POLITIK: Kommentar
Elektronische Gesundheitskarte: Offene Kommunikation


Die Bundestagsfraktion Die Linke ist inzwischen die einzige der politischen Parteien im Bundestag, die immer noch „schwere Bedenken“ gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) hegt und einen Stopp des Projekts fordert. „Die Fraktion stellt sich nicht prinzipiell gegen den IT-Einsatz im Gesundheitswesen“, betonte Martina Bunge, die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, einleitend bei einem öffentlichen Fachgespräch zur eGK in Berlin. „Nur die eGK liegt uns – salopp gesagt – schwer im Magen.“ Daher habe man sich Befürworter und Gegner geholt, um eine offene Diskussion über den aktuellen Stand und die Perspektiven des Projekts zu führen.
Wer das jahrelange Tauziehen um das Telematikprojekt seit dem geplanten Einführungszeitpunkt zum 1. Januar 2006 bis heute mitverfolgt hat, konnte sich anschließend bequem zurücklehnen. Routiniert wurden die bekannten Argumente zu den Chancen und Risiken ausgetauscht.
Bei der eGK und der Telematikinfrastruktur gehe es darum, die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die längst zum Alltag gehörten, endlich auch im Gesundheitswesen zu nutzen, erklärte Prof. Dr. Arno Elmer, frischgekürter Hauptgeschäftsführer der für die eGK-Einführung verantwortlichen Betriebsgesellschaft Gematik. Ziele seien die bessere medizinische Versorgung der Menschen, mehr Effizienz, eine höhere Datenqualität und -verfügbarkeit sowie eine sichere und geprüfte Anwendungsplattform. Zudem sollen die Datensicherheit verbessert und die informationelle Selbstbestimmung der Patienten gewährleistet werden. „Wir wollen aus der leidvollen unendlichen Geschichte eine Erfolgsstory machen“, sagte Elmer und kündigte einen „offenen Dialog“ an mit denen, für die die eGK gedacht sei.
Wolfgang Linder vom Komitee für Grundrechte und Demokratie hingegen verwies auf die gesetzgeberische Entwicklung im Zusammenhang mit dem Projekt, die „zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass“ gebe. Die Gematik unterliege der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit, die bei umstrittenen Fragen immer durch Weisungen von oben, in Form von Ersatzvornahmen, eingegriffen und so auch den Einstieg in eine „zentralistische Infrastruktur“, bei der medizinische Daten auf zentralen Servern gespeichert werden, „durchgedrückt“ habe. Gesetzesänderungen seien in Schnellverfahren, als Änderungsanträge, durch den Bundestag gebracht worden, um etwa das Online-Versichertenstammdatenmanagement durchzusetzen. „Eine Diskussion darüber hat nicht stattgefunden“, kritisierte Linder. „Wie wird der Gesetzgeber reagieren, wenn sich die Versicherten in großer Zahl den freiwilligen Anwendungen entziehen?“
Rainer Höfer vom GKV-Spitzenverband verwies unter anderem auf die enge Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Zentrale Komponenten würden vom Datenschutz aus Sicherheitsgründen gefordert, wie beispielsweise eine Stelle, die die Identität überprüfen könne. Höfer stellte außerdem klar, dass die Online-Aktualisierung der Versichertenstammdaten keine manuelle Arbeit für die Ärzte bedeute, sondern dieser Prozess beim Stecken der Karte automatisiert ablaufe. „Wir wollen keine Industrie befördern und kein Hightechprodukt aufbauen, sondern die Versorgung verbessern“, betonte er. Zunächst müsse dafür die Infrastruktur mit einem hohen Kostenaufwand aufgebaut werden, und erst danach könne der Nutzen durch Anwendungen eingebracht werden.
„Es gibt keine sicheren Daten. Verabschieden Sie sich von dieser Vorstellung“, erklärte Kai Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Daher müsse eine gesellschaftliche Debatte darüber geführt werden, ob in einer „monolithischen Infrastruktur“ Daten, wenn auch verschlüsselt, gespeichert werden sollen, die „gesetzgeberischen Einflüssen“ ausgesetzt werden könnten. Steffens sieht Missbrauchspotenzial darin, dass der Gesetzgeber beispielsweise das Verschlüsselungsgebot zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr aufweichen könnte.
Alles wie gehabt – detaillierte Fachinformationen auf der einen, Ängste, Befürchtungen und Misstrauen auf der anderen Seite. Dazu ein Projekt, das technisch sehr komplex ist (Beispiel Kryptographie), viele Akteure involviert und mit den Alltagserfahrungen von Ärzten und Patienten noch wenig zu tun hat. Zwar ist die eGK inzwischen für einen Teil der Bürger fassbare Realität in der Brieftasche, doch ihr Potenzial ist für die meisten vollkommen abstrakt – wie viele Fragen aus dem Auditorium, vor allem zu Selbstbestimmung, Nutzen, Barrierefreiheit und Datenschutz, offenbarten.
Fazit: Der Informationsbedarf erscheint nach wie vor riesig. Das vorhandene Informationsdefizit lässt sich von unterschiedlichen Interessengruppen ausschlachten. Die angemahnte gesellschaftliche Diskussion über eine Risikoanalyse erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll. Der von der Gematik angekündigte offene Bürgerdialog ist ein wichtiger, überfälliger Schritt.
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