MEDIZIN: Originalarbeit
Vorhofflimmern
Prävalenz und Risikofaktorenprofil in der Allgemeinbevölkerung
Atrial Fibrillation: Its Prevalence and Risk Factor Profile in the German General Population
; ; ; ;
Hintergrund: Die Prävalenz von Vorhofflimmern (VHF) in der Patientenversorgung nimmt zu. Über VHF und die Risikofaktorenverteilung in der Allgemeinbevölkerung ist wenig bekannt.
Methoden: In der populationsbasierten Gutenberg-Gesundheitsstudie (Response-Rate 60,4 %) wurden selbstberichtetes ärztlich diagnostiziertes VHF (Interviewdaten) sowie anhand des Studien-EKGs die Prävalenz und die Verteilung bekannter Risikofaktoren für VHF bei 5 000 Personen im Alter von 35 bis 74 Jahren erfasst.
Ergebnisse: Das mittlere Alter in der Studienpopulation war 52,2 ± 11 Jahre. Der Anteil Frauen betrug 50,6 %. Die Häufigkeit von VHF lag bei 2,5 %. Die Prävalenz von VHF stieg über die Dekaden am stärksten an bei Männern, von 0,7 % bei 35- bis 44-Jährigen auf 10,6 % bei 65- bis 74-Jährigen. Fünfundzwanzig Personen (15,5 % der VHF-Fälle) wurden anhand der Studien-EKGs erstdiagnostiziert. Teilnehmer mit VHF waren im Schnitt älter, männlich und hatten ein ungünstigeres kardiovaskuläres Risikoprofil. 14,3 % der Probanden mit VHF hatten keinen der bekannten Risikofaktoren (systolischer Blutdruck, antihypertensive Medikation, erhöhter Body-mass-Index, Herzinsuffizienz). Keiner der 42,7 % der Teilnehmer mit VHF bekam Antikoagulanzien oder eine plättchenhemmende Therapie.
Schlussfolgerung: Die vorliegenden populationsbasierten, repräsentativen Daten zeigen, dass in Deutschland die Häufigkeit von Vorhofflimmern in der Bevölkerung mittleren Alters bei 2,5 % liegt und mit steigendem Alter klar zunimmt. Diese gesundheitsökonomisch relevante Prävalenz erfordert eine noch stärkere Sensibilisierung für die Erkrankung.


Vorhofflimmern (VHF) ist eine häufig unterschätzte Erkrankung mit zunehmender Prävalenz (1, 2). Die Erkrankung mit einem Lebenszeitrisiko von circa 25 % betrifft überwiegend ältere Menschen (3). Gefürchtete Komplikationen sind thrombembolische Ereignisse bis hin zum tödlichen Schlaganfall (4), die Entwicklung einer Herzinsuffizienz (5) und eine erhöhte Morbidität und Mortalität, die nicht allein durch die kardiovaskuläre Komorbidität zu erklären ist (6).
Die Zunahme der Prävalenz ist nicht vollständig geklärt. Hauptgründe sind eine alternde Bevölkerung und ein längeres Überleben mit kardiovaskulären Erkrankungen. Eventuell spielt auch das zunehmend stärkere Bewusstsein für diese Erkrankung und damit die häufigere Diagnose von VHF eine Rolle (3, e1).
Daten zu VHF stammen überwiegend aus Registern oder Krankenhausdatenbanken. So tragen der europaweite „Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation“ und das deutschlandweite „Kompetenznetz Vorhofflimmern“ zum Verständnis von diagnostischen Maßnahmen, Art des VHF von paroxysmal bis permanent, Begleiterkrankungen und leitliniengerechter Therapie bei Patienten mit diagnostiziertem VHF bei (7). Primärpräventive Mechanismen zur Vermeidung der Erkrankung müssen aber früher ansetzen. Wenige Daten sind verfügbar zu VHF in der Allgemeinbevölkerung. Deshalb haben die Autoren in der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) – einer aktuellen populationsbasierten Untersuchung – die Prävalenz von VHF sowie das Vorliegen bekannter Risikofaktoren für das Auftreten der Erkrankung und thrombembolischer Komplikationen in der deutschen Bevölkerung untersucht.
