ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2013Leberzirrhose und -transplantation
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Die Todesfälle infolge einer Leberzirrhose haben sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Nach wie vor ist im Endstadium der Leberzirrhose eine Lebertransplantation die einzige kausale Therapie. Mehr als 60 % aller Lebertransplantationen werden aufgrund einer Leberzirrhose durchgeführt. Auch bei den Transplantationen infolge eines Leberzellkarzinoms liegt in über 90 % der Fälle eine Zirrhose vor. Allerdings stellt zunehmender Organmangel das Gesundheitssystem vor ein drängendes Problem: Den 1 191 durchgeführten Lebertransplantationen im Jahre 2011 stehen 1 792 neu auf die Wartelisten aufgenommene Patienten gegenüber – eine Situation, die sich in der Folge des Transplantationsskandals noch weiter zuspitzen dürfte.

Unterschiedliche Ätiologien der Leberzirrhose

Im ersten Artikel der dreiteiligen Serie im Deutschen Ärzteblatt zur Leberzirrhose machen Wiegand und Berg (1) deutlich, dass unterschiedliche Ätiologien zu einer Leberzirrhose führen. Am häufigsten findet man die alkoholische Leberzirrhose sowie virusbedingte Zirrhosen, hervorgerufen durch chronische Hepatitis B, C oder D. Durch die vor Jahren eingeführte generelle Impfung gegen Hepatitis B im Kindesalter, die auch vor Hepatitis D schützt, und verbesserte Therapien werden diese Zirrhosen zurückgehen. Demgegenüber werden Hepatitis-C-bedingte Zirrhosen in den nächsten 10 bis 20 Jahren noch zunehmen. In Deutschland leiden allerdings bereits jetzt 20 % der Bevölkerung an einer Fettleber: Hiervon gehen 10 % in eine nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) über, von denen 10 % eine Zirrhose und hiervon wiederum 10 % ein Leberzellkarzinom entwickeln werden. Da die Mehrzahl aller Lebertransplantationen aufgrund einer Leberzirrhose erfolgen, würde ein Rückgang dieser Erkrankung das Problem des Organmangels verringern. Wichtigste Aufgabe ist dabei die Prävention einer Zirrhose durch die Frühdiagnose therapierbarer Lebererkrankungen. Mittlerweile stehen für die meisten chronischen Lebererkrankungen spezifische kausale Therapien zur Verfügung, die zur Progressionshemmung aber auch zur Heilung führen können. Zur Prävention einer Leberzirrhose und eines Leberzellkarzinoms gehört neben der universellen Impfung gegen Hepatitis B vor allem eine frühzeitige Therapie der chronischen Hepatitis B und Hepatitis C. Eine erfolgreiche Behandlung verhindert das Fortschreiten der Erkrankung zu einer Leberzirrhose. Dazu müssen aber die Therapie-bedürftigen Patienten identifiziert werden. Dies stellt besonders bei Hepatitis B eine große Herausforderung dar. Mehr als die Hälfte der Hepatitis-B-Patienten wird unter Migranten vermutet, und diese Gruppe hat einen unzureichenden Zugang zum Gesundheitssystem – das gilt vor allem für Frauen. Die Therapie der Alkoholkrankheit sowie die Behandlung einer Autoimmunhepatitis, einer Hämochromatose und des Morbus Wilson sind ebenfalls entscheidend.

Besonders wünschenswert wäre die Entwicklung medikamentöser Ansätze, die unabhängig von der Krankheitsätiologie auf molekularer Ebene in die Mechanismen der Fibrogenese und Fibrolyse eingreifen und die Rückbildung der Zirrhose bewirken. Dass die Leberzirrhose prinzipiell rückbildungsfähig ist, haben Untersuchungen zur erfolgreichen Therapie der Hepatitis C bereits im Jahre 2002 zeigen können (2). Durch eine Langzeittherapie mit den modernen oralen Nukleosid- und Nukleotid-Analoga Entecavir und Tenofovir konnte dieser Effekt auch für die Hepatitis B nachgewiesen werden (3). Große Hoffnungen setzt man in die Entwicklung von direkt antiviral wirksamen Substanzen (DAAs) zur Therapie der Hepatitis C. Die neue Standardtherapie der Hepatitis C, das heißt die Tripletherapie mit pegyliertem Interferon alfa, Ribavirin und einem der neuen HCV-Protease-Inhibitoren (4), hat jedoch gerade bei Patienten mit Zirrhose enttäuscht. Hier bestehen vor allem Hoffnungen auf eine interferonfreie orale Kombination verschiedener direkt antiviraler Substanzen (5).

