ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2012Das Epigenom: Der Dompteur der Gene

MEDIZINREPORT

Das Epigenom: Der Dompteur der Gene

Zylka-Menhorn, Vera

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Die epigenetische Forschung erlaubt Rückschlüsse darauf, wie Adipositas, Diabetes mellitus oder auch Krebs entstehen. Darin liegen Ansätze für neue Therapien.

Fast jede Körperzelle trägt in ihrem Zellkern die vollständige Kopie der gesamten Erbinformation eines Individuums. Damit sich aus der uniformen Vorlage der DNA-Sequenz ein komplexer Organismus aus etwa 250 verschiedenen Zelltypen entwickelt, werden aber nur bestimmte Gene zu bestimmten Zeiten abgelesen. Gene, die nicht für die Differenzierung, zum Beispiel zu einer Muskelzelle oder Leberzelle, benötigt werden, bleiben abgeschaltet. Die Abfolge der DNA-Basen ist somit nicht allein verantwortlich für die Entwicklung des Menschen, vielmehr werden die Gene selbst durch molekulare, sogenannte epigenetische Mechanismen gesteuert.

Epigenetische Modifikationen wie DNA-Methylierung und Histon-Modifikationen, gelten als eine zentrale Schnittstelle zwischen Umwelt, genetischer Prädisposition und Phänotyp. Sie können durch das soziale Umfeld, die Ernährung und verschiedene andere Faktoren beeinflusst und teilweise reversibel verändert werden. Abbildung: Thomas Hentrich/Medical Genetics/Universität Tübingen
Epigenetische Modifikationen wie DNA-Methylierung und Histon-Modifikationen, gelten als eine zentrale Schnittstelle zwischen Umwelt, genetischer Prädisposition und Phänotyp. Sie können durch das soziale Umfeld, die Ernährung und verschiedene andere Faktoren beeinflusst und teilweise reversibel verändert werden. Abbildung: Thomas Hentrich/Medical Genetics/Universität Tübingen

„Die primäre Information, die einen Menschen ausmacht, ist zwar die Gensequenz, sonst wären eineiige Zwillinge nicht genetisch ident und sich äußerlich so ähnlich. Doch epigenetische Veränderungen sorgen dafür, dass beispielsweise nur ein Zwilling anfälliger für Diabetes wird“, sagt Prof. Dr. Thomas Jenuwein vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg.

Epigenetische Veränderungen können durch chemische oder physikalische Umweltfaktoren, eingeleitet werden. Aber auch biologische, psychische und soziale Faktoren sind in der Lage, das Epigenom zu modulieren – zum Beispiel als Reaktion auf erlebte Emotionen oder eine Veränderung der Ernährung. Durch welche Mechanismen die Aktivität der Gene auf zellulärer Ebene gesteuert wird, ist Gegenstand der Forschung. Der bekannteste ist die Methylierung bestimmter Nukleotide der DNS: Wenn Methylgruppen an Cytosinbasen andocken, denen direkt darauf die Base Guanin folgt, kann die nachfolgende Gensequenz nicht abgelesen werden. Methylierte Cytosine agieren somit als „Ausschalter“. Ein weiterer epigenetischer Mechanismus ist die Histon-Acetylierung. Dadurch wird der zwei Meter lange, dicht in den Zellkern gepackte und um Histone gespulte DNS-Strang an bestimmten Stellen „gelockert“, was das Binden von Transkriptionsfaktoren erlaubt; die Gene werden dort „ablesbar“.

Eine weitere Steuerung der Gene erfolgt über kleine Mikro-Ribonukleinsäuren, kurz microRNAs. Sie blockieren die Boten-RNA, die die Information von der DNA zur Eiweiß-Produktionsstätte transportieren sollte, und verhindern so, dass das betreffende Protein gebildet wird. Aktuell sind etwa 1 000 unterschiedliche microRNAs bekannt, die in verschiedenen Organen hochspezifisch die Genexpression regulieren.

Epigenetische Prozesse sind allerdings nicht immer von Vorteil für den Menschen: Viele Krebsarten entstehen beispielsweise dadurch, dass die Gene für Reparaturenzyme oder Schutzmechanismen ausgeschaltet werden. „Das Zusammenspiel zwischen Umwelt, Genetik und Epigenetik ist bisher nur rudimentär verstanden, aber faszinierend, denn es betrifft die Arbeit jedes Arztes“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Prof. Dr. med. Joachim Mössner aus Leipzig, beim Jahreskongress in Wiesbaden.

Und das Forschungsgebiet bietet therapeutische Chancen: Da alle epigenetischen Mutationen reversibel sind, eignen sie sich als potenzielle Zielstrukturen für entsprechende Medikamente an (Kasten). „Die ersten Substanzen werden derzeit vor allem bei Krebspatienten angewendet“, ergänzte Prof. Dr. med. Ulrich R. Fölsch, Generalsekretär der DGIM. In Zukunft seien epigenetische Wirkstoffe auch zur Therapie von Diabetes mellitus, Alzheimer sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erwarten.

Epigenetische Analysen werden bei Krebs zur Routine

In nahezu jedem menschlichen Tumor lassen sich charakteristisch regionale Vermehrungen der DNA-Methylierung nachweisen. „Da Methylcytosin sehr sensitiv und kostengünstig nachgewiesen werden kann, eignen sich tumorassoziierte Methylierungsveränderungen hervorragend als diagnostische Marker“, sagte Priv.-Doz. Dr. med. Heinz Linhart vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg.

