THEMEN DER ZEIT
Qualitätssicherung im Krankenhaus: Indikatoren für die Bewertung von Komplikationsraten


In US-amerikanischen Kliniken wird der Diagnosestatus des Patienten bei Aufnahme erfasst. Für später hinzugekommene Diagnosen gibt es kein Geld. Auch für Deutschland wird die Einführung von „Present-on-Admission“-Indikatoren diskutiert.
Ab 2007 wurde in den USA begonnen, ein Kennzeichen in die klinischen Routinedaten einzuführen, das den Diagnosestatus eines Patienten bei Aufnahme beschreibt. Present-on-Admission-Indikatoren (POA-Indikatoren) werden unter anderem im US-amerikanischen Medicare-Datensatz angewandt und spezifizieren die ICD-9-CM-Kodierung. Diese Erweiterung der Routinedaten dient der Risikoeinschätzung stationärer Fallkollektive und ist verpflichtend zu erheben.
Liegt eine Diagnose bereits bei Aufnahme eines Patienten vor, erhält diese ein positives Kennzeichen. Wird allerdings zum Beispiel durch ein Ereignis eine Diagnose im Krankenhaus „erworben“, so ist dies anhand der Datensätze dokumentiert. Folgende Ausprägungen sind festgelegt:
- Y – POA-Indikator zutreffend (Yes)
- N – kein POA-Indikator (No)
- U – Kodierung reicht für Zuordnung nicht aus (Unknown)
- W – Es ist nicht möglich, eine Aussage über das Vorhandensein der Diagnose bei Aufnahme zu stellen (Clinically Unterminated)
- 1 – nicht meldepflichtig
Wichtig ist hierbei anzumerken, dass nicht für alle Diagnosen eine Dokumentation sinnvoll ist. Aus diesem Grund ist eine Ausschlussliste definiert worden, die festlegt, für welche ICD-9-CM-Kodes der Indikator nicht erhoben werden soll. So sind Erkrankungen und Verletzungen, die grundsätzlich bei Aufnahme vorliegen, Faktoren, die die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens beeinflussen, oder Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen, ohne eine Erkrankung oder Verletzung darzustellen, nicht erhebungspflichtig.
Ziel ist eine bessere Ergebnisqualität
Die Einführung einer solchen Kennzeichnung wird derzeit auch für Deutschland diskutiert. So gibt es klare positive Aussagen der einzelnen Fachgesellschaften sowie bereits beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Rahmen des Vorschlagsverfahrens eingereichte Änderungsvorschläge zur Einführung eines entsprechenden Indikators. Diese bieten für die Gesundheitsversorgung weitreichende Chancen, allerdings auch einige Herausforderungen für die Leistungserbringer.
Insbesondere für die Bewertung von Komplikationsraten sind POA-Indikatoren gut geeignet, weil im Rahmen der Überprüfung der Ergebnisqualität leichter festgestellt werden kann, ob ein Klinikum hohe Anteile hochmorbider Patienten behandelt oder eher Defizite in der innerklinischen Prozesssteuerung bestehen. Derzeit in Deutschland erhobene Qualitätsindikatoren ermöglichen zwar eine Gegenüberstellung verschiedener Behandlungsergebnisse unterschiedlicher Einrichtungen, dennoch besteht die Möglichkeit, dass der Fallmix in den Kliniken divergiert, so dass trotz vergleichbarer Behandlungsqualität zweier Leistungserbringer unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten sind. Die Einführung von POA-Indikatoren kann also helfen, die Ergebnisqualität in den Krankenhäusern zu verbessern, weil vermeidbare Komplikationen besser identifiziert werden können.
Daneben gibt es in den USA allerdings auch eine gesundheitsökonomische Betrachtungsweise. Denn nachdem der Indikator 2007 eingeführt wurde, folgte zwei Jahre später die Einbindung einer finanziellen Komponente: Für die Leistungserbringer wurde der Anreiz zur Qualitätsverbesserung dahingehend erhöht, dass die Vergütung für im Krankenhaus hinzugekommene Diagnosen seither nicht mehr erfolgt. Das heißt, die Kostenträger müssen nicht mehr für die entsprechenden DRG(Diagnosis Related Groups)-relevanten, vergütungsseitig erschwerend wirkenden Nebendiagnosen aufkommen. Dies erhöht den Druck auf die Leistungserbringer, ihre Prozesse zu optimieren, um das Risiko von Komplikationen zu senken.
Die Kodierqualität ist entscheidend
Zieht sich der Patient also beispielsweise erst im Klinikum eine Fraktur zu, gibt es weniger Geld. Durch eine Abwertung der kalkulierten DRG um die betreffenden Diagnosen der im Krankenhaus erworbenen Fraktur wird der Erlös nach unten korrigiert (Grafik 1). Dies würde zum Beispiel für eine Klinik in Schleswig-Holstein mit einem Landesbasisfallwert ohne Ausgleiche von 2 930,79 Euro einen Erlösverlust von 3 420 Euro, also einem Drittel des Erlöses durch die DRG bedeuten. Somit besteht für Kliniken die Notwendigkeit, die Quote von im Krankenhaus hinzugekommenen Diagnosen oder Ereignissen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Dies reduziert die im Gesundheitssystem insgesamt entstehenden Kosten, die durch Komplikationen entstehen.
