THEMEN DER ZEIT
Pränataltest zur Erkennung von Trisomie 21: Warnung vor Automatismus


Ein neuer Bluttest zur relativ treffsicheren Bestimmung einer Trisomie 21 in der frühen Schwangerschaft kann die Pränataldiagnostik verändern. Ethiker befürchten leichtfertigere Entscheidungen gegen das Kind.
Sollte es wirklich so weit kommen, dass dieser Test zur breiten Routine wird, dann gibt es irgendwann kaum noch Menschen mit Down-Syndrom“, befürchtet der Humangenetiker Prof. Dr. med. Wolfram Henn, Homburg/Saar. Anlass zu solchen von Sorge geprägten Äußerungen ist der neue Bluttest der Firma Lifecodexx in Konstanz am Bodensee.
Der Test ermöglicht es Ärzten, einer Schwangeren anhand von 10 ml ihres Bluts mit hoher Treffsicherheit zu sagen, ob ihr Kind eine Trisomie 21 haben wird oder nicht. Fetale DNA-Fragmente werden aus dem mütterlichen Blut isoliert und einem Massively Parallel Shotgun Sequencing (MPSS) unterzogen. Dabei fahnden die Wissenschaftler nicht wie bei anderen Gentests nach definierten funktionalen Gensequenzen, sondern bestimmen die chromosomale Herkunft einer großen Anzahl von DNA-Bruchstücken. Anhand dieser Daten berechnet der Computer dann, ob das Chromosom 21 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur doppelt, sondern dreifach angelegt ist.
Test soll ab Mitte des Jahres zur Verfügung stehen
In einer großen internationalen Validierungsstudie zeigte der Test eine hohe Sensitivität und Spezifität. Die Rate der falschnegativen Ergebnisse betrug 0,8 Prozent, die der falschpositiven 0,2 Prozent. Lifecodexx hat von der US-amerikanischen Firma Sequenom die Rechte erworben, das Verfahren – zunächst auf dem deutschsprachigen Markt – anzubieten. Es ist damit zu rechnen, dass das MPSS zur Detektion von Trisomie 21 ab Mitte des Jahres zur Verfügung steht, vorerst lediglich an wenigen Pränatalzentren und als individuelle Gesundheitsleistung für 1 200 Euro. Lifecodexx betont, der Test sei nur als sekundäres, das heißt ergänzendes pränataldiagnostisches Verfahren und nur für Schwangere mit erhöhtem Risiko ab der zwölften Schwangerschaftswoche geeignet. Prof. Dr. med. Klaus Vetter, Chefarzt der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln vermutet, dass sich die Firma mit dem sekundären Einsatz vor möglichen Haftungsansprüchen bei falschnegativen Ergebnissen schützen will.
Angesichts der rasant fortschreitenden Sequenzierungstechnologie und des zeitlich begrenzten Patentschutzes ist damit zu rechnen, dass das Verfahren in wenigen Jahren zu einem deutlich niedrigeren Preis angeboten wird. Auch eine Anwendung bereits ab der zehnten Woche wäre mit derselben Technologie ohne weiteres möglich. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. med. Christiane Woopen, sieht es als ethisch sehr bedenklich an, wenn man die Existenz von Kindern mit Down-Syndrom in einer Art Automatismus verhindert. Bereits heute entscheiden sich 90 bis 95 Prozent aller Schwangeren, die erfahren, dass ihr Kind eine Trisomie 21 hat, für einen Abbruch.
Hohe Verantwortung für die psychosoziale Beratung
Der ethische Diskurs um den Test ist stark von unterschiedlichen Menschenbildern, Wertesystemen und religiösen Einstellungen geprägt und wird in einer vergleichbaren emotionalen Vehemenz geführt, wie die Diskussion um Schwangerschaftsabbruch und künstliche Befruchtung. So verhärtet die Fronten auch sein mögen, in einem Punkt sind sich die Experten aus Ethik und Genetik, Mitarbeiter von Beratungsstellen und von Menschen mit Down-Syndrom einig: Es ist eine große Herausforderung für eine Schwangere zu entscheiden, ob sie eine pränatale Untersuchung durchführen lassen soll und wie sie mit einem möglicherweise positiven Befund umgehen würde – eine Herausforderung, die viel zu groß ist, um damit alleine gelassen zu werden.
