MEDIZIN: Klinische Leitlinie
Lokaltherapie chronischer Wunden
Bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit, chronisch-venöser Insuffizienz und Diabetes mellitus
Local treatment of chronic wounds in patients with peripheral vascular disease, chronic venous insufficiency and diabetes
; ; ;
Hintergrund: Eine chronische Wunde wird definiert als Integritätsverlust der Haut mit fehlender Abheilung innerhalb von acht Wochen. Sie entwickelt sich an den unteren Gliedmaßen meist in Folge eines Diabetes mellitus, einer venösen Insuffizienz oder arteriellen Durchblutungsstörung. Der größte Teil der etwa 45 000 jährlichen Gliedmaßenamputationen in Deutschland wird in Folge einer chronischen Wunde notwendig.
Methode: Für die S3-Leitlinie konnten aus 4 998 systematisch ermittelten Referenzen zur Wundbehandlung 38 kontrollierte Interventionsstudien (RCTs) und 26 systematische Übersichtsarbeiten identifiziert und als Grundlage für Empfehlungen und Statements verwendet werden. Diese wurden unter Beteiligung von zwölf Fachgesellschaften der AWMF, der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und Patienten in mehreren Konsensrunden verabschiedet.
Ergebnisse: Die Leitlinie enthält sieben evidenzbasierte und 30 Good Clinical Practice Empfehlungen (GCP). Evidenzbasiert erfolgten beispielsweise Empfehlungen für Hydrogel, hyperbare Oxygenierung und integrierte Versorgung, wohingegen für medizinischen Honig und Wachstumsfaktoren Gegenempfehlungen ausgesprochen wurden. Begriffsdefinitionen erleichtern die Kommunikation und schärfen die Abgrenzung von der Wundreinigung zum ärztlich durchgeführten „Wunddebridement“. Unter der Prämisse der Vermeidung von Schmerz, Exsudataustritt und Mazeration können Lokaltherapeutika auf der Basis von Evidenz, Patientenpräferenz, Fachexpertise, der Wundsituation und unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit ausgewählt werden.
Schlussfolgerung: In vielen Bereichen ist die Evidenzlage gering. Valide Daten gibt es für die hyperbare Oxygenierung und die integrierte Versorgung. Es besteht weiterer Forschungsbedarf.


Die Behandlung chronischer Wunden erfolgt in der alltäglichen Praxis oft uneinheitlich, wobei gerade die Kontinuität auch hinsichtlich der Evaluation des Heilungsverlaufes und der Behandlungsstrategie für eine Abheilung förderlich wären.
Chronische Wunden sind verbunden mit einem
Hinzu kommen Einschränkungen in der Alltagsaktivität und Mobilität, gepaart mit Auswirkungen auf das seelische Wohlbefinden der Betroffenen. In Bezug auf die Lebensqualität wird Schmerz in systematischen Übersichtsarbeiten als die bedeutendste physische Beeinträchtigung herausgestellt (1, 3–6).
Venöse Abflussstörungen verursachen etwa 1,2 % aller Arbeitsausfalltage in Deutschland. Von den gesamten stationären Behandlungskosten entfallen rund 1 % auf die Behandlung venöser Beinulzerationen (7). Durchschnittlich erleidet in der Gruppe der Rezidivpatienten jeder dritte Patient mindestens ein Rezidiv (8). Allerdings scheinen die aus den 1970-Jahren stammenden Literaturangaben hinsichtlich der Inzidenz und Prävalenz des Ulcus cruris venosum heute zu hoch angesetzt zu sein. Untersuchungen aus dem Rheinland an großen Patientenkollektiven zeigen eine Prävalenz des Ulcus cruris venosum von etwa 0,08 % und damit auf Deutschland hochgerechnet von etwa 50 000–80 000 Personen.
Chronische Wunden an den unteren Extremitäten treten auch als Folge einer arteriellen Durchblutungsstörung auf („Ulcus cruris arteriosum“), oft verbunden mit einem Diabetes mellitus („diabetisches Fußulkus“). Die Prävalenz der peripheren arteriellen Durchblutungsstörung liegt (je nach Definition) bei 3–10 % der Gesamtbevölkerung, wobei der Anteil der Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) bei den über 70-Jährigen auf 15–20 % ansteigt (9). Verlässliche Daten zur Prävalenz oder Inzidenz des PAVK-Stadiums-IV oder von Ulcera cruris mit einer gemischt arterio-venösen Genese liegen nicht vor.
