ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2013Übersetzungen in der Medizin: Vom Sprach- zum Kunstfehler

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Übersetzungen in der Medizin: Vom Sprach- zum Kunstfehler

Mörtlbauer, Melanie

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Behandlungsfehler sind teilweise auch auf mangelhafte Übersetzungen zurückzuführen.

Aus einem Bericht der Krankenkassen geht hervor, dass im Jahr 2011 etwa 4 000 Kunstfehler in deutschen Kliniken und Arztpraxen begangen wurden – doch nicht immer trifft den Arzt die Schuld. Ein Teil dieser Fehler ist auf falsch übersetzte Krankenakten und -berichte zurückzuführen. Einer amerikanischen Studie zufolge basieren 1 500 von 30 000 untersuchten Medikationsfehlern auf missverständlichen Abkürzungen. Aus diesem Grund greifen Übersetzungsagenturen verstärkt auf ausgebildete Mediziner zurück, die sich mit den zahlreichen Kürzeln im medizinischen Bereich genau auskennen und auch mit synonymen Bezeichnungen vertraut sind.

„Jede Fehlübersetzung im medizinischen Bereich kann im Endeffekt zu Missverständnissen oder sogar zu schwerwiegenden Fehlern führen“, betont die Linguistin Dr. Anna-Katharina Hüging von der Übersetzungsagentur Alphatrad. Die Translationswissenschaftlerin arbeitet unter anderem als Lehrbeauftragte am Seminar für Übersetzen und Dolmetschen der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und hat sich auf allgemeinsprachliche und medizinische Übersetzungen spezialisiert. In ihrer Dissertation geht Hüging auf den Übersetzungsprozess speziell im medizinischen Bereich ein und zeigt Möglichkeiten auf, um die Übersetzung solcher Fachtexte zu vereinfachen.

Wie aufwendig sich eine medizinische Übersetzung gestaltet, geht aus einer Studie von Hüging hervor: Im Durchschnitt nutzte jeder der 14 Probanden sechs Recherchequellen und rief bei der Online-Recherche 14,8 Seiten auf. Auch wird in der Studie deutlich, welcher Art Fehlübersetzungen sein können. So wurde beispielsweise in einem Fall für „medullary thyroid cancer“ die Übersetzung „Rückenmarkskrebs“ angeboten statt korrekterweise „medulärer Schilddrüsenkrebs“. Solche extremen Fälle sind zwar selten, zeigen aber wie fatal eine Abweichung vom Originalinhalt sein kann. Hüging nennt ein weiteres Beispiel, das bereits häufiger aufgetreten ist: So wird der englische Terminus „mild dementia“ häufig als „milde Demenz“ übersetzt. „Die korrekte Übersetzung wäre allerdings ,leichte Demenz’. Diese Trennschärfe ist bei der Diagnose und der nachfolgenden Therapie sehr wichtig“, erklärt Hüging.

Hügings Studie belegt die Bedeutung von Fachübersetzern: Am besten schnitten die Diplomstudierenden eines Übersetzerstudiums mit dem Ergänzungsfach Medizin ab. Dabei genügt es nicht, Mediziner mit einer gewissen Fremdsprachenaffinität zu engagieren. „Die Verteilung der Übersetzungsfehler zeigt, dass die Disziplin des Übersetzens wissenschaftlich vermittelt und erlernt werden muss und dass ein entsprechend ausgebildeter Übersetzer einem sprachversierten Mediziner vorzuziehen ist“, so Hüging.

Die internationale Sprache für Medizin bleibt Englisch. „Typische Fehlerquellen sind hier vor allem Synonyme, Abkürzungen und Neologismen“, erklärt Frédéric Ibanez, Inhaber der Übersetzungsagentur Alphatrad. Dies bestätigt auch Hüging: „Die medizinische Fachsprache ist durch eine zunehmende Bezeichnungsvielfalt gekennzeichnet.“ Zu den zahlreichen Synonymen kommen außerdem noch ältere und neuere Termini hinzu. „Nicht jedes Synonym ist gleich gebräuchlich, zudem existieren sinnverwandte Abkürzungen“, so Hüging weiter. Diese nehmen der Sprachwissenschaftlerin zufolge gerade im medizinischen Sprachgebrauch weiter zu. Problematisch wird es, wenn für einen Terminus mehrere abgekürzte Formen existieren. Oft werden Abkürzungen auch fehlerhaft in den ursprünglichen Terminus zurückübersetzt. Ähnliches gilt für Neologismen, die ebenfalls immer häufiger werden und in Wörterbüchern und Lexika unzureichend dokumentiert sind.

Auch bei Texten aus dem Bereich der Medizintechnik kann es zu folgenschweren Fehlern kommen. Hier können falsche oder missverständliche Formulierungen in der Bedienungsanleitung zu Beschädigungen an den Geräten oder gar zu einer falschen Anwendung führen. Die schweizerische Heinz Stampfli AG verkauft Geräte für den Bereich der Notfall- und Medizintechnik. Seine Produktbeschreibungen lässt das Unternehmen von einer spezialisierten Agentur ins Französische, Italienische und Englische übersetzen. „Ein Fehler in der Beschreibung eines Defibrillators kann eine falsche Anwendung nach sich ziehen“, erklärt Claudia Widmer von der Heinz Stampfli AG. Auch bei der Wundversorgung, beispielsweise von Brandopfern, müsse der Ersthelfer genau wissen, welchen Verband er verwenden darf. Für solche Fälle bedarf es allerdings keines Mediziners. Hierfür gibt es in der Regel Ingenieure mit Übersetzerausbildung oder Übersetzer, die sich auf den Bereich Medizintechnik spezialisiert haben. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Übersetzung frei von Fehlern und missverständlichen Formulierungen ist.

Melanie Mörtlbauer

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