POLITIK: Leitartikel
Ärztlicher Nachwuchs: Wohin nach dem Studium?


unge Ärztinnen und Ärzte sorgen sich um ihre Zukunft: Arbeitslosigkeit ist auch für sie zunehmend ein Thema; vor den Krankenhaustoren stauen sich die Anwärter für die vergleichsweise wenigen Weiterbildungsstellen; der Weg in die Freiberuflichkeit ist vielerorts versperrt. "Via medici", ein zweitägiger Kongreß in Mannheim, bot jungen Medizinern erstmals die Möglichkeit, sich über Berufsperspektiven als Arzt oder in fachfremden Feldern im In- und Ausland zu informieren. Veranstalter waren der Thieme-Verlag, der Deutsche Ärzte-Verlag, das mibeg-Institut sowie der Marburger Bund.
Jeder, der ein Medizinstudium beginnt, strebt in der Regel an, später als Arzt oder Ärztin tätig zu werden. Doch nicht immer läßt sich der Wunsch schließlich realisieren. Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen sich künftig vor allem denjenigen Ärztinnen und Ärzten, die sich für hochspezialisierte Felder der Medizin qualifizieren und bereit sind, in kooperativen Versorgungsstrukturen zu arbeiten. Zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten bieten sich aber durchaus auch denen, die sich fachfremden Tätigkeiten gegenüber aufgeschlossen zeigen. Entscheidend ist, sich frühzeitig über seine Neigungen und Interessen klar zu werden und flexibel auf den Arbeitsmarkt zu reagieren. So das Fazit des ersten deutschen Kongresses "Zukunftschancen für junge Mediziner" in Mannheim.
Zwei Tage lang konnten die fast 2 000 überwiegend jungen Teilnehmer der Veranstaltung ihre ganz persönlichen Berufswünsche auf Herz und Nieren prüfen sowie Perspektiven in medizinischen, aber auch alternativen Berufsfeldern ausloten. In über 160 Vorträgen, zahlreichen Workshops und Podiumsdiskussionen informierten namhafte Referenten über Weiterbildungsmöglichkeiten, Zusatzqualifikationen, alternative Berufsfelder sowie Lernen, Forschen und Arbeiten im Ausland.
Die Perspektiven für Mediziner sind, das zeigte der Kongreß, grundsätzlich auch in Zukunft nicht schlecht, selbst wenn die Bundesanstalt für Arbeit für Ende vergangenen Jahres 11 300 arbeitslose Mediziner ausgewiesen hat. Verglichen mit anderen Berufsgruppen ist eine solche Arbeitslosenquote von 3 Prozent aber noch relativ gering. Es sind vielmehr strukturelle Probleme, die die Erfüllung persönlicher Berufswünsche verhindern.
Der "freie Beruf" ernsthaft in Frage gestellt
Kurz und treffend skizzierte Dr. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), welche Hürden sich Ärztinnen und Ärzten von heute und morgen in den Weg stellen: "Wegen der in vielen Regionen und zahlreichen ärztlichen Fachgebieten ab 1. Januar 1999 geltenden Zulassungssperren aufgrund von Verhältniszahlen und der begrenzten Zahl von Planstellen im Krankenhaus haben nur noch 50 Prozent der bis zur Facharztanerkennung gelangten Ärztinnen und Ärzte die Chance, ihren Berufswunsch zu verwirklichen." Das Selbstverständnis des Arztberufes als eines seiner Natur nach freien Berufs sei dadurch ernsthaft in Frage gestellt.
Hinderlich für eine befriedigende Berufsausübung seien außerdem institutionalisierte Hierarchien im Krankenhaus. "Die Ärzteschaft drängt deshalb seit langem auf Reformen des ärztlichen Dienstes mit Einführung des Teamarzt-Systems", betonte Vilmar. Eine Forderung, die - wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen - zahlreiche Referenten im Verlauf des Kongresses aufgriffen. Vilmars Vize, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, beispielsweise erinnerte an den kürzlich gefaßten Konsensbeschluß des Deutschen Ärztetags zum Ausbau kooperativer Strukturen zwischen der ambulanten und stationären Versorgung. "Teamarzt-Modelle sind gerade vor dem Hintergrund einer immer weiter zunehmenden Spezialisierung der Medizin, auf die die Ärzteschaft mit einer differenzierten Weiterbildung reagieren mußte und muß, die Arbeitsform der Zukunft", ergänzte Hoppe.
Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes (MB), legte allerdings größten Wert darauf, daß die Krankenhäuser die Last der Weiterbildung künftig nicht wie bisher fast ausschließlich allein tragen. Die Pflicht, eine Facharztbezeichnung zu erwerben, erzeuge einen unsäglichen Konkurrenzkampf zwischen den angehenden Ärzten um die begrenzte Zahl von klinischen Planstellen. "Andererseits haben wir eine absurde Zweiteilung: Arbeitslosigkeit auf der einen, Überarbeitung auf der anderen Seite", erklärte Montgomery. Wegen Mißachtung des Arbeitszeitgesetzes durch Krankenhausverwaltungen seien viele Assistenzärzte gezwungen, durchschnittlich 80 Stunden pro Woche zu arbeiten, in vielen Fällen unentgeltlich. "Wenn die Vorschriften korrekt eingehalten würden und aus Überstunden neue Stellen entstünden, hätten wir bis zu 25 000 Arbeitsstellen zusätzlich", rechnete der MB-Vorsitzende vor. Montgomery plädierte dafür, die Niederlassungsbeschränkungen - wie von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer auf dem letzten Deutschen Ärztetag angedeutet - aufzuheben, Beschäftigungschancen im Ausland zu eröffnen und künftig auch Vertragsärzte, Akademien und Kongresse in die Weiterbildung konsequent einzubinden. Nach Ansicht junger Mediziner beginnt die Schieflage jedoch schon viel früher, nämlich in den Hochschulen. "Die Lehre ist zu einer Feierabendbeschäftigung verkommen", urteilte Thomas Isenberg vom Forum für kritische Sozial- und Gesundheitspolitik. Der Medizinstudent würde es begrüßen, wenn die hausärztliche Versorgung, Prävention und Gesundheitsberatung wieder ein stärkeres Gewicht bekämen. Hoffnung für
angehende Hausärzte
Dr. Gudrun Blaul, bis vor kurzem Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Pfalz, machte den jungen Leuten Hoffnung, daß trotz Zulassungssperren der Weg in die Niederlassung - gerade als Hausarzt - nicht aussichtslos ist, zumal durch die vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Altersgrenze von 68 Jahren jährlich schätzungsweise 2 400 Ärzte ihre Vertragszulassung abgeben müßten. Die Augenärztin rät angehenden Ärztinnen und Ärzten, sich frühzeitig für eine haus- oder fachärztliche Ausrichtung zu entscheiden und gegebenenfalls auch einen Teilzeitjob zu erwägen.
Zumindest für Frauen bietet das Job-sharing eine Möglichkeit, trotz Familie nicht gänzlich auf den Berufswunsch verzichten zu müssen. "Ärztinnen sind nämlich stärker als ihre männlichen Kollegen von Arbeitslosigkeit oder Einschränkungen in der Berufsausübung betroffen", bemerkte die Vorsitzende des Ärztinnenbundes, Dr. Astrid Bühren. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit liegt der Anteil arbeitsloser Medizinerinnen bei über 60 Prozent.
Frauen bekämen außerdem in der Regel kürzere Arbeitsverträge und stünden bei Entlassungen an erster Stelle, sagte Bühren. Die Vorsitzende des Ärztinnenbundes riet den zahlreichen Teilnehmerinnen, sich bei der Berufswahl auf ihre typisch weiblichen Eigenschaften zu besinnen: "Wegen ihrer sozialen und kommunikativen Fähigkeiten sind Medizinerinnen prädestiniert für präventive Bereiche."
Dr. Elisabeth Hauenstein vom Vorstand der BÄK zitierte eine Arbeitsamtstatistik, wonach gerade in den neuen Bundesländern die Arbeitslosigkeit von Ärztinnen seit der Wende überproportional stark zugenommen hat. Zur Verbesserung der Situation gerade bei weiblichen Berufseinsteigern könnte nach Ansicht der Allgemeinärztin das kürzlich beschlossene Initiativprogramm zur Förderung der Allgemeinmedizin beitragen, das vorsieht, in den nächsten fünf Jahren 7 000 neue Stellen zu schaffen. Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes BDA, Dr. KlausDieter Kossow, räumte jedoch ein: "Ob alle künftigen Hausärzte schließlich auch wirklich in Lohn und Brot kommen, ist noch nicht abzusehen."
Doch nicht nur Berufsanfänger müssen sich mit Problemen auseinandersetzen. Dr. Wolfgang Martin von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt berichtete, daß die Stellenangebote für Oberärzte allein im vergangenen Jahr um 21 Prozent zurückgegangen sind. Besonders betroffen seien Anästhesisten, Kinder- und Frauenärzte. Psychiater und Neurologen blieben von der Entwicklung weitgehend unberührt. Martin regt an, künftig auch neue Beschäftigungsfelder zu erschließen, um die Engpässe zu entzerren. Als Beispiel nannte er das Qualitätsmanagement: "Hier haben gerade Klinikärztinnen und -ärzte einen entscheidenden Standortvorteil vor anderen Berufsgruppen, den sie so schnell wie möglich nutzen sollten."
Wer sich, wie es Karsten Vilmar forderte, vom traditionellen Arztbild verabschieden kann, dem bieten sich auch durchaus Chancen in nicht kurativen Berufsfeldern. Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Ingo Flenker, ist jedenfalls überzeugt, daß alternative Berufsfelder für Ärztinnen und Ärzte mehr sind als nur ein "Notnagel", um die Arbeitsmarktsituation zu entlasten. Neue Betätigungsfelder: Von der Arbeitmedizin bis zum Qualitätsmanagement
Neben den typischen nicht kurativen Berufsfeldern im Öffentlichen Gesundheitsdienst, im werksärztlichen Bereich, in der pharmazeutischen Industrie und bei Verbänden, Körperschaften und Behörden sieht Flenker künftig Schwerpunkte insbesondere in der Qualitätssicherung und im Qualitätsmanagement sowie im Gesundheitsmanagement allgemein. "Profunde Verwaltungskompetenzen werden mehr und mehr zur Schlüsselqualifikation für Ärzte in Leitungsfunktionen", unterstrich der Ärztekammerpräsident. Berufliche Perspektiven sieht er darüber hinaus in der medizinischen Informatik und Publizistik wie in der Gesundheitsförderung, -erziehung und Prävention, den klassischen Feldern der Public-Health-Studiengänge. Die überaus rege Diskussion der Vorträge und die engagierte Teilnahme an den Workshops bestätigten das große Informationsbedürfnis der jungen Mediziner. Dafür spricht auch die enorm hohe Zahl von insgesamt 7 000 Interessenten, die dem Kongreß gerne beigewohnt hätten. Petra Spielberg