MEDIZIN: Übersichtsarbeit
Hemispasmus facialis
Konservative und operative Therapieoptionen
Hemifacial spasm—conservative and surgical treatment options
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Hintergrund: Beim Hemispasmus facialis besteht eine Bewegungsstörung der vom Nervus facialis innervierten Muskulatur. Dadurch kommt es zu unwillkürlichen kurzen oder auch länger anhaltenden Kontraktionen der Gesichtsmuskulatur. Die Prävalenz für diese Erkrankung liegt bei etwa 11 pro 100 000 Einwohner. Die lange Anamnesedauer von durchschnittlich 8,2 Jahren im eigenen Patientenkollektiv sowie die Tatsache, dass mehr als 50 % der Patienten durch eigene Initiative von der operativen Behandlungsmöglichkeit erfuhren, bewog die Autoren, diesen Artikel zu verfassen. Der Beitrag zielt darauf, mehr Aufmerksamkeit für diese Erkrankung zu erreichen.
Methoden: Diese Übersichtsarbeit basiert auf einer selektiven Literaturrecherche und der wissenschaftlichen Analyse des eigenen Patientenkollektivs.
Ergebnisse: Der Hemispasmus facialis wird meist durch eine arterielle Kompression des Nervus facialis im Bereich der Nervenaustrittszone aus dem Hirnstamm verursacht. Bei 85−95 % der Patienten führt die lokale Botulinumtoxin-Injektion zu einer deutlichen bis mäßiggradigen Beschwerdelinderung, wobei diese Behandlung in Abständen von 3–4 Monaten wiederholt werden muss. Alternativ besteht die Möglichkeit der mikrovaskulären Dekompressionsoperation mit einer Erfolgsrate von circa 85 %.
Schlussfolgerungen: Die lokale Botulinumtoxin-Injektion ist eine gut verträgliche und risikoarme symptomatische Therapie zur Behandlung des Hemispasmus facialis. Langfristige Beschwerdefreiheit lässt sich jedoch nur durch die mikrovaskuläre Dekompression erreichen. Bei diesem Verfahren handelt sich um einen relativ risikoarmen Eingriff, der mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit einhergeht.


Beim Hemispasmus facialis handelt es sich um eine Bewegungsstörung der vom Nervus facialis innervierten Muskulatur. Durch diese Bewegungsstörung kommt es zu unwillkürlichen kurzen oder auch länger anhaltenden Kontraktionen der Gesichtsmuskulatur. Obwohl die Krankheit keine lebensbedrohlichen Folgen hat, leiden die Betroffenen häufig immens und ziehen sich sozial mehr und mehr zurück. Dieser erhebliche psychosoziale Stress erfordert eine zeitnahe Diagnostik und Therapie.
Die lange Anamnesedauer von durchschnittlich 8,2 Jahren im eigenen Patientenkollektiv sowie die Tatsache, dass mehr als 50 % dieser Patienten durch eigene Initiative von der operativen Behandlungsmöglichkeit erfuhren, hat die Autoren bewogen, diesen Artikel zu verfassen. Der Beitrag zielt darauf, mehr Aufmerksamkeit für diese Erkrankung zu erreichen.
In dieser Arbeit werden die klinischen Charakteristika der Erkrankung, Differenzialdiagnosen, das diagnostische Vorgehen und die möglichen Therapieformen erörtert. Neben der etablierten symptomatischen Therapie in Form von lokalen Botulinumtoxin-Injektionen soll vor allem auf die Möglichkeit der mikrovaskulären Dekompression eingegangen werden, da diese nach wie vor die einzige dauerhafte und kausale Therapieoption darstellt.
Methoden
Diese Übersicht basiert auf einer selektiven Literaturrecherche und der wissenschaftlichen Analyse des eigenen Patientenkollektivs. In der Literaturrecherche wurden vorwiegend Studien der letzten 20 Jahre berücksichtigt, die größere Serien mit mehr als 50 Patienten beschreiben.
Epidemiologie
Zum Krankheitsbild des Hemispasmus facialis liegen nur wenige epidemiologische Daten vor. In einer Untersuchung wurden die Daten von Patienten in Olmsted County, Minnesota, aus den Jahren 1960–1984 ausgewertet (1). Die mittlere jährliche Inzidenz lag bei 0,81 pro 100 000 bei Frauen und 0,74 pro 100 000 bei Männern. Die mittlere Prävalenz betrug dabei 11 pro 100 000 Einwohner in der Gesamtpopulation. Frauen erkrankten mit einer Häufigkeit von 14,5 pro 100 000 und Männer mit einer Häufigkeit von 7,4 pro 100 000. Damit lag die Geschlechterverteilung bei 2 : 1. In Deutschland muss deshalb mit einer Prävalenz von 8 000 bis 9 000 Erkrankten gerechnet werden
Vergleichbare Ergebnisse erbrachte eine Untersuchung aus Oslo, Norwegen (2). Unterschiede ergaben sich jedoch in der Altersverteilung bei den erkrankten Patienten. Lag der Altersgipfel mit der höchsten Prävalenz in der amerikanischen Studie zwischen 40 und 59 Jahren, ergab die norwegische Untersuchung eine stetige Zunahme der Prävalenz mit dem Alter bis auf einen maximalen Wert von 39,7 pro 100 000 in der Gruppe der über 70-Jährigen. Das mittlere Alter bei Erkrankungsbeginn betrug in der norwegischen Untersuchung 54 Jahre. Nur bei circa 1–6 % aller Patienten mit einem Hemispasmus facialis lag das Alter bei Erkrankungsbeginn unter 30 Jahren (3). Im eigenen Patientenkollektiv ist ebenfalls ein häufiges Auftreten bei Frauen zu verzeichnen (Frauen 60 %, Männer 40 %) (Tabelle).
Eine familiäre Häufung ist bei dieser Erkrankung sehr selten (4). Die Prävalenz des bilateralen Hemispasmus facialis wird mit circa 2,6 % der Fälle angegeben (5). In der eigenen Serie gab es bisher keinen Patienten mit einer bilateralen Symptomatik.
Klinisches Bild, Differenzialdiagnosen
Der Hemispasmus facialis ist charakterisiert durch progrediente, unwillkürliche, unregelmäßige, klonische oder tonische Bewegungen der vom Nervus facialis versorgten Muskulatur (6). Typischerweise sind diese Symptome streng einseitig lokalisiert. Am Beginn der Erkrankung stehen oft unwillkürliche Zuckungen im Bereich des Musculus orbicularis oculi, die sich dann schrittweise auf andere Teile der betroffenen Gesichtshälfte ausdehnen. In ausgeprägten Fällen ist auch das Platysma mitbetroffen (Abbildung 1). Beim überwiegenden Anteil der Patienten persistiert die Symptomatik auch während des Schlafes (6). Fünf der eigenen Patienten klagten zusätzlich über ein „Knacken“ im Ohr, das durch Kontraktionen des Musculus stapedius erklärt werden kann.
Die am Hemispasmus facialis erkrankten Patienten leiden in erster Linie unter dem damit verbundenen psychosozialen Stress. Ausgeprägte Spasmen des Musculus orbicularis oculi können außerdem zu einer Beeinträchtigung des binokularen Sehens führen, das zum Beispiel beim Lesen und Autofahren benötigt wird (7). Akzentuiert wird die Symptomatik oftmals durch psychische Anspannung und beim Sprechen. Bei vielen Patienten tritt nach jahrelanger Erkrankung zusätzlich eine leichtgradige Facialisparese auf. Im Gegensatz zur Situation bei anderen Bewegungsstörungen sind psychopathologische Auffälligkeiten, wie zum Beispiel Angststörungen, bei Patienten mit einem Hemispasmus facialis nicht häufiger als in der Normalbevölkerung anzutreffen (8).
Als schwierig bei der Diagnostik des Hemispasmus facialis kann sich bisweilen die Abgrenzung zu anderen Bewegungsstörungen des cranio-zervikalen Bereichs erweisen. Die Differenzialdiagnosen der Erkrankung umfassen hauptsächlich
- den Blepharospasmus
- die oromandibuläre Dystonie
- den Facialis-Tic
- hemimastikatorische Spasmen
- fokale Anfälle
- die Synkinesien nach einer Facialislähmung (6).
Im Gegensatz zur streng einseitigen Symptomatik beim Hemispasmus treten beim Blepharospasmus beidseitig unwillkürliche, meist synchrone, symmetrische Kontraktionen der Augenlider auf. Die oromandibulare Dystonie zeigt sich in unwillkürlichen, repetitiven, anhaltenden Muskelkontraktionen, die vor allem den unteren Teil des Gesichtes, den Mund, den Kiefer, die Zunge und den Pharynx betreffen. Beim Fazialis-Tic sind die Bewegungsmuster komplexer, koordiniert, multifokal und wechseln oft zwischen rechter und linker Seite. Im Unterschied zum Hemispasmus lassen sich die Tics typischerweise unterdrücken (6). Einfach fokale Anfälle können, wenn sie die Gesichtsmuskulatur betreffen, ebenfalls mit einem Hemispasmus verwechselt werden. Bei hemimastikatorischen Spasmen handelt es sich um schmerzhafte Kontraktionen der Kaumuskulatur. Bei Synkinesien nach peripherer Facialisparese kommt es ebenfalls zu einer gleichzeitigen Aktivierung verschiedener vom Nervus facialis versorgter Muskeln. Typischerweise tritt diese jedoch nur im Rahmen der Willkürmotorik auf.
Die Diagnosestellung eines Hemispasmus facialis bleibt letztlich einem Spezialisten vorbehalten.
Ätiologie und Pathophysiologie
Ursächlich für den Hemispasmus facialis ist in den meisten Fällen ein ektatisches oder atypisch verlaufendes Blutgefäß, das den Nervus facialis im Bereich seiner Austrittszone aus dem Hirnstamm komprimiert (9). Pathoanatomisch weist diese sogenannte Root-Exit-Zone einige Besonderheiten auf: Der Nerv ist in diesem Bereich nur von einer dünnen arachnoidalen Membran umhüllt, ein Epineurium fehlt. Weiterhin gibt es zwischen den einzelnen Faszikeln keine bindegewebigen Septen. Außerdem findet man hier die Übergangszone zwischen zentraler (oligodendroglialer) und peripherer (schwann‘scher) Myelinisierung (10). All diese Besonderheiten führen letztlich zu einer erhöhten Vulnerabilität und damit gesteigerten Anfälligkeit für Reize, wie zum Beispiel eine Kompression.
Zur Pathogenese des Hemispasmus facialis durch eine vaskuläre Kompression gibt es verschiedene Theorien. Nach der „peripheren“ Hypothese kommt es im Bereich der Root-Exit-Zone zu ephaptischen beziehungsweise ektopischen Erregungen. Die ephaptische Erregungsleitung wird charakterisiert durch ein pathologisches Übergreifen von Impulsen zwischen benachbarten Nervenfasern (10–12). Als ektopische Erregungsleitung bezeichnet man das spontane Entstehen von Nervenimpulsen im Bereich der Kompressionsstelle. Im Gegensatz dazu geht die „zentrale Hypothese“ von einer Übererregbarkeit des Facialis-Kerns im Hirnstamm aus (10, 11). Das relativ hohe durchschnittliche Alter bei Erkrankungsbeginn lässt sich dadurch erklären, dass es im Laufe des Lebens zu progredienten ektatischen Veränderungen und Elongationen an den Gefäßen im Kleinhirnbrückenwinkel kommen kann. Dies ist besonders häufig bei Patienten mit einem arteriellen Hypertonus. Erst mit der Zeit entsteht so ein Kontakt zwischen Gefäß und Nerv, der die Kompression hervorruft. Man nimmt an, dass dies wiederum zu einer fokalen Demyelinisierung führt, die die oben genannten elektrophysiologischen Vorgänge begünstigt.
