ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2012Kosten-Nutzen-Bewertung: Eine Zahl allein löst keine Probleme

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Kosten-Nutzen-Bewertung: Eine Zahl allein löst keine Probleme

Korzilius, Heike

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Am 19. November hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum ersten Mal eine Kosten-Nutzen-Bewertung vorgelegt. Untersucht wurden vier Wirkstoffe zur Behandlung schwerer und mittelschwerer Depressionen. Herausgekommen sind zwei wesentliche Ergebnisse: Die vom IQWiG gewählte Analysemethode funktioniert, und die untersuchten Medikamente sind im Vergleich mit verfügbaren Wirkstoffen zu teuer.

Folgen hat die Bewertung zunächst einmal keine. Denn als der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das Kölner Institut im Jahr 2009 mit der Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin beauftragte, war die Gesetzeslage noch eine andere. Die Bewertung sollte als Grundlage dienen, um einen Höchstbetrag für Arzneimittel festzusetzen. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz von 2011 sieht dagegen vor, alle neuen Wirkstoffe routinemäßig einer Nutzenbewertung zu unterziehen, auf deren Basis Krankenkassen und Pharmaunternehmen einen Erstattungsbetrag verhandeln. Auf dieser Grundlage wäre es nun denkbar, dass der G-BA auf eine Nutzenbewertung der Antidepressiva drängt – das ist auch für den Bestandsmarkt möglich – und es damit den Kassen ermöglicht, einen niedrigeren Preis zu verhandeln.

Abgesehen von diesem konkreten Beispiel wirft die erste Kosten-Nutzen-Bewertung aber auch grundsätzliche Probleme auf. Nachdem nun die Machbarkeit bewiesen ist, stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wie die Methode auf das deutsche Gesundheitswesen angewendet werden soll. Betrachtet man im Rahmen der Effizienzanalysen nur die gesetzliche Krankenversicherung oder auch andere Kostenträger, wie die Rentenversicherung? Welche Therapien vergleicht man miteinander? Welche Zeiträume, welche Endpunkte wählt man? Vergleicht man womöglich Krankheiten miteinander, nach dem Motto: Ist es sinnvoll, Krebspatienten eine bestimmte Therapie zu gewähren, oder wäre das Geld besser bei der Behandlung von Herzinfarktpatienten angelegt?

„Ich würde eine weitere Befassung mit Kosten-Nutzen-Bewertungen begrüßen“, sagte IQWiG-Leiter Prof. Dr. med. Jürgen Windeler jetzt in Köln. Deren Ergebnisse könnten ein wichtiger Baustein sein, wenn es darum gehe, über Preise zu verhandeln und Entscheidungen über Erstattungen zu treffen. „Wir brauchen nun allerdings eine Diskussion darüber, welchen Stellenwert dieser Baustein für Entscheidungen im Gesundheitssystem haben soll und wie viel Aufwand wir betreiben wollen“, erklärte Windeler. Denn zum einen hätten Kosten-Nutzen-Bewertungen im deutschen Gesundheitswesen bislang keine Rolle gespielt. Zum anderen müssten auch bei den Berichten des IQWiG Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

Heike Korzilius, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik
Heike Korzilius, Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

Niemand gibt gern viel Geld für nutzlose Dinge aus – erst recht nicht, wenn es um die Gesundheit geht und die Mittel knapp bemessen sind. Kosten-Nutzen-Bewertungen können dazu beitragen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch Windeler warnt auch vor überzogenen Erwartungen: „Keine Kosten-Nutzen-Bewertung kann alleiniges Instrument zur Steuerung des Gesundheitssystems werden.“ Man müsse auch medizinische, ethische und soziale Aspekte einbeziehen. „Mit einer Zahl allein löst man keine Versorgungsprobleme.“ Experten und Verbände können jetzt zur ersten Kosten-Nutzen-Bewertung Stellung nehmen.

Heike Korzilius
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

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