Den in der Schwangerenvorsorge tätigen Ärzten und den Mitarbeitern von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen kommt daher eine hohe Verantwortung zu. Bärbel Cramer-Ihrac vom donum-vitae-Landesverband Nordrhein-Westfalen und Leiterin der deutschlandweit ersten auf Pränataldiagnostik (PND) spezialisierten psychosozialen Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle in Düsseldorf, will kein pauschales Urteil abgeben: „Einerseits ist es zu begrüßen, wenn es eine risikoarme Alternative zu den invasiven Verfahren gibt, die ja immer mit einem Fehlgeburtsrisiko behaftet sind.“ Andererseits würden Kinder mit Trisomie 21 durch den Test schon früher als bisher entdeckt, in einem Stadium, in dem die Schwangere noch keine so starke Bindung zu ihrem Kind entwickelt habe. „Ich befürchte, dass für die Entscheidung zu wenig Zeit zum Überlegen bleibt“, sagt Cramer-Ihrac.
Würde der Test schon in der zehnten Woche angeboten, sei zu befürchten, dass die Betroffene bei positivem Befund als Nächstes nicht die invasive Diagnostik, sondern einen Abbruch im Rahmen der gesetzlichen Beratungsregelung in Anspruch nähme. Andererseits würden dann auch Frauen zur psychosozialen Beratung kommen, die sie sonst gar nicht unbedingt zu Gesicht bekäme, sagt die donum-vitae-Mitarbeiterin. Die Pflicht zur Beratung besteht nämlich nur im Rahmen der Beratungsregelung vor der zwölften Schwangerschaftswoche und nicht bei medizinischer Indikation.
Psychosoziale Beratung im Rahmen der PND habe, erklärt Cramer-Ihrac, primär die Aufgabe, die Schwangere ergebnisoffen zu beraten. Der Schwangeren werde geholfen, ihre eigenen Ressourcen realistisch einzuschätzen und sich über mögliche Hilfen – etwa für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom – zu informieren. „Die Betroffenen sollen darin unterstützt werden, eine Entscheidung zu finden, mit der sie leben können.“ Dass schwangere Frauen bereits vor der Durchführung einer pränatalen Untersuchung in die Beratungsstelle kommen, um die Tragweite der Untersuchung abzuwägen, sei zwar wünschenswert, komme aber eher selten vor. In der Regel stimmten die Frauen der Untersuchung zu, weil sie Gewissheit haben wollen, dass ihr Kind gesund ist. „Werden sie dann mit einem positiven Befund konfrontiert, sind sie meist schockiert und sehr verzweifelt“, berichtet Cramer-Ihrac. Weitere Aufgaben der psychosozialen Beratung im Kontext der PND sind die Trauerbegleitung von Frauen nach einem Abort oder Schwangerschaftsabbruch. Gemeinsam mit den Kolleginnen ihrer Beratungsstelle hat sie dazu ein spezielles Beratungskonzept erarbeitet.
Beratungskapazitäten reichen nicht aus
Die Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle arbeitet Tür an Tür mit einer pränataldiagnostischen Arztpraxis. „Das hat sich sehr bewährt“, sagt Leiterin Cramer-Ihrac. „Wir können dazugeholt werden, wenn eine Frau einen positiven Untersuchungsbefund erfährt.“ Die Beratungskapazitäten in Deutschland sind ihrer Ansicht nach nicht ausreichend, um den hohen Anforderungen der Beratung im Kontext der Pränataldiagnostik gerecht zu werden.
Auch den Gynäkologen wird ein enormes Maß an Beratungskompetenz abverlangt. Die Inhalte der Beratung vor und nach PND sind seit Anfang 2010 im Gendiagnostikgesetz (GenDG) und im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) § 2 a genau geregelt. Dazu gehört unter anderem, dass der Arzt die Schwangere über ihren Anspruch auf eine psychosoziale Beratung informiert. Bei Schwangeren mit auffälligem PND-Befund wie einer Trisomie 21 sieht das SchKG ausdrücklich die Vermittlung zur Behinderten-Selbsthilfe vor, um der Schwangeren Ängste zu nehmen, sich über Unterstützungsangebote zu informieren und sich ein realistisches Bild vom Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom zu machen.
Seit 1. Februar dieses Jahres sind die Qualifikationsanforderungen des GenDG verpflichtend für Ärzte, die Schwangere vor und nach Pränataldiagnostik beraten.
Geburtsmediziner Vetter, der auch Mitglied der Gendiagnostikkommission am Robert-Koch-Institut ist, sieht die MPSS-basierten Tests nur als „Vorgeplänkel“ sehr viel weitreichender Innovationen, an denen die Genforscher derzeit im Eiltempo arbeiten. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis eine komplette Genomsequenzierung mit fötalen Zellpartikeln aus dem mütterlichen Blut für einen erschwinglichen Preis machbar sei. „Damit wäre die Büchse der Pandora endgültig geöffnet“, vermutet Vetter. Er befürchtet, dass die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland umgangen werden, indem Schwangere beispielsweise Blutproben im Ausland analysieren lassen: „What can be done, will be done.“
Dr. med. Thomas Bißwanger-Heim
Schickendantz, Sabine
Oettel, Oliver
Deinhard, Johann-Markus