ArchivDeutsches Ärzteblatt25/1998Multiresistente grampositive Kokken

MEDIZIN: Editorial

Multiresistente grampositive Kokken

Peters, Georg

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LNSLNS S eit mehreren Jahren werden wir weltweit mit dem Problem der Zunahme von multiresistenten bakteriellen Krankheitserregern konfrontiert, wobei hier zur Zeit den multiresistenten grampositiven Kokken die größte Bedeutung zukommt. Dies schlägt sich nieder in einer zunehmenden Flut von wissenschaftlichen Publikationen; gleichzeitig nimmt auch die öffentliche Darstellung und Diskussion in den allgemeinen Medien zu. Das Problem der Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika ist so alt wie die Therapie mit Antibiotika selber. Schon immer haben wir akzeptieren müssen, daß Bakterien mit der Einführung neuer antibakterieller Substanzen durch die folgende Entwicklung von Resistenzen Schritt halten. Ein klassisches Beispiel ist die Entwicklung der Penicillinase-vermittelten Resistenz gegen Penicillin bei Staphylokokken. Die Zunahme von Antibiotikaresistenzen hat eine Reihe von Ursachen. Von erheblicher Bedeutung sind sicher die zunehmende Zahl von Risikopatienten, die per se eine erheblich höhere Prädisposition gegenüber Infektionen haben, die zunehmende Breite des Armamentariums an zur Verfügung stehenden Antibiotika und dadurch bedingt eine Erhöhung des Selektionsdruckes, aber auch Phänomene wie erhöhte Reisetätigkeit, globaler Transport von Lebensmitteln und Antibiotika in der Tiermast. Viele dieser Faktoren sind auch dafür verantwortlich, daß insbesondere grampositive Erreger als Ursache von nosokomialen Infektionen an Bedeutung gewonnen haben. In einer neueren Untersuchung, die an 43 Zentren in den USA durchgeführt wurde, konnten 59,6 Prozent der Isolate aus Blutkulturen dieser Erregergruppe zugeordnet werden (8). Die häufigsten Erreger dabei waren Staphylokokken (38,6 Prozent), Streptokokken einschließlich S. pneumoniae (12,7 Prozent), und Enterokokken (8,3 Prozent). Gerade in dieser Erregergruppe tritt jetzt das Phänomen der Multiresistenz beziehungsweise der spezifischen Resistenz gegen die üblicherweise zur Therapie verwandten Substanzen auf.
Daher ergibt sich die Notwendigkeit, zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen: Wie ist die Situation in Deutschland, welche multiresistenten grampositiven Kokken kommen mit welcher Inzidenz vor? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den klinisch tätigen Arzt, aber auch für den niedergelassenen Arzt? Welche Probleme, aber auch welche Aufgaben, kommen hierdurch generell auf unser Gesundheitssystem zu?
Das drängende Problem:
Methicillin-resistente Staphylokokken
Das Phänomen der spezifischen oder Multiresistenz betrifft drei Speziesgruppen grampositiver Kokken: erstens Methicillin-resistente Staphylokokken, insbesondere S. aureus (MRSA). Diese Stämme sind über einen Affinitätsmechanismus auch gegen penicillinasefeste Penicilline resistent und damit auch gegen sämtliche Betalactam-Antibiotika. Ein Großteil der MRSA-Stämme ist zusätzlich resistent gegen eine ganze Reihe anderer Antibiotika. Weltweit gesehen, stellen MRSA ein eminentes Problem dar; in Japan, in den USA, aber auch in einigen Ländern Europas, wie beispielsweise den Mittelmeerländern, Frankreich und Großbritannien, werden Raten von über 20 Prozent erreicht. In Deutschland liegt die Rate zur Zeit in unterschiedlichen Studien zwischen 3,7 Prozent und 12,9 Prozent (9, 12, 13). Dabei gibt es lokal zum Teil drastische Unterschiede, das heißt, es gibt bei uns Kliniken ohne MRSA und solche mit einem hohen Prozentsatz von MRSA. Dies ergibt sich vor allem aus der Tatsache, daß das Auftreten von MRSA überwiegend als Ausbruch erfolgt und wie rigoros ein solcher Ausbruch angegangen wird. Soweit wir heute wissen, gibt es keine sicheren Hinweise dafür, daß MRSA eine unterschiedliche Virulenz - verglichen mit normalen S.