Therapie bei Komplikationen der Leberzirrhose

Im zweiten Artikel der Serie beschreiben Sauerbruch et al. (6) die Möglichkeiten der konservativen und interventionellen Therapie von Komplikationen der Leberzirrhose. Ösophagusvarizen als Hauptursache gastrointestinaler Blutungen werden heute mit Betablockern, endoskopischer Ligatur und oder transjugulärem, intrahepatischem, portosystemischem Shunt (TIPS) erfolgreich behandelt beziehungsweise verhindert. Der TIPS hat sich auch in der Behandlung des therapierefraktären Aszites etabliert. Eine besondere Herausforderung stellt jedoch das hepatozelluläre Karzinom (HCC) dar, für dessen Frühstadien die Lebertransplantation die einzige kausale Therapie ist. Durch eine Lebertransplantation wird dann auch die Leberzirrhose als Präkanzerose für ein erneutes HCC entfernt.

Transplantation bei irreversiblem Leberversagen

Im letzten Teil der Serie stellen Pascher et al. (7) die Transplantation als Behandlungsoption bei irreversiblem Leberversagen vor. Komplikationen nach Lebertransplantation sind unter anderem primäre Nicht-Funktion, Blutungen, akute und chronische Abstoßungen sowie eine Rekurrenz von Grundkrankheiten, die zur Transplantation geführt haben. Größte Fortschritte wurden in diesem Zusammenhang bei der Verhinderung einer Rekurrenz der Hepatitis B erzielt: 1990 war die Hepatitis-B-bedingte Zirrhose noch eine Kontraindikation für eine Transplantation, da nahezu alle Patienten eine erneute HBV-Infektion des Spenderorgans erlitten und die 3-Jahres-Überlebensrate bei Reinfektion nur bei 50 % lag. Inzwischen kann durch orale Nukleos(t)id Analoga plus Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin die Reinfektionsrate auf etwa 5 % gesenkt werden; Hepatitis B zählt inzwischen zu den besten Indikationen für eine Lebertransplantation. Die neuen Hepatitis-C-Medikamente, vor allem die oralen Protease-, Polymerase- und NS5A-Inhibitoren, werden hoffentlich künftig auch die Reinfektion bei Hepatitis C verhindern können, die bisher in nahezu 100 % der Fälle auftritt. Auch Alternativen zur konventionellen, orthotopen Organtransplantation müssen in der Entwicklung vorangetrieben werden. Dazu gehören Therapien für genetisch bedingte Lebererkrankungen, die Hepatozytentransplantation für das akute Leberversagen und chirurgische Alternativen wie etwa die besonders für Kinder geeignete Leberlebendspende.

Verteilung der Spenderorgane

Der Mangel an Spenderorganen hat immer wieder zu einer Änderung der Organallokation geführt, um bessere Ergebnisse und eine gerechtere Organverteilung zu erzielen. Patienten sollen Organe nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht sowie unabhängig vom Zentrum erhalten. Es gibt innerhalb von Eurotransplant eine einheitliche Warteliste. Die letzte Neuerung führte 2006 zum MELD-Allokationssystem (Model for End-Stage Liver Disease). Dabei gehen Werte für Bilirubin, Kreatinin und INR in die MELD-Formel ein. Je höher der MELD-Score, desto dringlicher die Indikation. Bei einem MELD-Score von 40 etwa liegt die 3-Monats-Mortalität bei 100 %. Der MELD-Score wurde eingeführt, um die kränksten Patienten auf der Warteliste zu bevorzugen und die Wartelistenmortalität zu reduzieren, was auch zunächst gelang. Bald wurden jedoch die Limitationen des MELD-Systems erkennbar und es kam zu Ausnahmeregelungen. Beispielhaft sei hier das Vorgehen beim HCC beschrieben: Werden Patienten in frühen Stadien transplantiert (MILAN-Kriterien), ist die Rezidivhäufigkeit gering und die Prognose gut. Bei stärkerer Ausdehnung des HCC hat der Patient geringen oder keinen Nutzen wegen rascher Rezidivbildung nach Transplantation. Das Organ hätte dann prinzipiell einem Patienten mit einer anderen Grundkrankheit zu einem längeren Überleben verhelfen können. Gegenwärtig werden Patienten mit einem Leberzellkarzinom auf der Warteliste durch die Vergabe von extra MELD-Punkten (Match MELD) bevorzugt. Dadurch wird aber der Spenderorganpool für die anderen Patienten – wie etwa diejenigen mit Zirrhose ohne HCC – kleiner. Hinzu kommt, dass die Spender von Organen älter geworden sind, nicht zuletzt wegen des erfreulichen Rückgangs der Verkehrstodesfälle. Es werden also zunehmend suboptimale Organe in immer kränkere Patienten transplantiert. Als Konsequenz haben sich die Überlebensraten nach Lebertransplantation seit Einführung des MELD-Systems (8, 9) verschlechtert. Die Wartelistenmortalität wurde von der Zeit vor der Transplantation auf die danach verlagert. Neben einer Lösung dieser Probleme muss das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zurückgewonnen werden, indem die Patientenauswahl und die Organallokation transparent und nach einheitlichen Regeln erfolgen. Dazu zählt zum Beispiel die strikte und in allen Zentren einheitlich praktizierte Einhaltung der MILAN-Kriterien beim HCC, der Ausschluss von Patienten mit fortgesetzter Alkoholabhängigkeit und möglicherweise auch eine Auswahl transplantierender Zentren. Bisher erfolgt die Honorierung der Krankenhäuser alleine aufgrund der Anzahl durchgeführter Transplantationen. Es ist an der Zeit, dass auch die Transplantationsergebnisse in die Honorierung der Zentren eingehen. Die Berücksichtigung von Transplantationszahlen in der Zielvereinbarung zur Honorierung einzelner Ärzte wurde bereits zuvor kritisiert (10). Reine Transplantationszahlen geben falsche Anreize.

Interessenkonflikt
Prof. Manns hat im Rahmen von Beratertätigkeiten, Gutachtertätigkeiten und Vorträgen Honorare erhalten sowie Unterstützung für Kongressgebühren und Reisekosten von den Firmen Novartis, GSK, Roche, Janssen, MSD, Shering-Plough und Falk. Darüber hinaus erhielt die MHH Studienunterstützung (Drittmittel) und Gelder für eine Stiftungsprofessur von den genannten Firmen sowie Biotest und Cytonet.

Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Michael P. Manns
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1, 30623 Hannover
manns.michael@mh-hannover.de

Liver cirrhosis, transplantation and organ shortage

Zitierweise
Manns MP: Liver cirrhosis, transplantation and organ shortage.
Dtsch Arztebl Int 2013; 110(6): 83–4. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0083

