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Konfessionelle Krankenhäuser: Der kirchliche Auftrag


Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft“, schrieb Papst Benedikt XVI. 2005 in seiner Enzyklika „Deus caritas est“. Zum Schutz dieses kirchlichen Auftrags haben Caritas und auf protestantischer Seite die Diakonie vor mehr als 40 Jahren ein Arbeitsrechtssystem installiert, das weder Streiks noch Aussperrungen kennt – aus reiner Nächstenliebe zu den Patienten und Mitarbeitern. Die Einzelheiten werden in Arbeitsrechtlichen Kommissionen beschlossen, die mit Vertretern der Dienstnehmer und Dienstgeber paritätisch besetzt sind. Kommt keine Einigung zustande, folgt eine verbindliche Schlichtung.
Das klingt nach Wohlfühlatmosphäre. Die Wirklichkeit sieht heute meist anders aus, zumindest in den konfessionellen Krankenhäusern. Von den Ärztinnen und Ärzten hört man Klagen über fehlende Wertschätzung seitens der Geschäftsführung, immense Arbeitsverdichtung und vergleichsweise maue Bezahlung. Viele Patienten hoffen vergeblich darauf, dass Ärzten und Pflegekräften genügend Zeit zugestanden wird, sich ihnen besonders einfühlsam zu widmen.
Klar: Die Ökonomisierung der Medizin – in den Krankenhäusern in Form von Fallpauschalenvergütung (statt Kostenerstattung) und knallharter Budgetierung – trifft die kirchlichen Träger genauso wie die kommunalen und privaten. Um im „erbarmungslosen“ Wettbewerb zu bestehen, ist betriebswirtschaftliches Handeln Grundvoraussetzung. Wenn sich aber kirchliche Arbeitgeber immer weniger von den weltlichen unterscheiden, muss die Frage erlaubt sein, ob der kirchliche Sonderweg im Arbeitsrecht noch berechtigt ist; kollidiert doch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Artikel 140 Grundgesetz) mit der gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz).
Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Güterabwägung jetzt (vorerst) zugunsten der Kirchen entschieden: Diese dürfen die Arbeitsbedingungen in ihren Einrichtungen weiterhin eigenständig regeln. Die Beschneidung der gewerkschaftlichen Rechte sei aber nur gerechtfertigt, wenn die Gewerkschaften in die Arbeitsrechtlichen Kommissionen eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis als Minimalstandard verbindlich ist (Aktenzeichen: 1 AZR 179/11). Sind diese Vorgaben erfüllt, dürfen die Gewerkschaften nicht zum Streik aufrufen. Ein Arbeitskampf, der dazu diene, einen Tarifabschluss zu erzwingen, beeinträchtige in schwerwiegender Weise das diakonische Wirken. Die obersten Arbeitsrichter knüpfen den kirchlichen Sonderweg somit an eine bessere gewerkschaftliche Beteiligung und an den kirchlichen Auftrag.
„Wenn Gewerkschaften keine adäquate Beteiligung erfahren und die Arbeitgeber die Vorgaben des Dritten Weges ad absurdum führen, können Streiks durchaus legitimiert sein“, kommentiert Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes. Und was den kirchlichen Auftrag betrifft, so stellen die Richter klar, dass die Kirchen unter Beobachtung stehen: Wenn beispielsweise in einem konfessionellen Krankenhaus ökonomische Vorgaben das Christliche verdrängen, ist das kirchliche Privileg nicht mehr zeitgemäß.
Dabei ist gelebte christliche Nächstenliebe in den Kliniken für deren Träger auch ökonomisch sinnvoll: als Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb um Patienten und um qualifizierte Ärztinnen und Ärzte.
Jens Flintrop
Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik