wohnen“ ist kein gesetzlich geschützter Begriff.
Haus- und Wohngemeinschaften
Hierbei muss man zwischen organisierten, wie etwa von der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt, und nichtorganisierten Haus- und Wohngemeinschaften unterscheiden. Die Bewohner können selbst auswählen, mit wem sie im Haus oder in der Wohnung zusammenleben möchten, weshalb es auch meistens Auswahlgespräche gibt. In Wohngemeinschaften leben zwei oder mehrere Senioren zusammen in einer Wohnung und teilen Küche, Bad und Wohnzimmer miteinander. Jeder hat aber sein eigenes Zimmer, in das man sich zurückziehen kann. Auch diese Varianten sind nicht für schwere Pflegefälle gedacht.
Literatur
Döring M, Kalarickal J, Schlegel B: Alternative Wohnformen im Alter. Chancen oder Problemfall?, Potsdam 2006, S 6–10
1. | Döring M, Kalarickal J, Schlegel B: Alternative Wohnformen im Alter. Chancen oder Problemfall?, Potsdam 2006, S 6–10 |