ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2013Patientenrechtegesetz: Folgen für das Risikomanagement

THEMEN DER ZEIT

Patientenrechtegesetz: Folgen für das Risikomanagement

Riedel, Rainer; Schmidt, Simone; Bauer, Hartwig

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Neue Regelungen im geplanten Patientenrechtegesetz machen es für Krankenhäuser und Arztpraxen erforderlich, ein Risiko- und Prozessmanagement einzuführen.

Foto: dpa
Foto: dpa

Mit der Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes (PRG)* wird das Ziel verfolgt, den Behandlungsprozess aus Sicht der Patienten transparenter werden zu lassen und ihre Rechte in der Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt weiter zu stärken. Dabei werden die bisher auf verschiedene Gesetzeswerke verteilten und sich aus der jahrelangen Rechtsprechung ergebenden Rechtsgrundsätze nun in gesetzliche Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) übernommen und somit einheitlich und transparent zusammengefasst. Ziel des Gesetzgebers ist es, eine verbesserte „Sicherheitskultur“ in der Patientenversorgung zu fördern, was letztendlich auch zu einer langfristigen Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen soll. Durch die Etablierung von Risikomanagementsystemen in Krankenhäusern und Arztpraxen soll die Zahl möglicher Behandlungsfehler reduziert werden. Doch welche Auswirkungen hat das künftige PRG für die Leistungserbringer?

Sowohl der Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt als auch der Vertrag zwischen Patient und anderen Angehörigen der Heilberufe werden gesetzlich geregelt und neu in das BGB aufgenommen.

Auch die Aufklärungs- und Informationspflicht des Arztes wird in Art und Umfang sowie hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen dezidiert geregelt. Dazu zählen beispielsweise erforderliche Untersuchungen im Rahmen der diagnostischen Abklärung, die Darlegung möglicher Therapieverfahren sowie der Vor- und Nachteile von Therapiealternativen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die angemessene und verständliche Aufklärung hinsichtlich möglicher Behandlungsrisiken. Darüber hinaus besteht eine weitergehende Informationspflicht des behandelnden Arztes, sofern dem Patienten durch die vom Arzt angebotenen oder vom Patienten nachgefragten individuellen Gesundheitsleistungen zusätzliche Kosten entstehen.

Mit den umfangreichen Informations- und Aufklärungspflichten der Ärzte einhergehend sind auch die Dokumentationspflichten präzisiert. So gilt der Grundsatz: „Was nicht dokumentiert wurde, wurde auch nicht durchgeführt.“ Daraus lässt sich die Grundregel ableiten: „Nur was dokumentiert wurde, lässt sich später in einer gegebenenfalls eintretenden Behandlungsfehlerstreitigkeit nachvollziehen.“

Das schon bisher bestehende Recht des Patienten, nicht nur auf Einsichtnahme in seine Patientenakte, sondern auch auf die Anfertigung und Aushändigung von Kopien vom behandelnden Arzt gegen entsprechende Gebühr, wird ebenfalls im BGB festgeschrieben.

Sicherheit für Patienten erhöhen

Schon diese wenigen Kernpunkte machen bei der anstehenden Umsetzung des PRG die Notwendigkeit der Einführung von Risikomanagementsystemen sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor deutlich. Das Risikomanagement im Krankenhaus soll dazu beitragen, dass die Patientenversorgung einfacher und sicherer wird (1). Seit mehr als 30 Jahren werden die Kriterien des prozessualen Denkens in der Arztpraxis und im Krankenhaus beschrieben: Sie beziehen sich in ihrem Systemansatz auf die Strukturqualität (wie rechtliche Rahmenbedingungen), die Prozessqualität (wie die Umsetzung von Leitlinien) und die Ergebnisqualität (zum Beispiel Morbidität). Alle drei genannten Faktoren sind eng miteinander verknüpft (2). Die Wirksamkeit solcher Systeme konnte bereits durch zahlreiche Studien belegt werden (35). Auf der Basis eines Patienten-Prozess-Managementsystems (PPMS) können die vom Gesetzgeber geforderten Standards in der Routineversorgung abgebildet werden, um somit die geforderten zusätzlichen Auflagen im Sinne der Patientensicherheit zu erfüllen.

Das Risikomanagement in Krankenhäusern und Arztpraxen ist als modulares System zu verstehen, das auf unterschiedlichen, zum Teil ebenfalls im PRG aufgeführten Komponenten basiert:

  • Das bereits intern etablierte Qualitätsmanagement soll künftig noch um die Perspektive „einer möglichen Entstehung von Fehlern aus Patientensicht“ anhand eines Beschwerdemanagementsystems ergänzt werden, um damit gegebenenfalls weitere Hinweise hinsichtlich einer möglichen Fehlervermeidung zu erhalten.
  • Critical-Incidence-Reporting-System (CIRS): Die Einführung eines Risikomanagementsystems dient grundsätzlich dazu, möglichen Behandlungsfehlern vorzubeugen. So sollen nach den Vorgaben des PRG CIR-Systeme insbesondere in den Kliniken und großen ambulanten Behandlungszentren eingeführt werden. Gefordert sind IT-gestützte Dokumentationssysteme, mit deren Unterstützung „Beinahe-Behandlungsfehler“ anonym und bei zugesicherter Sanktionsfreiheit von den ärztlichen und/oder pflegerischen Mitarbeitern dokumentiert werden. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass man auf mögliche Gefahrenstellen im Behandlungsablauf schon aufmerksam wird, bevor eine Patientenschädigung eintritt. Um CIR-Systeme erfolgreich vorbeugend etablieren und für eine künftige Fehlervermeidung nutzen zu können, müssen eine hohe Vertrauenskultur und der richtige Umgang mit den erhobenen Daten (Analyse, Feedback) für die Beschäftigten einer medizinischen Einrichtung sichergestellt sein (6).
  • Berufshaftpflichtversicherung: Ärzte sind verpflichtet nachzuweisen, dass sie über eine ausreichende Arzthaftpflichtversicherung verfügen, so dass im Fall eines Behandlungsfehlers mögliche Folgekosten gedeckt werden können. In der Praxis mangelt es jedoch an ausreichenden Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen. Die Überprüfung ist Aufgabe der Länder und der Ärztekammern. Angestrebt ist, Letzteren über eine Änderung der Kammergesetze mehr Prüfbefugnisse zu erteilen. Im Gesetz ist in einer Ergänzung der Bundesärzteordnung vorgesehen, dass die Approbation eines Arztes ruhen kann, wenn es sich ergibt, dass er „nicht ausreichend gegen die sich aus seiner Berufsausübung ergebenden Haftpflichtverfahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht.“ Angestellte Ärzte sind in der Regel durch ihre Arbeitgeber haftpflichtversichert (siehe dazu „Arzthaftpflicht: Der Markt schrumpft weiter“ in diesem Heft).

Besseres Risikomanagement durch Prozessmanagement

Selbst unter den Voraussetzungen einer derartig zielorientierten optimierten Patientenbetreuung kann nicht ausgeschlossen werden, dass vor allem infolge der enormen Arbeitsverdichtung und einer fortschreitenden Personalverknappung sowie der Zunahme von immer komplexeren und arbeitsteiligen Behandlungsabläufen im Verlauf einer Patientenbehandlung unbeabsichtigt Behandlungsfehler auftreten.

Ziel einer Fehlervermeidungskultur muss es deshalb sein, die Behandlungsabläufe zum Schutz der Patienten strukturell zu verbessern. Gerade im Hinblick auf die gesetzlich neu verankerte Informations-, Aufklärungs- und Dokumentationspflicht wird es für das medizinische Behandlungsteam unverzichtbar, die patientenorientierten Tätigkeiten in einem „behandlungszentrierten Prozessablauf“ abzubilden. Dies führt nach einer Eingewöhnungsphase dazu, den notwendigen Dokumentationsaufwand zu vereinfachen und einen den gesetzlichen Ansprüchen genügenden Dokumentationsgrad zu gewährleisten.

In den letzten Jahren haben sich die Prämien für die Krankenhaus- und Arzthaftpflichtversicherungen nahezu verdoppelt. Weitere Trends sind aktualisierte Risikoüberprüfungen und damit verbundene erhöhte Risikorückstellungen der Haftpflichtversicherer sowie die begrenzte Anzahl an Versicherungsunternehmen, die überhaupt noch Haftpflicht-Versicherungspolicen anbieten. Analog zu den Erfahrungen anderer Branchen, wie der Luftfahrt, kann man davon ausgehen, dass bei fehlendem Nachweis eines umfangreichen Risiko- und Prozessmanagementsystems die Krankenhäuser und auch die niedergelassenen Ärzte damit rechnen müssen, dass

  • kaum noch finanzierbare Beiträge erhoben werden, wie dies bereits in den USA zu beobachten ist
  • Haftpflichtpolicen-Auflagen, zum Beispiel die Etablierung eines umfangreichen Risikomanagementsystems einschließlich eines PPMS, künftig verbindlich vorgeschrieben werden.

Die durch das PRG neu festgeschriebenen Rahmenbedingungen werden dazu führen, dass das Behandlungsteam alles daransetzen muss, den gesamten Behandlungsablauf mit Unterstützung eines prozessorientierten Risikomanagementsystems vor möglichen Regressen vorbeugend abzusichern. Zum Nulltarif wird dies allerdings kaum möglich sein. Aus Patientensicht ergibt sich eine weitere Sorge: Aus Angst vor juristischen Konsequenzen mag die Bereitschaft des Behandlungsteams sinken, sich unter diesen neuen Rahmenbedingen gerade bei Hochrisikopatienten besonders zu exponieren (Defensivmedizin). Zu Recht war dies auch der Grund dafür, von einer im Vorfeld geforderten generellen Umkehr der Beweispflicht Abstand zu nehmen.

  • Zitierweise dieses Beitrags:
    Dtsch Arztebl 2013; 110(1–2): A 14–5

Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dipl.-Kfm. (FH) Rainer Riedel
Institut für Medizin-Ökonomie und Medizinische Versorgungsforschung, vereidigter Sachverständiger Prozess-Qualitätsmanagement in klinischen Einrichtungen und Arztpraxen, Rheinische Fachhochschule Köln,
Schaevenstraße 1 a/b, 50676 Köln,
riedel@rfh-koeln.de

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0113

*Der Gesetzentwurf ist am 29. November 2012 vom Bundestag verabschiedet worden und soll im Frühjahr 2013 in Kraft treten.

1.
Briner M, Manser T, Kessler O: Clinical risk management in hospitals: Strategy, central coordination and dialogue as key enablers. Journal of Evaluation in Clinical. 2012. MEDLINE
2.
Busemann A, Schreiber A, Heidecke C-D: Einführung von OP-Checklisten als Teil des Risikomangements. Der Urologe 51, 2012, doi: 10.1007/s00120–012–3020–5
3.
Conley D, et al.: Effective surgical safety checklist implementation. Journal of American College of Surgeons 212, 2011, Bde. 873–9. MEDLINE
4.
De Vries E, et al.: Effect of a comprehensive surgical safety system on patients outcome. New England Journal of Medicine. 363, 2010, Bde. 1928–37.
5.
Van Klei W, et al.: Effects of the introduction of the WHO „Surgical Safety Checklist“ on in-hospital mortality: a cohort Study. Annals of Surgery 255, 2012, Bde. 44–9. MEDLINE
6.
Panzica M, Krettek C, Cartes M: Clinical Iincident Reporting System als Instrument des Risikomanagements für mehr Patientensicherheit. Der Unfallchirurg 114, 2011, Bde. 758–767, doi: 10.1007/s00113–011–2027–5
Masterstudiengang Medizinökonomie, Rheinische Fachhochschule (RFH) Köln:
Prof. Dr. med. Dipl.-Kfm. (FH) Riedel
Institut für Medizinökonomie und Medizinische Versorgungsforschung, RFH Köln: Schmidt
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie: Prof. Dr. med. Bauer, ehem. Generalsekretär
1. Briner M, Manser T, Kessler O: Clinical risk management in hospitals: Strategy, central coordination and dialogue as key enablers. Journal of Evaluation in Clinical. 2012. MEDLINE
2. Busemann A, Schreiber A, Heidecke C-D: Einführung von OP-Checklisten als Teil des Risikomangements. Der Urologe 51, 2012, doi: 10.1007/s00120–012–3020–5
3. Conley D, et al.: Effective surgical safety checklist implementation. Journal of American College of Surgeons 212, 2011, Bde. 873–9. MEDLINE
4. De Vries E, et al.: Effect of a comprehensive surgical safety system on patients outcome. New England Journal of Medicine. 363, 2010, Bde. 1928–37.
5. Van Klei W, et al.: Effects of the introduction of the WHO „Surgical Safety Checklist“ on in-hospital mortality: a cohort Study. Annals of Surgery 255, 2012, Bde. 44–9. MEDLINE
6. Panzica M, Krettek C, Cartes M: Clinical Iincident Reporting System als Instrument des Risikomanagements für mehr Patientensicherheit. Der Unfallchirurg 114, 2011, Bde. 758–767, doi: 10.1007/s00113–011–2027–5
Deutsches Ärzteblatt plus
zum Thema

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote