EDITORIAL
Psychotherapeutische Vergütung: Extrabudget zum Greifen nah


Wer hätte gedacht, dass die Ausbudgetierung psychotherapeutischer Leistungen aus der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung einmal zu einem Hauptkampfpunkt in den Honorarverhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband werden würde? Zur „conditio sine qua non“, wie KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Köhler bei einem Pressegespräch am 1. Oktober sagte. Ohne ein besseres Angebot zur Psychotherapie will die KBV dem Gesamtangebot der Krankenkassen am 4. Oktober (nach Redaktionsschluss) nicht zustimmen.
Aktuell bieten die Krankenkassen ein Gesamtpaket von knapp 900 Millionen Euro. Dies besteht aus einer Anhebung des Orientierungswertes um 0,9 Prozent oder 285,3 Millionen Euro als Ausgleich für Kostensteigerungen. 0,9 Prozent würden eine Erhöhung des Honorars um 73 Cent je antragspflichtige Psychotherapiestunde bedeuten. Berufsverbände und Psychotherapeutenkammern bezeichnen diese Steigerung als nicht akzeptabel, weil sie weit unterhalb der Inflationsrate der letzten drei Jahre liegt. Die KBV fordert aktuell eine Anhebung des Orientierungswertes um 1,8 Prozent. Auch die weiteren knapp 500 Millionen Euro, die die Kassen bieten, „stellen kein Entgegenkommen dar“, urteilte Köhler, sondern ständen Ärzten und Psychotherapeuten aufgrund der gesetzlichen Regelungen sowieso zu (siehe auch Seite 442).
Zusätzliche 100 Millionen Euro bietet der GKV-Spitzenverband für die Psychotherapie: Allerdings sollen nur die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen „ausgedeckelt“, also extrabudgetär vergütet werden, und auch nur befristet für zwei Jahre. Köhler bezeichnete dies als „vergiftetes Angebot“. Zum einen will die KBV eine unbefristete Regelung, zum anderen sollten auch die probatorischen Sitzungen und die Diagnostik ausgedeckelt werden. Denn gerade diese Leistungen haben nach Angaben der KBV seit 2008 um 1,3 Prozent pro Jahr zugenommen, insgesamt um 300 Millionen Euro. „Bleibt die Probatorik drin, wird also weiterhin aus dem Facharzttopf bezahlt, werden wir erhebliche innerärztliche Konflikte bekommen“, befürchtet Köhler.
Und diese Konflikte würden sich weiter verschärfen, denn der Bedarf an Psychotherapie wird weiter steigen. Dieser Auffassung ist Dr. Anke Walendzik vom Lehrstuhl Medizinmanagement der Universität Duisburg, die die Studienlage beurteilt hat. Seit 2003 sei definitiv eine Zunahme des Leistungsbedarfs zu erkennen, ein Ende nicht abzusehen. Die verbesserten diagnostischen Kompetenzen der Hausärzte, psychische Erkrankungen zu erkennen, und der offenere Umgang der Patienten selbst damit gelten als Gründe.
Die Wartezeiten bei Psychotherapeuten sind jetzt schon viel zu lang. Als sicher gilt inzwischen, dass mit der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie neue Psychotherapeutensitze geschaffen werden. Köhler sprach von einer Begrenzung auf 1 200 Neuzulassungen. Und auch bei den vielen halben Praxissitzen von Therapeuten sieht er die Tendenz, Stunden aufzustocken. All das kostet und sollte nicht zulasten der Fachärzte gehen. Wenn die Kassen sich entscheiden könnten, das Morbiditätsrisiko für psychische Erkrankungen langfristig selbst zu tragen, könnten Konflikte vermieden und zudem die Position der Psychotherapeuten im KV-System gestärkt werden.