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Hintergrund: Das Burn-out-Syndrom bildet die Grundlage zahlreicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und ist damit ein wichtiger gesundheitsökonomischer Faktor. Hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Begründung, Klassifikation, Diagnostik und Therapie besteht erheblicher Forschungsbedarf.

Methoden: Ein als HTA-Bericht vorliegender systematischer Review wird in eine selektive Literaturübersicht eingebettet.

Ergebnisse: Bisher existieren weder eine verbindliche Definition noch ein valides, allgemeingültiges differenzialdiagnostisches Instrument für das Burn-out-Syndrom. Die Symptomatik lässt sich den Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte Leistungsbereitschaft beziehungsweise -fähigkeit zuordnen. Vorliegende Studien zur Epidemiologie und Differenzialdiagnostik sind überwiegend von geringer Evidenz. Kontrollierte Therapiestudien fehlen.

Schlussfolgerungen: Es besteht erheblicher Forschungsbedarf an qualitativ hochwertigen, kontrollierten Studien zum Burn-out-Syndrom. Ein valides, standardisiertes und international konsentiertes Instrument für die Diagnostik und Differenzialdiagnostik sollte unter Einbeziehung von Fremdbeurteilungsskalen entwickelt werden. Zur Gewinnung gesicherter Erkenntnisse über die Prävalenz, Inzidenz und Kostenrelevanz des Syndroms sind epidemiologische und ökonomische Untersuchungen vonnöten. Die Ätiopathogenese von Burn-out unter Berücksichtigung neurobiologischer Entstehungsbedingungen und Einflussfaktoren bleibt aufzuklären. Es ist systematische Therapieforschung zu leisten, die zu evidenzbasierten Bewertungen einzelner Therapieverfahren und deren Effektstärken führt. Beim derzeitigen Kenntnisstand sollte der Begriff „Burn-out“ möglichst nicht als Diagnose und Grundlage für sozialrechtliche Entscheidungen herangezogen werden.

LNSLNS

Bis in die jüngste Zeit nahmen Berichte über Ausgebranntsein, Ausbrenner oder Burn-out-Syndrom in zahlreichen Presseveröffentlichungen breiten Raum ein. Das Phänomen Burn-out scheint jedoch auch von erheblicher medizinischer Relevanz zu sein, bildet es doch die Grundlage nicht weniger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und gewinnt damit eine gesundheitsökonomische und gesundheitspolitische Dimension. Ein Hinweis auf die Größenordnung des Problems lässt sich unter anderem aus einer repräsentativen Umfrage von TNS Emnid aus dem Dezember 2010 gewinnen, nach der sich 12,5 % aller Beschäftigten in Deutschland in ihrem Job überfordert fühlen. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, auf der Basis eines vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Auftrag gegebenen HTA-Berichts (HTA, „health technology assessment“) eine Übersicht des gegenwärtigen Kenntnisstandes zu Burn-out zu liefern und aufzuzeigen, dass hier erheblicher Forschungsbedarf besteht (1). Obwohl bisher keine einheitliche oder gar international konsentierte Definition des Burn-out-Syndroms existiert und Burn-out noch keinen Eingang in die aktuellen Versionen gängiger Klassifikationssysteme (Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision, ICD-10 und Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th Revision, DSM-IV) (2, 3) gefunden hat, wird in der Praxis diese Diagnose gestellt und als Ausgangspunkt für weiterführende Therapien herangezogen. Gelegentlich geschieht dies unter Rückgriff auf „Ausweichdiagnosen“, wie zum Beispiel „Depression“ oder „Neurasthenie“. Vor dem Hintergrund alarmierender Statistiken, die einen Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen sowie eine Zunahme der Kosten aufgrund von Psychopharmaka-Verordnungen belegen, wird die gesundheitspolitische Brisanz dieses Themas offenkundig.

Begriffsgeschichte

Das Phänomen Burn-out hat es wahrscheinlich zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben. Der literarisch Interessierte findet Umschreibungen dessen, was wir heute als Burn-out bezeichnen, bereits im Alten Testament (2. Mose 18, 17–18) (4). Bei Pfarrern kennen wir die „Elias-Müdigkeit“ (Schall, 1993) (4). Auch in Thomas Manns großem Roman „Buddenbrooks“ erkennen wir in der Figur des Thomas Buddenbrook, worum es hier geht (4). Das Verb „to burn out“ (ausbrennen) wird bereits von Shakespeare Ende des 16. Jahrhunderts verwandt. So, wie wir ihn heute verstehen, tauchte der Begriff Burn-out erstmals 1974 in den USA auf, wo er von dem Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger (5) und etwa gleichzeitig von Ginsburg popularisiert wurde (4). Er bezeichnete zunächst den psychischen und physischen Abbau der meist ehrenamtlichen Mitarbeiter „alternativer“ Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel Free Clinics, therapeutischer Wohngemeinschaften, Frauenhäuser oder Kriseninterventionszentren. Ohne dezidiert von Burn-out zu sprechen, lieferte Bäuerle (6) eine sehr treffende Beschreibung des Phänomens, die aus Erfahrungen in der Supervision bei Sozialpädagogen und Sozialarbeitern resultierte. Sie beobachtete „die Reduktion psychischer Belastbarkeit schon im mittleren Berufsalter; die Entstehung von Resignation und Ressentiment als Folge menschlicher Überforderung; die Bildung einer autoritären Charakterstruktur und die Neigung zu repressivem Verhalten als Folge beruflicher Enttäuschungen; den inneren Rückzug von allen Menschen und menschlichen Problemen als Schutzmaßnahme jener, die – ohne eigene Hilfe zu erfahren – ein Berufsleben lang mit schwierigen Persönlichkeiten in hoffnungslosen Situationen gesellschaftskonforme Lösungen finden müssen“.

Während die Beschreibungen der späten 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts deutlich durch die gesellschaftskritische Haltung jener Jahre geprägt sind, weist Farber (7) zu Anfang unseres Jahrhunderts auf einen bemerkenswerten Gestaltwandel von Burn-out hin. Er beschreibt die klassischen Ausbrenner der 70er und 80er Jahre als an unrealistisch hohen altruistischen Zielsetzungen Gescheiterte, die zumindest an der Oberfläche Idealisten gewesen seien. Derartige Individuen seien mittlerweile zu Ausnahmen geworden. Demgegenüber stellt er fest: „Das Burn-out von heute stammt überwiegend von dem Druck, die eskalierenden Ansprüche anderer zu erfüllen, oder von der intensiven Konkurrenz, besser als andere in derselben Organisation oder Firma zu sein, oder von dem Antrieb, immer mehr Geld zu machen oder von dem Gefühl, es werde einem etwas vorenthalten, was man offensichtlich verdient“ (4). Überschneidungen mit dem von Schmidbauer (e1) entwickelten Konzept des Helfersyndroms sind bei der erstgenannten Kategorie unverkennbar.

Definition

Eine allgemeingültige, international konsentierte Definition von Burn-out gibt es derzeit nicht. Die Übersicht stellt deshalb kausale Faktoren und Entstehungsmodelle vor, die veranschaulichen sollen, was der Begriff Burn-out umfasst.

Symptomatik

Die Symptomatologie von Burn-out erweist sich bei genauerer Analyse als außerordentlich komplex, ist doch das Syndrom mittlerweile bei rund 60 Berufen und Personengruppen beschrieben worden. In einer Synopse von Burisch (4) werden 202 Veröffentlichungen berücksichtigt. Er kondensiert daraus eine Symptomliste, unterteilt in sieben Cluster. Da die komplette Liste sehr lang, wenig spezifisch und in sich nicht widerspruchsfrei erscheint, wird eine gekürzte Version wiedergegeben (Kasten 1 gif ppt).

Freudenberger (8) hat den Versuch unternommen, die chronologische Entwicklung eines Burn-out-Syndroms mit einem zwölfstufigen Phasenmodell zu beschreiben (Kasten 2 gif ppt).

Die als Ursachen für Burn-out angeschuldigten Faktoren sind erwartungsgemäß vielfältig. In der Literatur wird nur selten mit der erforderlichen begrifflichen Präzision zwischen disponierenden, moderierenden, auslösenden und perpetuierenden Faktoren unterschieden (4). Verbindungen zu teilweise besser erforschten Nachbargebieten geraten dabei ins Blickfeld, wie zum Beispiel beruflich bedingter Stress (9), erlernte Hilflosigkeit (10) oder die Lerntheorie (11). In Anlehnung an Fischer (12) hat sich eine Einteilung in persönlichkeitsbedingte und umweltbedingte ätiologische Faktoren als plausibel und praktikabel erwiesen (4) (Grafik gif ppt).

Ätiopathogenetische Modelle und Messinstrumente

Die von verschiedenen Autoren übereinstimmend identifizierten ätiologischen Faktoren für Burn-out sind in Kasten 3 (gif ppt) zusammengestellt.

Unter Berücksichtigung dieser Faktoren wurden psychologische Erklärungsmodelle entwickelt. Aufgrund ihrer besonderen Anschaulichkeit haben vor allem das „Anforderungs-Kontroll-Modell“ (13) und das „Modell beruflicher Gratifikationskrisen“ (Effort Reward Imbalance Model) (14) einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt.

Mittlerweile steht eine Reihe von Screening-Instrumenten zur Verfügung, die der „Messung“ (besser: semiquantitativen Erfassung) des Burn-out-Syndroms dienen. Am häufigsten verwendet werden das Maslach Burn-out-Inventar (Maslach Burnout-Inventory, MBI) (15, 16) und das „Tedium Measure“ (17), welches später in „Burnout Measure“ umbenannt wurde. Das MBI besteht in seiner ursprünglichen Version aus 22 Items, die in drei Skalen gegliedert sind:

  • Emotionale Erschöpfung („emotional exhaustion“, EE); 9 Items,
  • Depersonalisation (DP); 5 Items und
  • Leistungs(un)zufriedenheit („personal accomplishment“; PA); 8 Items.

In späteren Auflagen wurde das MBI auf 25 Items erweitert, die auf einer Häufigkeitsskala (von „nie“ bis „täglich“) gerated werden (Kasten 4 gif ppt).

Burn-out aus medizinischer Sicht – ein unfertiges Konzept

Die wissenschaftliche Psychiatrie hat es bisher weitgehend vermieden, sich mit dem Phänomen Burn-out zu beschäftigen, sei es, dass sie vor der definitorischen Unschärfe des Syndroms zurückgeschreckt ist oder sei es, dass die Überschneidungsbereiche mit etablierten psychiatrischen Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung so groß erschienen, dass man glaubte, auf eine Validierung von Burn-out als diagnostische Entität verzichten zu können. Demzufolge kommt Burn-out im DSM-IV gar nicht vor, in der ICD-10 ist es in der Restkategorie „Z 73, Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ als „Erschöpfungssyndrom (Burn-out-Syndrom)“ aufgeführt. Eine Aufnahme in DSM-V oder ICD-11 ist nach Kenntnis der Autoren nicht vorgesehen.

Folgt man der Argumentation einer finnischen Arbeitsgruppe (e2), die deutliche Überschneidungen zwischen Burn-out und Depression fand, so könnte eine mögliche Konsequenz darin bestehen, analog der im angloamerikanischen Raum gebräuchlichen Kategorie „schizophrenia spectrum disorders“ eine entsprechende Kategorie „depression spectrum disorders“ einzuführen und Burn-out darunter zu subsumieren. Andere Autoren sehen Burn-out eher als Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression (e3).

HTA-Bericht „Differenzialdiagnostik des Burn-out-Syndroms“

Burn-out geht mit erheblichem subjektivem Leiden, gesundheitlichen Problemen und einer reduzierten Arbeitsleistung einher. Gleichzeitig haben in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme der Verschreibung insbesondere von Antidepressiva und ein Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen stattgefunden. An den damit verbundenen individuellen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen zeigt sich die gesundheitspolitische Brisanz der Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Burn-out-Syndroms.

Angesichts einer fehlenden validen Diagnostik sind alle in diesem Zusammenhang genannten Zahlen als weitgehend spekulativ anzusehen.

In der wissenschaftlichen Literatur wurde unter Burn-out bisher überwiegend ein arbeitsbezogenes Syndrom verstanden, welches sich aus den Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation oder Zynismus und verminderte Leistungsfähigkeit zusammensetzt. Da wir nicht über eine allgemeingültige Definition verfügen, könnte man von einer „randunscharfen Menge“ sprechen. Es existieren konkurrierende Burnout-Messinstrumente, und zur Differenzialdiagnostik können lediglich Symptomkataloge mit hohem Allgemeinheitsgrad herangezogen werden. Sowohl die psychischen und neurobiologischen Mechanismen, die den verschiedenen Symptomen zugrunde liegen, als auch die Zusammenhänge mit anderen Krankheitsbildern sind größtenteils ungeklärt. Darüber hinaus liegen praktisch keine Erkenntnisse zu den psychosozialen Folgen für die Burn-out-Betroffenen selbst und zu den Auswirkungen auf andere (zum Beispiel Patienten, Klienten, Kollegen) vor.

Dementsprechend erstreckte sich die Aufgabenstellung des HTA-Berichts auf drei Themenkreise (1):

Medizinische Forschungsfragen

  • Wie wird Burn-out diagnostiziert? Welche Kriterien sind hierfür relevant?
  • Welche Störungen sind differenzialdiagnostisch besonders relevant/werden diskutiert?
  • Werden in den entsprechenden Diagnoseinstrumenten Differenzialdiagnosen gestellt?
  • Wie valide und reliabel sind die Diagnoseinstrumente?

Ökonomische Forschungsfragen

  • Welchen ökonomischen Aufwand verursacht die Differenzialdiagnostik in Bezug auf Burn-out?

Ethische Forschungsfragen

  • Inwieweit kommt es zu einer Stigmatisierung von Burn-out-Patienten?
  • Gibt es negative Effekte von Burn-out-Trägern auf Patienten/Klienten?

Methodik

In methodischer Hinsicht handelt es sich bei dem HTA-Bericht um einen systematischen Review, bei dem die relevanten Suchbegriffe in 36 elektronischen Literaturdatenbanken recherchiert wurden. Die Suche erstreckte sich auf deutsch- und englischsprachige Literatur aus dem Zeitraum der Jahre 2004 bis einschließlich 2009. Es erfolgten Einzelsuchen zu medizinischen, gesundheitsökonomischen, juristischen und ethischen Aspekten des Themas. Zusätzlich zur systematischen Literaturrecherche wurde von den Autoren eine Handrecherche durchgeführt. Die methodische Qualität der medizinischen Publikationen wurde entsprechend den „Oxford Center of Evidence-based Medicine, Levels of Evidence“ (2006) auf einer neunstufigen Skala bewertet (1A, 1B, 2A, 2B, 2C, 3A, 3B, 4 und 5). Darüber hinaus erfolgte die Beurteilung der methodischen Qualität der Studien anhand von Checklisten der „German Scientific Working Group Technology Assessment for Health Care“ (GSWG).

Ergebnisse

Insgesamt umfasste das Rechercheergebnis 852 Publikationen. Davon beschäftigten sich 826 mit einer medizinischen Thematik, 102 beschäftigten sich mit ökonomischen und 88 mit juristischen Fragestellungen. Von den 826 medizinischen Veröffentlichungen erfüllten nur 25 die Einschlusskriterien. Hiervon wurden lediglich zwei Publikationen mit einer Evidenzstufe besser als 4 bewertet. 102 Publikationen beschäftigten sich mit ökonomischen Aspekten. Davon erfüllte keine einzige Studie die festgelegten Einschlusskriterien. Hinsichtlich der ethischen und juristischen Thematik erfüllte eine Studie die Einschlusskriterien. Ihre methodische Qualität wurde mit Stufe 4 bewertet.

Der HTA-Bericht gelangt zu dem Ergebnis, dass es bisher kein standardisiertes, allgemeingültiges Vorgehen gibt, um ein Burn-out-Syndrom zu diagnostizieren. Er verweist darauf, dass in den vorliegenden Studien hauptsächlich schriftliche Selbstbeurteilungsinstrumente eingesetzt wurden, vor allem das Maslach Burn-out-Inventar (MBI). Ob sich mit diesem Instrument allerdings Burn-out wirklich diagnostizieren lässt, ist anhand der berücksichtigten Studien nicht verlässlich zu beantworten, da in vielen Studien keine Cut off-Werte angegeben sind und dort, wo solche angegeben werden, ihre Festsetzung weitgehend arbiträr und nicht auf der Grundlage einer wissenschaftlich begründeten Testkonstruktion erfolgt (1). Als durchgängiges Merkmal eines Burn-out lässt sich die Dimension der emotionalen Erschöpfung verifizieren, wohingegen die Studienergebnisse zu den Dimensionen Depersonalisation und Leistungsbereitschaft/-fähigkeit heterogen erscheinen, so dass die Bedeutung der beiden letztgenannten Dimensionen relativiert wird. Eine Autorengruppe (18) schlägt vor, für die dritte Burn-out-Dimension statt „Leistungsbereitschaft/-fähigkeit“ den Begriff „Ineffizienz“ einzuführen.

Hinsichtlich der differenzialdiagnostischen Abgrenzung wird in den ausgewerteten Studien insbesondere der Zusammenhang zwischen Burn-out und Depression sowie zwischen Burn-out und dem Konzept der „anhaltenden Erschöpfung“ (entsprechend dem „chronic fatigue syndrome“ des angloamerikanischen Sprachraums) sowie zwischen Burn-out und Alexithymie (Unfähigkeit, Gefühle bei sich selbst oder anderen wahrzunehmen und in Worte zu fassen) diskutiert. Über korrelative Zusammenhänge einzelner Konstrukte wird wiederholt berichtet. Von besonderer Relevanz scheint der Zusammenhang zwischen Burn-out und Depression zu sein, da hier offenbar ein breiter Überlappungsbereich vorliegt und Burn-out zumindest einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression darstellt (1, e3).

Differenzialdiagnostische Screeninginstrumente sind in keines der gängigen Burn-out-Messinstrumente (Maslach Burn-out-Inventar, MBI; Shirom Melamed Burnout Questionnaire, SMBQ; Oldenburg Burn-out-Inventar, OLBI; Kopenhagener Burn-out Inventar, CBI; Schul-Burn-out-Inventar, SBI) integriert (1). Diese Instrumente bilden – sofern sie für die jeweils untersuchte Population sprachlich-kulturell und berufsspezifisch adaptiert werden – ein dreidimensionales Burn-out-Konstrukt ab, bestehend aus den Komponenten „emotionale Erschöpfung“, „Depersonalisation“ und „reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit“ beziehungsweise „Leistungsunzufriedenheit“.

Es besteht eine Assoziation zwischen Burn-out und kardiovaskulären, muskulo-skelettalen, kutanen und allergischen Erkrankungen (19) und in prospektiver Hinsicht mit Diabetes mellitus Typ II (20) sowie mit Hyperlipidämie (21). Die somatische Komorbidität nimmt mit dem Schweregrad des Burn-out zu (19). Im Einzelnen sind die neurobiologischen beziehungsweise psychobiologischen Mechanismen, die den körperlichen Auswirkungen von Burn-out zugrunde liegen, noch ungeklärt (e3). Von einigen Autoren wird über neuroendokrine, hämostatische und inflammatorische Veränderungen bei Burn-out-Patienten berichtet, die sich nicht wesentlich von Befunden bei anderen chronischen Stresszuständen, einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Depression unterscheiden würden (1). Beispielsweise wird über erhöhte Entzündungsparameter berichtet, wie sie gelegentlich auch bei depressiven Erkrankungen gefunden werden (22).

Mehrere der ausgewerteten Studien weisen darauf hin, dass negative Auswirkungen von Burn-out nicht nur bei den direkt Betroffenen, sondern auch bei Menschen in deren Umfeld auftreten können. So wird in einer Untersuchung gezeigt, dass Ärzte mit hohen Burn-out-Werten mehr Behandlungsfehler angeben als Ärzte ohne Burn-out. Umgekehrt steigt das Risiko eines Burn-out mit dem Auftreten eines Behandlungsfehlers an (23).