Methoden
Studienteilnehmer
Im Rahmen der populationsbasierten GHS werden seit 2007 über das Einwohnermeldeamt zufällig Individuen der Stadt Mainz und des Landkreises Mainz-Bingen im Alter von 35–74 Jahren stratifiziert nach Altersdekaden ausgewählt und zu einer fünfstündigen Untersuchung an die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingeladen. Hauptziel der GHS ist die Erforschung kardiovaskulärer Erkrankungen und deren Risikofaktoren. Die GHS ist konzipiert zur Erfassung der Inzidenz kardiovaskulärer Mortalität und kardiovaskulärer Erkrankungen wie Myokardinfarkt und Vorhofflimmern mit einer Response-Rate von 60,4 %.
Während des Aufenthalts im Studienzentrum wird ein ausführliches computerassistiertes Interview unter anderem zu kardiovaskulären Risikofaktoren, Lebensstil und sozioökonomischem Status durchgeführt. Anamnestisch erhoben wird die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall. Unter der Definition der Herzinsuffizienz werden Teilnehmer mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) < 55 %, behandelter Herzinsuffizienz (anamnestisch) oder Luftnot (New York Heart Association[NYHA]-Klassifikation ≥ 1) zusammengefasst.
Vorhofflimmern wird diagnostiziert bei einer Anamnese für ärztlich diagnostiziertes Vorhofflimmern und/oder bei Nachweis von Vorhofflimmern auf dem für 10 Sekunden während der Studie aufgezeichneten 12-Kanal-Ruhe-EKG. Für die vorliegende Auswertung wurden alle EKGs von Kardiologen gelesen und die automatisch durch das Gerät (GE Healthcare, CardioSoft Version 6) generierten Ergebnisse überprüft. Die EKG-Diagnose VHF wurde von mindestens zwei unabhängigen Kardiologen bestätigt. Vorhofflimmern anhand des Oberflächen-EKGs wird definiert als absolut irreguläre Intervalle der R-Zacken und das Fehlen von abgrenzbaren P-Wellen (8). Für 38 Personen wurde kein EKG im Studienzentrum geschrieben und/oder VHF nicht anamnestisch erhoben. Ausführliche Details der Einschlussuntersuchung und Erhebung kardiovaskulärer Risikofaktoren sind publiziert (9). Blutbiomarker wurden mit Routinemethoden bestimmt.
Die GHS wurde durch die Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz bewilligt. Jeder Teilnehmer gibt vor Studienbeginn seine schriftliche Einwilligung. Die Autoren übernehmen die Verantwortung für die Korrektheit der Daten.
Statistik
Da die Bevölkerungsstichprobe der GHS für Geschlecht, Altersdekaden und das Stadt-Umland-Verhältnis stratifiziert gezogen wurde, erfolgte die Berechnung der deskriptiven Statistiken für die Prävalenz von VHF und Risikofaktoren entsprechend der Altersdekaden (35–44, 45–54, 55–64, 65–74 Jahre) und gewichtet für die reelle Geschlechts- und Altersverteilung der Stadt Mainz und des Landkreis Mainz-Bingen (N = 210 867, Angaben des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden 2011; Stand 31.12.2007) sowie altersstandardisiert auf die Europastandardbevölkerung von 1976 (WHO) zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit mit anderen Studien.
Zur Prävalenzbestimmung klassischer Risikofaktoren für VHF wurden die Risikofaktoren des Framingham-Risikoalgorithmus für das Auftreten von VHF herangezogen (10). Die Abschätzung des VHF-Risikos erfolgte über die Betakoeffizienten des Framingham Algorithmus zur 5-Jahres-Prädiktion von VHF (11). Zur Schlaganfallrisikoeinschätzung bei Individuen mit VHF wurden der CHADS2(Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter, Diabetes, Schlaganfall [zweifach])-Score und der CHA2DS2-VASc(Herzinsuffizienz oder kardiale Dysfunktion, Hypertonie, Alter ≥ 75 Jahre [zweifach], Diabetes, Schlaganfall [zweifach], vaskuläre Erkrankung, Alter 65–74 Jahre und Geschlecht)-Score berechnet, um das Risiko für einen Schlaganfall innerhalb der kommenden 12 Monate ohne Antikoagulation abzuschätzen (12, 13). Die der Score-Berechnung zugrundeliegenden Daten sind im eKasten aufgeführt.
Zudem wurde für Personen mit einer potenziellen Indikation für eine Antikoagulanzientherapie (= Teilnehmer mit VHF ohne antithrombotische Therapie, das heißt ohne Einnahme von Heparin, oralen Antikoagulantien und/oder Thrombozytenaggregationshemmern) die relative und absolute Risikoreduktion durch adäquate Antikoagulation mit Warfarin bestimmt (14, 15).