-aureus-Stämmen - haben. Häufig besteht auch die Situation, daß lediglich eine Besiedlung mit MRSA ohne Krankheitswert vorliegt. Das eigentliche klinische Problem bei MRSA liegt in ihrer schwierigen Therapierbarkeit, wenn sie eine Infektion verursachen. Hier sind individuelle Therapiekonzepte erforderlich, die wichtigsten Reserveantibiotika der Wahl sind Glykopeptide, zum Beispiel Vancomycin. Das Auftreten von MRSA stellt in erster Linie auch ein krankenhaushygienisches Problem dar.
Verlieren auch Reservesubstanzen ihre Wirksamkeit?
Besonderes Aufsehen haben Berichte aus jüngster Zeit erregt, in denen aus Japan über das Auftreten von Vancomycin-intermediär-empfindlichen S.-aureus(VISA)- beziehungsweise Vancomycin-resistenten S.-aureusStämmen (VRSA) berichtet wurde (6, 7). Mit Ausnahme der USA (Berichte über zwei Stämme) sind solche Stämme weltweit und damit auch in Deutschland noch nicht aufgetreten. Es besteht daher zur Zeit kein Anlaß zu einer apokalyptischen Bewertung im Sinne: "S. aureus ist demnächst nicht mehr therapierbar." Die zugrundeliegenden Mechanismen sind noch weitestgehend ungeklärt; das gleiche gilt für die prognostische Abschätzung des eventuellen Risikopotentials. Diese Stämme sind bisher nur in einer MRSA-Population aufgetaucht und nicht in Methicillin-empfindlichen Stämmen. Dies deutet klar auf einen biologischen Zusammenhang hin. Daraus ergibt sich ein weiterer zwingender Grund für die Notwendigkeit der Kontrolle von MRSA.
Die zweite Speziesgruppe bilden Enterokokken. Hier sind vor einigen Jahren zuerst in den USA, aber zunehmend auch weltweit Glykopeptid-resistente Stämme aufgetreten. Von Bedeutung sind hierbei insbesondere Stämme, die sowohl gegen Vancomycin als auch gegen Teicoplanin resistent sind. Es handelt sich ebenfalls um eine Affinitätsresistenz. Die überwiegende Zahl der betroffenden Stämme gehört der Spezies E. faecium an. Über die Häufigkeit ihres Vorkommens in Deutschland, die Ursachen und ihre Verbreitung liegen bisher noch wenige Daten vor. In der Übersichtsarbeit von Wendt et al., in dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes, wird der heutige Wissensstand über Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) umfassend abgehandelt. Diese Arbeit ist gleichzeitig dazu geeignet, paradigmatisch das Problem und die möglichen Konsequenzen von multiresistenten grampositiven Kokken anzureißen. Im Gegensatz zu MRSA kann die mögliche perspektivische Ausweitung des Problems jetzt noch nicht sicher abgeschätzt werden. In einer jüngsten Studie in NordrheinWestfalen wurde bei etwa 730 in 22 Zentren isolierten Enterokokkenstämmen eine VRE-Rate von 1,5 Prozent gefunden (R. Lütticken, R. Reinhard, Aachen, persönliche Mitteilung). Deshalb kann zur Zeit die Situation in Deutschland noch als günstig eingeschätzt werden. Dies sollte jedoch gleichzeitig Aufforderung dazu sein, die möglichen Ursachen zu erkennen, zu bekämpfen und damit eine Verbreitung möglichst zu verhindern.
