ArchivDeutsches Ärzteblatt40/2012Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin: Forschen an der Hausarztbasis

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Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin: Forschen an der Hausarztbasis

Rieser, Sabine

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Wer wissen will, wie man Ärzte aufs Land bekommt, muss wissen, was die jetzigen Allgemeinmediziner dort hingezogen hat und was sie hält. Studien zu Niederlassungsmotiven und -zufriedenheit waren ein Schwerpunkt des DEGAM-Kongresses.

Welche Motive veranlassen junge Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner, sich in einer ländlichen Gegend niederzulassen? Und wie geht es ihnen dann? Celia Richter, Abteilung Allgemeinmedizin der Universität Göttingen, wertet gerade zusammen mit anderen Wissenschaftlern eine Umfrage unter niedersächsischen Hausärztinnen und Hausärzten aus, die in den vergangenen fünf Jahren fern der Stadt eine Praxis eröffnet haben. Erste Ergebnisse stellte sie beim 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) Ende September in Rostock vor. Schwerpunktthema dort war „Die Zukunft der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum“.

In ausführlichen Einzelinterviews berichten die befragten niedersächsischen Ärztinnen und Ärzte häufig vom ursprünglichen Frust über die Klinikdienste („belastend“, „nervig“) und von der Hoffnung, in einer eigenen Praxis Zeit und Arbeitsschwerpunkte besser einteilen zu können. Die Wünsche der Familie spielten bei der Wahl des Ortes eine sehr große Rolle („Wenn die Familie erst einmal verwurzelt ist, dann geht man nicht mehr“).

Angst vor Regressen hält sich

Den Praxisalltag schildern viele, trotz erlebter Wertschätzung durch die Patienten, nicht nur als rosig. Von Ohnmachtsgefühlen ist immer wieder die Rede, von hohen Anforderungen („Nach dem Motto: Das ist der Doktor, dem hab’ ich zehn Euro gegeben, der gehört mir jetzt“). Ein wiederkehrendes Thema sei die Angst vor Regressen, sagte Richter („Ich möchte nicht mit meinem Privatvermögen haften“).

Richter und ihre Kollegen hörten aber auch, dass es Kompensationsstrategien gegen Praxisfrust gibt: Die jungen Ärzte haben sich zum Teil ein zweites Standbein aufgebaut und machen dann, was sie besonders gern tun und was angemessen bezahlt wird („vernünftige Medizin“). Die vorläufigen Schlüsse der Wissenschaftlerin: Wer Hausärzte fürs Land gewinnen will, sollte früh auf ihre Anbindung an eine ländliche Region achten. Gleichzeitig erleichtert das Gefühl, sich nicht lebenslang an einen Praxisstandort binden zu müssen, offenbar die Entscheidung für eine Niederlassung auf dem Land. Und das Ende der Regressbedrohung könnte ebenfalls motivieren, die Landpraxis zu wagen.

Studienergebnisse wie diese zu Niederlassungsmotiven und -wünschen der Jungen, zu Berufszufriedenheit und Verbesserungsvorschlägen der Alten sowie neuen Formen der Hausarzttätigkeit auf dem Land wurden während des DEGAM-Kongresses zahlreich vorgestellt und diskutiert. Denn die hausärztliche Versorgung der Menschen im ländlichen Raum gilt als eines der dringendsten Probleme unseres Gesundheitswesens. Wer aber die Entscheidung für die Allgemeinmedizin und später eine Tätigkeit auf dem Land fördern will, muss wissen, wie dies gelingen kann. Ein anderes wichtiges Kongressthema war die Formulierung von Zukunftspositionen der DEGAM (siehe Kästen).

Dass die meisten jungen Ärzte lieber in städtische Gebiete wollen und Berufschancen für den Partner sowie Betreuungsangebote für die Kinder wichtig sind, ist bekannt und gesichert. Doch anderes? Julia Frankenhauser-Mannuß und Kollegen von der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg gehen gerade der Frage nach, wie der ärztliche Bereitschaftsdienst empfunden wird und welche Anregungen und Wünsche es zur Verbesserung gibt. Dazu befragten sie bundesweit Ärztinnen und Ärzte in Bereitschaftsdienstzentralen.