Zur Datenanalyse wurde die öffentlich verfügbare R Software, Version 2.14.0 (R Development Core Team, 2011) verwendet (e2).
Ergebnisse
Bei den ersten 5 000 Teilnehmern der GHS lag die Häufigkeit von VHF bei 3,2 % (n = 161). Männer waren mit 4,6 % (n = 115) häufiger betroffen als Frauen (1,9 % [n = 46]). Die gewichtete Prävalenz bezogen auf die Population Mainz/Mainz-Bingen beträgt 2,5 %. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen zeigte sich eine nichtlineare Zunahme mit dem Alter. Bei 35- bis 44-jährigen Männern lag die Prävalenz bei 0,7 % und stieg auf 10,6 % bei 65- bis74-Jährigen an. Für Frauen ließ sich ein Anstieg von 0,3 % auf 4,9 % feststellen (Grafik 1).
Die Verteilung ist vergleichbar bei der Subgruppe mit Teilnehmern mit VHF auf dem aktuellen EKG (Daten nicht gezeigt). Die gewichteten Charakteristika der ersten 5 000 Teilnehmer der GHS sind in Tabelle 1 wiedergegeben, die nichtgewichteten Daten sind in der eTabelle und die auf die Europastandardbevölkerung altersstandardisierten Daten in der eTabelle 2 verfügbar. Studienteilnehmer mit VHF waren älter und weniger als ein Drittel dieser Personen waren Frauen. Das kardiovaskuläre Risikoprofil fiel ungünstiger aus und die Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Herzinsuffizienz höher. Insbesondere gaben knapp 10 % der Teilnehmer mit VHF an, einen Schlaganfall erlitten zu haben im Vergleich zu 1,5 % in der übrigen Kohorte.
Sowohl das Kreatinin als Nierenfunktionsparameter als auch der Entzündungsmarker C-reaktives Protein und der Indikator für kardialen Stress N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid waren in der Gruppe mit VHF erhöht im Vergleich zur Gesamtkohorte (Tabelle 1).
Bei 40 % (n = 65) der Teilnehmer mit bekanntem VHF wurde VHF im Studien-EKG dokumentiert. Von den 136 Teilnehmern, die berichteten, die Diagnose VHF bereits von einem Arzt gestellt bekommen zu haben, konnte bei 29,4 % (n = 40) während der Untersuchung VHF im Studien-EKG erkannt werden. Bei 25 Teilnehmern, 0,5 % der Gesamtkohorte und 15,5 % der Teilnehmer mit VHF, war VHF vor der Teilnahme an der Studie nicht bekannt und wurde während der Untersuchung im Studienzentrum erstmalig festgestellt. Nach dem Framingham-Risikoscore für VHF hatten diese Personen ein Risiko von im Mittel 2,0 %, innerhalb der nächsten fünf Jahre an VHF zu erkranken.
Die Risikofaktorenverteilung des Framingham-Risikoscores bei Probanden mit VHF war für beide Geschlechter ähnlich bis auf eine tendenziell höhere Prävalenz einer Herzinsuffizienz bei Frauen (gewichtete Verteilung in Tabelle 2, nichtgewichtete Verteilung in eTabelle 3). In Grafik 2 ist die kumulative Anzahl der vorhandenen Risikofaktoren bei Teilnehmern mit VHF dargestellt. 14,3 % der Patienten hatten bis auf das Alter keinen der erhobenen Risikofaktoren (13,0 % bei Männern, 17,1 % bei Frauen). Nur circa 21,7 % der Teilnehmer zeigten drei oder mehr Risikofaktoren.
Um bei Probanden mit VHF das Risiko für einen Schlaganfall ohne adäquate Behandlung innerhalb des nächsten Jahres zu ermitteln, wurden die Risikostratifizierungsalgorithmen des CHADS2- und des CHA2DS2-VASc-Scores benutzt. In Grafik 3 ist die Anzahl der Teilnehmer in den einzelnen Kategorien wiedergegeben. Mehr als 80 % der VHF-Patienten hatten nach CHADS2-Score unbehandelt ein Risiko von über 2 % einen Schlaganfall zu erleiden (Grafik 3a), fast drei Viertel der Teilnehmer nach CHA2DS2-VASc-Score (Grafik 3b). Nach CHA2DS2-VASc-Score hatten nur 11,2 % ein vernachlässigbares Risiko. Im übrigen Studienkollektiv hatten der mediane CHADS2- und CHA2DS2-VASc-Score einen Wert von 1,0. Der mittlere CHADS2- beziehungsweise CHA2DS2-VASc-Score bei Probanden mit der Erstdiagnose von VHF im Studien-EKG betrug 2,0 und 3,0 mit einem mittleren 1-Jahres-Risiko für ein thrombembolisches Ereignis von 4,0 % respektive 3,2 %.