Weitere, jedoch wesentlich seltenere Ursachen für einen Hemispasmus facialis können alle Arten von Raumforderungen im Kleinhirnbrückenwinkel sein, wie zum Beispiel Schwannome, Meningeome und Arachnoidalzysten (4, 6). Bestimmte Prozesse im Hirnstamm können ebenfalls das Erkrankungsbild hervorrufen. Hierzu zählen beispielsweise Gliome, demyelinisierende ZNS-Erkrankungen wie die multiple Sklerose oder auch Hirnstamminfarkte. Auch nach einer bell’schen Lähmung beziehungsweise durch eine Verletzung des Nervus facialis soll die Symptomatik ausgelöst werden können (4).
In der eigenen Serie von 102 Patienten ließ sich außer bei zwei Patienten eine klare Kompression der Root-Exit-Zone als Ursache des Hemispasmus lokalisieren.
Diagnostik
Entscheidend für die Diagnosestellung eines Hemispasmus facialis ist das klinische Bild. Als ergänzende Verfahren kommen bei der Diagnosefindung die Elektromyographie (EMG) (13) sowie die Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz. Zum Ausschluss pathologischer Veränderungen im Kleinhirnbrückenwinkel, wie zum Beispiel Tumoren oder Hirnstammläsionen, ist ebenfalls die MRT hilfreich. Zur Darstellung einer möglichen vaskulären Kompression eignen sich besonders gut hochauflösende T2-gewichtete Sequenzen, wie zum Beispiel eine axial geschichtete CISS-Sequenz (CISS = „constructive interference in steady-state“), da sie Bilder mit hohem Kontrast zwischen Liquor, Nerven und Gefäßen liefern (Abbildung 2).
In den meisten Fällen wird die Kompression durch die Arteria cerebelli inferior posterior (PICA) oder die Arteria cerebelli inferior anterior (AICA) hervorgerufen. Seltener sind die Arteria vertebralis (VA) oder eine Kombination dieser Arterien ursächlich. In sehr seltenen Fällen kann die Kompression auch durch ein venöses Gefäß verursacht werden.
Therapie
Da es sich beim Hemispasmus facialis um eine Erkrankung mit einer relativ niedrigen Inzidenz und Prävalenz handelt, fehlen große Untersuchungen, die die möglichen Therapiearten randomisiert und kontrolliert miteinander vergleichen. Unbehandelt besteht die Symptomatik lebenslang, wobei im zeitlichen Verlauf häufig eine Progredienz der Gesichtsspasmen, sowohl in der Intensität und Häufigkeit als auch der Ausdehnung, zu verzeichnen ist. Eine Behandlungsindikation besteht dann, wenn sich der Patient durch die Erkrankung in seiner Lebensqualität beeinträchtigt fühlt oder funktionelle Einschränkungen, wie zum Beispiel des Gesichtsfeldes, bestehen.
Die Behandlungsmöglichkeiten des Hemispasmus facialis reichen von einer einfachen Wärmeanwendung über die medikamentöse Therapie und Botulinumtoxin-Injektionen bis hin zur mikrovaskulären Dekompressionsoperation.
Medikamentöse Behandlung
Bei der medikamentösen Therapie des Hemispasmus facialis werden unter anderem Carbamazepin, Clonazepam und Baclofen sowie neuere Antikonvulsiva wie zum Beispiel Gabapentin eingesetzt. Der Erfolg ist jedoch meist nur gering, unbeständig und nicht lang anhaltend (6). Daher wird diese Therapie in den meisten Studien als nicht zufriedenstellend bewertet (6, 14) und bleibt der Behandlung von sehr milden Ausprägungsformen der Erkrankung vorbehalten. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass einige der eigenen Patienten unter deutlichen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Leistungsknick klagten.
