ArchivDeutsches Ärzteblatt48/2011Von Schräg unten: Neues Medikament

SCHLUSSPUNKT

Von Schräg unten: Neues Medikament

Böhmeke, Thomas

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Ein neues Medikament kommt auf den Markt. Ein Wundermittel, das bereits sehnsüchtig erwartet wird von Menschen, die ihren Blutdruck, das Fett und den Zucker, die Harnsäure oder die Erektion nicht in den Griff kriegen. Und weil wir Ärzte immer nur vom gesunden Lebenswandel faseln, statt das Glück in Form einer Tablette unter die Menschen zu bringen, wird das Präparat in der Laienpresse lanciert, im Radio kommentiert, im Fernsehen gefeiert.

Das bleibt nicht ohne Folgen. „Herr Doktor, das verschreiben Sie mir, sofort!“ Ich versuche den zaghaften Einwand, dass die Störwirkungen einer Langzeitbehandlung unzureichend bekannt sind. Weil die Substanz neu ist. Ob man denn nicht zu gut bekannten Alternativen, gar zur gesünderen Lebensführung greifen sollte? „Heißt das, Sie wollen mir das nicht verschreiben? Wissen Sie was, Sie sind der Letzte!“ Als Letzter könnte ich ja nach Hause gehen, aber die Sprechstunde hat gerade erst angefangen. Der Nächste, bitte. „Ihr Kollege wollte mir das nicht verschreiben, aber ich habe gehört, Sie seien ein guter Arzt, daher will ich das verschrieben haben!“ Könnte vielleicht unter Umständen ein klein wenig weniger Gewicht . . . „Wie? Sie weigern sich auch? Das ist das Letzte!“ Mein letztes Wort war das nicht, ich muss mich dem Nächsten widmen. „Meinem Nachbarn haben Sie das Präparat verschrieben, daher kriege ich das jetzt auch von Ihnen!“ Es tut mir leid, aber dieser Nachbar ist mir unbekannt, könnte es sein, dass er einen anderen Arzt . . . „Wissen Sie was? Sie haben mich zum letzten Mal gesehen!“ Damit verlässt der letzte Patient die Sprechstunde, Zeit für ein bisschen Literaturstudium. Die Presse meldet kleinlaut, dass das vielgelobte Medikament schwere Störwirkungen hat.

Das bleibt nicht ohne Folgen. „Herr Doktor, wie konnten Sie mir nur dieses Gift verschreiben?“ Könnte es vielleicht möglich sein, dass er unbedingt dieses . . . „Jetzt wollen Sie sich auch noch ’rausreden! Ich beschwere mich bei der Krankenkasse!“ Wenn es denn sein muss. „Sie stecken doch mit der Pharmafirma unter einer Decke, Sie wollen sich nur an uns armen Patienten bereichern!“ Das wird anderen Ortes leider anders gesehen. Meine Kassenärztliche Vereinigung schickt mir die Trendmeldung über meine Medikamentenkosten. Ich liege weit über Limit, es droht ein Regress. Ich bin richtig sauer. Das ist wirklich das Letzte!

Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote