ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2013Kindesmissbrauch: Schutzräume für Therapeuten gefordert
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Leider müssen meine Kolleg(inn)en und ich in unserem Praxisalltag sehr oft feststellen, dass es uns verunmöglicht wird, ausreichend Schutzraum für unsere missbrauchten oder misshandelten Patienten zu gewährleisten.

Ob dieser zu schaffen ist, hängt meistenteils nicht von der Entscheidung des Therapeuten, sondern von der Tendenz zum Agieren bei den Eltern oder letztlich der Rechtsprechung ab, also von der subjektiven Einschätzung des Familienrichters, eines therapeutischen Laien.

Dies betrifft insbesondere Fragen des Umgangs- und Besuchsrechtes sowie das Recht auf Auskunft über Inhalte der Therapie, das wiederum die Schweigepflicht konterkariert. Hier erleben wir oft sehr dramatische und für Kinder traumatisierende Entwicklungen.

So werden Kinder gerichtlich gezwungen, den Vater zu besuchen, obwohl sie von sexuell getönten „Spielen“ berichten und große Angst vor diesen Besuchen haben (in einem Fall musste ein Opfer sogar den Täter im Gefängnis besuchen); Atteste von Kinderärzten und involvierten Therapeuten werden vom Tisch gewischt und als nicht maßgeblich erkannt. Missbrauchte Kinder sind gezwungen, jahrelang in unmittelbarer Nachbarschaft des Täters zu leben, der lediglich eine Bewährungsstrafe bekam.

Viele Kinder und Jugendliche haben das Bedürfnis, den Täter in ihrer Therapie „außen vor“ zu halten und erleben es als eine symbolische Kontaminierung, wenn er die Räume des Therapeuten betritt oder fürchten die Manipulation des Therapeuten durch den Täter. Demgegenüber stehen das Recht auf Auskunftspflicht durch den sorgeberechtigten Elternteil, das nicht selten eingeklagt wird – eine therapeutisch unhaltbare Situation, und meist ist das dann das Ende jeder Behandlung – sowie als Folge eine Verwirrung des Kindes im Bereich des Unrechtsbewusstseins, wenn man dem Täter wesentlich mehr Rechte zugesteht als dem Opfer.

Dass das Phänomen PAS (systematische Entfremdung des Kindes von einem Elternteil) oder des vorgetäuschten Missbrauchs existent ist, ist natürlich unbestritten, aber ein Therapeut braucht Zeit und Ruhe, um dies herauszufinden, die Gelegenheit ist oft nicht gegeben, wenn man sofort in einen Krieg verstrickt wird. Es sollte hier eine Art „einstweilige Verfügung“ geben . . .

Viele Kollegen nehmen solche Fälle nur noch ungern an, da man oft in endlose, ärgerliche, Zeit und Energie zehrende Auseinandersetzungen verstrickt wird, die nicht vergütet werden, vielleicht noch mit Kosten für einen eigenen Anwalt verbunden sind, und bei denen für die therapeutische Arbeit kein Raum mehr zur Verfügung steht.

Wir fordern also auch Schutzräume für Therapeuten, in denen wir mit den Opfern unbehelligt arbeiten und selbst über die Modalitäten der Behandlung entscheiden können . . .

Wir fordern auch ein Forum, an welches sich betroffene Therapeuten wenden und kostenfrei beraten und schützen lassen können.

Die wenigen Therapieplätze für Missbrauchsopfer sind auch ein Produkt der schlechten Erfahrungen von Therapeuten mit solchen Konstellationen.

Dipl.-Psych. Ursula Mayr, 83236 Übersee

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