Botulinumtoxin
Bei Botulinumtoxin (BTX) handelt es sich um ein Neurotoxin, das die betroffene Muskulatur paralysiert, indem es die cholinerge Signalübertragung an den präsynaptischen Nervenendigungen irreversibel blockiert (15). Es wird seit den frühen 1980er-Jahren zur lokalen Injektionstherapie des Hemispasmus facialis eingesetzt. Die BTX-Behandlung hat sich seitdem zum Standard in der symptomatischen Therapie der Erkrankung entwickelt. Bei 85 bis 95 % der Patienten führt diese Behandlung zu einer deutlichen bis mäßiggradigen Beschwerdelinderung (6, 16, 17). Häufige Nebenwirkungen sind eine temporäre Facialisparese (23 %), das Auftreten von Doppelbildern (17 %) sowie eine Ptosis (15 %) (6, 14, 16). Seltener zu beobachten sind Übelkeit, allergische Reaktionen sowie das Auftreten von Antikörpern gegen BTX.
Ein entscheidender Nachteil dieser Therapie liegt in der begrenzten Wirkdauer, weshalb die Injektionen in Abständen von 3–4 Monaten wiederholt werden müssen (6, 14, 17). Es handelt sich hierbei um eine rein symptomatische Therapie. Viele langjährig behandelte Patienten berichten außerdem von einer Abnahme des Wirkeffekts von BTX nach einigen Jahren.
Insgesamt handelt es sich jedoch bei der Botulinumtoxin-Injektion um eine wenig invasive, nebenwirkungsarme und ambulant durchführbare Möglichkeit, die Symptomatik eines Hemispasmus facialis effektiv zu lindern.
Für bestimmte Patientengruppen stellt die lokale BTX-Injektion die einzige effektive symptomatische Therapiemöglichkeit dar. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn eine operative Therapie nicht infrage kommt, wie zum Beispiel bei Patienten mit einem hohen Narkoserisiko oder auch bei Erkrankten, bei denen die Symptomatik nicht auf eine vaskuläre Kompression zurückzuführen ist.
Mikrovaskuläre Dekompression
Die mikrovaskuläre Dekompression des Nervus facialis ist die einzige kausale Therapiemöglichkeit des Hemispasmus facialis. Ziel der Operation ist es, die der Erkrankung zugrundeliegende vaskuläre Kompression im Bereich der Austrittszone des Nerven aus dem Hirnstamm zu beseitigen. Der operative Eingriff erfolgt in Allgemeinanästhesie. Um intraoperativ Alterationen des Nervus cochlearis und des Nervus facialis frühzeitig erkennen zu können, erfolgt die Operation unter kontinuierlichem intraoperativen Neuromonitoring mit Facialis-EMG und akustisch evozierten Potenzialen. Nach der retrosigmoidalen Kraniotomie (Grafik 1) wird der Kleinhirnbrückenwinkel freigelegt. Im Anschluss werden der Verlauf, aber insbesondere auch die Austrittszone des Nervus facialis aus dem Hirnstamm dargestellt (Grafik 2). Um die Stelle der vaskulären Kompression zu identifizieren, ist oft der Einsatz eines Endoskopes hilfreich (Abbildung 3 und 4). Daher werden diese Eingriffe in der Einrichtung der Autoren immer endoskopisch-assistiert durchgeführt.
Die eigentliche Dekompression erfolgt dann meistens durch die Einlage einer Teflonwatte, die zwischen Hirnstamm und Gefäß platziert wird (Abbildung 5). In komplexeren Fällen – zum Beispiel bei sehr kaliberstarken, arteriosklerotischen Gefäßen – kann es jedoch auch erforderlich sein, das komprimierende Gefäß mit einer Teflonschlinge an die harte Hirnhaut hochzunähen, um die Kompression vollständig zu beheben.
Die durchschnittliche Erfolgsrate der Operation wird in der Literatur mit 80 bis 88 % innerhalb des ersten Jahres nach dem Eingriff angegeben (14, 18, 19). Dies ist vergleichbar mit den Ergebnissen der eigenen Serie (Tabelle). Im Follow-up betrug die Erfolgsrate (das heißt eine Reduktion der Spasmen um mehr als 90 %) nach 6 Monaten 83 % sowie 87 % nach 18 Monaten. Bei den Patienten mit geringerer oder keiner Besserung der Symptomatik waren meist ungünstige anatomische Verhältnisse, wie zum Beispiel kaliberstarke Venen oder Arterien, die zwischen dem Nervus facialis und dem Nervus vestibulocochlearis verliefen, oder extrem elongierte und ektatische Vertebralarterien bei engem perimedullärem Raum, die Ursache der Misserfolge. Die Rezidivrate betrug in der eigenen Serie bis zum jetzigen Zeitpunkt 4 %, wobei auch dies vergleichbar ist mit anderen Studien (18, 14, 19).
