DEUTSCHER ÄRZTETAG
Bitte um Verzeihung an NS-Opfer


Eine Ausstellung erinnert in Nürnberg an das Schicksal jüdischer Ärztinnen und Ärzte in Bayern nach 1933.
Mit einer Nürnberger Erklärung hat sich der 115. Deutsche Ärztetag zur wesentlichen Mitverantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin bekannt. „Wir bekunden unser tiefstes Bedauern darüber, dass Ärzte sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, gedenken der noch lebenden und der bereits verstorbenen Opfer sowie ihrer Nachkommen und bitten sie um Verzeihung“, heißt es in der einstimmig und ohne Diskussion angenommenen Entschließung.
Die Ärztetags-Delegierten folgten damit einem auch von namhaften Medizinhistorikern unterzeichneten Appell, die Gelegenheit in Nürnberg, dem Ort des Ärzteprozesses 1946/47, zu nutzen, zur historischen Verantwortung und schuldhaften Verstrickung der Ärzteschaft in das nationalsozialistische Unrechtssystem offiziell Stellung zu beziehen.
Präzisiert wird in dem Appell und in der Entschließung, dass gerade bei den gravierendsten Menschenrechtsverletzungen – den Versuchen an Menschen, der Tötung psychisch kranker und behinderter Menschen und den Zwangssterilisationen – die Initiative von den Ärzten selbst ausging. Ärzte hätten sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht.
Bereits in seiner Eröffnungsansprache zum 115. Deutschen Ärztetag hatte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, zur Verantwortung der Ärzteschaft bekannt: „Die Wahrheit ist: Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus Tod und Leiden von Menschen herbeigeführt, angeordnet und gnadenlos verwaltet. Wo man Geschehenes nicht begreifen kann, wollen wir wenigstens dokumentieren, damit wir nie vergessen; damit wir und zukünftige Generationen lernen, dass so etwas nie wieder geschehen darf.“
Diesem Zweck sollte auch die Ausstellung „Zum Entzug der Approbation jüdischer Ärztinnen und Ärzte“ dienen, die im Foyer der Nürnberger Meistersingerhalle präsentiert wurde und zum Abschluss des ersten Sitzungstages vom Präsidenten der Bundesärztekammer eröffnet wurde. Anhand von Einzelschicksalen jüdischer Ärzte aus Bayern wird in der Ausstellung dokumentiert, wie diese mit Hilfe von nationalsozialistischen Verordnungen und Gesetzen diskriminiert und systematisch aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden – bis hin zur physischen Vernichtung.
Der Initiator der Ausstellung, Dr. Hansjörg Ebell, gehört zu den Preisträgern des gemeinsam vom Bundesministerium für Gesundheit, Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung ausgeschriebenen Forschungspreises „Rolle der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“.
Tief bewegt von der Ausstellung zeigte sich Leah Wapner, Generalsekretärin der Israeli Medical Association, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. In den Jahren seit 1933 habe man versucht, die jüdischen Ärzte zu entmenschlichen. „Hier hat man nun das Gegenteil gemacht, nämlich die Opfer personalisiert, ihnen ein Gesicht gegeben.“ Es sei keine einfache Angelegenheit, dass sich eine Organisation in dieser Weise der furchtbaren Vergangenheit stellt. Allein diese Tatsache sei schon äußerst beeindruckend gewesen.
Die nun vorgetragene Bitte um Verzeihung sei etwas gewesen, was die deutschen Ärzte unter sich hätten ausmachen müssen, und nichts, was von außen hätte eingefordert werden müssen. „It has to be something that the organization feels“, sagte Wapner. Und natürlich werde innerhalb der israelischen Ärzteschaft aufmerksam verfolgt, was in Sachen Vergangenheitsbewältigung in Deutschland geschehe.
Thomas Gerst
Gleichschaltung und Ärzteprozess in Nürnberg
Der Tagungsort Nürnberg markiert gleichermaßen Anfang und Ende der gleichgeschalteten Ärzteschaft in der NS-Zeit. Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 und zeitgleich mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März erzwangen die Vertreter des NS-Ärztebundes bei einem Treffen mit den Spitzen von Ärztevereinsbund und Hartmannbund in Nürnberg die Gleichschaltung der ärztlichen Organisationen. Zum „Kommissar der beiden Spitzenverbände“ wurde Gerhard Wagner, der Leiter des NS-Ärztebundes, bestimmt.
Viel Zwang war allerdings nicht nötig gewesen. Bereits am 22. März gab es vom Vorsitzenden des Ärztevereins- und Hartmannbundes, Alfons Stauder, der in Nürnberg lebte, ein Ergebenheitstelegramm an Adolf Hitler. Das Treffen in Nürnberg am 23. und 24. März fand statt im Lehrerhaus, Teil des Hotels „Deutscher Hof“, wo Hitler gerne residierte. Ein Teilnehmer erinnerte sich später: „Man begab sich in einen Sitzungssaal, in dem Geheimrat Stauder . . . der Dinge harrte, die da kommen sollten. Von einer aufgeregten Auseinandersetzung oder auch nur von unfreundlichen Worten war gar nichts zu hören, und Geheimrat Stauder zeigte sich ohne weiteres bereit, die Führung in die neuen politisch beauftragten Hände zu geben.“
Andererseits gingen die Nationalsozialisten auf Nummer sicher. SA-Einheiten standen vor dem Lehrerhaus bereit, um gegebenenfalls den Druck auf die alte Führung der Ärzteschaft erhöhen zu können. Denn auch „der revolutionäre Weg der Niederreißung der alten ärztlichen Organisationen“ sei nach Hitlers Machtergreifung eine Option gewesen, fasste der neue Reichsärzteführer Wagner Anfang April 1933 die Ereignisse zusammen. Man habe sich aber für den Weg, „sich kollegialiter zu einigen“, entschieden. Die Geschlossenheit und Einheit des Standes hätten nicht ohne Not preisgegeben werden dürfen.
Preisgegeben wurden jedoch diejenigen Ärzte, die der neuen Führung nicht genehm waren. Auf Grundlage der Nürnberger Vereinbarung erging die Aufforderung an die Ärztevereine, „jüdische und solche Kollegen, die sich der neuen Ordnung innerlich nicht anschließen könnten, zur Niederlegung ihrer Ämter in Vorständen und Ausschüssen zu veranlassen“ – der erste Schritt auf dem Weg zur Ausgrenzung bis hin zur physischen Vernichtung der ehemaligen Kollegen.
Der Nürnberger Ärzteprozess, der in der Zeit vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 stattfand, war als Abrechnung mit führenden Vertretern der nationalsozialistischen Ärzteschaft gedacht. Als erster der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen NS-Verantwortliche fand der Prozess im Nürnberger Justizpalast vor einem amerikanischen Militärgericht statt. Die Auswahl der Angeklagten war in gewisser Weise willkürlich, waren doch einige verantwortliche Ärzte bereits in Prozessen zuvor verurteilt worden oder hatten Suizid begangen. So hatte sich Reichsärzteführer Leonardo Conti, Nachfolger von Gerhard Wagner, am 6. Oktober 1945 in seiner Gefängniszelle in Nürnberg erhängt. Als sein Stellvertreter in der Führung der Reichsärztekammer wurde Kurt Blome in Nürnberg angeklagt. Als führender Vertreter des NS-Gesundheitswesens stand der Arzt Karl Brandt vor dem Nürnberger Tribunal. Brandt war von Hitler mit Erlass vom 5. September 1943 zum Leiter des gesamten medizinischen Vorrats- und Versorgungswesens und Koordinator der medizinischen Forschung ernannt worden. Auf der Anklagebank in Nürnberg saßen insgesamt 20 Ärzte sowie ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute als Organisatoren von Medizinverbrechen.
Beispielhaft für die Medizinverbrechen des Nationalsozialismus wurden im Nürnberger Ärzteprozess unfreiwillige Menschenversuche, die Tötung von Häftlingen für die Anlage einer Skelettsammlung (August Hirt) und die Krankenmorde der Aktion T4 behandelt. Von den 23 Angeklagten wurden am 20. August 1947 sieben zum Tode verurteilt, fünf zu lebenslangen Haftstrafen und vier zu Haftstrafen zwischen zehn und 20 Jahren. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen.
Die Urteilsbegründung präzisierte, unter welchen Voraussetzungen medizinische Versuche an Menschen zulässig sind. Dieser Nürnberger Kodex wirkt mit seinen zehn Grundsätzen für „Permissible Medical Experiments“ bis heute nach – die Deklaration von Helsinki aus dem Jahr 1964 stimmt mit dem Nürnberger Kodex weitgehend überein. Dessen beherrschende Grundsätze sind: Maßgeblich für die medizinische Forschung ist der Nutzen für den Patienten. Jeder Patient/Proband muss vom beteiligten Arzt umfassend aufgeklärt werden. Es darf keine unnötige oder gar willkürliche Forschung am Menschen geben.
In seiner Eröffnungsrede zum 115. Deutschen Ärztetag hatte Montgomery darauf hingewiesen, dass die aktuelle Fassung der „Deklaration von Helsinki“ überarbeitet werden soll. „Ich bin stolz darauf, Ihnen heute mitteilen zu können, dass die Generalversammlung des Weltärztebundes in Montevideo die Bundesärztekammer beauftragt hat, die Überarbeitung dieser Deklaration zum 2014 anstehenden 50-jährigen Jubiläum zu leiten.“ Thomas Gerst
FAZIT
TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
- Nürnberger Erklärung: Bekenntnis zu Unrechtstaten der NS-Medizin
- Ausstellung über die Vertreibung jüdischer Ärzte
Ecker, Hans-Joachim
Payk, Theo R.
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.