Beim diabetischen Fußulkus liegt die Prävalenz je nach Studie und Land bei etwa 2–10 % der diabetischen Gesamtbevölkerung. Die jährliche Inzidenz soll bei 2–6 % der Diabetes-Betroffenen liegen (10).
Ein Teil dieser Fußulzerationen führt im schlechtesten Fall zur Amputation von Zehen, des Fußes oder der gesamten Extremität. In Deutschland werden nach den Zahlen der AOK etwa 29 000 Diabetiker jährlich amputiert (11).
Obwohl keine exakten epidemiologischen Daten zur Rezidivhäufigkeit chronischer Wunden vorliegen, zeigen einzelne Studien, dass sowohl die Ulzerationen beim diabetischen Fußsyndrom als auch die bei venöser Insuffizienz zu Rezidiven neigen, vor allem wenn die Ulkusgenese mit einer peripheren arteriellen Durchblutungsstörung kombiniert ist (12). Vor allem die Rezidive diabetischer Fußulzera führen häufig (in bis zu 60 %) zu Amputationen (13).
Methoden
Die S3-Leitlinie wurde entsprechend allgemein anerkannter Qualitätskriterien (14) unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. in Zusammenarbeit mit elf Fachgesellschaften der AWMF, der deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und Patientenvertretern erstellt. An der Erarbeitung der Leitlinie wirkten sowohl verschiedene an der Wundbehandlung beteiligte ärztliche Disziplinen als auch Gesundheitsberufe mit, bei deren Auswahl sowohl auf Fachkompetenz als auch auf eine Geringfügigkeit von Interessenkonflikten geachtet wurde.
Auf der Basis umfassender Schlüsselfragen zu den gängigen Wundreinigungsmethoden, Wundauflagen und physikalischen Verfahren wurde eine externe Literaturrecherche und Bewertung durch das Institut Kleijnen Systematic Reviews Ltd. (UK) durchgeführt.
Zu weiteren Themen (zum Beispiel Patientenpräferenzen oder Organisation) wurden systematische Literaturrecherchen durch einzelne Autoren der Leitlinie durchgeführt. Insgesamt konnten aus 4 998 Treffern zu Wundbehandlungsinterventionen 38 kontrollierte Interventionsstudien (RCT) für die Leitlinie verwendet werden. Hinzu kamen 103 RCTs aus 26 systematischen Übersichtsarbeiten. Die Effekte zu patientenrelevanten Endpunkten wie Wundheilung, Verkleinerung der Wunde, Schmerzen oder Komplikationen werden in der GRADE-Systematik (15) dargestellt, die zugleich einen Überblick zur Qualität der Evidenz ermöglicht. Auf der Grundlage dieser Evidenz wurden in mehreren Konsensverfahren durch die beteiligten Mandatsträger der Fachgesellschaften und Autoren graduierte Empfehlungen verabschiedet (Tabelle).
In Bereichen, in denen die Schaffung wissenschaftlicher Evidenz nicht möglich oder nicht angestrebt ist, wurden „Good Clinical Practice Empfehlungen“ (GCP) konsentiert.
Basierend auf den konsentierten Empfehlungen und Aussagen (Statements) wurde ein Algorithmus erstellt, der verkürzt die Basisprinzipien der Bereiche „Diagnostik“ und „Wundtherapie“ darstellt (Grafik 1, 2; eGrafik 1). Die Leitlinienentwicklung ist in einem ausführlichen Leitlinienreport beschrieben (16).
Diagnostik und Dokumentation
Die Behandlung der chronischen Wunde beginnt mit der klinischen Anamnese und der darauf weiter einzuleitenden Diagnostik der Grunderkrankung, die gemäß den Leitlinien-Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaft erfolgen soll. Die Vorgehensweise ist im Algorithmus „Anamnese und Diagnose“ (Grafik 1) dargestellt.
Besonders hinzuweisen ist auf die Empfehlung, dass wenn nach sechs Wochen nach Beginn einer leitliniengerechten Behandlung keine Heilungstendenz erkennbar ist, das Vorliegen anderer Ursachen für die fehlende Heilungstendenz differenzialdiagnostisch abgeklärt werden soll. Hierzu soll im Zweifel eine zweite Meinung eingeholt werden (GCP).
Des Weiteren wird nur dann eine mikrobiologische Untersuchung empfohlen, wenn aufgrund einer vom Wundbereich ausgehenden erregerbedingten Infektionserkrankung eine Antibiotikatherapie erwogen wird.
Die Bedeutung der Wunddokumentation als Grundlage von Informationsübermittlung, Qualitätsmanagement und Leistungsabrechnung wird betont, wobei mindestens die Dokumentation der gesicherten Kausal- oder Verdachtsdiagnose, der gemessenen Wundgröße, der Beschreibung der sichtbaren Wundfläche, des Wundrandes und der Wundumgebung, der Therapieanordnung beziehungsweise -durchführung und gegebenenfalls des Therapiewechsels gefordert wird.
In der Leitlinie werden darüber hinaus Definitionen und Begriffe geklärt. So wurde zum Beispiel der in der Wundbehandlung oft inflationär verwendete Begriff „Débridement“ präzisiert und deutlich von der Wundreinigung abgegrenzt.
Wundreinigung und chirurgisches Débridement
Weder für die Wundreinigung, noch für das chirurgische Debridement konnte im Rahmen der Literaturrecherche hochwertige (Grade-Stufe „high“ vergleiche Tabelle) Evidenz ermittelt werden. Dennoch gehen die Experten in starkem Konsens davon aus, dass die Wundheilung durch avitales Gewebe, Fremdkörper, Beläge und Detritus behindert wird. Empfohlen wird daher, unter Berücksichtigung der Belastung des Patienten, eine initiale radikale Abtragung von avitalem Gewebe bis in intakte anatomische Strukturen (Débridement) durchzuführen. Bedingungen, die für ein chirurgisches Débridement sprechen, sind lokale Entzündungszeichen, eine systemische Infektionserkrankung ausgehend vom Wundbereich, großflächige Nekrosen beziehungsweise Beläge. Bei Bedarf soll begleitend eine adäquate Schmerztherapie eingeleitet werden.
In Abgrenzung zu diesem chirurgischen Debridement wird die Wundreinigung als „Abtragung von avitalem Gewebe, Nekrosen, Belägen und/oder Entfernung von Fremdkörpern bis an intakte anatomische Strukturen heran, unter Erhalt von Granulationsgewebe“ definiert. Diese verfolgt ebenfalls das Ziel, die Wundheilung behindernde Beläge vollständig zu entfernen und sollte, wenn sie durchgeführt wird, primär mechanisch und bei Bedarf unter Schmerztherapie erfolgen.
Auf der Grundlage der Literatur ist keine Aussage hinsichtlich eines Vorteils für die eine oder andere Spüllösung möglich, was letztendlich zu dem konsentierten Statement führt, dass unsterile Lösungen oder nicht steril gefiltertes Leitungswasser die Gefahr der Einbringung von Krankheitserregern mit sich bringen. Bezüglich der Verwendung von Ringer-Laktat-Lösung anstelle von NaCl-0,9-%-Lösungen liegt keine Evidenz vor, die eine bessere Wirksamkeit belegen würde.
Wundspüllösungen mit chemischen Zusätzen (Polyhexanid, Octenidin, Hypochlorit, H2O2, Ethacridinlactat und Farbstofflösungen) haben gegenüber der zusatzfreien physiologischen Kochsalzlösung keinen nachgewiesenen positiven Effekt auf die Wundheilung. Bei Wunden, bei denen kein Verdacht auf eine Entzündung besteht, wird der Einsatz antiseptisch wirksamer, aber auch aggressiver Substanzen (zum Beispiel Jodgaze) mangels Nutzennachweis für die Wundheilung (Relatives Risiko [RR] 1,06; 95-%-Konfidenzintervall [KI] 0,819–1,375) oder Infektionsprophylaxe (RR 1,06; 95-%-KI 0,87–1,3) nicht empfohlen. Zur aktiven periodischen Wundreinigung wird empfohlen, bevorzugt neutrale, wirkstofffreie Lösungen einzusetzen. Der Einsatz von zugelassenen Antiseptika kann bei Verdacht der erregerbedingten Entzündung erwogen werden.
Unter dem neu geprägten Begriff „passive periodische Wundreinigung“ werden ergänzende, den Wundreinigungsprozess unterstützende Verfahren zusammengefasst, die unterhalb einer Wundabdeckung (Sekundärverband) stattfinden. Hierunter fallen zum Beispiel enzymatische oder osmotische Verfahren beziehungsweise nasse Reinigungsumschläge, für die insgesamt ebenfalls nur ungenügend Evidenz vorliegt.
Lediglich für Hydrogel konnte auf der Grundlage moderater Evidenz (Grade-Stufe „moderate“ vergleiche Tabelle) aus zwei Studien (17, 18) ein Nutzen hinsichtlich der Wundheilung beim diabetischen Fußulkus ermittelt werden (RR 1,83, 95-%-KI 1,19−2,82) (17, 18). Die Autoren schlussfolgern, dass dieser Nutzen möglicherweise auf eine Begünstigung der körpereigenen Autolyse durch Rehydrierung zurückzuführen ist. Daraus folgt die Empfehlung, dass Hydrogel beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) eingesetzt werden kann, wenn Rehydrierung erforderlich ist. Dies wäre zum Beispiel der Fall bei trockenheitsbedingten Schmerzen, freiliegenden tieferen Strukturen, wie Sehnen oder Knochen, sowie bei trockenen Restbelägen. Die Empfehlung kann nach Expertenkonsens auf das Ulcus cruris venosum (UCV) und Ulcus cruris arteriosum (UCA) übertragen werden.
Trockene Nekrosen sollen wegen der möglichen Entwicklung einer feuchten Gangrän nicht rehydriert werden (Good Clinical Practice, [GCP]).
Von der Anwendung von Honig wird in der Leitlinie explizit abgeraten, weil auf Basis hochwertiger Evidenz (19, 20) keine signifikant schnellere Wundheilung nachgewiesen werden konnte (RR 1,15; 95-%-KI 0,96−1,38), jedoch signifikant mehr Patienten unter der Therapie Schmerzen angaben (RR 2,53; 95-%-KI 1,53−4,18) (19).
Die Wundreinigung mit Fliegenlarven führt zu einer schnelleren Wundreinigung als durch Hydrogele, bereitet allerdings auch signifikant mehr Schmerzen. Hinsichtlich abgeheilter Wunden nach sechs bis zwölf Monaten ist der Unterschied zur Behandlung mit Hydrogelen nicht signifikant (RR 1,14; 95-%-KI 0,86–1,53) (21) (Grafik 2; Langfassung eGrafik 1)
Wundauflagen und topische Anwendungen
Zum Spektrum der verfügbaren Wundversorgungsprodukte gehören zum Beispiel Hydrokolloide, Folien, Schaumstoffe, Mikrofaserverbände, Alginate oder Polyacrylate die in verschiedenen Materialzusammensetzungen angeboten werden.
Materialien mit denen sich tiefere Wunden ausfüllen lassen, werden Wundfüller genannt (zum Beispiel Alginate).
Hydrokolloide oder Folien dagegen werden als Wundabdeckung eingesetzt. Manche Materialien eignen sich für beide Anwendungsarten (zum Beispiel Schaumstoffe) oder werden in kombimierter Form teilweise auch wirkstoffhaltig angeboten.
Die teilweise dürftige Studienlage zu wirkstofffreien und wirkstoffhaltigen Wundauflagen war als Empfehlungsgrundlage für Produktgruppen meist nicht geeignet. Die Experten verständigten sich daher darauf, bestimmte Kriterien für die Auswahl von Wundauflagen im Rahmen von GCP-Empfehlungen zu konsentieren. Zu diesen Kriterien gehören zum Beispiel
- Schmerzvermeidung
- Praktikabilität für den Patienten
- Haftstärke
- Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit
- Vermeidung von Mazeration
Die Wahl der Wundauflage ist unter anderem abhängig von den Erfordernissen der Wundsituation, Zielen des Patienten und Wirtschaftlichkeit.
Dabei sollte ein physiologisch feuchtes Milieu in der Wunde erhalten oder geschaffen werden.
Bezogen auf den Endpunkt Wundheilung zeigen silberhaltige Wundauflagen keinen signifikanten Vorteil gegenüber Wundauflagen ohne Silber. In vier systematischen Übersichtsarbeiten und neun randomisierten kontrollierten Studien, die die Kriterien der systematischen Literaturrecherche erfüllen, zeigten silberhaltige Wundauflagen bezogen auf den Endpunkt Wundheilung keinen signifikanten Vorteil gegenüber Wundauflagen ohne Silber.
In-vitro-Untersuchungen belegen sowohl den bakteriziden Effekt als auch die Zytotoxizität des Silbers. Detaillierte Untersuchungen, in denen die verschiedenen auf dem Markt angebotenen Formen von Silber (elementar-metallisch, Silbersalz und Ionenaustauscher) verglichen werden, gibt es zurzeit nicht.
Trotz vorhandener Evidenz von zum Teil hoher Qualität (Tabelle) (22) konnte auch zu Cadexomer-Iod, PVP-Iod-Salbe, PVP-Iod-Gel oder PVP-Iod-Gaze im Hinblick auf die Wundheilung oder Vermeidung einer Infektion kein Nutzen ermittelt werden. Aufgrund der Hinweise auf die Toxizität, allergene Potenz und Jodbelastung, die sich aus weniger belastbaren Beobachtungsstudien ergeben, erfolgte in Abwägung von fraglichem Nutzen und möglichem Schaden, die Empfehlung diese Produkte bei Wunden ohne Entzündungszeichen nicht einzusetzen.
Grundsätzlich setzt die lokale Wundtherapie Kenntnisse über Material und Anwendung, Indikation und Kontraindikation sowie Allergie- bzw. Toxizitätspotential voraus (Grafik 3; eGrafik 2).
Begleitende physikalische Anwendungen
Zur Beschleunigung der Wundheilung werden eine Reihe physikalischer Verfahren wie Vakuumtherapie, Reizstrom, Stoßwellen oder Magnetfeldtherapie angeboten.
Eine besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die Vakuumversiegelung aufgrund ihrer außerordentlich breiten Anwendung erlangt. Die Bewertung der Evidenz stützt sich auf mehrere systematische Übersichtsarbeiten (23–26).
Die vorhandenen Daten sind nicht geeignet, klare Empfehlungen zur Verwendung der Vakuumversiegelung zu geben. Bis heute konnte ein Vorteil für die Methode nur für Surrogatparameter wie Wundgrößenverkleinerung (Standardisierte Mittelwertdifferenz [SMD] 0,45; 95-%-KI 0,87–0,04) (26) aufgezeigt werden.
Zur versorgungsbedingten Ausfüllung und prozentualen Reduktion der Wundtiefe oder des Wundvolumens kann die Vakuumversiegelung daher erwogen werden. (Empfehlungsgrad 0). Auch die Magnetfeldtherapie kann zur begleitenden Behandlung von venösen Ulzera erwogen werden. Die Empfehlung (Empfehlungsgrad 0) beruht allerdings auf niedriger Qualität der Evidenz (Grade-Stufe „low“ vergleiche Tabelle) (RR 2,025; 95-%-KI 1,055 – 2,768) (27). Die Anwendungsdauer, die Häufigkeit der Anwendung und die Intensität der Feldstärke konnte bisher jedoch nicht eindeutig festgelegt werden.
Die Ganzkörperdruckkammertherapie (hyperbare Sauerstofftherapie [HBO]) stellt für anderweitig austherapierte Wunden beim diabetischen Fußsyndrom eine Therapieoption mit gut belegter Wirksamkeit dar (RR 2,14; 95-%-KI 1,18−3,88) (28). Als patientenrelevanter Endpunkt ist, bei moderater Evidenzqualität (Tabelle), die Reduktion der Major-Amputationsrate durch die HBO-Therapie zu sehen (RR 0,31; 95-%-KI 0,13−0,71) (29). Auf Basis der vorliegenden Daten erfolgte eine B-Empfehlung, dass die hyperbare Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom, nach Ausschöpfen von Revaskularisationsmaßnahmen, bei amputationsbedrohter Extremität als zusätzliche Therapieoption verwendet werden sollte.
Zum Stellenwert der Ultraschalltherapie, des wassergefilterten Infrarot-A-Lichtes, dem niederenergetischen Laser und der Stoßwellentherapie liegen keine RCTs von ausreichender Qualität vor, um eine Aussage zur Evidenz dieser Verfahren hinsichtlich der Fragestellungen dieser Leitlinie zu treffen.
Sektoren und berufsgruppenübergreifende Gesundheitsversorgung
Die Literaturanalyse der Leitlinie ergab auf der Grundlage moderater Evidenz (30), dass die Versorgung von Patienten mit chronischem Ulkus hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte wie Lebensqualität, Alltagsaktivität und Schmerz mit Hilfe von kombinierten Elementen integrierter, multiprofessioneller, sektorenübergreifender Versorgung verbessert werden kann. Die Ergebnisse der RCTs sind nur bedingt auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar, spiegeln aber positive Auswirkungen wieder, die auch bei der strukturierten Versorgung von Diabetikern erzielt wurden (31, 32).
Die Experten empfehlen daher im starken Konsens: „In der Versorgung der Patienten sollten multidisziplinäre, sektorenübergreifende Elemente integrierter Versorgung eingesetzt und sinnvoll kombiniert werden (Empfehlungsgrad B)“. Beispiele dieser Elemente sind die Steuerung durch eine zentrale Stelle, Qualitätssicherung und Zusammenarbeit zwischen Sektoren und Professionen.
Stärken und Limitationen dieser Leitlinie
Erstmals wurden die Verfahren der Lokaltherapie chronischer Wunden, methodisch stringent und unter Einbezug der maßgeblich an der Wundversorgung beteiligten Berufsgruppen aufgearbeitet. Die Aufarbeitung der Evidenz hat gezeigt, dass die Durchführung von RCTs hoher Qualität durchaus möglich ist (zum Beispiel [21, 22, 28]; Grafik 4).
Dennoch konnte die Leitliniengruppe nur auf sehr wenige RCTs zurückgreifen, die ein geringes Fehlerpotenzial aufweisen, was möglicherweise an den Zertifizierungsmodalitäten für Medizinprodukte liegt, die bislang keine Nutzennachweise vorsehen (33). Graduierte Empfehlungen (A, B, oder O) wurden in dieser Leitlinie ausschließlich vergeben, wenn aussagekräftige Effekte zu den Endpunkten der Leitlinie auf der Basis von randomisierten kontrollierten Studien oder Meta-Analysen vorhanden waren. Ergänzend dazu wurden Statements oder GCP-Empfehlungen verabschiedet.
Auf der Basis hochwertiger Evidenz konnte nur für die HBO-Therapie und für integrierte Versorgungskonzepte ein Nutzen ermittelt werden, der zu einer klaren Anwendungsempfehlung (mindestens Empfehlungsgrad B) führte. Wenn die Datenlage aus randomisierten kontrollierten Studien ungenügend war, hat die Leitliniengruppe die Empfehlungen insgesamt vorsichtig und verantwortungsvoll formuliert. Soweit ein Expertenkonsens möglich war, wurden Kriterien auf der Basis von GCP-Empfehlungen und Statements verabschiedet, die dem Praktiker, gemeinsam mit der umfassend in der Leitlinie aufgearbeiteten Evidenz, als Orientierung dienen sollen. Die Leitlinie kann dazu beitragen, dass die Wundtherapie ein ernst zu nehmendes Fachgebiet wird, in dem auf Evidenz und multiprofessionelle Zusammenarbeit gesetzt wird statt auf Marketing-basiertes Wissen.
Die Leitlinie ist auf der Webseite der AWMF veröffentlicht. Eine Kurzfassung ist in Vorbereitung.
Interessenkonflikt
Dr. Rüttermann und Dr. Maier-Hasselmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
M. Burckhardt erhielt Honorare für Vorträge von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen vom Transfernetzwerk Bildung und der PFAD-Akademie.
B. Nink-Grebe erhielt Drittmittel für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien und für ein von ihr initiiertes Forschungsvorhaben von der Firma Medi zur Erforschung der Kompressionstherapie.
Manuskriptdaten
eingereicht: 18. 9. 2012, revidierte Fassung angenommen: 17. 10. 2012
Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Mike Rüttermann
Consultant Plastic Surgeon
University Medical Center Groningen
Hanzeplein 1, 9700 RB Groningen/NL
mikeruettermann@yahoo.com
Zitierweise
Rüttermann M, Maier-Hasselmann A, Nink-Grebe B, Burckhardt M: Clinical Practice Guideline: Local treatment of chronic wounds in patients with peripheral vascular disease, chronic venous insufficiency and diabetes.
Dtsch Arztebl Int 2013; 110(3): 25–31. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0025.
@eGrafiken:
www.aerzteblatt.de/13m0025
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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Dr. med. Rüttermann, Dr. med. Maier-Hasselmann, Nink-Grebe, Burckhardt
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Chantelau, Ernst A.
Reiß, Fred
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Dissemond, Joachim
Kröger, Knut
Rüttermann, Mike
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