Wie jeder operative Eingriff birgt auch die mikrovaskuläre Dekompression bestimmte Risiken. Das Hauptrisiko besteht in einer passageren oder permanenten Hörminderung bis hin zur Anakusis auf der betroffenen Seite. Die Wahrscheinlichkeit hierfür liegt in größeren Untersuchungen zwischen 1,5 und 8 %, (14, 18–21). Das Risiko für das Neuauftreten einer permanenten Facialisparese wird in der Literatur mit 0,7–0,9 % angegeben. Häufiger (in 3–8 % der Fälle [19, 22]) tritt eine verzögerte Facialisparese auf. Dabei ist die Funktion des Nervus facialis initial nach dem Eingriff vollständig intakt. Im Mittel nach circa 12 Tagen kommt es dann jedoch akut zu einer hochgradigen Parese der Gesichtsmuskulatur auf der operierten Seite. Ursächlich damit in Verbindung gebracht wurde unter anderem die mögliche Reaktivierung eines Herpes zoster. Letztlich konnte die Ätiologie für diese verzögerte Facialisparese noch nicht identifiziert werden (22). Bei nahezu allen Patienten bildet sich die Symptomatik im Verlauf wieder vollständig zurück. Das perioperative Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen im Rahmen einer mikrovaskulären Dekompression, wie zum Beispiel raumfordernde Blutungen sowie Kleinhirn- und Hirnstamminfarkte, liegt unter 1 % und trat in der Serie der Autoren bisher nicht auf. Abschließend lässt sich sagen, dass dieses Risikoprofil aufgrund der hohen Erfolgsrate und der damit verbundenen oft dauerhaften Beschwerdefreiheit der Patienten durchaus vertretbar erscheint.
Resümee
Die lokale Botulinumtoxin-Injektion ist eine gut verträgliche und risikoarme symptomatische Therapie zur Behandlung des Hemispasmus facialis. Insbesondere für Patienten mit einem leichten Hemispasmus facialis, die ein hohes Narkoserisiko haben, sowie für Patienten, die einen operativen Eingriff ablehnen, ist dies die Therapie der Wahl.
Langfristige Beschwerdefreiheit lässt sich jedoch nur durch die mikrovaskuläre Dekompression erreichen, wobei es sich um einen relativ risikoarmen Eingriff mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit handelt. Allen Patienten mit einer eindeutigen klinischen Symptomatik sollte die Möglichkeit der operativen Behandlung dargelegt werden, da diese die einzige kausale Therapieform der Erkrankung darstellt. Besonders bei jungen Patienten empfehlen die Autoren die baldige Operation, da die eigene Serie gezeigt hat, dass die Ergebnisse bei Patienten mit lange bestehender Symptomatik signifikant schlechter ausfallen. Häufig liegt dann schon ein struktureller Schaden am N. facialis vor, der bei der Operation erkennbar wird.
Interessenkonflikt
Prof. Schroeder erhielt Honorare und Reisekostenerstattungen für Berater- und Tutorentätigkeit von der Firma Karl Storz GmbH und Co. KG, Tuttlingen.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 27. 1. 2012, revidierte Fassung angenommen: 12. 6. 2012
Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Christian Rosenstengel
Universitätsmedizin Greifswald
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
Sauerbruchstraße
17475 Greifswald
chr.rosenstengel@uni-greifswald.de
Zitierweise
Rosenstengel C, Matthes M, Baldauf J, Fleck S, Schroeder H: Hemifacial spasm—conservative and surgical treatment options. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(41): 667−73. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0667
@The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Dr. med. Rosenstengel, M. Sc. Matthes, Dr. med. Baldauf, Dr. med. Fleck, Prof. Dr. med. Schroeder
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