ArchivDeutsches Ärzteblatt20/2012Interview mit Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetags: „Ein Wettbewerb zwischen GKV und PKV ist vernünftig“

POLITIK: Das Interview

Interview mit Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetags: „Ein Wettbewerb zwischen GKV und PKV ist vernünftig“

Flintrop, Jens; Stüwe, Heinz

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Frank Ulrich Montgomery zu den Themen des Ärztetags in Nürnberg, über die Zukunft der Krankenversicherung und die Expansion privater Gesundheitskonzerne.

Seit einem Jahr steht Frank Ulrich Montgomery als Präsident der Bundesärztekammer an der Spitze der Ärzteschaft, zugleich ist er Präsident der Ärztekammer Hamburg. Trotz seiner vielen Verpflichtungen hält der Facharzt für Radiologie mit einem Kliniktag pro Woche Kontakt zur Berufspraxis. Fotos: dpa/Tobias Hase für Deutsches Ärzteblatt
Seit einem Jahr steht Frank Ulrich Montgomery als Präsident der Bundesärztekammer an der Spitze der Ärzteschaft, zugleich ist er Präsident der Ärztekammer Hamburg. Trotz seiner vielen Verpflichtungen hält der Facharzt für Radiologie mit einem Kliniktag pro Woche Kontakt zur Berufspraxis. Fotos: dpa/Tobias Hase für Deutsches Ärzteblatt

Herr Dr. Montgomery, zum ersten Mal eröffnen Sie als Präsident der Bundesärztekammer am 22. Mai einen Ärztetag. Was erwarten Sie vom 115. Deutschen Ärztetag in Nürnberg?

Montgomery: Ich erwarte eine politisch spannende Debatte über die Zukunft der Krankenversicherung. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr wird in der Eröffnungsveranstaltung sicher dazu Stellung nehmen. Am selben Tag referieren die gesundheitspolitischen Sprecher Jens Spahn (CDU/CSU) und Karl Lauterbach (SPD) über die „Anforderungen an eine Krankenversicherung der Zukunft“. Mit diesen Statements von Politikern ohne die übliche Begleitung durch Wissenschaftler wollen wir erreichen, dass man die Konzepte ihrer Parteien erkennt und dass man sie offen diskutiert. Am Ende wird sich der Ärztetag, davon bin ich überzeugt, klar und konsequent zu einem dualen Krankenversicherungssystem bekennen, wie wir es heute haben. Dieses System sollten wir festigen.

Herr Lauterbach tritt bekanntlich für eine Bürgerversicherung ein. Neuerdings plädiert aber auch Herr Spahn für eine Konvergenz der Systeme. Hat Sie das überrascht?

Montgomery: Das hat mich überrascht, weil die große Volkspartei CDU sich anders positioniert hat. Bisher ist das eine Einzelmeinung in der CDU, und Herr Spahn hat sie seit dem Interview im März nicht wieder geäußert. Ich freue mich auf die Debatte. Wir führen sie ja mit Absicht so früh, dass ihre Ergebnisse noch in die Wahlprogramme einfließen können.

Auf dem Ulmer Ärztetag 2008 wurde kontrovers darüber diskutiert, ob es Aufgabe der Ärzteschaft sei, die Frage nach dem besten Krankenversicherungssystem zu beantworten.

Montgomery: Richtig. In Ulm hat es der Ärztetag mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt, ein eigenes Finanzierungskonzept in die gesundheitspolitischen Grundsätze aufzunehmen. Aber wir haben in Ulm zugleich auch klare Prüfkriterien für die Versorgungsadäquanz künftiger Finanzierungskonzepte aufgestellt. Das ist der Auftrag. Im Übrigen haben Umfragen gezeigt, dass inzwischen drei von vier Ärzten nicht nur den Mangel verwalten, sondern die Vermeidung des Mangels mitgestalten wollen. In der Ärzteschaft muss offen diskutiert werden, ohne die Ergebnisse vorzugeben. Wir wollen doch wissen, mit welcher Programmatik die Parteien in die Wahl gehen, um unseren Mitgliedern eine qualifizierte Wahlentscheidung zu ermöglichen.

