

Seit einigen Monaten ist der pränataldiagnostische Test auf das Down-Syndrom auf dem Markt. In Deutschland bieten ihn bereits knapp 200 Praxen und Kliniken an. Umstritten ist er jedoch immer noch.
Viel Wirbel gab es im vergangenen Jahr um den PraenaTest, den nichtinvasiven pränataldiagnostischen Bluttest auf eine fetale Trisomie 21. Die Firma Lifecodexx aus Konstanz führte ihn schließlich in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz im Spätsommer 2012 ein.
Mittlerweile bieten ihren Angaben zufolge knapp 200 qualifizierte pränataldiagnostische Praxen und Kliniken den Test für schwangere Frauen an, die sich in der zwölften Schwangerschaftswoche oder darüber befinden und ein erhöhtes Risiko für chromosomale Veränderungen beim ungeborenen Kind tragen. Private Krankenversicherungen in Deutschland übernehmen zum Teil die Kosten; (etwa 1 200 Euro) andernfalls muss der Bluttest selbst bezahlt werden. Allen anfänglichen Schwierigkeiten zum Trotz ist Lifecodexx mit der Markteinführung des Tests zufrieden. Dabei verweist die Firma auf mehr als 1 000 bereits im vergangenen Jahr durchgeführte PraenaTest-Analysen. „Eine Auswertung der Analysen ergab, dass die große Mehrheit von 97 Prozent der getesteten Risikoschwangeren im Hinblick auf das Vorliegen einer Trisomie 21 bei ihrem ungeborenen Kind beruhigt werden konnte“, berichtet Elke Decker, Marketingleiterin von Lifecodexx, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. In nur knapp zwei Prozent der Fälle habe eine fetale Trisomie 21 vorgelegen. „Soweit uns bekannt ist, sind diese Fälle mittels Fruchtwasseruntersuchung weiter abgeklärt worden“, berichtet Decker. Bei weiteren knapp zwei Prozent habe aufgrund eines zu geringen Gehalts an zellfreier fetaler DNA zunächst kein Ergebnis bekanntgegeben werden können.
Auch in das neue Jahr ist Lifecodexx voll Zuversicht gestartet. „Es ist jetzt schon absehbar, wie sinnvoll der PraenaTest insbesondere in Ergänzung zum Ersttrimesterscreening ist. Tatsächlich müssen entschieden weniger Frauen eine invasive Diagnostik in Anspruch nehmen und können frühzeitig entlastet werden“, betont Dr. Wera Hofmann, medizinisch-wissenschaftliche Leiterin bei der LifeCodexx AG. Der große Vorteil sei, dass kein Risiko einer eingriffsbedingten Fehlgeburt entstehe, wie bei invasiven Untersuchungsmethoden, etwa der Amniozentese. Derzeit arbeitet die Firma daran, die Zeit zwischen Probeneingang und Übermittlung des Testergebnisses an den Arzt weiter zu verkürzen. Derzeit liegt sie bei etwa zwei Wochen. Zudem wird an einer qualitativen Ausweitung des Tests getüftelt: Ab Frühjahr 2013 soll er auch die Trisomien 13 und 18 verlässlich nachweisen können.
Relativ große Nachfrage
Die Fachwelt und besonders die Ärzteschaft diskutieren indessen, welchen Stellenwert die dem PraenaTest zugrundeliegende Technologie des „non-invasive prenatal testing“ (NIPT) allgemein innerhalb des pränatalen Aneuploidie-Screenings haben soll. Großen internationalen Studien zufolge liege die Sensitivität solcher Tests bei 99,1 Prozent, die Falschpositivrate bei 0,3 Prozent. Konkret heißt das: Eine Schwangere mit einem intermediären Risiko von beispielsweise 1 : 100 für eine fetale Trisomie 21 hätte demnach nach einem positivem Bluttest ein Risiko von 3 : 1 beziehungsweise nach negativem Bluttest ein Risiko von 1 : 11 000, ein Kind mit einer Trisomie 21 zu gebären.
