THEMEN DER ZEIT
Mediensucht bei Jugendlichen: Wenn nichts mehr ohne online geht


Der Umgang mit dem Internet ist für Jugendliche so selbstverständlich wie fernsehen oder telefonieren. Doch der Online-Konsum kann auch süchtig machen.
Zu Beginn eine positive Nachricht: Die jüngste Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat gezeigt, dass Rauchen bei Jugendlichen „out“ ist. Noch vor zehn Jahren lag die Raucherquote unter den 14- bis 17-Jährigen bei 27,5 Prozent, im vergangenen Jahr ist sie auf 11,7 Prozent geschrumpft. Das könnte darauf hindeuten, dass sich das Suchtverhalten von Jugendlichen langfristig auch dem Zeitgeist anpasst. So erstaunt es nicht, dass ein neues Suchtverhalten von Minderjährigen und jungen Erwachsenen in den öffentlichen Fokus geraten ist: die Mediensucht. Wenn die Zeit vor dem Computer zum einzigen Lebensinhalt wird, dann sind Eltern und Angehörige meist ratlos. Deshalb haben sich viele Suchtberatungsstellen seit Mitte der „Nullerjahre“ gezielt auf Mediensüchtige, deren Leben außer Kontrolle geraten ist, eingestellt. Dr. Theo Wessel, Psychologischer Psychotherapeut und Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland, beschäftigt sich seit 2006 mit diesem Thema. „Beim Begriff Mediensucht wird auch die Benutzung von Smartphones, das Chatten im Internet und der Aufenthalt in der virtuellen Community miteinbezogen“, so Wessel. Eine große Rolle spielen aber nach wie vor die MMORPGs (massively multiplayer online-role playing games), wie das Spiel World of Warcraft (WoW), das sehr viel Zeit des Spielers in Anspruch nimmt. Besonders die „Digital Natives“, also die Menschen, die eine Welt ohne Internet gar nicht mehr kennengelernt haben, müssen mit den allzeit verfügbaren Verlockungen der „virtuellen Onlinewelt“ verantwortungsvoll umgehen. Den meisten gelingt dies problemlos, doch es gibt auch andere, deren Medienkonsum als „problematisch“ eingestuft werden kann.
Mediensucht betrifft auch Mädchen
Der im letzten Herbst veröffentlichte Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Prävalenz der Internetabhängigkeit machte unter den 14- bis 16-Jährigen vier Prozent Internetabhängige aus. Dabei ist der Frauenanteil mit 4, 9 Prozent höher als der Männeranteil, der bei 3,9 Prozent liegt. Auf Jungen üben vorwiegend Online-Rollenspiele eine große Anziehungskraft aus, Mädchen halten sich dagegen öfter in sozialen Netzwerken auf. Überdies hat die Studie 4,6 Prozent aller Befragten im Alter zwischen 14 und 64 Jahren einen problematischen Internetgebrauch bescheinigt. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmanns, sieht darin ein akutes Problem und kündigte deshalb an, ihren Arbeitsschwerpunkt 2012 auf die „Computer- und Spielesucht“ zu setzen.
Wessel beobachtet, dass Internetspielsüchtige häufig Symptome einer Depression aufweisen. Bei Jungen sei in diesem Zusammenhang auch die Diagnose ADHS verbreitet. Das Spielen werde dazu benutzt, Erfahrungen mit Angst und Frustrationen abzubauen, doch ein Spiel wie WoW, das nie zu Ende geht, verleite dazu, sich in der virtuellen Welt zu verlieren, so Wessel. Er verurteile das Internet und die Online-Spiele nicht pauschal, aber das frühe Hinsehen der Eltern und gewisse Regeln müssten den Rahmen bilden. Wessel gibt angesichts der erfreulichen Zahlen zum Tabakkonsum die Hoffnung jedoch nicht auf, dass der problematische Medienkonsum in Zukunft auch wieder ab- statt zunehmen wird.
Johanna Protschka
3 Fragen an . . .
Dr. Theo Wessel, Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland
Was sind die häufigsten Auffälligkeiten bei Medien- und Online-Spielsucht?
Wessel: Vor allem das „craving“, also das kontinuierliche und fast unbezwingbare Verlangen des Suchtkranken. Der Mediensüchtige hat keine Kontrolle mehr über Beginn und Ende des Konsums, er verliert seine Handlungsfreiheit. Er reagiert gereizt beim Entzug des Mediums. Hinzu kommt die Vernachlässigung der Verpflichtungen in der realen Welt.
Welche Präventionsmaßnahmen empfehlen Sie Eltern?
Wessel: Zeitvereinbarungen über den Medienkonsum sind auf jeden Fall eine wichtige Maßnahme. Am wichtigsten ist es, die Kinder stark zu machen. Junge Menschen, die sich im sozialen Kontext gefestigt und in der Kommunikation mit Gleichaltrigen stark fühlen, laufen weniger Gefahr, eine Medien- oder Online-Spielsucht zu entwickeln.
Welche Maßnahmen fordern Sie von der Spieleindustrie und der Politik?
Wessel: Das Online-Spiel World of Warcraft ist beispielsweise schon ab zwölf Jahren freigegeben, das ist nicht altersgerecht. Die Freiwillige Selbstkontrolle ist hier gefragt. Außerdem sollte man dem Beispiel von Südkorea folgen und die Spielehersteller verpflichten, eine Zeitbegrenzung in die Spiele zu integrieren. Dazu kommt: Mädchen nutzen Online-Spiele eher weniger und halten sich dafür mehr in sozialen Netzwerken auf. Ab welchem Zeitpunkt diese Auffälligkeit als eine Störung zu sehen ist, muss noch wissenschaftlich hinterfragt werden. Wir brauchen dazu valide Daten.