ArchivDeutsches Ärzteblatt44/2012Chefarztverträge: Einfach mal Nein sagen

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Chefarztverträge: Einfach mal Nein sagen

Flintrop, Jens

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Es hat relativ lange gedauert, bis die möglichen gefährlichen Folgen der neuen Motivationshilfen für Chefärzte so richtig zutage getreten sind. Bereits 2002 empfahl die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) den Krankenhausleitungen mit der Neufassung ihres Chefarzt-Mustervertrages erstmals, mit den Chefärzten erfolgsabhängige Boni zu vereinbaren. Diese sollten unter anderem ausgezahlt werden, wenn deren Abteilungen definierte Mengenziele erreichten. Doch erst mit dem jüngst bekanntgewordenen Transplantationsskandal in Göttingen (der Chefarzt erhielt für jede transplantierte Leber einen Bonus) ist vielen Menschen bewusst geworden, welche unmoralischen Anreize diese Klauseln setzen und was sich daraus ergibt.

Die Bundesärztekammer (BÄK), der Verband der Leitenden Krankenhausärzte (VLK) und der Marburger Bund hatten schon damals gemahnt: „Insbesondere die Bindung der dem Chefarzt eingeräumten möglichen Boni an die Einhaltung von vorrangig ökonomisch ausgerichteten Zielgrößen ist höchst bedenklich und daher abzulehnen“, schrieben die drei Organisationen in einer Stellungnahme. Aufhalten konnten sie den Trend zu den neuen Chefarztverträgen damit nicht. Die DKG hat erst jetzt, ausgelöst durch die kritische Berichterstattung in den Medien, angekündigt, ihre Formulierungshilfe für Chefarztverträge zu überarbeiten: „Es sollte insgesamt überprüft werden, ob es notwendig ist, finanzielle Anreize für einzelne Operationen oder Leistungen zu vereinbaren, oder nicht vielmehr auf eine budgetäre Gesamtverantwortung umzustellen ist“, heißt es in einem DKG-Rundschreiben an die Krankenhäuser.

Um kritische Vorgaben in Chefarztverträgen „breitestmöglich“ zu identifizieren, haben die BÄK und der VLK soeben eine Kontaktstelle „Zielvereinbarung (Chef-)Arztverträge“ eingerichtet. Fragwürdige Passagen aus Arbeitsverträgen werden hier gesammelt und auf rechtlich oder ethisch-moralisch zweifelhafte Inhalte geprüft. Besonders kritische Inhalte sollen zudem veröffentlicht werden, um dem Abschluss solcher Vereinbarungen möglichst frühzeitig entgegenzuwirken.

Jens Flintrop, Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
Jens Flintrop, Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik

Im Gespräch mit Personalberatern erfährt man schnell, dass inzwischen fast jeder neue Chefarztvertrag fallzahlabhängige Boni vorsieht. Aber diese Entwicklung ist nicht unumkehrbar. Es darf daran erinnert werden, dass ein Vertrag eine gegenseitige Selbstverpflichtung darstellt, die freiwillig zwischen zwei Parteien geschlossen wird. Anders gesagt: Niemand zwingt den Arzt, einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, der bedenkliche Anreize setzt. Gerade in einer Zeit, in der topqualifizierte Ärzte knapp sind, sollte der angehende Chefarzt vielmehr selbstbewusst auftreten und auf Änderungen pochen. Als alternative Parameter für erfolgsabhängige Bonuszahlungen bieten sich etwa die Senkung der Komplikations- und Infektionsraten in der Abteilung, schnellere Wechselzeiten im OP, eine ausgezeichnete Mitarbeiterführung, die Einhaltung der Weiterbildungszeiten oder auch die Verringerung des Krankenstands in der Abteilung an.

Dass die Gefahren fallzahlabhängiger Boni für Chefärzte erst zehn Jahre nach ihrer Einführung so ausführlich diskutiert werden, zeigt vielleicht aber auch, wie verantwortungsbewusst die meisten Chefärzte mit dieser Klausel leben. Sie lassen sich eben nicht für ein paar Tausend Euro korrumpieren, sondern sind sich bewusst, dass das Patientenwohl über allem steht. Denn jede unnötige Operation ist eine Körperverletzung.

Jens Flintrop
Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik

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