ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2012Von schräg unten: Am Anfang war das Wort

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Am Anfang war das Wort

Böhmeke, Thomas

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Schon Goethes Faust hatte seine lieben Schwierigkeiten mit dem Wort, das am Anfang zu stehen habe. Der Sinn, die Kraft oder die Tat sei wohl besser geeignet, so grübelte er, bis Mephisto die Szene betrat. Nun, das Wort steht auch am Anfang jeder Arzt-Patienten-Beziehung, dies in Form der Anamnese. Vertrauen soll sie schaffen, dem Arzt einen gleichwohl umfassenden wie präzisen Einblick in das Leben des Patienten geben, der Auftakt einer gelungenen Krankheitsbewältigung sein. Und anders als zu Goethes Zeiten soll der Arzt heute nicht als Halbgott daherkommen, sondern als einfühlsamer Berater dem mündigen Patienten größtmöglichstes Gehör schenken, um ihn auf dem kürzesten Weg zur Lösung seiner Probleme zu begleiten.

Aber auf diesem Weg gibt es mitunter Probleme, die sich in der Wahl der Worte begründen. „Mir ist manchmal so komisch, ich weiß gar nicht wie, verstehen Sie?“ Bis zur Diagnose eines C1-Esterase-Inhibitor-Mangels können in solchen Fällen derart viele Laboruntersuchungen notwendig werden, dass sich nicht nur besagter Patient mit seinen punktierten Venen, sondern auch seine Eisenspeicher angegriffen fühlen. „Ich fühle mich in letzter Zeit so . . . hm!“ Ausgehend von dieser Zustandsbeschreibung kann es nicht wirklich verwundern, dass die kritische Typ-C-Stenose des Ramus posterolateralis dexter erst über gastroskopische Umwege gestellt wurde. Gut zu wissen, dass der damit verbundene Zeitverlust nicht auf die Magenschleimhaut geschlagen hatte. „Ich meine, ich bin so neben mir, als ob mein Körper hinter mir herläuft!“ Im besagten Fall half mir ein Blick auf die Medikation, die ursächliche Rhabdomyolyse bei Statintherapie zu erkennen, bevor ich mich auf dem weiten Feld psychiatrischer Differenzialdiagnosen verlief. Wenn die Antwort auf die Frage nach dem Befinden lautet „Das müssen Sie doch wissen, Sie sind doch der Arzt!“, so ist es nicht verwunderlich, dass zur Klärung des Problems die vollständige Bandbreite der heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten ausgelastet wird. Strahlenbelastung durch diagnostische Radiologie hin, Wirtschaftlichkeitsgebot her.

Niemand verlangt von unseren Schutzbefohlenen, dass sie die Anamnese mit „Ich leide unter einer Fehlregulation im sarkoplasmatischen Kalziumhandling durch eine Mutation des Ryanodinrezeptors und benötige eine kardioselektive Betablockade!“ eröffnen. Aber vielleicht sollte man die Kraft haben, den Worten einen Sinn zu geben, um beim Arzt des Vertrauens einen gelungenen Anfang zu gestalten. Sonst ist der Teufel drin.

Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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