ArchivDeutsches Ärzteblatt38/1998Implantierbarer Cardioverter Defibrillator: Welcher Patient hat einen Gewinn an Lebenszeit?

POLITIK: Medizinreport

Implantierbarer Cardioverter Defibrillator: Welcher Patient hat einen Gewinn an Lebenszeit?

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LNSLNS Zahlreiche Studien untersuchen den Stellenwert des Defibrillators im Vergleich zu Antiarrhythmika zur Sekundär- und Primärprävention des Herzstillstandes.
urch die Implantation eines Defibrillators (ICD) läßt sich der arrhythmiebedingte plötzliche Herztod in vielen Fällen verhindern. "Patienten, die einen Herzstillstand überlebt haben, sollten primär als Kandidaten für einen ICD betrachtet werden. Es sei denn, es sprächen klinische Gründe dagegen - wie beispielsweise eine erheblich eingeschränkte Ventrikelfunktion, Polymorbidität oder kurze Lebenserwartung. Ein junger Patient mit relativ guter Auswurffraktion sollte heutzutage als primäres Therapiekonzept einen Defibrillator implantiert bekommen." Diese sehr prononcierte Aussage stützt Prof. Karl-Heinz Kuck (Hamburg) auf die Ergebnisse der "Cardiac-Arrest-Study-Hamburg". CASH wurde bereits 1987 begonnen und ist damit zeitlich gesehen weltweit der erste prospektive Vergleich von ICD und Antiarrhythmika. Die Rekrutierung habe sich jedoch erheblich in die Länge gezogen, so Kuck, weil die Patienten in den ersten Jahren der Implantation eines Defibrillators eher skeptisch gegenübergestanden hätten, während es in der späteren Phase genau umgekehrt gewesen sei. Beteiligt waren sieben kardiologische Zentren in Hamburg und eines in Aachen. Eingeschlossen wurden Patienten nach einem arrhythmiebedingten Herzstillstand, der nicht in Zusammenhang mit einem Myokardinfarkt oder einer chirurgischen Intervention gestanden haben durfte. Ursache der lebensbedohlichen Ar
rhythmie - zehn Prozent der Studienteilnehmer waren herzgesund - und linksventrikuläre Funktion waren keine Kriterien. Randomisiert wurde dann entweder mit Amiodaron (n = 92), Metoprolol (n = 97) oder Propafenon (n = 68) behandelt beziehungsweise ein Defibrillator (n = 99) implantiert. Der Propafenon-Arm wurde 1992 wegen zu hoher Letalität vorzeitig abgebrochen. Im Dezember 1997 war dann bei allen Patienten der vorgesehene zweijährige Beobachtungszeitraum erreicht.
Die Auswertung nach "Intention-to-Treat" belegt statistisch signifikant die Überlegenheit des ICD. Die Gesamtletalität war um 37 Prozent geringer als unter Amiodaron/Metoprolol (12,1 versus 19,6 Prozent). Besonders ausgeprägt war die relative Risikoreduktion - um 85 Prozent - bei den Fällen von plötzlichem Herztod (2,0 versus 13,2 Prozent). Die Sterberaten waren unter beiden medikamentösen Regimen nahezu identisch. Der Unterschied ICD zu Antiarrhythmika wäre wahrscheinlich noch höher ausgefallen, so Kuck, wenn man von Anfang an die mit weniger operativen Risiken behafteten endokardialen Systeme hätte implantieren können.
Maligne Kammertachykardien Weniger eindeutig, aber richtungweisend war das Ergebnis von CIDS (Canadian Implantable Defibrillator Study), einer in Nordamerika und Australien durchgeführten Multicenterstudie. Die Kriterien für den Studieneinschluß waren weiter gefaßt als in CASH. Als Risikomarker galten außer arrhythmiebedingtem Herzstillstand auch Kammerflimmern oder -tachykardien mit Synkopen beziehungsweise bei linksventrikulärer Dysfunktion. 