Die dritte Gruppe betrifft Pneumokokken (S. pneumoniae), eine Spezies innerhalb der Streptokokken. Hier sind schon 1967 aus Australien und Neuguinea vereinzelt Penicillin-intermediärempfindliche und 1977 dann aus Südafrika erstmals Penicillin-hochresistente Stämme berichtet worden (1, 4, 5). In Europa sind jetzt vor allem Spanien (44 Prozent), Ungarn (58 Prozent) und Frankreich (12 Prozent) betroffen (2, 3, 10). Die jüngste, größere, 1994 für Deutschland veröffentlichte Studie kommt zu einer Rate von Penicillinresistenten Pneumokokkenstämmen unter zwei Prozent (11). Die Epidemiologie ist in Europa bereits umfassend untersucht; man kann die horizontale Ausbreitung klonaler Stämme sehr gut nachvollziehen. Deshalb ist es in der Tat erstaunlich, daß es trotz der großen Reisetätigkeit zwischen Deutschland und zum Beispiel Spanien noch nicht zu einem vermehrten Auftreten gekommen ist. Ein Grund hierfür könnte in der generell höheren Dosierung von Penicillin-Präparaten bei uns liegen, durch die diese Stämme klinisch-therapeutisch erfaßt werden. Bei dem zugrunde liegenden Resistenzmechanismus handelt es sich ebenfalls um eine Affinitätsresistenz. Das klinisch besonders relevante Problem liegt in der Behandlung der Meningitis durch solche Stämme. Ohr- und Atemwegsinfektionen können weiterhin mit Betalactam-Antibiotika in entsprechender Dosierung erfaßt werden.
Klinisch-praktische
Konsequenzen
Die sich aus dem Vorkommen von multiresistenten grampositiven Kokken ergebenden klinisch-praktischen Konsequenzen liegen auf der Hand. Es muß gewährleistet werden, daß in der medizinisch-mikrobiologischen Diagnostik solche Stämme erfaßt werden. Sie müssen weiterhin bei der Therapie einer Infektion beim individuellen Patienten berücksichtigt werden.
Dies setzt auch voraus, daß sowohl den Ärzten in den Kliniken als auch in der niedergelassenen Praxis das Problem an sich bekannt und bewußt ist. Speziell im klinischen Bereich bedeutet das Auftreten multiresistenter Stämme die Konsequenz eines systematischen krankenhaushygienischen Managements, damit es - im Idealfall - überhaupt nicht zur weiteren Ausbreitung kommt. Dies gilt aber um so mehr für eine Situation, wo man schon von einem Ausbruch ausgehen muß. Zu einem solchen zielgerichteten krankenhaushygienischen Management gehören Maßnahmen zur lückenlosen Infektions- und Resistenzerfassung, Isoliermaßnahmen, spezielle "Barrier"-Pflegemaßnahmen und Desinfektionsmaßnahmen. Auch wenn es banal klingt, muß auf die eminente Bedeutung der Händedesinfektion hingewiesen werden. Wichtig sind aber auch Verbesserungen in der nationalen Infektionsepidemiologie, das heißt, es müssen die Strukturen vorhanden sein, die eine kontinuierliche Erfassung und Meldung und damit nationale Dokumentation solcher Stämme ermöglichen. Somit fällt auch dem öffentlichen Gesundheitsdienst hier eine zunehmend wichtige Rolle zu. Nicht zuletzt muß die Grundlagenforschung intensiviert werden, um unter anderem auch neue antibakterielle Substanzen zu gewinnen, die in der Therapie multiresistenter Kokken (zusätzlich) eingesetzt werden können. Einige solcher potentiell wirksamen Substanzen befinden sich bereits in der klinischen Prüfung.
Zusammenfassend können wir für die heutige Situation feststellen, daß das drängende Problem im Bereich Methicillin-resistenter S.- aureus-Stämme liegt, daß eine prognostische Abschätzung des Problems Vancomycin-resistenter Enterokokken und Penicillin-resistenter Pneumokokken zur Zeit noch nicht möglich ist, daß aber aufgrund der globalen Situation auch hier das Problembewußtsein verstärkt werden muß.


Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-1601-1603
[Heft 25]


Literatur
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Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Georg Peters
Institut für Medizinische Mikrobiologie
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Domagkstraße 10
48149 Münster

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