POLITIK
Intersexualität: Leben zwischen den Geschlechtern


Die Grünen wollen der Existenz von intersexuellen Menschen Rechnung tragen. Bei der Geschlechtsangabe soll es mehr als nur zwei Antwortmöglichkeiten geben.
Caster Semenya darf bei den Olympischen Spielen in London Ende Juli und Anfang August wieder laufen – als Frau. Das war nicht selbstverständlich. Denn nach ihrem Sieg bei der Weltmeisterschaft 2009 wurde am weiblichen Geschlecht der südafrikanischen Leichtathletin öffentlich gezweifelt. Ein Jahr lang hatte sie keine Wettkämpfe bestreiten dürfen. Der Sport fordert klare Aussagen: Start als Frau oder Start als Mann.
Doch nicht nur der Sport, sondern auch das deutsche Personenstandsgesetz verlangt die Festlegung auf ein Geschlecht. Innerhalb einer Woche nach der Geburt eines Kindes muss ein Häkchen gesetzt werden: männlich oder weiblich. Doch bei intersexuellen Menschen ist diese Einordnung nicht hundertprozentig möglich. Häufig wird sie dennoch vorgenommen.
Ethikrat: Kategorie „anderes“
Dabei sollten intersexuelle Menschen oder deren Eltern nicht gezwungen werden, sich oder ihr Kind einer der beiden Kategorien zuzuordnen – so ist zumindest die Auffassung des Deutschen Ethikrates, der im März eine Stellungnahme zum Thema „Intersexualität“ herausgab. Darin schlägt er vor, eine weitere Geschlechtskategorie, nämlich „anderes“, einzurichten (DÄ, Heft 10/2012).
Profitieren würden von einer solchen Lösung immerhin jährlich 150 bis 340 Kinder, die wissenschaftlichen Studien zufolge in Deutschland zwischengeschlechtlich zur Welt kommen. Von schwerwiegenden Abweichungen der Geschlechtsentwicklung sind in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung etwa 8 000 bis 10 000 Menschen betroffen. Intersexuellen-Verbände gehen sogar noch von einer deutlich höheren Zahl von Betroffenen aus. Bei ihnen entsprechen Chromosomen, Gene, Hormonhaushalt, Keimdrüsen und Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht.
In der Vergangenheit war dieses Thema ein Tabu, auch in der Medizin. „Man hörte so gut wie nie etwas über die Schicksale der Kinder, deren Geschlecht zur Geburt nicht bestimmbar war“, berichtete Dr. med. Jörg Woweries, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag Ende Juni. Viele Intersexuelle seien noch im frühen Kindesalter umoperiert worden – meist zu Mädchen. Dies habe oft gravierende Folgen.
Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern verstoßen gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und sollen deshalb künftig unterbunden werden. Darin waren sich die medizinischen und juristischen Experten sowie Vertreter von Selbsthilfevereinen bei der Anhörung einig. Weitgehend folgten sie der Stellungnahme des Ethikrates (Bundestagsdrucksache 17/9088).
Keine prophylaktischen OPs
Zur Diskussion stand ferner ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/5528). Darin fordern die Grünen unter anderem ein Verbot von prophylaktischen Operationen von intersexuellen Kindern sowie eine Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz.
Woweries plädierte dafür, auf eine Geschlechtsfestlegung bis zur Volljährigkeit des betroffenen Kindes zu verzichten. Eine ähnliche Regelung gebe es in den Niederlanden. Hier könne man das Geschlecht ohne zeitliche Begrenzung offenlassen, ergänzte der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Tobias Helms von der Universität Marburg. Die Einführung dieser Option sei „sinnvoll und einfach zu realisieren“. Die Etablierung der Geschlechtskategorie „anderes“, wie sie der Deutsche Ethikrat vorschlägt, sei indes mit einer Reihe von rechtlichen Fragen und Folgeproblemen bezüglich des Familien- und Abstammungsrechts behaftet.
Für verbesserte Beratungsangebote für die Eltern intersexueller Kinder sprach sich Julia Marie Kriegler von der Elterngruppe der XY-Frauen aus. Eltern dürften nicht von Ärzten und Behörden zu einer Entscheidung gedrängt werden.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
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