Warum ist es gut, dass es die PKV gibt?

Montgomery: Da die PKV schneller neue Leistungen übernimmt, zwingt sie die gesetzliche Krankenversicherung, ihren Versicherten Innovationen zugutekommen zu lassen. Wenn diese Benchmark in einer Bürgerversicherung wegfiele, würden die Leistungen erheblich eingeschränkt. Die Bürgerversicherung wäre der Turbolader für die Zweiklassenmedizin. Alle Länder mit Einheitsversicherung haben eine verschärfte Zweiklassenmedizin. Deshalb glaube ich, dass der Wettbewerb zwischen GKV und PKV vernünftig ist.

Welche Bedeutung hat die PKV für die Ärzteschaft?

Montgomery: Ärzte haben neben dem Interesse an guter Versorgungsqualität auch ein ökonomisches.
Daran ist nichts Unanständiges. Zum Beispiel stehen den gut 30 Milliarden Euro der GKV für die ambulante ärztliche Behandlung 5,8 Milliarden Euro aus Privatbehandlung nach GOÄ gegenüber. Ähnliche Zahlen gibt es für das Krankenhaus.

Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie die Reform der privatärztlichen Gebührenordnung zur Chefsache erklärt. Wie laufen denn die bilateralen Verhandlungen mit dem PKV-Verband über eine neue GOÄ?

Montgomery: Anfangs äußerst schwierig, inzwischen ist aber der Stand der Dinge, dass der PKV-Verband das Modell der Bundesärztekammer als Kalkulationsgrundlage anerkennt. Jetzt gilt es für die Zahlenexperten von Bundesärztekammer und PKV, dieses Modell anhand von mehreren Millionen Daten für alle 4 000 Leistungsziffern durchzurechnen.

Beharrt die PKV in den Verhandlungen weiterhin auf einer Öffnungsklausel?

Montgomery: Nein. Eine Öffnungsklausel, die einzelvertragliche Lösungen mit Dumpingtarifen ermöglicht, wird es mit uns nicht geben.

Wann könnte eine solche neue Gebührenordnung in Kraft treten? Sie sind mit dem Ziel angetreten, dies noch in der Legislaturperiode zu schaffen . . .

Montgomery: Wir sind einstweilen optimistisch, noch in dieser Legislaturperiode einen mit der PKV abgestimmten Entwurf für die überfällige Reform der GOÄ vorzulegen. Wenn es gut läuft, segnet das jetzige Bundeskabinett diesen auch noch ab. Dass der Entwurf dann aber noch den Bundesrat in dieser Legislaturperiode passiert, ist wohl eher unwahrscheinlich.

Nach einem möglichen Regierungswechsel im Herbst 2013 könnte also die ganze Arbeit für die Katz´ gewesen sein . . .

Montgomery: Nein, ganz sicher nicht. Wenn es einen abgestimmten GOÄ-Entwurf von Bundesärztekammer und PKV gibt und auch das Ministerium dem zugestimmt hat, dann ist das schon eine echte Hausnummer für jede Nachfolgeregierung.

BÄK und KBV legen zum Ärztetag eine gemeinsame Broschüre vor zum Umgang mit individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), die nicht bei allen Ärzten auf Begeisterung stoßen wird . . .

Montgomery: Es gibt gute Gründe für IGeL. Die müssen dann auch sauber dokumentiert werden, damit Patient und Arzt Rechtssicherheit haben. Deshalb richtet sich die Neuauflage der Broschüre an Patienten und an Ärzte. Wenn gesetzlich Versicherte einen schriftlichen Behandlungsvertrag über IGeL abschließen und hinterher eine GOÄ-Abrechnung bekommen, ist das völlig in Ordnung.