Viele Experten weisen darauf hin, dass NIPT die bisherigen pränataldiagnostischen Methoden nicht ersetzen kann. „In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Bundesverbands niedergelassener Pränatalmediziner, der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik sowie der Internationalen Gesellschaft für Pränatale Diagnostik sollten positive Testergebnisse durch eine invasive Untersuchung weiter diagnostisch abgeklärt werden“, heißt es auch bei Lifecodexx. Grund dafür sind Einschränkungen in der Anwendung der Tests. So können sie keine Mosaike, fetoplazentare Diskrepanzen, strukturelle Aberrationen und auch nicht sämtliche Aneuploidien erkennen.
Aufgrund dieser Tatsach
Zu den Gynäkologen, die den Test dennoch seit einigen Monaten in ihrer Praxis anbieten, gehört der Berliner Pränataldiagnostiker Dr. med. Michael Entezami. Die relativ große Nachfrage nach dem Test erklärt er zum einen damit, dass Schwangere heute im Vergleich zur Zeit der Aufnahme der invasiven Pränataldiagnostik in die Richtlinien der Mutterschaftsvorsorge vor etwa 30 Jahren zunehmend älter sind. „Auch schon damals war der Frauenarzt, der Schwangere betreute, nach den Richtlinien verpflichtet, diese auf die Amniozentese als damals aktuelle Möglichkeit der invasiven Pränataldiagnostik hinzuweisen“, erläutert Entezami. „Juristisch verhinderte er damit für den Fall der Geburt eines Kindes mit chromosomaler Anomalie, sich der Regresspflicht auszusetzen.“
„Test ist nicht zu verweigern“
Seitdem sind zahlreiche Verfahren entwickelt worden, mit denen sich das Risiko für das Vorliegen chromosomaler Anomalien abschätzen lässt, beispielsweise Ultraschallsoftmarker, Triple- und Quadrupletest, Nackentransparenzmessung, Ersttrimesterscreening und integriertes Screening. Dass der PraenaTest ebenso wie diese Tests von Frauenärzten angeboten wird, hält Entezami für selbstverständlich: „Im Falle eines auffälligen Ersttrimesterscreenings werden betreuende Gynäkologen der Schwangeren den Test nach Aufklärung über die Grenzen der Aussagekraft schon aus allgemein ethisch-ärztlichen und auch aus haftungsrechtlichen Gründen nicht verweigern können.“
Bei unklarem Befund des Ersttrimesterscreenings (insbesondere bei isoliert erhöhtem freien ß-HCG beim Ersttrimesterscreening) seien der integrierte Test und die Sonographie im zweiten Trimenon (17. Schwangerschaftswoche) valide Methoden der weiteren Abklärung. „Danach stellt sich die Frage, ob der PraenaTest die Erwartungen der Schwangeren erfüllen kann. Man muss prüfen, ob gleich eine invasive Pränataldiagnostik zu empfehlen ist oder bei einem unauffälligem Ultraschallbefund auf beides verzichtet werden kann“, erläutert der Gynäkologe. Den Wunsch der Schwangeren und ihres Partners müsse man dabei allerdings berücksichtigen. Dies müsse zudem aus haftungsrechtlichen Gründen gut dokumentiert werden.
Zweifel am Nutzen des neuen Tests hegt indes der Dermatologe und Ethikexperte Prof. Dr. med. Otto P. Hornstein, Uttenreuth. „Wenn der nichtinvasive Test die invasiven Möglichkeiten nicht ersetzen kann, ist er dann nicht überflüssig?“, fragt er. Dieses Unbehagen wird auch vom Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, geteilt, der den Test rundweg ablehnt, weil er weder medizinischen noch therapeutischen Zwecken diene. Ein Rechtsgutachten, das in Hüppes Auftrag vom Bonner Rechtswissenschaftler Prof. Dr. jur. Klaus Ferdinand Gärditz erstellt wurde, sieht in der Etablierung von PraenaTest einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz. Eltern könnten sich zunehmend verpflichtet fühlen, nur ein gesundes Baby bekommen zu dürfen, befürchtet auch Dr. med. Frank Johannes Hensel, Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln.
Diese Bedenken werden von dem Pädiater Prof. Dr. med. Holm Schneider, Erlangen, geteilt. „Wer die Vorstellung hat, ein Leben mit Down-Syndrom sei ein unwertes Leben, der kennt keinen Menschen mit Down-Syndrom. Wer diese Menschen wegwünscht aus unserer Gesellschaft, der ist ihnen noch nicht begegnet. Das sind lebensfrohe Menschen mit eigenem Kopf und in der Regel sonnigem Gemüt, die viel mehr können, als man ihnen bisher zugetraut hat, und die unsere Gesellschaft durch das, was sie sind und können, ungeahnt bereichern.“ Schneider glaubt ebenfalls, dass das Angebot eines solchen Tests die gesellschaftliche Erwartung verstärken werde, ihn auch anzuwenden.
Dabei sei es verfehlt, Eltern Behindertenfeindlichkeit vorzuwerfen, weil sie sich in Anbetracht der Behinderung ihres Kindes für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, meint die Caritas-Behindertenhilfe und Psychiatrie, ein Fachverband des Deutschen Caritasverbands, in einer vor kurzem vorgelegten „Bonner Erklärung“. Jede individuelle Entscheidung stehe jedoch in einem sozialen und gesellschaftlichen Kontext, und diesen gelte es kritisch zu hinterfragen.
Nur ein weiterer Teil der PND
Das Rad lasse sich allerdings nicht mehr zurückdrehen, stellte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, fest. Er sieht den Kern des Problems nicht in der neuen Diagnosemethode, vielmehr gehe es um die Pränataldiagnostik und ihre Konsequenzen insgesamt. Diese Ansicht wird von dem Europaabgeordneten Dr. med. Peter Liese (CDU) geteilt. „Die Pränataldiagnostik ist etabliert, und wenn eine Methode möglicherweise weniger Folgen als andere für Mütter und Kinder hat, dann kann man diese nicht einfach ablehnen“, sagte Liese dem Deutschen Ärzteblatt. Dennoch habe er Verständnis für die Bedenken der Behindertenverbände und fordert, wie im Gendiagnostikgesetz vorgesehen, eine von Ärztinnen und Ärzten durchgeführte genetische Beratung.
Schneider hält es für notwendig, mehrere Informations- und Beratungsgespräche zu führen. Im ersten Gespräch müsse es ausschließlich darum gehen, den Eltern verständlich zu machen, was die Diagnose Trisomie 21 bedeutet. Dazu gehöre das Angebot, beispielsweise mit Hilfe von Selbsthilfegruppen Kontakte zu Familien oder Einrichtungen herzustellen, in denen Menschen mit Down-Syndrom leben. Diesen Ansatz hält auch Liese für sinnvoll: „Ich würde es sehr unterstützen, dass man Familien, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, in die Beratung einbezieht.“
In der Schweiz ist der neue Test zur vorgeburtlichen Diagnostik bereits seit Juli 2012 erhältlich. Dort hat sich seitdem die Zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) intensiv mit dieser Methode beschäftigt und eine Stellungnahme erarbeitet, die jetzt vorliegt. Darin wird empfohlen, die Beratung der Schwangeren im Hinblick auf die pränatale Diagnostik so zu gestalten, dass eine möglichst autonome Entscheidung sichergestellt sei. Gleichzeitig zeigt die Ethikkommission Verständnis dafür, dass die gesellschaftliche Tendenz, Behinderung so weit wie möglich systematisch auszuschließen, von vielen Betroffenen und ihren Angehörigen als Bedrohung erlebt werde. Deshalb sei „jede schwangere Frau respektive jedes Paar darüber aufzuklären, dass die Durchführung eines vorgeburtlichen Screenings in der Regel keine Vorsorgeuntersuchung zum Wohl des Kindes ist, sondern einer Auswahlentscheidung zur Verhinderung eines Kindes mit bestimmten genetischen Merkmalen dient.“
Kenntnisse zum pränatalen Screening und seiner ethischen Implikation sollten so früh wie möglich, zum Beispiel im Rahmen der Schulbildung, vermittelt werden. Die SAMW fordert außerdem „die Unterstützung und Inklusion von Menschen, die mit Trisomie 21 leben, und ihren Familien zu verbessern. Der rechtliche Schutz von Menschen mit genetischen Auffälligkeiten vor Diskriminierung ist mindestens aufrechtzuerhalten“.
