POLITIK
Untersuchung vor Abschiebung: Noch immer kein Konsens in Sicht


Abgelehnte Asylbewerber müssen ausreisen. Reicht es zu untersuchen, ob sie reisefähig sind? Damit befasste sich der Ausschuss für Menschenrechte des Bundestags.
Seit Jahren werden Reisefähigkeitsuntersuchungen vor der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern kritisiert. Menschenrechtler und Ärzte bemängeln, dass eine mögliche Traumatisierung der betroffenen Menschen im Rahmen dieser Untersuchungen nicht ausreichend berücksichtigt werde. Mitglieder des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags diskutierten deshalb Ende Januar mit Experten, wie sie die derzeitige Praxis einschätzen und was man verbessern könnte.
Wilfred Burghardt vom niedersächsischen Innenministerium betonte, eine Abschiebung stehe „am Ende eines sehr aufwendigen und oft langjährigen Prüfverfahrens“. Dem Vorsitzenden der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rückführung“ zufolge wird auch eine mögliche Traumatisierung der Asylbewerber geprüft. Deshalb sei am Ende nicht mehr zu kontrollieren, ob Abzuschiebende traumatisiert oder suizidgefährdet sind, sondern nur noch, ob sie ausreisen können.
Michael Kleinhans vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wies Vorwürfe zurück, der Gesundheitszustand von Asylbewerbern werde zu allgemein geprüft: „Unsere Entscheider sind alle geschult, darauf zu achten, ob sich Anzeichen für eine Traumatisierung ergeben.“ Im Übrigen habe man vor einer Abschiebung nicht zu klären, ob eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliege oder nicht, sondern nur, ob diese oder andere gesundheitliche Beeinträchtigungen auch dazu führen könnten, dass sich der Zustand des Abzuschiebenden nach der Rückkehr verschlimmere. Deshalb steht auch nach Kleinhans’ Meinung am Ende tatsächlich nur noch die Frage der Reisefähigkeit zur Debatte.
Dieser Sichtweise widersprach Dr. med. Ulrich Clever, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer. Von Ärztinnen und Ärzten werde erwartet, dass sie Menschen ohne Ansehen der Person untersuchten und behandelten, betonte er und verwies auf die einschlägigen Passagen der Berufsordnung. Bei Flugtauglichkeitsuntersuchungen von abgelehnten Asylbewerbern gehe es in Wahrheit doch um sehr viel mehr als um die Frage, ob man eine Person für ein paar Stunden in ein Flugzeug setzen könne.
Nach Clevers Auffassung kann man nicht einerseits grundsätzlich hohe Ansprüche an ärztliches Handeln stellen, andererseits bei der Abschiebung aber eine extrem verengte Betrachtungsweise einfordern. Deshalb hatte er unlängst im Rahmen eines Briefwechsels mit Burghardt klargestellt: „Sollten sich Ärzte unter Bezug auf ihr Gewissen weigern, Abschiebungsprozesse medizinisch zu begleiten, steht ihnen das frei und ist im Berufsrecht auch so angelegt.“ Burghardt hatte moniert, dass Ärzte bei der Prüfung der Reisetauglichkeit immer wieder die Ergebnisse des Asylverfahrens infrage stellten.
Dr. med. Ernst Girth, Menschenrechtsbeauftragter der Ärztekammer Hessen, pflichtete Clever bei. „Aus Sicht des Staates gibt es zu viele Ärzte mit ethischen Bedenken“, kritisierte er. Deshalb unterstelle man auch „eine inflationäre Bescheinigung von Traumatisierungen und Suizidgefahr“. Girth betonte: „Wenn die Mehrzahl der Ärzte sich der Berufsordnung verpflichtet fühlt und deshalb staatliche Maßnahmen nicht ausgeführt werden können, dann hat nicht die Ärzteschaft ihre Berufsordnung zu überdenken, sondern der Staat seine Maßnahmen.“
Er forderte wie weitere Experten, die Behörden sollten endlich Ärzte und Psychotherapeuten als Gutachter für PTBS und ähnliche Krankheiten heranziehen, die sich dafür qualifiziert hätten. Adresslisten gebe es bei den Kammern, doch meist würden die Kollegen als „nicht neutral“ abgelehnt. In einem Behördenbericht zu Vollzugsdefiziten bei der Abschiebung wird wiederum moniert, die wenigen „neutralen“ Ärzte sähen sich der Kritik und Diffamierung ausgesetzt.
Girth schlug als eine Lösung vor, Entscheidungsträger besser zu schulen: „Traumatisierung wird im Asylverfahren aus Unkenntnis und aus in der Natur der Erkrankung liegendem Verhalten der Betroffenen nicht sachadäquat bewertet.“ Dr. med. Mechthild Wenk-Ansohn, Leiterin des Behandlungszentrums für Folteropfer, wies darauf hin, dass häufig schon die behördliche Herangehensweise falsch sei, und nannte beispielhaft die Frage: „Braucht der jetzt noch Behandlung?“ Symptome Traumatisierter könne man lindern, sie aber nicht heilen. Eine PTBS könne sich leicht dauerhaft verschlechtern – auch durch Abschiebung und Rückkehr in das Heimatland.
Sabine Rieser
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.