Wenn diese Bedingungen für IGeL noch in das Patientenrechtegesetz hineinkämen, wie die Union im Bundestag angekündigt hat, hätten Sie nichts dagegen?

Montgomery: Dagegen kann man nichts haben, obwohl ich es nicht für nötig halte. Denn es gibt ein Missverhältnis zwischen der geringen Zahl an Beschwerden über IGeL, die bei den Ärztekammern eingehen, und den unterschwelligen Verdächtigungen vor allem im politischen Raum.

Ruhe vor dem Sturm: Am Rande eines gesundheitspolitischen Kongresses in München nahm sich der Präsident der Bundesärztekammer wenige Tage vor dem 115. Deutschen Ärztetag in Nürnberg viel Zeit für das Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.
Ruhe vor dem Sturm: Am Rande eines gesundheitspolitischen Kongresses in München nahm sich der Präsident der Bundesärztekammer wenige Tage vor dem 115. Deutschen Ärztetag in Nürnberg viel Zeit für das Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Die SPD möchte gesetzlich festschreiben, dass ein Patient nicht am selben Tag Leistungen auf Kassenkosten und IGeL erhalten dürfe. Was halten Sie davon?

Montgomery: Das ist Unsinn und wäre auch im Alltag gar nicht machbar. Dann sollen die Initiatoren doch klar sagen, dass sie IGeL verbieten wollen. Aber das trauen sie sich nicht, weil sie wissen, dass IGeL eine Reaktion auf eingeschränkte Leistungen der Kassen sind.

Die Forderung, einen Entschädigungsfonds im Patientenrechtegesetz zu verankern, sehen Sie kritisch?

Montgomery: Ja, aus drei Gründen. Erstens: Alle Behauptungen, dass man so niedrigschwellig Ansprüche von Patienten ablösen und Prozesse vermeiden könnte, sind falsch. Inzwischen sind die Streitwerte so hoch, dass Sie keinen Patienten durch die Zahlung von ein paar Hundert oder paar Tausend Euro von einer Klage abhalten, wenn er auf eine große Entschädigung hofft. Zweitens: Wenn ein Patient wirklich geschädigt wurde, hat er auch Anspruch auf eine richtige Entschädigung, nicht auf ein Almosen aus dem Entschädigungsfonds. Für solche Fälle sind Ärzte haftpflichtversichert. Und drittens gibt es Überlegungen bei einigen Parteien, den Fonds als Prozessfinanzierungsfonds zu missbrauchen. Davor kann ich nur eindringlich warnen. Denn dann müsste ganz am Anfang jemand entscheiden, ob ein Prozess Aussicht auf Erfolg hat.

Ist die Forderung nach einer Beweislastumkehr zulasten des behandelnden Arztes vom Tisch?

Montgomery: Nein, noch nicht. Der Gesetzentwurf enthält in dieser Hinsicht das, was heute gilt. Das stützen wir. Wenn man die Beweislast im weiteren Gesetzgebungsverfahren doch umkehrt oder zulasten der Ärzte verschärft, würde man das Arzt-Patienten-Verhältnis stark beeinträchtigen. Dagegen würden wir uns wehren.

Die Bundesregierung will den Krankenhäusern einen Teil der Tarifkostensteigerungen finanzieren. Ist der Preis dafür, die verlängerten Mehrleistungsabschläge, zu hoch?

Montgomery: Ich halte den Mehrleistungsabschlag in seiner Höhe und in seiner Pauschalität in der Tat für nicht gerechtfertigt. Er trifft halt einfach auch die falschen Krankenhäuser.

Wenden sich denn Chefärzte an Sie, die von ihren Geschäftsführungen genötigt werden, mehr Leistungen zu erbringen, als vielleicht medizinisch indiziert ist?