Einen Überblick über die im Zusammenhang mit VHF relevante Medikation aller Studienteilnehmer und der Probanden mit VHF ist in Tabelle 3 gegeben (die nichtgewichtete Verteilung ist in eTabelle 4 verfügbar).
Wie erwartet, wird eine Medikation bei kardiovaskukären Erkrankungen deutlich häufiger von Teilnehmern mit VHF eingenommen. Eine Antikoagulationstherapie oder Plättchenhemmung wurde von 42,7 % der Teilnehmer mit VHF verneint. Der mediane CHADS2- beziehungsweise CHA2DS2-VASc-Score bei diesen Probanden belief sich auf 1,0 und 2,0. Einen CHADS2-Score ≥ 1 wiesen 58,7 % auf. Nach Studienlage (14, 15) würde eine adäquate Antikoagulation mit Warfarin bei diesen Personen das Risiko für ein thrombembolisches Ereignis innerhalb des nächsten Jahres von 2,1 % auf 0,75 % reduzieren, was einer relativen Risikoreduktion von 65 % und einer absoluten Risikoreduktion von 1,4 % entspricht.
Eine antiarrhythmische Therapie – ausgenommen Betablocker – wurde von circa 20 % der Probanden mit VHF angegeben, 16 % nahmen Digitalispräparate ein. Auffallend war zudem eine geringfügig häufigere Schilddrüsenhormontherapie bei VHF-Patienten im Vergleich zum Gesamtkollektiv.
Diskussion
In einer populationsbasierten deutschen Kohorte konnten die Autoren eine Prävalenz von VHF bei 2,5 % der Teilnehmer im Alter zwischen 35 und 74 Jahren nachweisen, mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahl mit zunehmendem Alter. Die Verteilung von VHF-Risikofaktoren war bei beiden Geschlechtern ähnlich. Das mittlere Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, lag bei Probanden mit VHF bei 2,8–3,2 % pro Jahr. Die Registrierung des Studien-EKGs identifizierte bei 25 Teilnehmern ein neu aufgetretenes VHF mit einem mittleren 1-Jahres-Risiko für einen Schlaganfall (CHADS2) von circa 4,0 %.
Die beobachteten gewichteten Häufigkeiten dieser deutschen Kohorte entsprechen den kürzlich in einer isländischen Studie publizierten Daten (2). Die Prävalenz mag auf den ersten Blick mit knapp 3 % relativ niedrig erscheinen. Das ist jedoch begründet in der Altersverteilung der Personen in der Kohorte. VHF tritt vorwiegend im höheren Lebensalter auf, was auch der in dieser Population beobachtete Anstieg mit zunehmendem Lebensalter verdeutlicht. Im Vergleich zeigte sich eine Prävalenz des Herzinfarktes von 2,3 % und des Schlaganfalls von 1,5 %. Damit ist VHF eine relativ häufige Erkrankung. Die durch VHF verursachten Kosten im Gesundheitssystem sind erheblich (16). Zudem bestehen bei 83 % der VHF-Patienten Symptome und der negative Einfluss auf die Lebensqualität ist hoch (17).
Weiterhin ist zu bedenken, dass für andere kardiovaskuläre Erkrankungen wie die koronare Herzerkrankung ein Rückgang als Sterblichkeitsursache beobachtet wird (18). Für VHF nehmen jedoch die Prävalenz und damit die Gesamtsterblichkeit an der Erkrankung und ihren Folgen trotz eines leicht verbesserten Überlebens des einzelnen Patienten mit VHF zu (1, 2).
Interessant ist die Beobachtung, dass 14,3 % der Teilnehmer mit VHF abgesehen vom Alter keine der bekannten und wiederholt validierten Risikofaktoren für VHF des Framingham-Risikoscores hatten (10, 19, 20) und fast die Hälfte der Personen mit VHF maximal einen Risikofaktor und nur circa ein Fünftel drei oder mehr Risikofaktoren aufwiesen. Dies deutet darauf hin, dass weitere, andere Risikofaktoren bei der Entstehung von VHF eine Rolle spielen. Die Framingham-Risikofaktoren können nur bis zu 60 % des auf die Population bezogenen Risikos erklären (11, 19), damit ergibt sich ein größerer Spielraum zur Verbesserung der Risikoprädiktion.