Therapeutische und präventive Ansätze

Therapeutische Bemühungen beim Burn-out-Syndrom haben sich am Schweregrad zu orientieren. Bei leichterer Ausprägung werden Maßnahmen im Sinne einer Veränderung der Lebensgewohnheiten und Optimierung der „Work-Life-Balance“ empfohlen. Sie sollten sich nach Hillert und Marwitz (24) auf drei Faktoren konzentrieren:

  • Entlastung von Stressoren,
  • Erholung durch Entspannung und Sport,
  • Ernüchterung im Sinne einer Verabschiedung von externen Perfektionsvorstellungen (4).

Liegt ein stärkerer Ausprägungsgrad von Burn-out vor, werden psychotherapeutische Interventionen sowie auch Antidepressiva, optimalerweise kombiniert mit Psychotherapie, empfohlen (4, 25) (Broich, K: Diagnostik des Burn-out-Syndroms: Erfahrungen aus der ärztlichen Praxis. 11. Symposium Health Technology Assessment, Köln, 17./18. März 2011, Abstracts, S. 8). Bei den psychotherapeutischen Interventionen wird meist ein schulenübergreifender Ansatz angeraten, wobei der Schwerpunkt auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren liegt. Da allerdings bisher keine kontrollierten Studien vorliegen, die die Wirksamkeit verschiedener Interventionen belegen könnten, muss die Effektivität dieser Interventionen offen bleiben (1, e4).

Als präventive Maßnahmen zur Vermeidung eines Burn-out-Syndroms werden neben den bereits erwähnten Ansätzen vor allem Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, die Einführung von Arbeitszeitmodellen sowie die Durchführung von Supervisionen empfohlen (1). Damit ist eine gesellschaftliche Komponente von Burn-out angesprochen, die ein Umdenken erforderlich macht, das zu Veränderungen der Arbeitswelt im Sinne einer umfassenden Humanisierung führen sollte.

Angesichts der unzureichenden Validierung von Burn-out und der aufgezeigten Forschungsdefizite sollte derzeit aber von einer Verwendung dieses Begriffs als Diagnose und Grundlage für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Berentungen abgesehen werden. Stattdessen empfiehlt es sich, vorerst auf die allgemein akzeptierten und besser definierten Kategorien der ICD-10 beziehungsweise des DSM-IV zurückzugreifen.

Interessenkonflikt

Prof. Kaschka erhielt Kostenerstattung für Fortbildungsveranstaltungen von den Firmen Servier Deutschland GmbH, Bristol Myers Squibb und Merz Pharmaceuticals GmbH.

Die anderen Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 5. 2011, revidierte Fassung angenommen: 2. 8. 2011

Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Wolfgang P. Kaschka
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I der Universität Ulm
Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg
Weingartshofer Straße 2
88214 Ravensburg

wolfgang.kaschka@zfp-zentrum.de

Summary

Burnout—a Fashionable Diagnosis

Background: “Burnout syndrome” is now a common reason for medical excuses from work, and thus an important topic in health-related economics. Much research is still needed, however, to establish the scientific basis for this entity, the criteria by which it might be diagnosed and classified, and how it should be treated.

Methods: A systematic review of this topic, previously published as an HTA report, is presented here together with a selective overview of pertinent literature.

Results: There currently exists neither an officially accepted definition nor a valid instrument for the differential diagnosis of burnout syndrome. Its manifestations are generally considered to lie along three dimensions: emotional exhaustion, depersonalization, and reduced performance ability and/or motivation. Most of the available studies on its epidemiology and differential diagnosis provide no more than a low level of evidence for their conclusions. There have been no controlled trials of treatments for burnout.

Conclusion: High-quality controlled studies on burnout syndrome are lacking. A standardized and internationally accepted diagnostic instrument with a validated rating scale should be developed. There is also a need for epidemiological and health-economic studies on the prevalence, incidence, and cost of burnout. The etiology and pathogenesis of burnout should be studied with special regard to the possible role of neurobiological factors. Treatments for it should be studied systematically so that their effects can be judged at a high level of evidence. In view of the current lack of knowledge about what is called “burnout”, the term should not be used as a medical diagnosis or as a basis for decisions regarding disability or other socioeconomic matters. 

Zitierweise
Kaschka WP, Korczak D, Broich K: Burnout—a fashionable diagnosis. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(46): 781–7. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0781

@Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit4611

The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de

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Der klinische Schnappschuss

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