Montgomery: Die Zahl derer nimmt zu, die sich dem Druck der Geschäftsführung widersetzt haben und sich dafür Ärger eingehandelt haben. Aus diesem Grund haben wir ja auch alle ökonomischen Anreizfaktoren in Chefarztverträgen immer abgelehnt.

Bei ökonomischen Zielvorgaben für Ärzte fallen einem private Klinikträger ein. Mit der Übernahme der Röhn-Kliniken durch Fresenius zeichnet sich eine Zusammenballung von Marktmacht ab. Wie denken Sie darüber?

Montgomery: Die Übernahme sollte kartellrechtlich sorgfältig geprüft werden. Es besteht die Gefahr, dass Fresenius sich zum Anbieter einer Rundumversorgung entwickelt – analog den Health Maintenance Organizations der USA. Ein solcher Konzern würde nicht nur über Krankenhäuser verfügen, sondern auch ambulante Versorgung, Medikamente, Hilfsmittel und die Krankenversicherung anbieten, mithin letztlich die Versorgung der Patienten selbst bestimmen. Das hielte ich für hochgefährlich. Das Kartellamt wäre nicht gut beraten, dem zuzustimmen.

Aufgrund der Diskussion über das zu Rhön gehörende Uniklinikum Marburg-Gießen wird wieder über öffentliche und private Trägerschaft gestritten . . .

Montgomery: Man sollte das ideologiefrei betrachten. Mir ist ein gut geführtes privates Krankenhaus lieber als ein schlecht geführtes kommunales – und umgekehrt. Etwas Besonderes sind die Unikliniken, wegen der hoheitlichen Aufgaben in Forschung und Lehre. MarburgGießen zeigt, dass das Konzept der Privatisierung einer Universitätsklinik weitgehend gescheitert ist. Ob das an den schwierigen Ausgangsbedingungen lag oder vor allem an Managementfehlern, vermag ich nicht zu beurteilen.

„Die Ärzteschaft muss nach außen geeint auftreten“, stand über dem Interview, das Sie nach Ihrem Amtsantritt dem DÄ gegeben haben. Sind Sie diesem Ziel schon nähergekommen?

Montgomery: Wir sind viel weitergekommen. Seit dem vergangenen Sommer hatten wir die großen überregionalen Ärzteorganisationen dreimal an einem Tisch. Bei den ersten beiden Sitzungen haben wir gemeinsam Resolutionen verabschiedet. Das dritte Treffen diente der Information über den Ärztetag. Ich habe den Eindruck, dass es innerhalb der Ärzteschaft im letzten Jahr weniger Streit gab. Das ist ein hoffnungsvoller Ansatz, um nach außen geeint aufzutreten. Geeint heißt ja nicht, dass man in allen Punkten hundertprozentig einer Meinung ist. Zum Beispiel ist es doch legitim, dass sich der Hausärzteverband von einer Änderung des § 73 b SGB V Vorteile verspricht. Tatsächlich ist die Arbeits- und Vergütungssituation der Hausärzte in vielen Bereichen schlecht. Ich bin ja mit einer Hausärztin verheiratet und weiß, wie viel sie arbeitet und was sie dafür bekommt.

Einer Umfrage zufolge raten zwei von drei Ärzten ihren Kindern vom Arztberuf ab. Wundert Sie das?

Montgomery: Das Umfrageergebnis wundert mich nicht. Allerdings sagen mir viele Kolleginnen und Kollegen: Eigentlich ist der Arztberuf der schönste, den es gibt. Aber die Art, wie man ihn heute ausüben muss, vergällt ihn uns. Mit der Arbeitsverdichtung, der Zunahme von Komplexität und Stress hat die gesellschaftliche und materielle Anerkennung des Arztberufs nicht Schritt gehalten. Deshalb müssen wir hier Verbesserungen erreichen.

Das Interview führten
Jens Flintrop und Heinz Stüwe.

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