Die Werte der einfach zu bestimmenden Biomarker der Inflammation (C-reaktives Protein) und des kardialen Stresses (N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid) sind, wie erwartet, höher in der Gruppe der Personen mit Vorhofflimmern. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die zusätzliche Bestimmung beider Biomarker die prädiktive Wertigkeit der bekannten Risikofaktoren nur gering erhöht (21). Die Suche nach spezifischen Biomarkern und klinischen Risikofaktoren für Vorhofflimmern geht weiter. Während man sich in Forschung und bei der Erstellung von Leitlinien bisher intensiv darum bemühte, das Risiko und die Prävention von Folgeerkrankungen des VHF zu optimieren, steht die Wissenschaft bezüglich der Prädisposition für das Auftreten von VHF und der Primärprävention noch am Anfang.
Allgemeinärzte und Krankenhausärzte sind die wesentlichen Ansprechpartner für VHF-Patienten (17). Das „Outpatient Registry Upon Morbidity of Atrial Fibrillation“(ATRIUM)-Register zeigt, dass die meisten VHF-Patienten durch Allgemeinmediziner betreut werden (22). Umso wichtiger ist es, genannte Arztgruppen für die Erkrankung zu sensibilisieren. Der Anteil an Personen, die im Rahmen von GHS erstdiagnostiziert wurden, war 0,5% des Gesamtkollektivs beziehungsweise 15,5 % der Teilnehmer mit VHF. CHADS2-Score und CHA2DS2Vasc-Score ergaben ein 1-Jahres-Risiko, ein thrombembolisches Schlaganfallereignis zu erleiden von im Mittel 3,6 %. Das Risiko ist damit in dieser Subgruppe erheblich. Die vorliegenden Daten zeigen, wie wichtig bei Risikopatienten die einfache Durchführung einer EKG-Untersuchung sein kann. Die Angaben in der Literatur legen nahe, dass weniger als die Hälfte der Erstdiagnosen VHF aufgrund von VHF-spezifischen Symptomen gestellt werden. Der überwiegende Teil der VHF-Diagnosen erfolgt bei Arztbesuchen im Rahmen der Abklärung anderer Beschwerden oder in fast einem Viertel der Fälle bei Routineuntersuchungen (17).
Die leitliniengerechte Prophylaxe des Schlaganfalls bei VHF-Patienten hat zu einer Abnahme der Inzidenz dieser gravierenden Folgeerkrankung geführt (23). Eine orale Antikoagulationstherapie wird zunehmend auch bei Patienten mit moderatem Schlaganfallrisiko empfohlen, also ab Score-Werten von 1,0 oder höher (8, 24). In der eigenen Kohorte erhielten über ein Drittel der Teilnehmer mit VHF keine Antikoagulanzientherapie bei einem mittleren CHA2DS2Vasc-Score von 2,0. Unter allen Probanden mit VHF hatten 14,3 % ein vernachlässigbares Risiko für einen Schlaganfall mit einem CHA2DS2Vasc-Score von 0, so dass hier entsprechend den aktuellen Empfehlungen keine Notwendigkeit einer Antikoagulanzientherapie bestand. Es bleibt abzuwarten, wie neue Antikoagulanzien die Strategien zur Antikoagulation in naher Zukunft verändern werden.
Limitationen
Wie erwartet ist die Fallzahl für VHF in einer populationsbasierten Kohorte von Personen mittleren Alters klein, so dass die dargelegten Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Um eine präzisere Vorstellung zur Prävalenz von VHF in der Gesamtbevölkerung zu erhalten, wäre eine Untersuchung von Personen mit einem höheren Lebensalter notwendig, da VHF eine Erkrankung des fortgeschrittenen Alters ist.
Da VHF häufig asymptomatisch verläuft und intermittierend auftreten kann, ist davon auszugehen, dass die Prävalenz von VHF in der vorliegenden Untersuchung durch eine Unterdiagnostizierung eher unterschätzt ist. Selbst bei Patienten mit symptomatischen Vorhofflimmerepisoden können in bis zu 62 % der Fälle asymptomatische Episoden mit Vorhofflimmern detektiert werden (25). Es wird sich zeigen, inwieweit ein intensiveres Screening auf VHF in der Primärprävention, beispielsweise durch EKG-Monitoring, zu einer höheren Rate an detektiertem VHF führt und welche Konsequenzen dies für Möglichkeiten der frühen Intervention und individuellen Therapiestrategie hat (e1).
