MEDIZINREPORT
HIV-Infektion: Heilung wird zum konkreten Ziel


Auf der 19. Weltaidskonferenz in Washington haben internationale Wissenschaftler Strategien vorgestellt, um latente Virusreservoire im Körper von HIV-Infizierten zu kontrollieren und letztlich auch zu eliminieren.
Was sich in der Fachliteratur und auf kleineren Kongressen schon angedeutet hatte, fand auf der 19. Weltaidskonferenz in Washington nun auch die politische Unterstützung: die Heilung der HIV-Infektion. Jahrzehnte als nahezu unmöglich erachtet, wurden Wissenschaftler und Meinungsbildner während der fünftägigen Großveranstaltung nicht müde zu beteuern, dass ein neues Kapitel der Aidsforschung aufgeschlagen sei.
„Niemand von uns ist der Ansicht, dass es einfach sein wird, die HIV-Infektion zu heilen, aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um es mit geballter Kraft zu versuchen“, betonte Prof. Steven G. Deeks von der Universität von Kalifornien in San Francisco. Denn gerade in den letzten Jahren habe es einen enormen Zuwachs an Erkenntnissen über die Interaktionen des HI-Virus mit seinem Wirtsorganismus gegeben. Auch dank neuer Therapien sei es nunmehr realistisch, das Virus eines Tages vollständig aus dem Körper eines Infizierten zu entfernen, fügte die Medizin-Nobelpreisträgerin und HIV-Entdeckerin Prof. Dr. rer. nat. Françoise Barré-Sinoussi vom Institut Pasteur, Paris, hinzu.
Globales Strategieprogramm für den Weg zur Heilung
Was macht die Forscher heute in ihrer Einschätzung so sicher, nachdem es in den letzten 30 Jahren beispielsweise – trotz mehrfacher Vorhersagen – nicht gelungen ist, eine präventive Vakzine zu entwickeln? Und warum startet ein internationales Konsortium gerade jetzt ein globales Strategieprogramm unter dem Motto „Towards an HIV Cure“?
„Dass die Forschung rund um die HIV-Heilung so prominent im Kongressprogramm berücksichtigt wurde, ist der Beweis dafür, wie rasant sich das Gebiet in den letzten Jahren entwickelt hat, so dass wir nun tatsächlich von potenziellen wissenschaftlichen Lösungen sprechen können“, sagte Prof. Diane Havlir von der University of California in San Francisco als Kopräsidentin der Konferenz.
Vorbild für das Bestreben, eine Heilung zu ermöglichen, ist für die Wissenschaftler der Fall des US-Amerikaners Timothy Ray Brown, besser bekannt als der „Berliner Patient“. Er war nicht nur mit HIV infiziert, sondern erkrankte später auch an akuter Leukämie. Dem Internisten Dr. med. Gero Hütter war es 2007 an der Berliner Charité gelungen, Brown mit einer besonderen Stammzellbehandlung sowohl von der Infektions- als auch von der Krebserkrankung zu befreien. Der Clou: Die Stammzellen stammten von einem Spender, dessen CD4+-T-Zellen aufgrund einer natürlichen, aber seltenen Mutation (CCR5-delta-32) keine funktionsfähigen CCR5-Korezeptoren auf ihrer Oberfläche besitzen und damit resistent gegen das Eindringen des HI-Virus sind. Brown gilt seither als geheilt. „Ihm geht es gut, er nimmt seit Jahren keine HIV-Medikamente mehr“, sagte Deeks.
Allerdings sind sich die Forscher nicht einig, ob die Mutation allein zu diesem positiven Ausgang geführt hat oder ob auch Bestrahlung, intensive Chemotherapie und eine massive Abstoßungsreaktion (Graft-versus-Host-Reaktion) einen entscheidenden Beitrag zur Heilung geleistet haben.
Auf jüngste Meldungen angesprochen, wonach in Blutproben von Brown nunmehr doch Spuren von HIV nachgewiesen worden seien, reagierte Deeks gelassen. Auch nach einer erfolgreichen Stammzelltransplantation könnten noch Zellen vom alten Immunsystem vorhanden sein. Dennoch komme es nicht zum Wiederaufflackern der HIV-Infektion, weil der Hauptteil der neuen Immunzellen für das Virus nicht mehr zugänglich sei.
Der „Berliner Patient“ ist bis heute zwar ein Einzelfall. Er gilt jedoch als „proof of concept“, dass eine Heilung grundsätzlich möglich ist – wobei die Forscher den Begriff spezifizieren: sie unterscheiden zwischen „steriler Heilung“ mit vollständiger Eradikation des HI-Virus aus dem Körper und einer „funktionellen Heilung“, bei der der Wirtsorganismus die HIV-Infektion ohne Medikation immunologisch kontrolliert, analog zur Herpesvirusinfektion, bei der lebenslang niedrige Virusmengen persistieren.
