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Organspende: Eine Geste der Nächstenliebe


Die Organspende in Deutschland wird reformiert. Eine Spitzenrunde von Opposition, Koalition und Bundesregierung hat sich in der vergangenen Woche in Berlin darauf geeinigt, die bisher geltende Zustimmungslösung durch die sogenannte freiwillige Entscheidungslösung zu ersetzen. Diese Neuregelung ist für Deutschland gut – auch wenn Kritiker bereits ihre Zweifel anmelden.
Was sieht die Regelung konkret vor? Ab Sommer soll jeder Erwachsene regelmäßig von seiner Krankenkasse über die Organspende informiert werden. Dabei wird ihm gleichzeitig die Frage gestellt, ob er bereit ist, im Falle des eigenen Hirntodes seine Organe zu spenden. Er kann die Bereitschaft dazu erklären, sie verneinen oder den Brief, dem ein Organspendeausweis beiliegt, auch wegwerfen. Die Abfrage solle „mit so viel Nachdruck wie möglich geschehen, ohne jedoch eine Antwort zu erzwingen oder Sanktionen auszuüben“, betonte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Die erste Abfrage ist noch für dieses Jahr geplant, die nächste für 2014, und nach 2017 soll die Aufforderung alle fünf Jahre erfolgen. Die Entscheidung der Versicherten zur Organspende soll dann künftig auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden.
Während viele Organisationen, darunter die Bundesärztekammer und die Deutsche Stiftung Organtransplantation, den Vorstoß begrüßen, geht anderen die freiwillige Entscheidungslösung nicht weit genug. Zugegeben, es ist ungewiss, ob durch das neue Gesetz die Organspendezahlen kurzfristig rapide steigen werden. Doch eine Organspende lässt sich nicht erzwingen. Sie erfordert vielmehr großes Vertrauen der Bevölkerung in das gesamte System der Organspende. Denn eine Spende ist eine Geste der Nächstenliebe und muss nicht zuletzt deshalb freiwillig bleiben.
Dieses Vertrauen muss stetig verdient werden. Noch im vergangenen Jahr fürchteten einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer-GEK zufolge 45 Prozent der Deutschen, dass Ärztinnen und Ärzte nicht mehr mit vollem Einsatz um ihr Leben kämpfen würden, wenn sie sich vorher zu einer Organspende bereiterklärt haben. Diese Zweifel gilt es in den nächsten Jahren auszuräumen und zu zeigen, dass Organspende in Deutschlands Krankenhäusern sowohl medizinisch als auch ethisch und moralisch gut organisiert ist. Dazu hat die Regierung bereits im Kabinett ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet, was ebenfalls bald im Bundestag beraten wird. Damit sollen Krankenhäuser konkretere Vorgaben bekommen, um mögliche Spender erkennen und Angehörige besser betreuen zu können. Transplantationsbeauftragte an den Kliniken werden dabei eine wichtige Rolle spielen.
Als Alternative zu dem Kompromiss stand die Widerspruchslösung zur Diskussion. Bei ihr gilt jeder, der sich nicht ausdrücklich der Organspende verweigert, als Spender. Das wäre jedoch der falsche Weg gewesen. Denn dieser Verfahrensvorschlag setzt nicht ausschließlich auf Transparenz, Vertrauen und Nächstenliebe, sondern zu einem Teil auch auf die Trägheit der Bürger.
Die Entscheidungslösung bietet dagegen die Chance, die Organspende in Deutschland zu verbessern und die Menschen durch regelmäßige Denkanstöße von der Notwendigkeit und Richtigkeit der Organspende zu überzeugen.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin