SCHLUSSPUNKT
Körperbilder: Maria Lassnig (*1919) – Was unter die Haut geht


Maria Lassnig malt nicht, was sie sieht, sondern was ihr Körper fühlt. Seit mehr als sechs Jahrzehnten erforscht die 93-jährige Grande Dame der österreichischen Malerei in unzähligen Selbstporträts, wie sie sich als Körper und durch diesen wahrnimmt. Da für sie das Innere und nicht die äußere Erscheinung zählt, versetzt sie sich beim Malen in einen meditativen Zustand, um den „Empfindungen in ihrem Körpergehäuse“ (Lassnig) nachzuspüren. Diesen Gefühlen, in denen sie auch die Außenwelt verarbeite, gebe sie auf der Leinwand Gestalt und zeige, „wie dünn die Haut zwischen dem Leib und den Dingen ist“, so der Kunsthistoriker Prof. Dr. Gottfried Boehm. „Die Integrität des autonomen Körpers“ (Boehm), die das klassische Aktbild unterstellte, gilt nicht mehr: Lassnigs Leib ist Gegenständen oder Tieren ausgeliefert, so auch in ihrem „Selbstporträt mit Stab“.
Erschüttert, traurig, auf sich selbst zurückgeworfen, aber bereit, den Lebenskampf aufzunehmen, wirkt sie da angesichts des Verlusts der geliebten Mutter. Obwohl der hölzerne Stab, der von der rechten Brust bis unter die linke Achsel in ihrem Oberkörper steckt, offensichtlich keine äußere Verletzung hervorgerufen hat, geht dem Betrachter ihr Schmerz unter die Haut. Dazu tragen auch die abgetönten, fahlen Farben bei, die eine beklemmende Stimmung auslösen. Konfrontiert mit der Schwierigkeit, wie Körpererfahrungen im Bild sichtbar zu machen sind, entwickelte die Künstlerin ein virtuoses System von Gedanken- und Geruchsfarben, Schmerz- und Qualfarben bis hin zu Todes- und Krebsangstfarben, das ihr Werk durchzieht.
Dass Lassnigs unkonventionelle Selbstbilder nicht in Narzissmus, sondern in Schmerz und Einsamkeit gründen, hat mit ihrer Biografie zu tun. Die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Kärntnerin musste alleine einen langen Künstlerweg gehen, bis sie Anerkennung fand. Erst nach ihrer Berufung 1980 als Professorin an die Hochschule für Angewandte Kunst in Wien folgten Biennale- und Documenta-Teilnahmen und große Einzelausstellungen wie die aktuelle Retrospektive mit vielen noch nie gezeigten Arbeiten. Im informativen Katalog kommt auch der österreichische Schriftsteller Oswald Wiener zu Wort, der um Lassnigs dornenreichen Weg weiß: „Der Körper hat die Kunst gestört, um es ganz drastisch zu sagen. Sie wäre lieber körperlos, glaube ich.“ Sabine Schuchart
Ausstellung
„Maria Lassnig. Der Ort der Bilder“
Universalmuseum Joanneum, Neue Galerie, Kalchberggasse, Graz; www.museum-joanneum.at, Di.–So. 10–17; bis 28. April
Deichtorhallen, Deichtorstr. 1−2, Hamburg, www.deichtorhallen.de; Di.–So. 11–18, 1. Do. im Monat 11−21 Uhr; 21. Juni bis 1. September
1. | Günther Holler-Schuster: „Maria Lassnig. Der Ort der Bilder“, Katalog zur Ausstellung, 205 Seiten, Verlag Walther König 2012, 29,90 Euro. |