Durch die vorliegende systematische und detaillierte Untersuchung – einschließlich der kardiovaskulären Risikofaktoren und Medikamentenanamnese – einer zufällig gezogenen bevölkerungsbasierten Stichprobe und der sorgfältigen Aufarbeitung von VHF-Fällen in der Studie können die Autoren aktuelle, populationsbasierte Daten zu VHF und zu der Verteilung von Risikofaktoren für Schlaganfälle in der untersuchten Kohorte beschreiben. Die Nachbeobachtung über mehrere Jahre wird hier wertvolle Aufschlüsse zu Risikofaktoren und zur Inzidenz bieten.
Aktuell können die Autoren nachweisen, dass VHF eine in der Gesamtbevölkerung relevante Erkrankung mit einem deutlichen Anstieg der Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter ist. Ein Screening mittels 12-Kanal-EKG kann bisher nicht diagnostizierte Fälle aufdecken. Das Wissen um das Auftreten von VHF und die Verteilung von Risikofaktoren in der Allgemeinbevölkerung ist essenziell, um langfristig präventive Maßnahmen entwickeln und Versorgungslücken schließen zu können.
Interessenkonflikt
Dr. Wild erhielt Forschungsgelder von den Firmen Boehringer, Daiichi Sankyo, Sanofi-Aventis, Bayer Vital und Portavita BV.
Prof. Munzel erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von den Firmen Servier, Actavis und Boehringer. Er bekam Kongressgebührenerstattung von den Firmen Abbott, Servier und Boehringer, Reisekostenerstattung von den Firmen Abbott, Servier, Boehringer und Actavis, Vortragshonorare von den Firmen Servier, Boehringer und Actavis sowie Forschungsgelder von den Firmen Actavis und Servier.
Prof. Blankenberg hat Forschungsgelder erhalten von den Firmen Boehringer Ingelheim und Philipps Medical Systems.
PD Dr. Schnabel, Wilde (B.A.) erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 21. 9. 2011, revidierte Fassung angenommen: 10. 1. 2012
Danksagung
Die Gutenberg-Gesundheitsstudie wird durch das Land Rheinland-Pfalz („Stiftung Rheinland Pfalz für Innovation”, AZ 961–386261/733), das Wissenschaftsprogramm „Wissen schafft Zukunft” und den „Schwerpunkt Vaskuläre Prävention” der Universitätsmedizin Mainz und durch Boehringer Ingelheim sowie PHILIPS Medical Systems unterstützt.
Frau Dr. Schnabel wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Emmy Noether-Programm SCHN 1149/3–1 gefördert.
Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. Renate B. Schnabel, MSc
Klinik und Poliklinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie
Universitäres Herzzentrum Hamburg Eppendorf
Haus Ost 70 (O70)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
schnabelr@gmx.de
Summary
Atrial Fibrillation: Its Prevalence and Risk Factor Profile in the German General Population
Background: Atrial fibrillation (AF) is an increasingly common problem in primary care, but little is known about its prevalence and the distribution of AF risk factors in the general population.
Methods: We determined the prevalence of AF and the distribution of known AF risk factors among persons participating in the population-based Gutenberg Health Study. To this end, we used interview data about the medical diagnosis of AF and electrocardiograms (ECGs) that were performed for the study in 5000 persons aged 35 to 74. The response rate was 60.4%.
Results: There were 5000 persons in the study sample (age 52.2 ± 11 years; 50.6% were women). The prevalence of AF, weighted for the age and sex distribution of the general population, was 2.5%. AF was found to be more common in older persons, with a more pronounced increase in men: whereas its prevalence was 0.7% in 35- to 44-year-old men, the corresponding figure for the age group 65- to 74 was as high as 10.6%. Twenty five participants (15.5% of AF cases) received their initial diagnosis of AF on the basis of the study ECG. Compared to persons without AF, persons with AF were older and more commonly male, and they had a higher burden of cardiovascular risk factors. 14.3% of persons with AF had none of the well-established risk factors for AF (systolic blood pressure, antihypertensive medication, increased body-mass-index, heart failure). 42.7% of persons with AF were not taking either anticoagulants or platelet inhibitors.
Conclusion: These data indicate that the prevalence of AF in the middle-aged general population is 2.5% overall, and higher in the elderly. AF is thus a significant public health problem, and greater awareness of it is needed.
Zitierweise
Schnabel RB, Wilde S, Wild PS, Munzel T, Blankenberg S: Atrial fibrillation:
its prevalence and risk factor profile in the German general population.
