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Marburger Bund: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft


Samuel Greefs Dissertation beginnt mit einem wunderbaren Zitat Frank Ulrich Montgomerys: „Sie müssen sich eines hinter die Ohren schreiben: Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder und die kommunalen Träger werden niemals mit dem Marburger Bund separate Tarifverhandlungen führen, nie.“ Dies sagte der damalige Vorsitzende des Marburger Bundes (MB) 2004 auf die Frage des neuen Hauptgeschäftsführers, Armin Ehl, warum der Verband keine eigenen Tarifverträge habe. Und weiter: „Es wird Ihnen nie gelingen, mehr als 30 Ärzte auf die Straße zu bekommen.“ Eine Fehleinschätzung, wie man heute weiß.
Den jüngeren unter den Ärztinnen und Ärzten ist es vielleicht gar nicht bewusst, dass der MB erst seit 2005 eigenständig arztspezifische Tarifverträge mit den Klinikarbeitgebern abschließt. Davor hatte Verdi als Multi-Branchengewerkschaft alle Krankenhausbeschäftigten in Tarifverhandlungen vertreten. Dafür hatte der MB Verdi eine Verhandlungsvollmacht erteilt.
Greef beschreibt die Transformation des ehemals berufsständisch orientierten Ärzteverbandes Marburger Bund zum eigenständigen Tarifakteur – und damit zur Berufsgewerkschaft. Dafür hat der Kasseler Politikwissenschaftler Zeitzeugen aus dem MB, von Verdi sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft befragt. Leider bleiben diese teilweise anonym.
Greef arbeitet heraus, dass die Ärzteproteste 2005 von den Assistenzärzten an den Universitätskliniken ausgegangen sind. Die jungen Ärzte hätten sich zunächst lokal begrenzt zusammengeschlossen und unabhängig vom MB agiert. Mit ihrer Forderung nach einer Aufkündigung der tarifpolitischen Vertretung durch Verdi hätten sie dabei lange Zeit sogar in Konflikt mit dem Vorstand des MB-Bundesverbands gestanden. „Erst nachdem die Ärzte ihre Streikbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis gestellt hatten und die Landesverbände den Verhandlungskurs des Bundesverbandes nicht mehr mittrugen, nahm der Bundesverband deren Forderungen auf“, schreibt Greef. Dann habe sich Montgomery aber sehr konsequent an die Spitze der Streikbewegung gesetzt.
Inzwischen habe der MB seine Strukturen und Funktionen an die neuen tarifpolitischen Schwerpunkte der Verbandsarbeit angepasst, analysiert Greef. Insofern sei der Wandel zur Berufsgewerkschaft abgeschlossen. Die Übersetzung der strukturellen und funktionalen Transformation in einen Kulturwandel innerhalb der Mitgliedschaft stelle sich hingegen schwierig dar: „Bei den Mitgliedern kann eine Spaltung in einen eher berufsständisch und einen eher gewerkschaftlich orientierten Teil festgestellt werden.“ Zentrales Kriterium dafür, welchem Flügel der Einzelne angehöre, sei die Position in der Arzthierarchie. Flügelkämpfe gebe es aber nicht. Angesichts des Dualismus von tarifpolitischer Arbeit und berufspolitischer/-ständischer Funktion könne der MB heute als ein „gewerkschaftlicher Standesverband“ bezeichnet werden.
Greef hat ein spannendes Buch über eine spannende Zeit in der Geschichte der deutschen Ärzteschaft geschrieben. Jens Flintrop
Samuel Greef: Die Transformation des Marburger Bundes. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien, Wiesbaden 2012, 349 Seiten, kartoniert, 49,95 Euro