328 Patienten wurden randomisiert dem ICD-Arm und 331 dem Amiodaron-Arm zugeordnet. Nach drei Jahren unterschied sich die Gesamtsterblichkeit (Intention-to-Treat) um 20 Prozent (25 versus 30 Prozent). Der Vorteil für den ICD verfehlte mit p = 0,072 knapp die statistische Signifikanz. Das entspricht in etwa dem Ergebnis von AVID (Antiarrhythmics Versus Implantable Defibrillators), einer nordamerikanischen Multicenterstudie mit ähnlichem Design und 1 016 Teilnehmern. Das Sterberisiko nach Defibrillator-Implantation war nach drei Jahren um 23 Prozent geringer gewesen als unter der Amiodaron/Sotalol-Therapie. Beim Vergleich der Studienkollektive in Hinblick auf den lebensverlängernden Effekt durch den ICD läßt sich eine Tendenz erkennen. Der Unterschied zur konventionellen antiarrhythmischen Therapie ist am größten bei hohem Anteil von Fällen an plötzlichem Herztod an der Gesamtletalität. In CASH war das Risiko für einen Tod anderer Ursache unter der medikamentösen Prophylaxe im Trend sogar geringer als nach ICD-Implantation. Schwieriger abzuwägen ist der Nutzen eines ICD bei primärpräventivem Einsatz. In Frage kommen Patienten, die noch nicht durch lebensbedrohliche Kammerarrhythmien aufgefallen sind, bei denen aber aufgrund anderer Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit für den plötzlichen Herztod erhöht ist. Die Variationsbreite der Studienergebnisse ist umfangreich und reicht bisher für eine eindeutige Indikationsstellung nicht aus. An MADIT (Multicenter Automatic Defibrillator Implant Trial) hatten Patienten mit hochgradiger koronarer Herzkrankheit - Myokardinfarkt-Anamnese und schwere linksventrikuläre Dysfunktion - teilgenommen. Einschlußkriterium war der Nachweis ventrikulärer Ektopien im Langzeit-EKG und die Auslösbarkeit von Arrhythmien per programmierter elektrophysiologischer Stimulation unter Procainamid. Randomisiert wurde dann entweder ein Defibrillator implantiert (n = 95) oder mit einem Antiarrhythmikum nach Präferenz des Prüfarztes behandelt (n = 101). Nach drei Jahren betrug die Todesrate in der ICD-Gruppe 17 Prozent und in der MedikamentenGruppe 44 Prozent - die Risikoreduktion betrug 62 Prozent. Diesem Aufsehen erregenden Ergebnis stehen die Daten von CABG-Patch-Trial und CAT (CArdiomyopathy Trial) gegenüber. In beiden Studien unterschied sich die Letalität in den ICD- und konservativ behandelten Kontrollgruppen nicht. An CABG-Patch hatten KHK-Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion nach BypassOperation teilgenommen. Zusätzlicher Risikomarker waren Spätpotentiale am Ende des QRS-Komplexes im signalgemittelten EKG. Dr. Gust Bardy (Seattle/USA) vermutet, daß zum einen wahrscheinlich mit der interventionellen antiischämischen Maßnahme auch die elektrophysiologische Instabilität beseitigt wurde und daß zum anderen Spätpotentiale im EKG keine geeigneten Marker zur Risikostratifizierung seien. In CAT wurden Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie und einer Auswurffraktion unter 30 Prozent eingeschlossen. Daß insgesamt die Sterblichkeit mit 5,6 Prozent wesentlich geringer gewesen sei, als man zu Beginn der Studie im Jahr 1991 postuliert hätte, erläuterte Kuck bei der 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim, erkläre möglicherweise, warum man keinen Nutzen der ICDTherapie nachweisen konnte. Zur Zeit laufen mehrere Primärpräventionsstudien mit unterschiedlich definierten Risikokollektiven, bei denen vor Einschluß keine spezielle Arrhythmie-Diagnostik durchgeführt wird:
c MADIT II: KHK-Patienten mit einer Auswurffraktion unter 30 Prozent.
c DINAMIT (Defibrillator IN Acute Myocardial Infarction Trial): Einschluß sechs bis 31 Tage nach Myokardinfarkt, wenn die Auswurffraktion geringer als 35 Prozent und die Herzfrequenz-Variabilität eingeschränkt ist.
c SCD-HeFT (Sudden Cardiac Death in Heart Failure Trial): Patienten mit Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium II und III und Auswurffraktion unter 35 Prozent.
Primärer Endpunkt ist in allen Fällen die Gesamtsterblichkeit.
Gabriele Blaeser-Kiel
Gabriele Blaeser-Kiel

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