MEDIZINREPORT
Onkologie 3: Komplementäre Medizin: Sinnvoll beraten, nicht abwehren


Viele Krebspatienten vertrauen auf die Komplementär- oder Alternativmedizin, um ihre Prognose zu verbessern. Die offene Kommunikation über Vor- und Nachteile bietet die Chance für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis.
Was von der wissenschaftlichen Medizin immer noch gerne als „Randthema“ erachtet wird, ist für Krebspatienten ein zentrales – und emotional besetztes – Anliegen: die Frage nach ergänzenden und begleitenden Therapien zu Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie. „Irgendwann nach der niederschmetternden Diagnose will der Patient sein Leben wieder aktiv in die Hand nehmen, um den Verlauf der Krebserkrankung positiv zu beeinflussen“, berichtete Dr. med. Jutta Hübner auf dem 36. Interdisziplinären Forum der Bundesärztekammer in Berlin.
Die Leiterin der Abteilung für Palliativmedizin, supportive und komplementäre Onkologie der Universität Frankfurt am Main hält die Frage von Krebskranken „Was kann ich selbst tun?“ für eine Chance im Arzt-Patienten-Verhältnis, die der Behandler nicht verspielen sollte. Es sei schon ein Vertrauensbeweis, wenn der Krebskranke solche Wünsche offen äußere.
Ohne Kenntnis des Arztes
Denn bis zu 90 Prozent der Patienten nutzen im Verlauf ihrer Erkrankung Methoden der komplementären und alternativen Medizin – häufig ohne ihren behandelnden Arzt darüber in Kenntnis zu setzen. Informationen suchen sie bei Heilpraktikern, in der Literatur und im Internet. Werden solche Verfahren und/oder Wirkstoffe parallel zur Schulmedizin angewendet, kann sich die Wirksamkeit der Chemotherapie verringern oder verstärken und dadurch vermehrt Nebenwirkungen verursachen. Zudem könnten Unverträglichkeiten oder Allergien durch pflanzliche Inhaltsstoffe eine Unterbrechung von Chemo- oder Strahlentherapie erzwingen. „Es ist besser, dem Patienten zu begründen, warum sich ein Mittel für ihn nicht eignet, und ihm womöglich etwas anderes zu empfehlen, als ihm von vornherein ganz von einer komplementären Therapie abzuraten“, sagte Hübner und appellierte an eine offene und wertfreie Kommunikation mit Krebspatienten.
Hübner legt Wert darauf, dass die komplementäre Medizin nicht mit alternativen Verfahren in „einen Topf geworfen“ wird. „Mir ist die klare Abgrenzung sehr wichtig“, betonte die Onkologin in Berlin. Bei der alternativen Medizin werde den Patienten tatsächlich ein Ersatz zur konventionellen Therapie angeboten, allerdings ohne wissenschaftlichen Wirksamkeitsbeleg. „Komplementäre Mittel oder Verfahren hingegen ergänzen die Standardtherapie“, sagte Hübner. Es ist für sie unverzichtbar, dass auch die Komplementärmedizin den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechen muss. Hier bestehe Nachholbedarf.
Hübner warnte außerdem vor verallgemeinernden Empfehlungen, vielmehr müsse für jeden Patienten individuell geprüft werden, was seiner Tumorsituation angemessen ist. Eindeutig positiv bewertet die Onkologin körperliche Bewegung, zum Beispiel viermal die Woche 30 bis 45 Minuten Ausdauertraining: „Das haben viele Studien gezeigt.“ Vorteilhaft sei zudem eine der mediterranen Kost angepasste Ernährung mit Omega-3-Fettsäuren. „Bei Gewichtsverlust und tumorassoziiertem Inflammationssyndrom ist eine eiweiß- und fettbetonte Kost empfehlenswert“, ergänzte Dr. med. Jann Arends, Ernährungsmediziner an der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg.
Der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln (Vitaminen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen in pharmakologischer Zubereitung) ist dagegen nicht zu empfehlen. „Eine wichtige Frage ist, ob mit der zusätzlichen Einnahme auch ein Schaden entstehen kann. Zumindest für Betacarotin und Vitamin E, aber auch für Vitamin B12 und Folsäure gibt es dazu Hinweise“, betonte Hübner. Eine Ausnahme könnte das Vitamin D darstellen. Hierbei sei aber noch unklar, ob es auf die Zufuhr, die erreichten Spiegel oder (wahrscheinlicher) die Spiegel in Abhängigkeit von Vitamin-D-Rezeptor-Polymorphismen ankomme.
Schlecht konzipierte Studien
Auch die Einnahme von Selen, das lange Zeit als präventiv galt, ist seit Publikation der SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) umstritten. Danach ist das Risiko sowohl für Karzinome als auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Serumkonzentrationen zwischen 120 und 150 µg/ml leicht erhöht. Eine Selen-Einnahme sollte deshalb nur unter Laborkontrolle erfolgen.
Zur Bewertung der Effektivität von Mistelpräparaten liegen nach Angaben von Dr. med. Pamela Aidelsburger, Geschäftsführerin der Carem GmbH, sowohl Primärstudien als auch systematische Reviews und Health-Technology-Assessment-Berichte vor. Die Mehrzahl kommt zu dem Schluss, dass die Evidenz nicht ausreicht, zu einer eindeutig positiven oder negativen Empfehlung für die Misteltherapie zu gelangen. Aidelsburger kritisierte, dass neuere Mistel-Studien methodisch schlecht konzipiert wurden und damit letztlich wertlos sind.
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Mücke, Ralph