ArchivDeutsches Ärzteblatt23/1998Komplizierte Themen sind schwer zu verkaufen

POLITIK: Deutscher Ärztetag

Komplizierte Themen sind schwer zu verkaufen

Jachertz, Norbert

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LNSLNS . . . zumal, wenn sie ins allgemeine und innerärztliche Wahlgetümmel geraten. Trotzdem: Der Ärztetag kann mit beachtlichen Ergebnissen aufwarten.
Dieser Deutsche Ärztetag war schlichtweg überfrachtet. Die Tagesordnung enthielt so ziemlich alles, was derzeit auf dem weiten Feld der Gesundheitspolitik sprießt: Von der Qualitätssicherung über den Datenschutz bis zur Gesundheit im Alter. Nicht zu vergessen die politischen Schwergewichte: Gesundheitspolitik angesichts einer Krankenversicherung, die erheblich zu kämpfen hat. Oder die Strukturen im Krankenhaus, von einem Deutschen Ärztetag endlich nach jahrelanger Zurückhaltung gründlich debattiert. Angesichts der Überfülle war es geradezu ein Segen, daß der Ärztetag nach fünf Tagen wegen Ermattung schließen mußte. Das letzte Dutzend Themen, von Delegierten spontan eingebracht, konnte mangels Beschlußfähigkeit nicht mehr behandelt werden. Was zuvor erarbeitet wurde, kann sich freilich sehen lassen. Die folgenden Seiten zeigen das. Nicht nur die Themenfülle, sondern auch die Kompliziertheit der Materie haben dem Ärztetag ein ziemlich konfuses öffentliches Echo beschert. Zum Teil waren aber auch Akteure der ärztlichen Selbstverwaltung aktiv daran beteiligt, für Konfusion zu sorgen. Und das ausgerechnet bei den öffentlich mit Argwohn verfolgten Aussagen zur gesetzlichen Krankenversicherung. Der Ärztetag hat sich, kurz gesagt, für eine Fortführung und solide Finanzierung des Solidarsystems ausgesprochen. Er hat dabei angedeutet, daß die paritätische lohn- und gehaltsbezogene Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer überdacht werden muß, und er hat schließlich zu bedenken gegeben, daß nicht alles Liebgewonnene auch notwendig ist und solidarisch finanziert werden muß. Auf Intervention einer Berliner Delegierten hat der Ärztetag vorsorglich aber klargestellt, daß jedem Patienten "unabhängig vom Zahlungsvermögen und von der Krankenversicherungsreform die medizinische Versorgung [zusteht], die medizinisch notwendig ist".
Keine Rede also von Zweiklassenmedizin, wohl aber von Differenzierung. Die Ärzteschaft wird noch einiges zu tun haben, um den feinen Grat zwischen notwendig und wünschenswert klar herauszuarbeiten. In diesem Jahr konnte das allein schon deshalb nicht gelingen, weil Wahlkampf ist, sich auch in der Ärzteschaft die unterschiedlichen politischen Richtungen bemerkbar machen und zudem auch innerärztlich Wahlvorbereitungen laufen. Allerdings sollte auch bei allgemeinem und innerärztlichem Wahlgetümmel die Wahrheit nicht zurechtgebogen werden. So haben weder der Deutsche Ärztetag noch der Präsident desselben, Dr. Karsten Vilmar, eine Rückführung der Versicherungsleistungen auf eine Grundversorgung oder ein Zusammenstreichen auf ein Mindestmaß gefordert. Es gibt in dieser Frage auch keinen Dissens zwischen den Bekundungen des Deutschen Ärztetages und denen seines Präsidenten. Es gab wohl einzelne abweichende Meinungen; das ist gut demokratisch.
Ein vergleichbarer Vorgang ist bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu verzeichnen. Hier hat eine regionale KV doch wahrhaftig verlauten lassen, die Vertreterversammlung der KBV habe das EBMKonzept mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Tatsächlich wurde das Konzept, das der KBV-Vorstand vorgelegt hatte, mit exakt einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Das ist eher eine Zufallsmehrheit. Solch fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit kann man nicht mit innerärztlichen Positionskämpfen oder dem Bedürfnis von Aspiranten, sich ins linke oder rechte Licht zu setzen, entschuldigen. Zum konfusen Bild der Ärzte in der Öffentlichkeit tra-gen sie ein gerüttelt Maß bei. Norbert Jachertz

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