POLITIK
Arzneimittelversorgung in Entwicklungsländern: „Wir brauchen Alternativen zu Patenten“
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Die Medikamentenversorgung von Patienten in armen Ländern hat sich nicht zuletzt durch eine Lockerung internationaler Handelsabkommen verbessert. Experten befürchten jedoch, dass neue Regelungen die Situation wieder verschärfen.
Es ist nicht zuletzt das Verdienst von humanitären Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, dass der Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln auch für Patienten in den Entwicklungs- und Schwellenländern Ende der 90er Jahre auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde. Seither hat sich einiges zum Positiven verändert. Mit Initiativen wie dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, Stiftungen schwer reicher Philanthropen wie Bill und Melinda Gates sowie zahlreichen internationalen staatlich-privaten Kooperationen stehen für den Kampf gegen Armutskrankheiten erstmals Milliardenbeträge zur Verfügung. Die Preise für Aids-medikamente sind drastisch gesunken, weil in vielen armen Ländern Generika meist aus indischer Produktion zur Verfügung stehen. Aber: „Wir stehen an einem Scheideweg“, sagt Dr. Tido von Schoen-Angerer M.D., M.Sc. Der Direktor der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen warnte auf dem diesjährigen World Health Summit, dass zurückgehenden internationalen Hilfszahlungen steigende Arzneimittelpreise gegenüberstehen. Denn gerade bei den Aidsmedikamenten müsse verstärkt auf teurere antiretrovirale Medikamente der zweiten Therapielinie zurückgegriffen werden. Die Schwellenländer seien besonders von Preissteigerungen betroffen, weil dort infolge internationaler Handelsabkommen viele Arzneimittel unter das Patentrecht fielen. „Das TRIPS-Abkommen wird in vielen Entwicklungsländern umgesetzt“, so von Schoen-Angerer. Seit der Deklaration von Doha (Kasten) können Staaten jedoch Ausnahmen geltend machen, wenn die öffentliche Gesundheit bedroht ist, und mit Zwangslizenzen die Preise auch von patentgeschützten Arzneimitteln drücken. Von Schoen-Angerer plädiert dafür, dass Entwicklungsländer solche Zwangslizenzen stärker nutzen.
Druck auf Thailand
Thailand ist eines der Länder, das die Flexibilisierung des TRIPS-Abkommens in Anspruch genommen hat. „Wir haben Zwangslizenzen für zwei antiretrovirale Arzneimittel erteilt“, erklärte Nusaraporn Kessomboon vom thailändischen „National Health Commission Office“ auf der Doha+10-Konferenz des Aktionsbündnisses gegen Aids Ende November in Berlin. „Der Preis für Efavirenz des Herstellers MSD sank dadurch von 50 Euro im Monat pro Patient auf 17 Euro.“ Und der Preis des Proteaseinhibitors Kaletra von Abbott sei von 300 Euro im Monat pro Patient auf 90 Euro gesunken. Die Zwangslizenzen hätten jedoch zu erheblichem politischen Druck vonseiten der Europäischen Union (EU) und der USA geführt, kritisierte Kessomboon. So habe zum Beispiel der Lobbyverband „Pharmaceutical Research and Manufacturers of America“ damit gedroht, Investitionen aus Thailand abzuziehen. Und Abbott habe die Registrierung neuer Medikamente zurückgezogen.
EU dringt auf strenge Regeln
Wie viele Entwicklungs- und Schwellenländer bezieht auch Thailand Generika aus Indien. Dort gilt ein recht eng gefasstes Patentrecht, das beispielsweise sogenannte Scheininnovationen nicht als neue Arzneimittel anerkennt und somit auch keine Patente auf diese Medikamente erteilt. Experten befürchten allerdings, dass sich dies bald ändern könnte. Denn seit vier Jahren führt die EU mit Indien Verhandlungen über ein bilaterales Handelsabkommen. Die Europäer dringen darauf, dass Indien sein Patentrecht verschärft und es den Patentinhabern erleichtert, ihre Patente auch durchzusetzen. Vor den Folgen warnte Prathibha Sivasubramanian. Die indische Juristin befürchtet, dass dies den Wettbewerb durch preiswerte Generika beeinträchtigt und mithin den Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln erschwert. Das Abkommen soll voraussichtlich im Februar 2012 unterzeichnet werden.
„Die Erfolge bei der Behandlung von HIV-/Aidspatienten in Entwicklungsländern haben wir der Tatsache zu verdanken, dass das Patentrecht in Ländern wie Indien – dem Hauptproduzenten von Generika für diese Zwecke – bislang noch nicht umgesetzt wurde“, sagte auch Ellen t’Hoen beim World Health Summit in Berlin. Die niederländische Juristin ist Geschäftsführerin des Patentpools, der im Jahr 2010 errichtet wurde, um die kostengünstige Versorgung von Patienten mit lebensnotwendigen Arzneimitteln unabhängig vom internationalen Patentrecht sicherzustellen. Die Idee: Pharmafirmen hinterlegen dort Lizenzen für ihre Medikamente, die ärmere Länder zur Produktion von Generika erwerben können. Wirtschaftliche Einbußen haben die pharmazeutischen Unternehmen nicht zu befürchten, denn die Patentregelungen in den Industriestaaten sind davon nicht betroffen. Angesiedelt ist der Patentpool bei Unitaid, einer Initiative, der sich 29 Länder angeschlossen haben und die sich aus einer Sondersteuer auf Flugzeugtickets finanziert.
Nach Angaben von Geschäftsführerin t’Hoen konzentriert sich der Pool zurzeit darauf, die Versorgung von HIV/Aidspatienten mit Medikamenten zu verbessern. Dazu gehören die Entwicklung von fixen Kombinationen, von besonderen Darreichungsformen, beispielsweise für bestimmte Patientengruppen oder klimatische Bedingungen, sowie die schnellere Verfügbarkeit von Generika. „Als wir die Idee des Patentpools zum ersten Mal vorgestellt haben, hat man uns ausgelacht“, sagte t’Hoen. „Jetzt führen wir Lizenzverhandlungen mit sieben Pharmaunternehmen.“ Mit dem US-amerikanischen Unternehmen Gilead ist es im Juli zu einer ersten Übereinkunft gekommen. Sie erlaubt Lizenznehmern aus ärmeren Ländern unter anderem die Produktion und Kombination zweier Wirkstoffe, die sich noch in der klinischen Prüfung befinden. Dass der Patentpool die offizielle Unterstützung der G8 findet, ermutigt t’Hoen in ihrer Arbeit: „Es hilft uns bei den Verhandlungen mit den Firmen. Die sollen uns ja immerhin ihre Kronjuwelen überlassen.“
„Wir brauchen Alternativen zu Patenten, um Forschung und Entwicklung anzukurbeln“, sagte auch Bernard Pécoul, Geschäftsführer der Drugs for Neglected Diseases-Initiative (DNDi) beim diesjährigen World Health Summit. Die Forschung müsse sich am medizinischen Bedarf orientieren und nicht an den lukrativsten Märkten.
Nachhaltige Finanzierung
„Wir bräuchten eine internationale Finanztransaktionssteuer, von der ein Teil in die Förderung der globalen Gesundheit fließt“, erklärte Pécoul. Nach Berechnungen von Hilfsorganisationen könnten durch eine solche Steuer allein in Europa 57 Milliarden Euro jährlich zusammenkommen. Die Weltgesundheitsorganisation forderte Pécoul auf, ihre Führungsrolle auszubauen und eigene Gremien zu schaffen, die sich mit der Forschungsförderung beschäftigen. Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 hat DNDi zwei neue Therapien gegen Malaria, eine gegen die Schlafkrankheit und eine gegen Leishmaniose entwickelt. Dabei setzt die Organisation in erster Linie auf Public Private Partnerships, staatlich-private Kooperationen mit der Industrie, Universitäten oder Nicht-Regierungsorganisationen. „Doch der Schlüssel zum Erfolg ist eine nachhaltige Finanzierung“, erklärte Pécoul. „Dazu brauchen wir eine Kombination verschiedener Finanzierungsmodelle.“ Zuschüsse aus privaten und aus Steuermitteln zählen für ihn ebenso dazu wie die Ausschreibung von Forschungspreisen oder eine Finanzierung durch den Globalen Fonds. Entscheidend sei aber, so Pécoul, dass die betroffenen Länder eigene Kapazitäten aufbauen. „Sie müssen selbst über ihren Bedarf entscheiden.“
Heike Korzilius, Falk Osterloh
Doha-Deklaration
Mit der Gründung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) wurde 1994 das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, kurz TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) abgeschlossen. Die WTO-Mitglieder müssen dieses Abkommen seither umsetzen und damit unter anderem Patentschutz für Arzneimittel gewähren. Die hohen Preise beispielsweise für patentgeschützte Aidsmedikamente sind jedoch für Entwicklungs- und Schwellenländer nicht finanzierbar. Um Patienten in diesen Ländern den Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln zu erleichtern, beschloss die WTO-Ministerkonferenz 2001 in Doha im Emirat Katar eine Flexibilisierung des TRIPS-Abkommens.
Das TRIPS-Abkommen, heißt es darin, sollte Mitgliedstaaten nicht davon abhalten, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu treffen. Daher erhalten Mitgliedstaaten unter anderem die Möglichkeit, zur Bekämpfung schwerwiegender Erkrankungen sogenannte Zwangslizenzen zu erteilen, mit denen das Arzneimittelpatent in ihrem Land ausgesetzt oder abgeschwächt werden kann.
Globaler Fonds
Der Globale Fonds wurde im Jahr 2001 von den Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria eingerichtet. Er setzt sich aus freiwilligen Beiträgen von Geberländern und privaten Geldgebern zusammen. Mehr als die Hälfte der weltweiten Finanzmittel zur Bekämpfung von Malaria und Tuberkulose und mehr als 20 Prozent der Mittel im Kampf gegen HIV/Aids stammen aus dem Fonds.
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