THEMEN DER ZEIT
Transgenerationale Traumatisierung: Den Teufelskreis durchbrechen


Ein vom Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ initiiertes, breit aufgestelltes Forschungsprojekt will die Ursachen des „cycle of abuse“ erforschen, um Therapieangebote machen zu können.
Mütter, die in ihrer Kindheit Opfer von Missbrauch oder Vernachlässigung durch enge Bezugspersonen wurden, leiden ein Leben lang unter den Folgen. Häufig misshandeln oder vernachlässigen sie selbst ihre Kinder. In vielen Fällen ist ihre Fürsorgefähigkeit grundlegend beeinträchtigt, es gelingt den betroffenen Müttern nicht, die Gefühle ihrer Kinder einzuordnen und angemessen zu reagieren. „Dieser ‚cycle of abuse‘ kann sich über Generationen fortsetzen“, sagte Prof. Dr. med. Romuald Brunner, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, anlässlich des Starts des Forschungsprojekts „Von Generation zu Generation: Den Teufelskreis der Traumatisierung durchbrechen“.
Im Rahmen der kooperierenden Teilprojekte der Universitätsmedizin Berlin, des Universitätsklinikums Heidelberg, des Universitätsklinikums der RWTH Aachen und der Otto-Guericke-Universität Magdeburg wird nun versucht, die Ursachen dieses Kreislaufs von Misshandlung und Traumatisierung zu verstehen, um herauszufinden, wie der „Teufelskreis“ durchbrochen werden kann. „Wir betreiben Grundlagenforschung und klinische Anwendung“, erklärte Projektsprecher Brunner bei der Vorstellung des Forschungsvorhabens. Das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technologien (BMBF) fördert das Vorhaben mit 1,2 Millionen Euro für drei Jahre als Teil des Forschungsnetzes „Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt im Kindes- und Jugendalter“, das vom Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ initiiert wurde. „Zu einer Kultur des Hinsehens und zum Schutz der Kinder gehört auch die empirische Forschung“, betonte Dr. Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF.
Man weiß inzwischen, dass traumatische Kindheitserfahrungen zu verminderter mütterlicher Sensitivität und weniger empathischer Erziehung führen. Die erhöhte Impulsivität und Feindseligkeit der Mutter erschweren den Umgang mit Konfliktsituationen mit dem Kind. Die Mutter erlebt selbst erhöhten subjektiven Stress in der Beziehung mit ihrem Kind, was unter anderem mit einer gestörten hormonellen Stressachse erklärt wird. Vermittelt über die eigenen Erziehungserfahrungen der Mutter kann es zu Veränderungen der hormonellen Stressachse des Kindes kommen. Die Traumatisierung und die unsichere Bindung der betroffenen Mutter führen zur verminderten Oxytocinverfügbarkeit mit der Folge, dass die Interaktion mit ihrem Kind als wenig belohnend erlebt wird. Außerdem gibt es erste Hinweise, dass emotionale Vernachlässigung auf epigenetischem Weg die Oxytocinausschüttung im Hypothalamus des Kindes vermindert.
Mütter mit Depression
Soweit zum Hintergrund: Vielen noch offenen Fragen soll in den nächsten Jahren in den Teilprojekten nachgegangen werden. Prof. Dr. med. Felix Bermpohl, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St.-Hedwigs-Krankenhaus und Berlin School of Mind and Brain, stellte das Berliner Projekt vor, das Mütter mit depressiven Störungen als Reaktion auf traumatische Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt. Untersucht werden soll, wie sich depressive Störungen auf psychosoziale und neurobiologische Korrelate mütterlicher Sensitivität auswirken, ebenso auf Affektregulation, Feindseligkeit und Kindesmissbrauchspotenzial. Bei den dazugehörigen Kindern zwischen sechs und elf Jahren werden die Lebensqualität, Responsivität, Entwicklung und Psychopathologie untersucht. Das Projekt ist an der Erwachsenen- und an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité angesiedelt. Evaluiert wird zudem eine interaktions-fokussierte Intervention, die in der „Sprechstunde für Mütter mit Depression und ihre Kinder“, die am St.-Hedwigs-Krankenhaus angeboten wird, eingesetzt wird. Bermphohl wies darauf hin, dass für das Projekt noch Teilnehmerinnen gesucht werden.
Schwer traumatisierte Mütter
Die Berliner Daten sollen dann verglichen werden mit Daten der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg. Prof. Dr. med. Sabine Herpertz untersucht dort Mütter mit Traumatisierung, aber ohne Depression. „Wir können dabei auf eine Stichprobe zurückgreifen, die zwischen 2004 und 2005 traumatisierte Mütter und ihre Säuglinge untersuchte“, berichtete Klinikdirektorin Herpertz. Diese Mütter sollen nun erneut mit den inzwischen sieben bis acht Jahre alten Kindern untersucht werden. Die grundlegende Fragestellung lautet dabei: „Wie funktioniert die transgenerationale Weitergabe negativer Kindheitserfahrungen, und wie kann sie gestoppt werden?“
Mütter im Teen-Alter
Das Projekt von Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, beschäftigt sich gezielt mit Müttern unter 20 Jahren. Teenagerschwangerschaften treten in Deutschland wie auch in anderen Industrieländern gehäuft bei Mädchen mit niedrigem sozioökonomischem Status und geringerem Bildungsniveau auf. „Teen-Mütter leiden häufiger als erwachsene Mütter unter traumatischen Kindheitserfahrungen und unter postpartalen Depressionen“, erklärte die Klinikdirektorin. Im Umgang mit ihrem Kind zeigten sie eine geringere Feinfühligkeit und weniger liebevolle Verhaltensweisen. Teen-Mütter stellten deshalb eine Hochrisikogruppe für Kindesvernachlässigung und Misshandlung dar, besonders, wenn weitere familiäre Stressoren hinzukämen.
Im Rahmen der Studie sollen nun die Effekte eines neunmonatigen strukturierten Eltern-Kind-Interventionsprogramms („TeeMo“) auf die mütterliche Feinfühligkeit und die Entwicklung des Kindes untersucht werden. Außerdem sollen die neurobiologischen Mechanismen, die dazu führen, dass ungünstiges Erziehungsverhalten von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, betrachtet werden.
Am Institut für Biologie der Otto-Guericke-Universität Magdeburg schließlich untersuchen Prof. Dr. Anna Katharina Braun und Dr. Jörg Bock an Tiermodellen die epigenetischen Mechanismen von transgenerationalen, neuronalen und synaptischen Veränderungen in präfronto-limbisch-hypothalamischen Schaltkreisen nach perinatalen Stresserfahrungen. In den letzten Jahren konnte bereits nachgewiesen werden, dass Störungen der Mutter-Kind-Beziehung die Reifung präfronto-limbisch-hypothalamischer Schaltkreise und die Entwicklung sozio-emotionaler Verhaltensweisen negativ beeinflusst haben. „Die zugrundeliegenden epigenetischen Mechanismen sind aber noch nahezu unbekannt“, sagte Braun.
Petra Bühring
Weitere Informationen: Prof. Dr. med. Felix Bermpohl, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus, Telefon: 030 2311- 2949, E-Mail: Felix.Bermpohl@charite.de