Weltweite Einführung geplant
Mittlerweile ist der Test auch in einigen gynäkologischen Praxen und pränataldiagnostischen Kliniken in Ungarn, Bulgarien, Russland, der Ukraine sowie in der Türkei verfügbar. Noch 2013 soll er zudem weltweit in weiteren Ländern eingeführt werden. Auf europäischer Ebene fordert Liese deshalb eine Beratungspflicht und den Arztvorbehalt, wie es in Deutschland durch das Gendiagnostikgesetz vorgeschrieben sei. Die DNA-Diagnostik werde in den nächsten Jahren immer einfacher werden. „Wenn es eventuell ausreicht, einen Blutstropfen auf Löschpapier über die Grenze zu verschicken, brauchen wir hier dringend europäische Mindeststandards.“
Gisela Klinkhammer,
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Was ist der PraenaTest?
Der PraenaTest ist ein nichtinvasiver molekulargenetischer Bluttest zur Feststellung einer fetalen Trisomie 21. Basierend auf dem Einsatz von Next-Generation-Sequencing-Technologien ist er der Firma Lifecodexx zufolge in der Lage, aus mütterlichem Blut eine Trisomie 21 zuverlässig auszuschließen oder zu bestätigen. Eingesetzt werden soll er als Ergänzung zur nichtinvasiven Pränataldiagnostik ausschließlich bei schwangeren Frauen ab der zwölften Schwangerschaftswoche, die ein erhöhtes Risiko für chromosomale Veränderungen beim ungeborenen Kind tragen. Gemäß dem Gendiagnostikgesetz und den Richtlinien der Gendiagnostikkommission müssen sie sich vor dem Test durch einen qualifizierten Arzt humangenetisch und ergebnisoffen beraten und aufklären lassen.
3 Fragen an . . .
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Entezami, niedergelassener Pränataldiagnostiker, Berlin
Wünschen sich in Ihrer Praxis viele Schwangere, Risiken für fetale Chromosomenaberrationen nichtinvasiv abschätzen zu lassen?
Entezami: Ja, denn die invasive Diagn
Wo liegen die Chancen und Grenzen des PraenaTests?
Entezami: Der Test ermöglicht es Schwangeren, nach einem auffälligen Ersttrimesterscreening die Situation abzuklären, ohne ein Fehlgeburtsrisiko in Kauf nehmen zu müssen. Aber es gibt auch Nachteile: Die Befundermittlung ist teuer (1 250 Euro), der Test ist keine Kassenleistung und benötigt zwei bis vier Wochen. Zudem muss man betonen, dass der Test (bislang noch) ausschließlich die Trisomie 21 detektiert und somit bei erhöhtem Risiko für Trisomie 13 oder 18 oder für strukturelle oder sonstige Chromosomenanomalien nicht infrage kommt. Bei fetalen Fehlbildungen ist der PraenaTest nicht die Methode der Wahl zur Abklärung von Chromosomenanomalien.
Wie kann der Test sinnvoll angewendet werden?
Entezami: Der Test ist dann empfehlenswert, wenn sich bei einem sonographisch unauffälligen Feten aufgrund einer pathologischen Biochemie (niedriges PAPP-A, hohes freies ß-HCG) ein erhöhtes Risiko für eine Trisomie 21 ergibt und die Schwangere das kleine, aber vorhandene Risiko der Chorionbiopsie oder der Amniozentese scheut.
Recknagel, Utta
Seeger, Kerstin