POLITIK
Mindestmengen in der Gesetzlichen Krankenversicherung: Warten auf das höchste Gericht


Nachdem das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 41 Kliniken Recht gab, die gegen Mindestmengen in der Neonatologie geklagt hatten, setzt der Gemeinsame Bundesausschuss diese bis zur Entscheidung des Bundessozialgerichts aus.
Sinn und Zweck von Mindestmengenvorgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung ist es, Krankenhäuser oder auch Ärzte gegebenenfalls vom Leistungsgeschehen auszuschließen, um die Qualität der Leistungserbringung zu sichern. Und genau da beginnt nach Auffassung von Liana Rademske von der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern das Problem: „Wenn man auf diese Art und Weise in die Grundrechte der Leistungserbringer eingreift – ich verweise auf das Grundrecht der freien Berufsausübung nach Artikel 12 und das Grundrecht auf Eigentum nach Artikel 14 –, dann muss man das sehr genau begründen“, erläuterte die Juristin am 25. Januar bei einem Rechtssymposium des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Berlin. Es reiche einfach nicht aus, eine allgemeine statistische Korrelation zwischen Leistungsmenge und Ergebnisqualität herzuleiten. Vielmehr müsse eine echte Kausalität zwischen Menge und Qualität nachgewiesen werden.
Ganz ähnlich begründete das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg sein Urteil vom 21. Dezember 2011 zugunsten der 41 Krankenhäuser, die gegen die Erhöhung der Mindestmenge in der Neonatologie von 14 auf 30 Fälle im Jahr geklagt hatten. Die vom Gesetz geforderte Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Leistungsmenge „in besonderem Maße“ sei nicht hinreichend belegt, meinten die Richter und verwiesen auf ein Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vom August 2008, wonach keine kausalen Zusammenhänge zwischen Mengen und Qualität bei der Versorgung Frühgeborener nachweisbar seien. Der G-BA setzte daraufhin am 20. Januar 2012 die Mindestmengen zur Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1 250 Gramm aus – „bis zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts“, wie der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess beim Mindestmengensymposium in Berlin erneut betonte. Im September 2011 hatte der G-BA auch bereits die Mindestmengen bei Kniegelenk-Totalendoprothesen bis auf weiteres ausgesetzt, ebenfalls nach einem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg, das bundesweit zuständig ist für Streitfälle dieser Art.
Prof. Dr. Friedhelm Hase von der Universität Bremen hält den von Rademske und vom LSG Berlin-Brandenburg geforderten Nachweis einer evidenzbasierten Kausalbeziehung zwischen Menge und Qualität für so nicht erfüllbar: „Mit diesem Argument wird die Mindestmengenregelung grundsätzlich blockiert.“ Die Vorstellung, durch statistische Erhebungen oder andere wissenschaftliche Studien sei von irgendeiner Seite für eine bestimmte Leistung ein präziser Mindestmengenwert zu begründen, sollte daher aufgegeben werden.
Prof. Dr. Max Geraedts von der Universität Witten/Herdecke hatte zuvor betont, dass methodische Probleme der vorliegenden Volumen-Ergebnis-Studien eine sichere Einschätzung der Evidenz unmöglich machten: „Zwar sind höhere Leistungsmengen von Ärzten und Krankenhäusern in vielen Studien mit besseren Patientenergebnissen assoziiert, dabei sind die Fallzahlen aber nur einer von vielen qualitätsbeeinflussenden Parametern.“ So gebe es Anzeichen dafür, dass frühere Qualitätsergebnisse von Einrichtungen eine höhere Wertigkeit für Qualität darstellten als die Erfüllung einer Mindestmenge.
Dass die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der Fallzahl und der Qualität bei der Versorgung von Frühgeborenen sehr schwach ist, bestreitet der G-BA-Vorsitzende Hess nicht: „Mir persönlich hat damals, als ich für die Mindestmengen in der Neonatologie votierte, diese schwache Evidenz jedoch genügt – im Sinne des Schutzes dieser kleinen Säuglinge.“ Der G-BA dränge auf eine höchstrichterliche Klärung des Sachverhalts, um seinen gesetzlichen Auftrag hinsichtlich der Festlegung von Mindestmengen zum Zwecke der Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung künftig ausführen zu können. Für den G-BA sei dies eine Frage von immenser Bedeutung, betonte Hess: „Aber auch wenn wir diesen Prozess vor dem Bundessozialgericht verlieren, ist das für mich insofern ein Sieg, weil dann die Rechtsfrage endlich einmal geklärt ist.“ Der Konflikt innerhalb des G-BA habe sich in dieser Frage so zugespitzt, dass ihn die Selbstverwaltungspartner ohne Hilfe von außen kaum mehr lösen könnten.
Jens Flintrop
Bausch, Matthias