Dtsch Arztebl Int 2012; 109(16): 293–9. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0293
@Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit1612
eKasten und eTabellen:
www.aerzteblatt.de/12m0293
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Medizinische Klinik und Poliklinik (Kardiologie) sowie Centrum für Thrombose und Hämostase, Universitätsmedizin Mainz: Dr. med. Wild, Prof. Dr. med. Munzel
1. | Miyasaka Y, Barnes ME, Gersh BJ, et al.: Secular trends in incidence of atrial fibrillation in Olmsted County, Minnesota, 1980 to 2000, and implications on the projections for future prevalence. Circulation 2006; 114: 119–25. CrossRef MEDLINE |
2. | Stefansdottir H, Aspelund T, Gudnason V, Arnar DO: Trends in the incidence and prevalence of atrial fibrillation in Iceland and future projections. Europace 2011; 13: 1110–7. CrossRef MEDLINE |
3. | Lloyd-Jones DM, Wang TJ, Leip EP, et al.: Lifetime risk for development of atrial fibrillation: the Framingham Heart Study. Circulation 2004; 110: 1042–6. CrossRef MEDLINE |
4. | Currie CJ, Jones M, Goodfellow J, et al.: Evaluation of survival and ischaemic and thromboembolic event rates in patients with non-valvar atrial fibrillation in the general population when treated and untreated with warfarin. Heart 2006; 92: 196–200. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Wang TJ, Larson MG, Levy D, et al.: Temporal relations of atrial fibrillation and congestive heart failure and their joint influence on mortality: the Framingham Heart Study. Circulation 2003; 107: 2920–5. CrossRef MEDLINE |
6. | Benjamin EJ, Wolf PA, D'Agostino RB, Silbershatz H, Kannel WB, Levy D: Impact of atrial fibrillation on the risk of death: the Framingham Heart Study. Circulation 1998; 98: 946–52. MEDLINE |
7. | Nabauer M, Gerth A, Limbourg T, et al.: The Registry of the German Competence NETwork on Atrial Fibrillation: patient characteristics and initial management. Europace 2009; 11: 423–34. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al.: Guidelines for the management of atrial fibrillation: the Task Force for the Management of Atrial Fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31: 2369–429. CrossRef MEDLINE |
9. | Schnabel RB, Schulz A, Wild PS et al.: Non-invasive vascular function measurement in the community: cross-sectional relations and comparison of methods. Circ Cardiovasc Imaging 2011; 4: 348–50. CrossRef MEDLINE |
10. | Schnabel RB, Sullivan LM, Levy D, et al.: Development of a risk score for atrial fibrillation (Framingham Heart Study): a community-based cohort study. Lancet 2009; 373: 739–45. CrossRef MEDLINE |
11. | Schnabel RB, Aspelund T, Li G, et al.: Validation of an atrial fibrillation risk algorithm in whites and african americans. Arch Intern Med 2010; 170: 1909–17. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
12. | Gage BF, Waterman AD, Shannon W, Boechler M, Rich MW, Radford MJ: Validation of clinical classification schemes for predicting stroke: results from the National Registry of Atrial Fibrillation. JAMA 2001; 285: 2864–70. CrossRef MEDLINE |
13. | Lip GY, Nieuwlaat R, Pisters R, Lane DA, Crijns HJ: Refining clinical risk stratification for predicting stroke and thromboembolism in atrial fibrillation using a novel risk factor-based approach: the Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation. Chest 2010; 137: 263–72. CrossRef MEDLINE |
14. | Lip GY, Frison L, Halperin JL, Lane DA: Identifying patients at high risk for stroke despite anticoagulation: a comparison of contemporary stroke risk stratification schemes in an anticoagulated atrial fibrillation cohort. Stroke 2010; 41: 2731–8. CrossRef MEDLINE |
15. | Hart RG, Pearce LA, Aguilar MI: Meta-analysis: antithrombotic therapy to prevent stroke in patients who have nonvalvular atrial fibrillation. Ann Intern Med 2007; 146: 857–67. MEDLINE |
16. | Holstenson E, Ringborg A, Lindgren P, et al.: Predictors of costs related to cardiovascular disease among patients with atrial fibrillation in five European countries. Europace 2011; 13: 23–30. CrossRef MEDLINE |
