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Organisierte Sterbehilfe: Unerträglicher Zustand


Herr C. wollte sterben. „Erstens, weil ich nicht mehr nützlich bin, zweitens, weil ich einfach keine Kraft mehr habe.“ Körperliche oder neurologische Beeinträchtigungen waren bei ihm nicht zu beobachten. Er litt aber nach Ansicht der Gutachter des Vereins „SterbeHilfeDeutschland“ unter anderem an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, stark überwiegend depressiven sowie zwanghaften und phobischen Zügen. Die Gutachter kamen zu dem „medizinethischen“ Schluss, dass „im vorliegenden Fall eine Bevorzugung des Lebensschutzes gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht Herrn C. zu einem weiteren Erleiden seines unerträglichen Lebenszustandes oder zu einem einsamen und mutmaßlich brutalen Suizid verurteilt“. Deshalb erscheine „die Suizidbeihilfe als ein letztmöglicher menschlich zugewandter Akt, der von dem Patienten so dringend gewünscht wird“. Wenige Tage nach Erstellung des Gutachtens erfolgte bei Herrn C. die Suizidbeihilfe durch sogenannte ehrenamtliche Sterbehelfer. Herr C. ist einer von 27 Mitgliedern des vom früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch gegründeten Vereins, der mit Hilfe eines „begleiteten Suizids“ starb. Ihnen ist das „Weißbuch 2012“ gewidmet, das „die ärztlich-psychiatrischen Gutachten abdruckt, die zur Vorbereitung der assistierten Suizide erstellt worden waren“.
Solche Aktivitäten können für die Ärzteschaft nicht hinnehmbar sein. Sie widersprechen nicht nur dem hippokratischen Eid, in dem es heißt: „Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde.“ Sie sind ganz eindeutig von der im vergangenen Jahr novellierten (Muster-)Berufsordnung verboten. Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, fand denn auch klare Worte: „Wir müssen Geschäftemachern mit dem Tod endlich das Handwerk legen.“ Es sei ein unerträglicher Zustand, „dass Menschen durch die Republik reisen und Sterbewilligen auf die Schnelle den Schierlingsbecher reichen“. Montgomery sagte, er sei entsetzt darüber, dass es sich in der Mehrzahl der von Kusch beschriebenen Fälle nicht um todkranke, sondern – wie bei Herrn C. – um depressive und andere psychisch labile Menschen handelte, denen mutmaßlich zu helfen gewesen wäre.
Auch die Politik sieht offenbar Handlungsbedarf. Bereits Anfang März hatten Union und FDP im Koalitionsausschuss beschlossen, dass Geschäfte mit der Sterbehilfe verboten werden sollen. Dazu soll ein neuer Tatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen werden. Bis zur Sommerpause soll ein Gesetzentwurf vorliegen. Das ist zwar ein guter Ansatz, er geht aber noch nicht weit genug. Es soll nämlich nicht grundsätzlich jede organisierte, sondern nur die „gewerbsmäßige“ Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden. Daher bleibt es fraglich, ob die angekündigte Gesetzesinitiative solche Fälle wie die im Weißbuch beschriebenen verhindern kann. In der Praxis lassen sich diese Organisationen nämlich leicht zu vermeintlich altruistisch handelnden Stiftungen umfirmieren. Auch Kuschs Verein verzichtet auf Honorare, verlangt jedoch Mitgliedsbeiträge. „Deshalb muss der Gesetzgeber allen Facetten der organisierten Beihilfe zum Suizid einen strafrechtlichen Riegel vorschieben, also auch den Organisationen, bei denen rechtlich keine Gewinnerzielungsabsicht nachweisbar ist“, forderte Montgomery.
Gisela Klinkhammer
Chefin vom Dienst (Text)
Khanavkar, Barbara
Spittler, Johann Friedrich
Broicher, Franz-Josef
Kurzweil, Barbara
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Dienstag, 24. April 2012, 15:46
Was zumeist übersehen wird
«Im Lichte dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof dafür, dass das Recht eines Individuums, zu entscheiden, auf welche Weise und in wel-chem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, sofern es in der Lage ist, seine diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dem entsprechend zu handeln, einen der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Artikel 8 der Konvention darstellt».