@The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Wiegand J, Berg T: The etiology, diagnosis and prevention of liver cirrhosis—part 1 of a series on liver cirrhosis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(6): 85–91. VOLLTEXT
2.
Poynard T, Mc Hutchison J, Manns M, et al.:Impact of pegylated interferon alfa-2b and ribavirin on liver fibrosis in patients with chronic hepatitis C. Gastroenterology 2002 122: 1303–13. CrossRef MEDLINE
3.
Schiff ER, Lee SS, Chao YC, et al.: Long-term treatment with entecavir induces reversal of advanced fibrosis or cirrhosis in patients with chronic hepatitis B. Clin Gastroenterol Hepatol 2011; 9: 274–6. CrossRef MEDLINE
4.
Hofmann WP, Sarrazin C, Zeuzem S: Current standards in the treatment of chronic hepatitis C. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(19): 352–84. MEDLINE
5.
Calle Serrano B, Manns MP: HCV’s days are numbered: next-generation direct-acting antivirals and host-targeting agents. Antivir Ther 2012; 17: 1133–46. CrossRef MEDLINE
6.
Sauerbruch T, Appenrodt B, Schmitz V, Spengler U: Conservative and interventional treatments for liver cirrhosis—part 2 of a series on liver cirrhosis. Dtsch Arztebl Int 2013; in press.
7.
Pascher A, Nebrig M, Neuhaus P: Irreversible liver failure: treatment by transplantation. Dtsch Arztebl Int 2013; in press.
8.
Schlitt HJ, Loss M, Scherer MN, et al.: Current developments in liver transplantation in Germany: MELD-based organ allocation and incentives for transplant centres. Zeitschrift fur Gastroenterologie 2011; 49: 30–8. CrossRef MEDLINE
9.
Weismüller TJ, Negm A, Becker T, et al.: The introduction of MELD-based organ allocation impacts 3-month survival after liver transplantation by influencing pretransplant patient characteristics. Transplant International 2009; 22: 970–8. CrossRef MEDLINE
10.
DGIM: DRG-Finanzierung der Krankenhäuser und Bonussysteme für Ärzte: Im Krankenhaus Fehlentwicklungen durch falsche Anreize stoppen! Presseerklärung; www.dgim.de, 2012.
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie Medizinische Hochschule Hannover:
Prof. Dr. med. Manns
1. Wiegand J, Berg T: The etiology, diagnosis and prevention of liver cirrhosis—part 1 of a series on liver cirrhosis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(6): 85–91. VOLLTEXT
2. Poynard T, Mc Hutchison J, Manns M, et al.:Impact of pegylated interferon alfa-2b and ribavirin on liver fibrosis in patients with chronic hepatitis C. Gastroenterology 2002 122: 1303–13. CrossRef MEDLINE
3. Schiff ER, Lee SS, Chao YC, et al.: Long-term treatment with entecavir induces reversal of advanced fibrosis or cirrhosis in patients with chronic hepatitis B. Clin Gastroenterol Hepatol 2011; 9: 274–6. CrossRef MEDLINE
4. Hofmann WP, Sarrazin C, Zeuzem S: Current standards in the treatment of chronic hepatitis C. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(19): 352–84. MEDLINE
5.Calle Serrano B, Manns MP: HCV’s days are numbered: next-generation direct-acting antivirals and host-targeting agents. Antivir Ther 2012; 17: 1133–46. CrossRef MEDLINE
6.Sauerbruch T, Appenrodt B, Schmitz V, Spengler U: Conservative and interventional treatments for liver cirrhosis—part 2 of a series on liver cirrhosis. Dtsch Arztebl Int 2013; in press.
7.Pascher A, Nebrig M, Neuhaus P: Irreversible liver failure: treatment by transplantation. Dtsch Arztebl Int 2013; in press.
8. Schlitt HJ, Loss M, Scherer MN, et al.: Current developments in liver transplantation in Germany: MELD-based organ allocation and incentives for transplant centres. Zeitschrift fur Gastroenterologie 2011; 49: 30–8. CrossRef MEDLINE
9. Weismüller TJ, Negm A, Becker T, et al.: The introduction of MELD-based organ allocation impacts 3-month survival after liver transplantation by influencing pretransplant patient characteristics. Transplant International 2009; 22: 970–8. CrossRef MEDLINE
10. DGIM: DRG-Finanzierung der Krankenhäuser und Bonussysteme für Ärzte: Im Krankenhaus Fehlentwicklungen durch falsche Anreize stoppen! Presseerklärung; www.dgim.de, 2012.

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