17. | Aliot E, Breithardt G, Brugada J, et al.: An international survey of physician and patient understanding, perception, and attitudes to atrial fibrillation and its contribution to cardiovascular disease morbidity and mortality. Europace 2010; 12: 626–33. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
18. | Ford ES, Ajani UA, Croft JB, et al.: Explaining the decrease in U.S. deaths from coronary disease, 1980–2000. N Engl J Med 2007; 356: 2388–98. CrossRef MEDLINE |
19. | Benjamin EJ, Levy D, Vaziri SM, D'Agostino RB, Belanger AJ, Wolf PA: Independent risk factors for atrial fibrillation in a population-based cohort. The Framingham Heart Study. JAMA 1994; 271: 840–4. CrossRef MEDLINE |
20. | Psaty BM, Manolio TA, Kuller LH, et al.: Incidence of and risk factors for atrial fibrillation in older adults. Circulation 1997; 96: 2455–61. MEDLINE |
21. | Schnabel RB, Larson MG, Yamamoto JF, et al.: Relations of biomarkers of distinct pathophysiological pathways and atrial fibrillation incidence in the community. Circulation 2010; 121: 200–7. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
22. | Meinertz T, Kirch W, Rosin L, Pittrow D, Willich SN, Kirchhof P: Management of atrial fibrillation by primary care physicians in Germany: baseline results of the ATRIUM registry. Clin Res Cardiol 2011; 100: 897–905. CrossRef MEDLINE PubMed Central |
23. | Nieuwlaat R, Olsson SB, Lip GY, et al.: Guideline-adherent antithrombotic treatment is associated with improved outcomes compared with undertreatment in high-risk patients with atrial fibrillation. The Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation. Am Heart J 2007; 153: 1006–12. CrossRef MEDLINE |
24. | Lip GY: Anticoagulation therapy and the risk of stroke in patients with atrial fibrillation at ‘moderate risk' [CHADS2 score=1]: simplifying stroke risk assessment and thromboprophylaxis in real-life clinical practice. Thromb Haemost 2010; 103: 683–5. CrossRef MEDLINE |
25. | Hindricks G, Piorkowski C, Tanner H, et al.: Perception of atrial fibrillation before and after radiofrequency catheter ablation: relevance of asymptomatic arrhythmia recurrence. Circulation 2005; 112: 307–13. CrossRef MEDLINE |
e1. | Dormann H, Diesch K, Ganslandt T, Hahn EG, et al.: Kennzahlen und Qualitätsindikatoren einer medizinischen Notaufnahme. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(15): 261–7. VOLLTEXT |
e2. | R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, Austria. ISBN 3–900051–08–9. www.R-project.org. |
e3. | Gage BF, Waterman AD, Shannon W, Boechler M, Rich MW, Radford MJ: Validation of clinical classification schemes for predicting stroke: results from the National Registry of Atrial Fibrillation. JAMA 2001; 285: 2864–70. CrossRef MEDLINE |
e4. | Lip GY, Nieuwlaat R, Pisters R, Lane DA, Crijns HJ: Refining clinical risk stratification for predicting stroke and thromboembolism in atrial fibrillation using a novel risk factor-based approach: the Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation. Chest 2010; 137: 263–72. CrossRef MEDLINE |
e5. | Schnabel RB, Sullivan LM, Levy D, et al.: Development of a risk score for atrial fibrillation (Framingham Heart Study): a community-based cohort study. Lancet 2009; 373: 739–45. MEDLINE |
e6. | Trappe JH: Atrial Fibrillation: Established and innovative methods of evaluation and treatment. Dtsch Artzebl Int 2012; 109(1–2): 1–7. MEDLINE PubMed Central |
-
Deutsches Ärzteblatt international, 201510.3238/arztebl.2015.0338
-
Frontiers in Public Health, 202210.3389/fpubh.2022.1061328
-
Haematologica, 201910.3324/haematol.2019.221655
-
Der Internist, 202210.1007/s00108-021-01206-7
-
Frontiers in Public Health, 202110.3389/fpubh.2021.753443
-
Journal of Health Economics and Outcomes Research, 201910.36469/9774
-
Arrhythmia & Electrophysiology Review, 201810.15420/aer.2017.47.2
-
Journal of Health Economics and Outcomes Research, 201910.36469/jheor.2019.9774
-
Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM), 201610.1515/cclm-2016-0014
-
Thrombosis Journal, 202210.1186/s12959-022-00395-x
-
Book, 202210.1016/B978-3-437-15280-1.00068-0
-
Deutsches Ärzteblatt international, 202210.3238/arztebl.m2022.0002
-
Journal of Clinical Medicine, 201910.3390/jcm8071083