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- Pro & Kontra: Religiöse Beschneidungen


In zahlreichen Zuschriften beschäftigen sich Leser des Deutschen Ärzteblattes mit dem Thema religiöse Beschneidungen.
Das Kölner Landgericht hat in einem womöglich wegweisenden Urteil im Mai dieses Jahres die Beschneidung von Jungen als Straftat bewertet (Az.: 151 Ns 169/11). Dieses Urteil hat zu Diskussionen über das Thema religiöse Beschneidungen geführt. So hat Ende August der Deutsche Ethikrat nach kontroverser Debatte eine Tendenz für die Erlaubnis der Beschneidung kleiner Jungen aus religiösen Gründen erkennen lassen. Eine solche Erlaubnis sei allerdings nur unter Vorbehalten denkbar, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. med. Christiane Woopen, in Berlin. Dazu gehöre die Einwilligung beider Elternteile, die Schmerzbekämpfung und „fachgerechte Durchführung“ der Beschneidung.
Auch im Deutschen Ärzteblatt wird die Debatte über das Pro und Kontra religiöse Beschneidungen intensiv geführt. So hat in Heft 31–32/2012 die Rabbinerin und Oberärztin der Klinik für Urologie und Kinderurologie in Bamberg, Dr. med. Antje Yael Deusel, auf die ihrer Ansicht nach „unbestreitbar vorhandenen gesundheitlichen Vorteile einer solchen Beschneidung“ hingewiesen. Sie kritisiert, dass das Kölner Urteil offenbar von manchen als Lizenz zur Religionsbeschimpfung aufgefasst werden würde. Dagegen vertritt der Ulmer Pädiater und Mitglied im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, Dr. med. Christoph Kupferschmid, die Meinung, dass das Kindeswohl und das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit Vorrang vor der Glaubensfreiheit und dem Elternrecht haben sollten.
Reaktionen auf das Kölner Urteil
Zahlreiche Leser reagierten in Zuschriften auf dieses Pro und Kontra, wobei sich die Mehrheit gegen religiöse Beschneidungen aussprach. Dr. med. David Wolff, München, unterstützt die Meinung von Deusel. Auch er sieht in den Reaktionen auf das Kölner Urteil eine „tendenziös geführte“ Diskussion. Kein Arzt könne laut Berufsordnung zu einem Eingriff gezwungen werden, den er ablehnt. „Nun also ein lange praktiziertes Ritual allgemein verbieten zu wollen, hat offensichtlich nicht mit dem Ritual als solchem zu tun. In Deutschland werden invasive ärztliche Eingriffe deutlich häufiger vorgenommen als in vergleichbaren anderen europäischen Staaten, ohne dass hierdurch Lebensdauer oder Lebensqualität gleichermaßen zunehmen würde . . . Die Komplikationen durch nicht zwingend notwendige Eingriffe bewegen sich deutlich oberhalb der Marke von zwei Prozent, wie sie für Beschneidungen von Herrn Dr. Kupferschmid angegeben werden.“ Zum Thema Traumatisierung sei festzustellen, dass Art und Umfang traumatisierender Erlebnisse im Säuglings- und Kleinkindesalter nicht trennscharf angegeben werden könnten. „Inwieweit ein den ganzen Tag laufender Fernseher oder die Kontaktaufnahme mit dem Arzt zum Zwecke der Vorsorgeuntersuchung traumatisierend wirken, wurde bislang ebenso wenig untersucht wie die tatsächliche Situation der ,Opfer‘ der Beschneidung, der Beschnittenen selbst.“
Dr. med. Yves Nordmann, Zürich, und Dr. med. Alain Nordmann, Basel, verweisen auf die Archives of Pediatric and Adolescent Medicine, worin vor kurzem neue Forschungsergebnisse veröffentlicht worden seien, „welche klar und unmissverständlich die medizinischen Vorteile der Beschneidung von Knaben im Kleinstkindalter sowohl für das einzelne Kind wie auch für das Gesundheitswesen als Ganzes dokumentieren“. Die renommierte American Academy of Pediatrics habe zudem in ihrer Fachzeitschrift Ende August eine neue Stellungnahme veröffentlicht, die erstmals von evidenzbasiertem signifikantem gesundheitlichem Nutzen von Knabenbeschneidungen im Kleinkindalter spreche und die Krankenversicherungen in den USA dazu auffordere, die Kosten des Eingriffs zu übernehmen. Vor dem Hintergrund dieser medizinischen Erkenntnisse erschiene es fragwürdig, wenn in Zukunft gegen eine von zwei Weltreligionen seit Jahrtausenden praktizierte Tradition das Kindeswohl als Argument ins Feld geführt würde, um diese strafrechtlich verfolgen zu lassen.
