ArchivDeutsches Ärzteblatt50/2012Bioresorbierbarer Stent: Ein Paradigmenwechsel scheint möglich

PHARMA

Bioresorbierbarer Stent: Ein Paradigmenwechsel scheint möglich

Viola, Axel

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Ein Stent auf Basis einer Milchsäureverbindung löst sich im Körper mit der Zeit zu Wasser und Kohlendioxid auf (rote und grüne Punkte). Foto: Absorb/Abbot
Ein Stent auf Basis einer Milchsäureverbindung löst sich im Körper mit der Zeit zu Wasser und Kohlendioxid auf (rote und grüne Punkte). Foto: Absorb/Abbot

Bioresorbierbare, „temporäre“ Gefäßstützen aus Polylaktat werden in einem Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten stufenweise abgebaut. Erste Daten bestätigen Wirksamkeit und Sicherheit.

Auf der Tagung Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Ende Oktober in Miami stellte Prof. Jean François Tanguay vom Montreal Heart Institute, Kanada, die Frage in den Raum: „Brauchen wir überhaupt dauerhaft verbleibende Stents?“ – und lieferte die Antwort gleich mit: „Theoretisch ist es für den Patienten besser, wenn die Gefäßstütze nach einer gewissen Zeit vollständig verschwindet.“ Den Hauptvorteil eines in einer Koronararterie nur transient vorhandenen Stents sieht Tanguay im Erhalt der physiologischen Funktionalität der Gefäße, nachdem sich die Gefäßstütze aufgelöst hat.

Polylactid: ein Biopolymer

Auf der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Hamburg hatte das Unternehmen Abbott Vascular die Markteinführung eines solchen medikamentfreisetzenden Stents verkündet. Im Prinzip entspricht die neue Gefäßstütze dem Design des bekannten drug-eluting Stents (DES) Xience V – bis auf das eigentliche Gerüstmaterial, das beim Absorb genannten neuen Stent nicht aus Metall, sondern aus Polylactid besteht. Polylactid ist ein inzwischen weitverbreitetes Biopolymer, das nicht nur in der Medizin, zum Beispiel als Nahtmaterial oder Gerüstmaterial für Tissue Engineering, vielfältige Anwendung findet.

Aufgrund seiner Eigenschaften kann Polylactid rückstandslos im Körper abgebaut werden, es wird über den Citratzyklus in Wasser, Kohlendioxid und Adenosintriphosphat metabolisiert. Auch die Beschichtung des Stents, die den Wirkstoff Everolimus enthält, sei bioresorbierbar, versicherte Prof. Dr. med. Helge Möllmann vom Kerckhoff-Herz-und-Thorax-Zentrum, Bad Nauheim. Die Freigabekinetik des Immunsuppressivums soll dem des aktuellen Xience-Stents entsprechen.

Aus ersten Studien an Patienten ist bekannt, dass das auch als „Scaffold“ bezeichnete Implantat nach sechs Monaten vollständig endothelialisiert ist und nach zwei Jahren komplett resorbiert wird. „Nach vier Jahren ist das Gefäß von einem gesunden nicht mehr zu unterscheiden“, kommentierte Möllmann die ersten Langzeitdaten von noch wenigen Patienten. Prof. Dr. med. Christian Hamm, ebenfalls vom Kerckhoff-Herz-und-Thorax-Zentrum, hält einen Paradigmenwechsel in der Therapie von stabilen KHK-Patienten für möglich, sollten sich die Eigenschaften in weiteren Untersuchungen bestätigen.

Grundsätzlich sieht er durch den Einsatz des Absorb-Stents Langzeitvorteile, weil das Gefäß nach Abheilung und Auflösung des Stents wieder physiologisch reagieren und in seiner natürlichen Form verbleiben könne, was bei Metallstents nicht der Fall sei. Auswirkungen könnte das neue Therapiekonzept auch auf die medikamentöse Begleittherapie haben. Möglicherweise kann die Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern verkürzt oder auch in der Dosis verringert werden. Daten gibt es bisher dazu nicht. Dazu Hamm: „Patienten erhalten zurzeit die gleiche Medikation wie nach einer DES-Implantation.“

Großes Studienprogramm

Begleitet wird die Entwicklung des bioresorbierbaren Stents von einem umfangreichen Studienprogramm. Aus der Studie Absorb Cohort A (First in Man, Start im Jahr 2006) mit 30 Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit liegen inzwischen Fünfjahresdaten vor. Diese unterstützen die großen Erwartungen, die in den neuen Stent gesetzt werden. Nach fünf Jahren hatte nur ein Patient ein ischämiebedingtes Ereignis erlitten (nichttansmuraler Myokardinfarkt). Eine zweite Phase der First-in-Man-Studie, Absorb Cohort B mit insgesamt 101 Patienten, war im Jahr 2009 gestartet worden. Nach zwei Jahren hatten drei Patienten einen nichttransmuralen Myokardinfarkt erlitten, bei sechs Patienten erfolgt eine erneute Intervention, um das Zielgefäß zu eröffnen.

Bei der internationalen Registerstudie Absorb Extend sollen bis zu 1 000 Patienten bis zu 36 Monate nachverfolgt werden. Der erste Patient in Deutschland wurde im Frühjahr 2011 am Universitätsklinikum Heidelberg aufgenommen. Haupt-endpunkte der Studie sind schwerwiegende kardiale Ereignisse und die Stentthrombose. Nach sechs Monaten bei bisher ausgewerteten Daten von 269 Patienten traten ein kardialer Todesfall (0,4 %) und sieben Myokardinfarkte (2,6 Prozent) auf. Bei einem Patienten (0,4 Prozent) war eine erneute Intervention im Zielgefäß notwendig geworden.

Weitere Studien sind in Vorbereitung beziehungsweise in Planung.

Axel Viola

Pressekonferenz von Abbott Vascular:
„Absorb – die vierte Revolution in der interventionellen Kardiologie?“, in Hamburg

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