Einigen Patienten gelingt die funktionelle Heilung bereits jetzt. Diese „elite controllers“ haben über viele Jahre normale CD4+-Zellzahlen und eine Viruslast, die ohne Therapie unterhalb der Nachweisgrenze liegt (< 50 Kopien/ml Plasma). Nur im Lymphknoten lassen sich mit ultrasensitiven Methoden sehr geringe Virusmengen nachweisen.
Synergien von Immunsystem und Medikamenten ausgelöst
Françoise Barré-Sinoussi, die kommende Präsidentin der International Aids Society, berichtete, der Elite-Controller-Status sei an die genetische Konstellation der Betroffenen gebunden, die eine robuste zellvermittelte Immunantwort vermittelt und/oder die Infektion der CD4+-Lymphozyten und Makrophagen unterbindet.
Zudem gibt es in Frankreich eine kleine Gruppe von Patienten („Visconti-Kohorte“), die sofort nach HIV-Infektion antiretroviral therapiert wurde. Nach Jahren konnten die Patienten die Medikation absetzen, ohne dass es zu einem Wiederaufleben der HIV-Infektion gekommen ist. Vermutet wird, dass die Viren durch die frühzeitig gestartete antiretrovirale Therapie nicht sehr viele Wirtszellen infizieren konnten. Und die wenigen, in die HIV doch eindringen konnte, sind unter der langjährigen Medikation aufgrund ihres normalen Lebenszyklus (im Mittel 44 Monate) zugrunde gegangen.
Die völlige Eradikation des
Aidserregers aus dem Körper stellt die Forscher vor große Herausforderungen. Ein wesentlicher Grund sind die latent HIV-infizierten Zellen in verschiedenen Kompartimenten des Wirtsorganismus, die ein lebenslanges Reservoir für eine potenzielle Virusreplikation darstellen. So lässt sich trotz jahrelanger erfolgreicher antiretroviraler Medikation (Viruslast unter der Nachweisgrenze) in Lymphknoten, Gastrointestinum, Genitaltrakt, Milz und Knochenmark noch virale Transkription nachweisen.
Nach Angaben von Prof. Warner C. Greene, Direktor des Instituts für Virologie und Immunologie an den Gladstone Institutes in San Francisco, beruht die Persistenz von HIV auf folgenden Faktoren: Es gibt ein Reservoir von langlebigen CD4+-TCM-Zellen (Central Memory Cells), die transkriptionell inaktives HIV-Genom integriert haben. Wenn sich diese Gedächtniszellen teilen, um natürliche Verluste auszugleichen (homöostatische Proliferation), wird auch das integrierte HIV-Genom auf die Tochterzellen weitergegeben, so dass die Gesamtzahl der latent HIV-infizierten Zellen nur sehr langsam abnimmt.
Außerdem wird eine Virusreplikation – ausgelöst durch Umgebungsstimuli – ständig auf niedrigem Niveau aufrechterhalten (low level viral replication). Letztlich hindert HIV den Wirtsorganismus auf unterschiedliche Weisen daran, eine effektive Immunantwort aufzubauen. Beispielsweise müssen Immunzellen beweglich sein und Kontakt zueinander aufnehmen, um Krankheitserreger abwehren zu können. Das Nef-Protein von HIV ist ein Faktor, der die Beweglichkeit der Immunzellen hemmt, wie eine Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums Heidelberg kürzlich im Tiermodell nachgewiesen hat.
Verschiedene therapeutische Optionen in elf Pilotstudien
Derzeit verfolgen elf Pilotstudien das Ziel der Heilung mit unterschiedlichen Ansätzen. Dazu gehören: die Gentherapie, die therapeutische Impfung (um das Immunsystem zu stärken), die Intensivierung der bestehenden Therapie und Versuche, HIV-infizierte Reservoirzellen zu aktivieren und diese anschließend zu eliminieren.
Nach dem Vorbild des „Berliner Patienten“ hat man beispielsweise versucht, die CCR5-delta-32-Mutation mit gentechnischen Methoden künstlich herbeizuführen. Sechs HIV-positive Männer unter antiretroviraler Therapie (nicht nachweisbare Viruslast und CD4+-Zellen zwischen 200 und 500/ml) wurden in die Studie aufgenommen. Aus ihrem Blut wurden T-Helferzellen herausgefiltert, im Labor aktiviert und mit sogenannten Zinkfinger-Nukleasen behandelt. Das sind Restriktionsenzyme, die spezifische DNA-Sequenzen „herausschneiden“ können – in diesem Fall den genetischen Kode für den CCR5-Rezeptor.
Korezeptoren für Bindung von HIV an Zelloberfläche entfernt
Nach dieser Intervention wurden die manipulierten Zellen den Patienten in unterschiedlicher Dosierung (10, 20 und 30 Millionen Zellen per Infusion) zurückgegeben. Bereits nach 90 Tagen fand man im Blut und in der Darmschleimhaut der Patienten bis zu sieben Prozent gentechnisch veränderte CD4+-Zellen, was die Forscher zuversichtlich stimmt.