In zahlreichen anderen Zuschriften wird dagegen der medizinische Nutzen von Beschneidungen bestritten. „Medizinisch ist die Zirkumzision fast nie indiziert. Die als Indikation häufig angegebene Phimose ist in aller Regel ohne operativen Eingriff zu behandeln. [. . .] Selbstverständlich kann ein Körperteil, der operativ entfernt wird, nicht mehr erkranken. Wollte man jedoch diese Erkenntnis als Rechtfertigung für die prophylaktische Entfernung von Körperteilen heranziehen, so könnte man einem Kind auch die Füße amputieren, um der Entstehung von Fußpilz vorzubeugen,“ schreibt Priv.-Doz. Dr. med. Dr. Rainer Rahn, Frankfurt am Main.
Zwar habe Deusel recht, wenn sie von Vorteilen spreche, gerade auch bei der Übertragbarkeit sexueller Krankheiten beziehungsweise dem dadurch verringerten Risiko für Frauen, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, „nur, mir wäre nicht bekannt, dass Knaben bereits ab dem achten Lebenstag regelmäßig Geschlechtsverkehr ausüben. Dies beginnt nach meiner Kenntnis doch eher im Alter von 14 Jahren und damit mit dem Beginn der Religionsmündigkeit“, meint Dr. med. Ralf Burgdörfer, Köln.
Der Diplom-Psychologe Bernd Schmid, Heitersheim, macht darauf aufmerksam, dass jede freie Entfaltung der Persönlichkeit, „sei sie religiös oder sonst wie motiviert, deshalb dort begrenzt ist, wo sie die Rechte anderer verletzt (Grundgesetz Art. 2 [1]). Genau dies geschieht jedoch, wenn eine Glaubensgemeinschaft für sich beansprucht, in die körperliche und (!) seelische Unversehrtheit eines Jungen irreversibel einzugreifen?“
Dr. med. Albrecht Pitzken, Bergisch Gladbach, schlägt vor, ähnlich vorzugehen, wie es teilweise im englischsprachigen Raum üblich sei. Dort werde eine symbolische Beschneidung im Babyalter durch Berühren des Präputiums mit einem entsprechenden Instrument vorgenommen „und die effektive Beschneidung erfolgt erst im Alter der freien Religionsentscheidung mit Zustimmung der Betroffenen“. Das wäre auch mit der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vereinbar.
Gisela Klinkhammer
Diskussion im Internet
Das Kölner Urteil zur religiösen Beschneidung und das Pro und Kontra im Deutschen Ärzteblatt hat auch zu einer regen Diskussion auf der DÄ-Homepage geführt. Ein schwedisches Gesetz zur Beschneidung stellt beispielsweise Prof. Dr. med. Jörg Carlsson, Universität Kalmar (Schweden), vor. Für eine gesetzliche Regelung plädieren der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, die Urologen Priv.-Doz. Dr. med. Ahmed Magheli, Berlin, und Prof. Dr. med. Oliver Hakenberg, Rostock, sowie der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen, Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch. Eine ganz andere Meinung vertreten dagegen der Passauer Strafrechtler Prof. Dr. Holm Putzke sowie die Münchener Kinderchirurgen Prof. Dr. med. Hans-Georg Dietz und Prof. Dr. med. Maximilian Stehr. Ihrer Ansicht nach sind „medizinisch nichtindizierte und damit auch religiös motivierte Beschneidungen an Jungen rechtswidrig, weil sie nicht dem Kindeswohl dienen, es vielmehr gefährden“.
Am 9. September fand in Berlin eine Demonstration gegen das Kölner Beschneidungsurteil und für Religionsfreiheit statt. Das Deutsche Ärzteblatt befragte Teilnehmer und Zuschauer der Kundgebung. Sie berichten über den Konflikt zwischen Religionsfreiheit und Kindeswohl und nehmen Stellung dazu.
video.aerzteblatt.de
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