ArchivDeutsches Ärzteblatt33-34/2012Medizin in der NS-Zeit: „Ich bin allein auf weiter Flur“

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Medizin in der NS-Zeit: „Ich bin allein auf weiter Flur“

Scholz, Albrecht

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Autografen jüdischer Dermatologen

Die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden haben in vielen Zeugnissen ihren Niederschlag gefunden. Mehrere in den vergangenen Jahren aufgefundene, bisher nicht veröffentlichte Briefe jüdischer Dermatologen (Archiv Albrecht Scholz) dokumentieren den Absturz von Ärzten, die sich mit aller Kraft für die Medizin in Deutschland eingesetzt hatten und unter absoluter Missachtung ihrer Verdienste in Einsamkeit und Tod gedrängt worden sind.

Josef Jadassohn (1863–1936)
Josef Jadassohn (1863–1936)

Josef Jadassohn (1863–1936)

gehört zu den einflussreichsten Dermatologen des 20. Jahrhunderts. Das berufliche Leben des aus dem schlesischen Liegnitz/Legnica stammenden jüdischen Kaufmannssohnes ist durch die Direktorate von zwei Universitätshautkliniken bestimmt: 21 Jahre Leiter der Dermatologischen Klinik in Bern und 14 Jahre Ordinarius und Klinikdirektor in Breslau/Wroclaw. Es gibt kaum ein Teilgebiet der Dermatologie, für das er nicht entscheidende Anregungen gegeben hat. Mit seinem Namen verbunden ist das von 1927 bis 1934 erschienene 23-bändige „Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten“. Josef Jadassohn hatte die außergewöhnliche Fähigkeit großer Lehrer, selbst als Forscher tätig zu sein und gleichermaßen Schüler mit sicherem Instinkt auszuwählen, die Spezialgebiete bearbeiten und im fruchtbaren Austausch mit ihrem Lehrer das Wissen des Faches mit neuen Erkenntnissen bereichern.

1931 trat Jadassohn im Alter von 68 Jahren auf eigenem Wunsch vom Lehramt und Klinikdirektorat zurück. Der mit Schlesien und der von ihm geliebten Universität Breslau tief verbundene Dermatologe wechselte 1933 auf Drängen seiner Familie nach Zürich. Der international gesuchte, mit der ganzen Welt im Austausch stehende, auf Kongressen brillierende Repräsentant der Dermatologie geriet in zunehmende Isolation und Einsamkeit. In einem Brief vom 27. November 1934 an die frühere Assistentin in Breslau, Ruth Noll, schreibt er: [. . .] von mir hätte ich Ihnen ja auch nichts Gutes berichten können [. . .] Das letzte Jahr in Breslau hat mir, wie Sie sich denken können, sehr zugesetzt – ich war, was Sie ja an mir kennen, andauernd schwer deprimiert.[. . .] Ich lebe hier sehr einsam [. . .] Nun habe ich Ihnen doch vorgeklagt – man soll eben auch brieflich sich so zusammennehmen können, wie ich es persönlich jetzt meist thun kann.“

Der weitere Inhalt des Briefes ist überwiegend von kummervollen Nachrichten geprägt: Jadassohns Ehefrau werde wegen einer Depression in einem Sanatorium behandelt, die Verhandlungen über die Ruhestandsbezüge in Breslau seien „mit einem finanziell katastrophalen Resultat abgeschlossen“ worden, der Schwiegersohn in Breslau könne sich nicht habilitieren. Positiv empfinde er die Besuche früherer Assistenten aus Breslau, wobei ihre Vertreibung wegen ihrer „nichtarischen“ Abstammung alle Probleme bewusst mache.

Am 24. März 1936 starb Josef Jadassohn in Zürich. Die in Deutschland erscheinenden medizinischen Zeitschriften widmeten ihm keinen Nachruf. Der Wiener Privatdozent Richard Volk (1876–1944) kennzeichnete in seinem Nachruf in der „Wiener Klinischen Wochenschrift“ von 1936 die tiefe Enttäuschung Jadassohns über die Entwicklung seines deutschen Vaterlandes: „[. . .] tiefste Depression umdüsterte sein Gemüt, er, der einst so Geschätzte, konnte sich in die neuen Verhältnisse nicht hineinfinden.“

Eugen Galewsky (1864–1935)
Eugen Galewsky (1864–1935)

Eugen Galewsky (1864–1935)

war vor und nach dem Ersten Weltkrieg der gesuchteste und beliebteste Dermatologe in eigener Praxis in Dresden. Seine Klientel umfasste die gesamte soziale Breite von den Armen der Stadt bis hinauf in die königliche Familie. Die Praxis in der Christianstraße 21 im Zentrum der Stadt verband Sprechstunde, Klinikbetten, Bibliothek und eine berühmte Moulagensammlung. Neben seiner täglichen Praxis war er wissenschaftlich engagiert, publizierte in Zeitschriften und veröffentlichte mehrere Bücher. Die Krönung seiner Aktivitäten war die Leitung der 14. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 1925.

Eugen Galewsky war voll in das gesellschaftliche Leben der Dresdener Oberschicht integriert. Er war sowohl als Rotarier als auch als Teilnehmer verschiedener Zirkel mit namhaften Musikern, Bildhauern, Malern, Architekten, Fabrikanten und Kaufleuten befreundet. Der Absturz aus diesem Lebensumfeld war entsprechend dramatisch. Der organisierte Boykott von Geschäften und Arztpraxen am 1. April 1933 traf auch seine Praxis. Der seit 1926 in seiner Praxis arbeitende Sozius Karl Linser (1895–1976) trennte sich am 1. September 1933 von Galewsky, der dadurch tief betroffen war. Galewsky schrieb an Felix Pinkus (1868– 1947): „[. . .] Inzwischen ist auch bei mir die Entscheidung gefallen, Linser verlässt mich, da er nicht glaubt mit einem Nichtarier (Nebbich) zusammen bleiben zu dürfen. Es ist für mich ein harter Schlag und ich überlege mir, ob ich allein weiter wurstele [. . .] Hier ist es z. Z. scheusslich, die jungen Collegen suchen alle Nichtarier wegzudrängen [. . .].“

Galewsky koordinierte seit Beginn des Jahres 1933 die Vorbereitung einer Festschrift zum 70. Geburtstag von Josef Jadassohn. Im diesbezüglichen Briefwechsel ändert sich mit dem Tag des Boykotts der optimistische Tonfall. „Unter den heutigen Verhältnissen glaubten Martenstein (Hans Martenstein, 1892–1945, seit 1930 Leiter der Dresdener Hautklinik) und ich vorläufig von allen Vorbereitungen für die Ehrung von Jadassohn absehen zu müssen, bis sich die Verhältnisse geklärt haben werden. [. . .].“ Am 3. August 1933, vier Wochen vor dem 70. Geburtstag von Jadassohn, schreibt Galewsky abschließend an Pinkus: „[. . .] Ich habe in Ihrem Sinne also noch einmal an Volk geschrieben und ihm mitgeteilt, dass wir von einer grossen Feier absehen.[. . .].“

Eugen Galewsky praktizierte allein in seiner Dresdener Praxis weiter und starb am 15. Februar 1935 vor einer geplanten Reise nach Locarno; Zeitzeugen vermuten einen Suizid.

Karl Herxheimer (1861–1942), Fotos: Privatarchiv Scholz
Karl Herxheimer (1861–1942), Fotos: Privatarchiv Scholz

Karl Herxheimer (1861–1942)

war eine der herausragenden Gestalten in der Gründungsphase der deutschen Dermatologie. Er war Schüler von Albert Neisser (1855–1916) und gehörte zu den Wegbereitern der universitären Dermatologie in Deutschland. Herxheimer war Mitbegründer der Universität Frankfurt/Main im Jahr 1914 und leitete die Hautklinik an dieser neuen Universität. Nach 1894 hatte er die Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Städtischen Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen zu einer vorbildlichen, modern ausgestatteten Einrichtung ausgestaltet. Viele seiner Schüler übernahmen die Leitung von städtischen Hautkliniken oder Universitätskliniken. Sein umfassendes wissenschaftliches Werk war von wissenschaftlicher Präzision und klinischer Anwendbarkeit bestimmt. Eponyme tragen seinen Namen bis in die Gegenwart.

Herxheimer wurde 1933 die Lehrbefugnis entzogen und das Betreten der von ihm in Jahrzehnten aufgebauten Klinik verboten. Freunde und Verwandte rieten ihm, das Land zu verlassen. Herxheimer hätte sich in sein Schweizer Landhaus in Gunten am Thuner See zurückziehen können. Er lehnte alle Angebote ab, da er die Sturmzeichen nicht anerkennen wollte. Seinem Nachfolger, Oscar Gans (1888–1983), der 1933 sofort entlassen worden war, sagte er bei einem Besuch 1936: „Ich kann Frankfurt nicht verlassen, und ich will es auf meine alten Tage nicht verlassen. Mich kennt hier ja jedermann [. . .]“.

Die Kontakte und Besuche von Schülern und Freunden wurden von Jahr zu Jahr weniger. Der 80. Geburtstag am 26. Juni 1941 war für Karl Herxheimer der letzte Höhepunkt seines Lebens, denn viele Freunde und Schüler besaßen die Zivilcourage, ihren verehrten Meister zu besuchen und ihm ihre Glückwünsche zu übermitteln. Die nach dem Tod von Herxheimers Ehefrau Olga im Jahr 1928 den Haushalt betreuende Henriette Rosenthal schrieb am 7. Juli 1941 in einem Dankesbrief an Frau Hofmann, die Ehefrau des Direktors der Hautklinik in Kassel: „[. . .] Der 80. Geburtstag von Prof. H. ist sehr schön und für ihn sehr freudvoll verlaufen;[. . .] Unsere Wohnung gleicht einem Blumengarten, fast wie beim 70sten, und zahllose Briefe, Depeschen und last not least schöne Bücher deckten den Tisch.“ In einem Brief an E. Hofmann vom 19. Juli 1941 berichtet Herxheimer, dass die Packer seine Bibliothek für die Kollegen Erich Hoffmann (1868–
1959) in Bonn und Friedrich Schmidt-La Baume (1892–1973) in Mannheim gepackt hätten. Anschließend resümiert er seine Situation mit der dramatischen Erkenntnis „[. . .] Ich bin allein auf weiter Flur: Allen Gewalten – Zum Trotz sich erhalten!“. Herxheimer, der „[. . .] sein Schicksal bis zur Neige [. . .]“ tragen wollte, wurde in Frankfurt am 28. August 1942 durch die Gestapo verhaftet und wenige Tage später in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er am 6. Dezember 1942 starb.

Es muss das Anliegen deutscher Ärzte und Medizinhistoriker bleiben, durch biografische Forschung den gedemütigten, vertriebenen und getöteten jüdischen Kollegen ihre Würde zurückzugeben.

Prof. em. Dr. med. Albrecht Scholz,
Mendelsohnallee 30, 01309 Dresden,
albrecht.scholz@yahoo.de

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