Bei der Einführung von POA-Indikatoren ist es wichtig, klar definierte Kodierregeln aufzustellen. Vergleicht man die Erfahrungen aus Kalifornien und New York, so wird deutlich: Je klarer diese Kodierregeln definiert sind, umso stabiler und verwertbarer ist die daraus resultierende Datenqualität. Positiver Nebeneffekt für die Datenqualität: Die Kodierdichte wird gesteigert. Länder, die POA-Indikatoren nutzen, verfügen über eine bessere Dokumentation von Komorbiditäten in den Routinedaten als Länder, die dieses Kennzeichen (noch) nicht nutzen. Zu beachten ist, dass für eine flächendeckende Einführung von POA-Indikatoren in Deutschland die Kompatibilität zu den bestehenden Kodierregeln detailliert geprüft werden müsste, um Widersprüche zu den Regelungen des G-DRG-Systems zu vermeiden.
Unerwünschte Wirkungen ausschließen
Kritisch ist, dass die Kopplung der POA-Indikatoren an die Vergütung Anreize setzen könnte, bestimmte riskante Patienten gar nicht erst aufzunehmen. Hier gilt es, Mechanismen zu entwickeln, die eine solche ungewünschte Steuerungswirkung minimieren.
POA-Indikatoren sind in Deutschland kein unbekanntes Instrument der Dokumentation:
- Bereits 2008 wurde der erste Present-on-Admission-Kode als sekundäre Schlüsselnummer in der ICD-10-GM eingeführt. Für die Zwecke der externen Qualitätssicherung wird die U69.00 „anderenorts klassifizierte, im Krankenhaus erworbene Pneumonie bei Patienten von 18 Jahren und älter“ verwendet. Die Schlüsselnummer ist nur von Krankenhäusern, die zur externen Qualitätssicherung nach § 137 Sozialgesetzbuch V verpflichtet sind und nur für vollstationäre Fälle anzugeben. Sie dient als Abgrenzungskriterium in der Qualitätssicherung ambulant erworbener Pneumonien.
- Ab 2013 wird die externe Qualitätssicherung im Bereich Dekubitus über Routinedaten abgebildet. Zunächst erhöht sich für die Kliniken jedoch der Dokumentationsaufwand: Bis auf weiteres müssen sie die Daten für alle Patienten ab dem 20. Lebensjahr erheben (bisher ab dem 75. Lebensjahr) und für das ganze Jahr dokumentieren (bisher nur das erste Quartal). Zudem wird ein Teilbogen eingeführt, der neben dem Basisbogen einen Teilbogen enthält, in dem für jeden Dekubitus das Vorhandensein bei Aufnahme („Present on Admission“ [POA]) und dem Vorhandensein bei Entlassung („Present on Discharge“ [POD]) festgehalten wird. In aggregierter Form werden diese Daten dann einmal jährlich an die Projektgeschäftsstelle weitergeleitet. Kurzfristig ist eine Automatisierung der Dokumentation durch Rückgriff auf Routinedaten angestrebt. Eine direkte Abbildung über ICD-Kodes ist im Jahr 2013 noch nicht gegeben (Grafik 2).
POA-Indikatoren dürften an Bedeutung gewinnen
Ob diese Entwicklung eine schrittweise Einführung der POA-Indikatoren über deutlich größere Kollektive in Deutschland nach sich zieht, ist bislang offen. Eine frühzeitige Beschäftigung mit derartigen Systematiken kann aus Sicht des Autors aber nur empfohlen werden. Hierzu gehören sowohl der Umgang mit veröffentlichungspflichtigen Parametern und die daraus ableitbaren Maßnahmen zur Optimierung der Behandlungsabläufe als auch die haftungsrechtlichen Fragestellungen, die sich aus möglichen Schadensersatzansprüchen ergeben könnten.
Fragen zum Dokumentationsaufwand und die Korrelation bestehender abrechnungsrelevanter Kodierregeln mit den Regelwerken der Qualitätssicherung im Rahmen der Erfassung von Present-on-Admission“-Indikatoren sind ebenfalls im Vorfeld genau zu bewerten.
Sobald es in Deutschland möglich ist, eine Vergleichbarkeit der Parameter sowie eine Validität der Dokumentation über alle Kliniken sicherzustellen, ist dies auch für die Forschung und die Weiterentwicklung von spezifischen Leitlinien von besonderem Interesse. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass mit Present-on-Admission-Indikatoren eine verbesserte Risikoeinschätzung der positiv prädiktiven Werte möglich ist.
Björn-Ola Fechner,
Qualitätsmanagement, Westküstenklinikum Brunsbüttel und Heide gGmbH, Heide
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4112
Küper, Markus A.
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