

Die ehemaligen Weltmeister Spassky und Karpow waren bekannt dafür, ihre wahren Gefühle hinter einem perfekten Pokerface zu verbergen. In Spassky konnte innerlich Verzweiflung hochkriechen, nach außen war er die Gleichmut selbst. Sein Rivale, der niederländische Großmeister Jan Timman, meinte einst: „Bei ihm weißt du nie, ob er gerade eine Figur geopfert oder eingestellt hat!“ Hingegen war Garry Kasparow meist für die Gegner ein offenes Buch. Als er einmal bei einem Turnier in Zürich die Hände vorm Gesicht zusammenschlug, wurde seinem Gegner, dem heutigen indischen Weltmeister Viswanathan Anand, erst dadurch klar, dass Kasparow etwas übersehen haben musste – ein tieferer Blick in die Stellung, und schon war das Gewinnmanöver gefunden. Den Gegner über sein Befinden und die Absichten zu täuschen, kann unzweifelhaft nützlich sein; andererseits scheint es, wie wir am Beispiel Kasparows sehen, keine „conditio sine qua non“ des Schachspielers zu sein.
In seinen vielgerühmten „Expeditionen in die Schachwelt“ (Verlag Chessgate) widmet der Professor der Mathematik und glühende Schachliebhaber Christian Hesse ein Kapitel den Täuschungsmanövern auf dem Schachbrett und illustriert diese mit historisch-literarischen Beispielen. „Jede Kriegsführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen . . . Täusche Unordnung vor und zerschmettere ihn“ (Sun Tzu: Die Kunst des Krieges, circa 500 vor Christus).
Natürlich ist eine gelungene Täuschung den Teilnehmern des Ärzteschachturniers genauso wichtig wie den besten Spielern der Welt. Die Schachgöttin Caissa schenkt ihre Gunst im Zweifelsfall immer dem, der listig zu täuschen weiß. Meinetwegen tief betrübt aufs Brett starrt, so den Gegner in seiner Aufmerksamkeit einlullt und doch schon die Gewinnkombination vor seinem geistigen Auge hat. Oder beharrlich einen Bauern am Damenflügel belagert und scheinbar nichts anderes im Sinn hat, um dann mit einem plötzlichen Flügelschwenk sich auf den feindlichen König zu stürzen. Und dergleichen mehr.
Dr. med. Wolfhard Trebbin hatte sich als Weißer zurückhaltend aufgebaut und Dr. med. Volkmar Sieger als Schwarzen geradezu eingeladen, doch das Gesetz des Handelns mit 1. . . . e5 zu ergreifen und so die Stellung aufzubrechen. Dieser Verlockung konnte jener verständlicherweise nicht widerstehen, zumal sein Läufer g4 den Springer f3 fesselt und die Öffnung des Zentrums und vor allem der d-Linie ihn zu begünstigen scheinen. Doch trotz des schönen Scheins war dies ein Irrtum – warum?
Lösung:
Nach dem Schlagen des Bauern mit 2. dxe5! hätte sich Schwarz mit dessen Verlust anfreunden sollen, z. B. 2. . . . Lxf3 3. Dxf3 – und jetzt ja nicht 3. . . . Sxe5?? 4. Dxb7 matt; stattdessen schlug er im Hinblick auf die Fesselung des Springers f3 konsequent mit 2. . . . Sxe5 zurück, um aber von 3. Sxe5! unangenehm überrascht zu werden, weil nun bei dem Gemetzel eine ganze Figur verloren geht: 3. . . . Lxd1 4. Sxd7 – schlägst du meine (Dame), schlag ich deine! – Sxd7 5. Txd1.
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