Der Forscher hat mit seinem Team in der Erbsubstanz circa 1 500 Positionen identifiziert, in denen tumorassoziierte Methylierungsveränderungen gehäuft auftreten. So könne zum Beispiel Darmkrebsgewebe mit einer Sensitivität und Spezifität von mehr als 95 Prozent nachgewiesen werden, sagte Linhart. Seinen Angaben nach werden DNA-Methylierungsanalysen schon in naher Zukunft zur Einschätzung des Krebsrisikos und zur Tumorfrüherkennung eingesetzt. Entscheidende Erkenntnisse hierfür erhoffen sich die Forscher von den Daten des „International Humane Epigenome Consortium“, das weltweit alle krankheitsrelevanten epigenetischen DNA-Veränderungen erfasst. Hierfür wird Gewebe von gesunden und an Krebs erkrankten Menschen verglichen.

Die Epigenetik eröffnet zudem neue Erklärungen für die Genregulation des Stoffwechsels und ihren Störungen. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die embryonale und frühe postnatale Phase besonders empfindlich für epigenetische Veränderungen sind, wie epidemiologische Untersuchungen offenbaren. Trotz Zeiten der Mangelernährung wiesen Personen, die im Zweiten Weltkrieg geboren worden waren, im späteren Leben ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas und kardiovaskuläre Erkrankungen auf, berichtete. Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer, Endokrinologe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin:

Zwillingsstudien zeigten zudem, dass schon wenige Wochen Diät ausreichen, um Veränderungen in der Ausprägung bestimmter Gene zu bewirken. Hierfür erhielten 45 gesunde Zwillingspaare zunächst für sechs Wochen eine isokalorische kohlenhydratreiche und fettarme Kost, in den folgenden sechs Wochen eine kohlenhydratarme und fettreiche Diät. „Dies bedingte schon innerhalb von sechs Tagen eine erheblich Umprogrammierung der zentralen Zeitgebergene. Verbunden damit waren Veränderungen des Fettstoffwechsels und der Inflammation“, sagte Pfeiffer.

Viele Komponenten werden gleichzeitig verändert

Doch lassen sich epigenetische „Fehler“ durch Arzneimittel rückgängig machen? Dies ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn bei epigenetischen Eingriffen werden immer viele Gene gleichzeitig erfasst. Entwickelt man eine auf das epigenetische Netzwerk abzielende Therapie, beispielsweise um ein großes Schaltermolekül zu entfernen, „dann wird man auch sehr unspezifische Aktivierungen oder Stilllegungen von Genen auslösen. Und niemand versteht so richtig, was dann die Konsequenzen sind. Gleichwohl ist dieses neue Forschungsgebiet interessant“, erklärt der deutsche Spitzenforscher Thomas Tuschl, Professor an der Rockefeller University in New York.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Epigenetische Therapien

DNA-Methylierung: Als erstes epigenetisches Arzneimittel in Deutschland wurde Azacitidin (Vidaza®) 2009 zur Therapie der akuten myeloischen Leukämie und des myelodysplastischen Syndroms zugelassen. Die Substanz wird bei der Neusynthese der DNA anstelle von Cytosinbasen eingebaut und hemmt dann DNA-Methyltransferasen. Damit nimmt der Methylierungsgrad der DNA ab. Azacitidin kann die Überlebenszeit von Patienten signifikant verlängern, hat allerdings auch weitere zytotoxische Effekte.

Histon-Modifikation: Durch Acetylierung und Deacetylierung von Histonen kann die Aktivität von Genen reguliert werden. Histon-Acetylierungen werden erzeugt durch Histon-Acetyltransferasen (HAT) und wieder entfernt durch Histon-Deacetylasen (HDAC). So kann HDAC-Hemmung Tumorzellen in den programmierten Zelltod treiben. Aus der Gruppe der Arzneimittel, die die Modifikation von Histonen beeinflussen, ist die Entwicklung des Histon-Deacetylase-Inhibitors Vorinostat am weitesten fortgeschritten. Vorinostat wurde in den USA bereits zur Therapie von T-Zell-Lymphomen der Haut zugelassen. Weitere HDAC-Inhibitoren werden bei soliden Tumoren (Prostata-, Darm-, Nierenkrebs) sowie für andere chronische Erkrankungen untersucht.

microRNAs: microRNAs haben die Möglichkeit, die Expression von Genen auf Ebene der Boten-RNA zu inhibieren. Viele Krebserkrankungen werden mit einer veränderten Konzentration an microRNA-Molekülen in Verbindung gebracht. Eine Deregulation (Unter- oder Oberregulation) beobachtet man aber auch bei kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes oder Asthma. Derzeit sucht man nach microRNAs, die das Potenzial als therapeutische Zielstrukturen haben. Die ersten klinischen Studien mit modifizierten microRNAs sowie micro-RNA-Antagonisten (Antagomire) haben begonnen.

Wissenschaftlern aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum ist es gelungen, Brustkrebszellen, die resistent gegenüber Tamoxifen sind, mit einem microRNA-Molekül wieder empfindlich für das Medikament zu machen. (Oncogene 2012, doi: 10.1038/onc.2012.128)

Epigenetische Modifikationen wie DNA-Methylierung und Histon-Modifikationen, gelten als eine zentrale Schnittstelle zwischen Umwelt, genetischer Prädisposition und Phänotyp. Sie können durch das soziale Umfeld, die Ernährung und verschiedene andere Faktoren beeinflusst und teilweise reversibel verändert werden. Abbildung: Thomas Hentrich/Medical Genetics/Universität Tübingen
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Epigenetische Modifikationen wie DNA-Methylierung und Histon-Modifikationen, gelten als eine zentrale Schnittstelle zwischen Umwelt, genetischer Prädisposition und Phänotyp. Sie können durch das soziale Umfeld, die Ernährung und verschiedene andere Faktoren beeinflusst und teilweise reversibel verändert werden. Abbildung: Thomas Hentrich/Medical Genetics/Universität Tübingen

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