Dies bedeutet, dass der EGMR ausdrücklich ein Recht auf oder eine Freiheit zum Suizid anerkannt hat. Und dies bedeutet gleichzeitig, dass kein Dritter des Recht hat, zu verlangen, dass ein Arzt nur einem Schwerkranken bei einem Sterbewunsch behilflich sein darf. Entscheidend ist letztlich allein, ob im Vor-feld einer solchen Hilfe ausreichend abgeklärt worden ist, ob es realistischerwei-se eine Alternative in Richtung Weiterleben gibt, und ob der betroffene Mensch diese auch annehmen will. Menschen, die zum Suizid entschlossen sind, allein zu lassen und sie den Risiken einsamer Suizidversuche auszusetzen, ist un-menschlich. Dies verstösst gegen den Grundsatz des Genfer Ärztegelöbnisses, welches als ärztliche Verpflichtung die Achtung der Menschlichkeit in den Vor-dergrund rückt.
Der Verweis Gisela Klinkhammers auf den Eid des Hippokrates wirkt etwas lä-cherlich: Einerseits existieren nicht nur die damaligen griechischen Götter nicht mehr, die bei jenem Eid angerufen worden sind; anderseits ist eine Existenz ir-gendeines Gottes ohnehin fraglich, so dass jeder Eid an sich schon fragwürdig wirken muss. Ein Gelöbnis erscheint wesentlich ehrlicher und rationaler.
Sodann dürfte ein Hinweis auf das Werk von WOLFGANG SCHORLAU, «Die letzte Flucht», angebracht sein. Darin zeigt der Autor auf Seite 247, dass ein erhebli-ches wirtschaftliches Interesse der Krankheitsindustrie besteht, aus Todkranken noch mehr Umsatz herauszuholen und sich diese Zielgruppe zu erhalten, unter anderem dadurch, indem die Pharmaindustrie Ärzteorganisationen im Bestreben unterstützt, Ärzten jegliche Mitwirkung an Sterbehilfe zu untersagen.
Und schliesslich ist festzustellen, dass die Behauptung des Präsidenten der Bun-desärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, Sterbehilfegesellschaften wür-den keine Angebote bereit in Richtung Weiterleben bereit halten und lediglich daran interessiert sein, möglichst rasch Suizide zu ermöglichen, eine schlichte Verleumdung darstellt: Montgomery weiss genau, dass das Gegenteil wahr ist. In wessen Interesse behauptet er Unwahres?
am Freitag, 20. April 2012, 17:14
Dann sollte die Ärzteschaft Konsequenzen ziehen!!!
Der Hinweis auf den hippokratischen Eid mit dem Zitat verfängt nicht, insbesondere nicht in Kenntnis der Tatsache, dass mit Blick auf den Schwangerschaftsabbruch der Eid ohnehin nicht vollständig von der Ärzteschaft "internalisiert" wurde.
Das Problem dürfte ein einfaches sein: Die Ärztekammern sollten ihre Kolleginnen und Kollegen in die Freiheit ihrer Gewissensentscheidung entlassen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass auch nur ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte "moralisch und ethisch verroht" sind.
Insofern verhindert derzeit allen voran die BÄK ein würdevolles, weil in erster Linie auch selbstbestimmtes, Sterben schwersterkrankter Patienten und insofern liegt es u.a. an der Ärzteschaft, hier entsprechende Signale zu setzen, damit künftig solche Organisationen entbehrlich werden.
Pointiert ausgedrückt: Die BÄK und all diejenigen, die sich gegen eine Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts aussprechen, laden in doppelter Hinsicht "moralische Schuld" auf sich: Einerseits nehmen diese das Selbstbestimmungsrecht der Schwersterkrankten nicht ernst und zum anderen haben sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die freie Ärzteschaft mit einem ethischen Zwangsdiktat überzogen worden ist.