Ein bereits seit längerem diskutierter Ansatz ist die Aktivierung der HIV-Expression in infizierten Wirtszellen. Verschiedene Agenzien werden derzeit darauf untersucht, ob sie in der Lage sind, schlummernde HI-Proviren zu aktivieren. Das heißt: Virusproteine müssen gebildet werden und an der Oberfläche der Zellen erscheinen, so dass diese vom Immunsystem erkannt werden können. Unter dem Schutz einer gleichzeitigen antiretroviralen Therapie soll eine solche forcierte Virusexpression nicht zur Neuinfektion von Wirtszellen führen. Gegebenenfalls soll das Immunsystem durch HIV-spezifische Immunreagenzien (wie monoklonale Antikörper in Verbindung mit körpereigenen Komplementkomponenten oder Zelltoxinen) unterstützt werden, die HIV-infizierten Zellen abzutöten und freigesetzte Viruspartikel unschädlich zu machen.
Mögliche Mechanismen, um schlummernde HI-Proviren zu aktivieren, sind: die Lockerung des Chromatins durch Histondeacetylaseinhibitoren wie Vorinostat, die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren (durch NF-ƙB) und die Aktivierung der HIV-mRNA-Elongation (durch PTEF-b).
Der „proof-of-principle“ gelang mit dem – für die Onkologie entwickelten – Wirkstoff Vorinostat: Hierfür hatte man 16 Versuchsteilnehmern Blut entnommen, ihre CD4+-Helferzellen isoliert und im Reagenzglas mit Vorinostat versetzt. Nach sechs Stunden war die Genexpression in den Zellen von elf Probanden signifikant hochreguliert. Acht dieser elf Probanden bekamen dann den Wirkstoff direkt peroral. Bei allen ist daraufhin die HIV-Genexpression um das Anderthalb- bis Zehnfache angestiegen.
HI-Proviren werden aktiv aus dem „Schläferstatus“ geholt
Es sind zahlreiche Strategien in der „pipeline“, und vielleicht, meint Prof. Sharon Lewin von der Monash University in Melbourne, die Präsidentin der Weltaidskonferenz 2014, müsse man mehrere Methoden kombinieren oder sequenziell anwenden, um letztlich zum Ziel zu kommen. Jedenfalls hat die in Washington gestartete globale Strategie enorme Hoffnungen geweckt. Auf die Frage, wie lange es bis zur möglichen Heilung dauern wird, antwortete die Vizepräsidentin der Amerikanischen Stiftung für Aids-Forschung, Prof. Rowenta Johnston, mit einem Zitat von Albert Einstein: „Wenn wir die Antwort wüssten, wäre es keine Forschung.“
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Mobiles sicherheitslabor spürt HIV auf
Ein weißer Truck mit der Aufschrift „mobile lab“ tourt durch die Provinz Westkap in Südafrika, im Innern ein Sicherheitslabor der biologischen Sicherheitsstufe 3 für den Umgang mit hochinfektiösen Erregern und modernste Kryotechnologie zum Einfrieren von Blutproben. Die Mission: Infektionskrankheiten wie Aids und Tuberkulose an Ort und Stelle bekämpfen, wo die Ausbreitung dieser Krankheiten am größten, die medizinische Infrastruktur aber am wenigsten vorhanden ist.
Das mobile S3-Labor ist eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert und Sulzbach im Saarland und wurde mit der Stellenbosch-Universität/Südafrika realisiert.
Die Herausforderung bei der Konzeption: Die hochsensible Technik muss auch bei schlechten Straßenverhältnissen und extremen klimatischen Bedingungen einwandfrei funktionieren. Das Labor kommt ohne Versorgungsleitungen für Strom, Wasser oder Abwasser aus, kann also autark betrieben werden. Der Zugang vom Behandlungsraum zum Sicherheitsbereich führt durch eine Personenschleuse. Ultrafeine Luftfilter und ein Durchreiche-Autoklav mit eigenem Wasserkreislauf sorgen dafür, dass keine Erreger in Umlauf kommen. Es gibt zwei Sterilwerkbänke und einen Sterilisator mit Vakuumdampfsterilisation für kontaminierte Gegenstände. Mit an Bord ist auch eine Kryobank mit bis zu 300 Liter Flüssigstickstoff-gekühlten Behältern zum Einfrieren infektiöser Blutproben. Sie erhalten einen elektronischen Chip, um Verwechslungen auszuschließen, bevor sie tiefgefroren werden.
Das S3-Labor hat Internetanschluss, damit auf neu gewonnene Daten online zugegriffen werden kann. Eine Fernüberwachung und die Steuerung per Satellitentelefon sind möglich. EB
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