Ärgernis Bereitschaftsdienst

Auch die Teilnahmepflicht am Bereitschaftsdienst hält angeblich viele junge Ärzte von einer Niederlassung auf dem Land ab, obwohl die Dienste in allen Bundesländern reformiert wurden oder noch werden. Bundesweite Analysen zur Meinung der Basis fehlten aber, hieß es in Rostock. Frankenhauser-Mannuß musste sich dort gleichwohl Kritik gefallen lassen, weil offenbar vor allem Obleute in den Zentralen und nicht die beteiligten Ärztinnen und Ärzte befragt wurden. Einige Kongressteilnehmer bezweifelten generell den Nutzen solcher Studien.

DEGAM-Präsident Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach sah dies anders: Analysen wie die zum Bereitschaftsdienst seien vor dem Hintergrund der anstehenden neuen Bedarfsplanung wichtig. In Zukunft werde es in diesem Bereich mehr regionale Einflussmöglichkeiten geben. Auch deswegen müsse man ein klareres Bild von der Versorgungssituation gewinnen.

Zu einem klareren Bild dessen, was man für die Versorgung des ländlichen Raums tun kann, könnten die in Rostock vorgestellten Studien beitragen, von denen etliche noch nicht abgeschlossen sind. So ergab eine Analyse von Dr. med. Sven Schulz und Kollegen vom Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Jena, dass eine ländliche Herkunft offenbar eher zu einer späteren Arzttätigkeit im ländlichen Raum führt als eine städtische. Dr. med. Klaus Böhme und andere Wissenschaftler vom Lehrbereich Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Freiburg befragten im Auftrag des Hausärzteverbands in Baden-Württemberg angehende Ärzte, welche Informations- und Unterstützungsangebote für künftige Hausärzte ihnen bekannt seien und welche sie vermissten. Ihre Ergebnisse führten unter anderem zu einer Neugestaltung der Informationsplattform www.perspektive-hausarzt-bw.de.

Zufrieden in „Meckpomm“

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland schließlich arbeitet derzeit an einem Index zur regionalen Niederlassungswahrscheinlichkeit. Die Idee: Wenn der Bedarf an Hausärzten in einem Kreis in absehbarer Zeit groß sein wird, die Niederlassungswahrscheinlichkeit aber als niedrig eingestuft wird, könnte man rechtzeitig etwas tun, um den Standort für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiver zu machen.

Aufschlussreich ist auch das, was erfahrene Hausärzte über ihren Beruf sagen. Beim DEGAM-Kongress wurden die bisherigen Ergebnisse einer Studie zur Berufszufriedenheit von Hausärzten in Mecklenburg-Vorpommern von Dr. Christin Löffler vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Rostock vorgestellt. Circa 75 Prozent sind demnach sehr zufrieden beziehungsweise zufrieden mit ihrer Arbeit, bei den Hausärztinnen liegt der Wert noch etwas höher. Besonders positiv wurden im Einzelnen das Arzt-Patient-Verhältnis angesehen beziehungsweise die persönliche Bereicherung durch die hausärztliche Tätigkeit.

Die Hälfte der Hausärztinnen und Hausärzte gab aber an, dass die Zahl der Patienten stark gestiegen sei. 75 Prozent bejahten, dass sie gern mehr Zeit für die Behandlung des Einzelnen hätten. Löffler schließt daraus, dass eine Honorarerhöhung für das Durchschleusen von noch mehr Patienten durch die einzelne Praxis ein falscher Anreiz ist – auch wenn dergleichen regelmäßig diskutiert wird. Sie fand es zudem aufschlussreich, dass das Thema Regresse auch viele erfahrene Hausärzte umtreibt. Mehr als 80 Prozent bewerteten die Regressandrohung als Geringschätzung der eigenen Arbeit. Dass es zu Regressen in Mecklenburg-Vorpommern so gut wie nie kommt, spielte keine Rolle.

Sabine Rieser

@Abstract-Band zum Kongress in Kürze: www.degam.de

Kurzinterviews mit Prof. Gerlach
und Prof. Altiner, DEGAM-Sprecher Sektion Forschung:
www.aerzteblatt.de/5Fragen

3 Fragen an . . .

Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach, DEGAM-Präsident

Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach, DEGAM-Präsident. Foto: dpa
Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach, DEGAM-Präsident. Foto: dpa

Herr Professor Gerlach, warum braucht Ihr Fach Zukunftspositionen?

Gerlach: Wir wollen Hausärztinnen und Hausärzten positive Signale geben, eine Aufbruchstimmung vermitteln und dabei helfen, konstruktiv in die Zukunft zu schauen. Ein wichtiger Beweggrund war auch, dass wir dem Jammern und Schlechtreden der eigenen Profession etwas Positives entgegensetzen wollten.

Sie beschreiben Hausärzte als Generalisten und Koordinatoren der Versorgung. Im Vertragsgeschäft fehlen aber nennenswerte Kooperationsverträge in Ergänzung zu den Hausarztverträgen. Wie passt das zur Rollenbeschreibung?

Gerlach: Hier gibt es durchaus erste Fortschritte, etwa in Baden-Württemberg. Das Vertragsgeschäft ist aber Sache der Berufsverbände und der Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft kooperieren gern mit anderen Fachgesellschaften, zum Beispiel bei der Entwicklung der Nationalen Versorgungsleitlinien. Ansonsten gilt: Die Positionen beschreiben nicht alle den Status quo. Viele vermitteln: So sollte es sein.

Eine andere Position umfasst, dass die Hausarztpraxis der Zukunft eine Teampraxis sein soll. Auch wenn die DEGAM keine Honorarpolitik betreibt: Um Teams aus Ärzten und Gesundheitsberufen zu bilden, muss die Honorierung stimmen.

Gerlach: Natürlich. Deshalb ist an anderer Stelle ja auch die Forderung formuliert, dass Hausärztinnen und Hausärzte stabile und förderliche Rahmenbedingungen benötigen. Der DEGAM ist bewusst, dass zuwendungsorientierte Medizin ordentlich und fair vergütet werden muss.

DIE HAUSARZTPRAXIS DER ZUKUNFT

Welche Aufgaben können Hausärzte in den nächsten Jahren in der Versorgung übernehmen? Welche Rolle sollte die Hausarztmedizin in Zukunft in Aus- und Weiterbildung spielen? Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hat 24 Positionen zur Zukunft der Allgemeinmedizin und der hausärztlichen Praxis formuliert.

Ziel ist es, in prägnanten Aussagen übergreifende Aspekte darzustellen. Jede Position wird erläutert und mit Hinweisen auf wissenschaftliche Studien untermauert.

So ist festgehalten, dass Hausärzte nicht primär organ- oder aufgabenzentriert arbeiten, sondern sich „als Spezialisten für den ganzen Menschen“ sehen. Darin sei kein „Anspruch auf Allzuständigkeit“ enthalten. Vielmehr sei es Aufgabe von Hausärzten, gerade die lange und umfassende Betreuung von Patienten zum Teil selbst, zum Teil in Koordination verschiedener Disziplinen zu leisten. Die Hausarztpraxis der Zukunft wird als Teampraxis dargestellt, die ein umfassendes Behandlungsangebot für alle Patientengruppen bietet.

Mehrere Positionen beziehen sich auf die Arzt-Patient-Beziehung. Die Anzahl chronisch und mehrfach erkrankter Menschen erhöhe sich und damit die Gefahr ihrer Über-, Unter- und Fehlversorgung. Die Integration und Koordination verschiedener Behandlungen sei deshalb eine zunehmend wichtige hausärztliche Aufgabe. Eine wohnortnahe, flächendeckende allgemeinmedizinische Grundversorgung gewährleiste zudem den Erhalt der Autonomie alter Menschen.

Mit ihren Zukunftspositionen setzt sich die DEGAM auch dafür ein, das Medizinstudium stärker an den Versorgungsrealitäten zu orientieren und Studierende kontinuierlich mit der Hausarztmedizin in Kontakt zu bringen. Darüber hinaus wird eine strukturierte allgemeinmedizinische Verbundweiterbildung als zukunftsorientierte Form der Weiterbildung angesehen. Weitere Infos: www.degam.de.

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